Cyberanthropologie
Cyberanthropologie (englisch cyber als Kurzform für „Kybernetik“, altgriechisch ánthrōpos ‚Mensch‘ und -logie) ist ein neueres Forschungsfeld und Fachgebiet der Sozialanthropologie und untersucht transnational zusammengesetzte Online-Gemeinschaften unter Berücksichtigung kybernetischer Perspektiven, sowie allgemein den menschlichen Umgang mit Computertechnik[1]. Dabei wird der virtuelle Cyberspace („Datenraum“) als soziokultureller Raum menschlicher Interaktionen verstanden (siehe auch Netzkultur, Netnographie, Internetsoziologie).
Nähere begriffliche Eingrenzung
BearbeitenWährend in den Anfängen der anthropologischen Analyse von neuen digitalen Informations-, Kommunikations- und Medientechnologien noch von "Cyberanthropologie" bzw. "Cyberanthropology" (z. B. Budka/Kremser 2004; Knorr 2011) gesprochen wurde, werden diese Begriffe zunehmend von der Bezeichnung "Digitale Anthropologie" (z. B. Horst/Miller 2012) abgelöst[2].
Im deutschsprachigen Raum war einer ihrer Vorreiter der österreichische Ethnologe Manfred Kremser (1950–2013), aktuell beschäftigt sich der deutsche Ethnologe Alexander Knorr[3] im Anschluss an den kolumbianisch-amerikanischen Anthropologen Arturo Escobar (* 1952) mit der Erschließung des Cyberspace als Forschungsthema der Ethnologie. Im englischsprachigen Raum wurde der Grundstein mit dem Werk Digital Anthropology gelegt, 2012 herausgegeben von Heather Horst und Daniel Miller[4]. In diesem sind die folgenden sechs Grundprinzipien der neuen Unterdisziplin festgehalten: Erstens das Digitale selbst verstärkt die Dialektik der Kultur; zweitens das Digitale lässt uns das analoge und vordigitale Leben besser verstehen; drittens, wie bei anderen anthropologischen Perspektiven auch, herrscht eine Verpflichtung zur Ganzheitlichkeit, zum Holismus; viertens, ebenfalls ganz wie bei anderen anthropologischen Perspektiven, bestätigt sich die Bedeutung des kulturellen Relativismus; fünftens die Digital Anthropology muss sich mit der essentiellen Mehrdeutigkeit, bedingt durch die Offenheit, des Digitalen auseinandersetzen und schließlich sechstens digitale Welten besitzen eine Materialität, und diese muss anerkannt werden.[5]
Siehe auch
Bearbeiten- Kybernetische Anthropologie
- Soziales Netzwerk (Internet) · Netizen (Netzbürger)
- Virtuelle Welt · Virtuelle Realität (Simulationen) · Second Life (Online-3D-Infrastruktur)
- Webwissenschaft (interdisziplinär) · Deutsche Gesellschaft für Online-Forschung (DGOF)
- Transhumanismus (technologische Erweiterungen des Menschen)
Literatur
Bearbeiten- Philipp Budka, Manfred Kremser: CyberAnthropology – Anthropology of CyberCulture. In: Stefan Khittel, Barbara Plankensteiner, Maria Six-Hohenbalken (Hrsg.): Contemporary Issues in Socio-cultural Anthropology. Perspectives and Research Activities from Austria. Löcker, Wien 2004, S. 213–226 (englisch; PDF-Datei; 715 kB; 15 Seiten auf philbu.net).
- Arturo Escobar: Welcome to Cyberia. Notes on the Anthropology of Cyberculture. In: Current Anthropology. Band 35, Nr. 3, 1994, S. 211–231 (englisch; Vorschau bei JSTOR).
- Alexander Knorr: Cyberanthropology. Hammer, Wuppertal 2011, ISBN 978-3-7795-0359-0 (deutsch).
- Heather A. Horst, Daniel Miller (Hrsg.): Digital Anthropology. Berg, London/New York 2012 (englisch; 2020er E-Book: ISBN 978-1-00-308520-1).
- Samuel M. Wilson, Leighton C. Peterson: The Anthropology of Online Communities. In: Annual Review of Anthropology. Band 31, Nr. 1, Oktober 2002, doi:10.1146/annurev.anthro.31.040402.085436, S. 449–467 (englisch; Vorschau bei JSTOR).
Weblinks
Bearbeiten- Philipp Budka: Von „Cyber Anthropologie“ zu „Digitaler Anthropologie“: kultur- und sozialanthropologische Beiträge zur Erforschung digitaler Medientechnologien. In: Philbu.net. Eigene Webseite, 15. Januar 2014 (Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung, mit PDF-Download).
- Bianca Williams: Virtual Ethnography. In: oxfordbibliographies.com. Oxford University Press, 25. Juni 2013 (englisch, zum Thema „Netnographie“, mit Literaturliste).
- Zephyrin Xirdal (Pseudonym von Alexander Knorr): Cyberanthropology. In: Xirdalium.net. Eigener Blog, 29. Januar 2006 (englisch).
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Philipp Budka: Von der Cyberanthropologie zur Digitalen Anthropologie. Über die Rolle der Kultur- und Sozialanthropologie im Verstehen soziotechnischer Lebenswelten. In: Ritualisierung – Mediatisierung – Performance. 1. Auflage. V&R unipress, Göttingen 2019, ISBN 978-3-8471-0514-5, S. 163–188, doi:10.14220/9783737005142.163 (vr-elibrary.de [abgerufen am 2. Februar 2023]).
- ↑ Philipp Budka: Von der Cyberanthropologie zur Digitalen Anthropologie. Über die Rolle der Kultur- und Sozialanthropologie im Verstehen soziotechnischer Lebenswelten. In: Ritualisierung – Mediatisierung – Performance. 1. Auflage. V&R unipress, Göttingen 2019, ISBN 978-3-8471-0514-5, S. 163–188, doi:10.14220/9783737005142.163 (vr-elibrary.de [abgerufen am 2. Februar 2023]).
- ↑ Alexander Knorr: Cyberanthropology. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2011, ISBN 978-3-7795-0359-0.
- ↑ Heather Horst, Daniel Miller: Digital Anthropology. Berg, London 2012, ISBN 0-85785-290-6.
- ↑ Heather A. Horst, Daniel Miller (Hrsg.): Digital Anthropology. Berg, London/New York 2012, S. ?? (englisch; 2020er E-Book: ISBN 978-1-00-308520-1).