Datschen-Kooperative „Osero“

russische Vereinigung einer geschlossenen Wohnanlage

Koordinaten: 60° 45′ 26″ N, 30° 5′ 48″ O

Die Datschen-Kooperative „Osero“ (russisch О́зеро, deutsch See, vollständiger Name: russisch дачный потребительский кооператив «Озеро»[Anmerkung 1][1]) ist eine mit Wladimir Putins innerem Kreis verbundene Vereinigung, die jedoch inzwischen weit über die gemeinsame Nutzung einer Datschen-Freizeitanlage hinausgeht. Nachdem nahezu alle Mitglieder außergewöhnliche Karrieren gemacht haben, werden diese inzwischen großzügig ausgebauten Anwesen nur noch selten von den Eigentümern genutzt, zumal sich der Lebensmittelpunkt vieler Mitglieder nach Moskau verlagert hat.[2][3]

Verkehrsanbindung

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Die nächste Bahnhaltestelle der Eisenbahn (Murmanbahn[4]) mit Verbindung nach Sankt Petersburg liegt in 5,5 km entfernt, gleich daneben ist ein Anschluss zur Fernstraße A121 Sortawala. Straße, Anschluss, die Bahn und Haltestelle sind in einem für Russland außergewöhnlich guten Zustand. Der bis 2002 betriebene Militärflugplatz Gromowo (russisch Гро́мово) ist 7,5 km (Straße) entfernt und wird gelegentlich von Privatflugzeugen genutzt. Auf dem Pier am Ufer ist ein Helipad.

Geschichte

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Die Datschen-Kooperative „Osero“ wurde am 10. November 1996[1][5] von Wladimir Smirnow (Initiator und Leiter), Wladimir Putin,[6] Wladimir Jakunin, Andrei Fursenko, Sergei Fursenko, Juri Kowaltschuk, Wiktor Mjatschin und Nikolai Schamalow[7] gegründet.

Die Kooperative errichtete ihre Datschen westlich der Siedlung Solowjowka (russisch Соловьёвка), Rajon Prioserski im Oblast Leningrad. Das umgrenzte Gebiet liegt am Südostufer des Komsomolzen-Sees[Anmerkung 2] auf der Karelischen Landenge, knapp 100 km Luftlinie NNW von Sankt Petersburg, Russland.[8][9]

Wladimir Putin kehrte Anfang 1990, vor der offiziellen Gründung der Osero-Kooperative, von seinem KGB-Posten in Dresden (DDR) zurück, trat der Kooperation bei und erwarb ein Grundstück direkt am Ufer des Komsomolzen-Sees. Mehrere seiner Freunde und Kollegen hatten schon oder kauften auch Grundstücke in der unmittelbaren Nähe und bauten Datschen. Am Anfang half man sich gegenseitig beim Bau der damals noch vergleichsweise bescheidenen Freizeitunterkünfte. Putins Datscha brannte 1996 ab und wurde im gleichen Jahr wiederaufgebaut.[6] Es war das Ziel, eine Gated Community zu bilden, die bald über gemeinsame Freizeitaktivitäten hinaus ging.[10] Diese Gemeinschaft eröffnete ein Bankkonto, das den Zahlungsverkehr sämtlicher Kontoinhaber im Einklang mit dem russischen Genossenschaftsgesetz ermöglicht.[11]

Bis 2012 hatten fast alle Mitglieder der Osero-Kooperative Spitzenpositionen in Russlands Regierung und Wirtschaft eingenommen und waren finanziell außergewöhnlich erfolgreich. Nach Putins Übernahme des Präsidentenamtes machten fast alle anderen Mitglieder auch noch bemerkenswerte Karrieren.[12][13][14]

„Osero“-Mitglieder

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Die Tabelle enthält das angebliche Nettovermögen oder die jährliche Vergütung.[10][15][16]

„Osero“-Mitglied Vollständige oder teilweise Eigentumsverhältnisse ggf. Funktion in der Kooperative (Stand 2014) Angebliches Nettovermögen oder jährliche Vergütung
(Stand 2013)
Bemerkungen
Andrei Fursenko Zentrum für Strategische Forschung Nordwest (CSR-NW), Minister für Bildung und Wissenschaft (2004–2012), Assistent des Präsidenten der Russischen Föderation (seit 2012), Honorarkonsul von Bangladesch in Sankt Petersburg Unbekannt Seit Oktober 2000 ist er Vorsitzender des Akademischen Rates der Stiftung „Zentrum für strategische Forschung Nordwesten“ (CEO ist Datschen-Nachbar Juri Kowaltschuk)
Sergei Fursenko Lentransgaz Tochtergesellschaft von Gazprom, Gasprom Gas-Motor Fuel, Präsident von National Media Group, Präsident der Rossijski Futbolny Sojus (2010–2012) Unbekannt
Juri Kowaltschuk Bank Rossiya und ihre Tochtergesellschaften (z. B. Miteigentümer von russisch Национальная Медиа Группа; deutsch National Media Group), „Zentrum für Strategische Forschung Nordwest“, Honorarkonsul von Thailand in Sankt Petersburg. Nettovermögen 1,4 Milliarden US-Dollar
Wiktor Mjatschin Generaldirektor der Bank Rossija (1995–1998 und 1999–2004), seit 2004 CEO der Investment Gesellschaft „Abros“, eine Tochtergesellschaft der Rossija Bank. Diese Investment-Gesellschaft hält 51 % der „Sogaz“ (russisch АО «СОГАЗ»), eine milliardenschwere, internationale Versicherungsgruppe.[17] Unbekannt
Wladimir W. Putin Präsident der Russischen Föderation Formal ist Putin aus dem „See“ bereits „heraus geschwommen“. Offenbar wird sein Anwesen aber weiterhin großzügig ausgebaut.
Nikolai T. Schamalow Vyborg Shipyard PJSC, Bank Rossija, Gazprombank 500 Millionen US-Dollar Nettowert Mitbegründer der Datschen-Kooperative «Osero» und Vater von Putins ex-Schwiegersohn Kirill N. Schamalow, der auch auf mysteriöse Art Oligarch wurde.[18][19]
Wladimir Smirnow Techsnabexport (seit 2002) Unbekannt
Wladimir Jakunin Stellvertreter des russischen Verkehrsministers Sergej Frank (2000–jetzt), Präsident der Russischen Eisenbahnen RŽD (14. Juni 2005 bis 20. August 2015), gleichzeitig Präsident des Internationalen Eisenbahnverbandes (UIC) Jahreseinkommen 15 Millionen US-Dollar Jakunin ist ein Kollege Putins beim KGB gewesen[20]

Sicherheit

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Die Firma Rif-Security[Anmerkung 3] war für die Bewachung der Anlage zuständig. Das Unternehmen wurde vom mutmaßlichen Chef der der Russischen Mafia zugeordneten Tambow-Bande,[Anmerkung 4] Wladimir Barsukow (auch Wladimir Kumarin genannt; russisch Владимир Сергеевич Барсуков (Кумарин)) sowie Wladimir Smirnow und Waleri Ledowskich (russisch Валерий Ледовских) kontrolliert.[15][21][22] Der jetzige Boss der Bande, Gennady Petrow, gilt als Freund und Vertrauter Putins.[23][24]

Politische Auswirkungen

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Einige Beobachter deuten an, dass die Wurzeln von Putins Macht in der Kameradschaft von «Osero» liegen könnten.[6][Anmerkung 5] «Osero» gewann enorm an Gewicht bei der Wiederherstellung der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der Sankt Petersburger über die Moskowiter in der russischen Gesellschaft.

Die Kooperative «Osero» unterhält ein Bankkonto bei der Leningrad Oblast Bank. Die finanziellen Transaktionen der «Osero» sind nicht bekannt. Laut Gesetz kann jedes Mitglied Geld für seinen eigenen Gebrauch einzahlen und abheben. Karen Dawisha, Direktorin des Havighurst-Zentrums für russische und postsowjetische Studien an der Universität von Miami, kam zu dem Schluss, dass „in Russland eine Kooperationsvereinbarung eine weitere Möglichkeit für Putin ist, Geld nicht direkt zu erhalten und dennoch den Reichtum der Miteigentümer zu genießen“.[15] So wird erklärlich, dass Putin als bescheidener Staatsdiener auftritt und behauptet, keine Reichtümer zu haben. Dennoch hat er Zugriff auf jeglichen Luxus, der angeblich in Staatsbesitz ist oder den "Freunde" ihm zur Verfügung stellen. In anderen Ländern wäre aber das bereits als illegale Vorteilsnahme strafbar.

Putin. Corruption (russisch Путин. Коррупция), ein unabhängiger Bericht der oppositionellen Partei der Volksfreiheit (russisch Партия народной свободы, ПАРНАС), befasst sich mit der mutmaßlichen Korruption in Wladimir Putins innerem Kreis und enthält ein Kapitel über «Osero».[22]

Insbesondere über Wladimir Putins Aktivitäten wird in OCCRP-Berichten mit ständig neuen Enthüllungen berichtet. Dabei wird «Osero» oft erwähnt. 2014 wurde Putin zur „Person des Jahres“ der OCCRP gewählt. Auch 2012 und 2019 war er in der engeren Auswahl.

Siehe auch

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Anmerkungen

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  1. Frei interpretiert als Kleingartengenossenschaft am See, da diese Freizeitsiedlung (in der Art einer Wohnungsbaugenossenschaft) sich am Komsomolzen-See befindet. Typischerweise sind solche Anwesen in Russland wegen des häuslichen Bedarfs an selbst angebautem Obst und Gemüse meist deutlich größer. Die Gebäude sind oft in der Saison oder ganzjährig bewohnbar.
  2. Vor 1948 gehörten der See (damals finnisch Kiimajärvi) und der Ort zu Finnland.
  3. Die Büros von Rif-Security (russisch Риф-Секьюрити,  ) befinden sich in der Tambowskaja Str. (russisch улица Тамбовская), 12 in Sankt-Petersburg 192007.
  4. Tambow-Bande, russisch Тамбовская преступная группировка, benannt nach dem Oblast Tambow, aus dem die „Paten“ der Bande und einige Gründungsmitglieder stammen. Zufällig (?) auch Name der Straße, in der die Firma residierte.
  5. Nach glubinka Anatoli Sobtschaks Wahlverlust 1996 gegen glubinka Wladimir Jakowlew, ein Rivale von Putin im Büro des Sankt Petersburger Bürgermeisters, fand Putin Arbeit in Moskau und wurde 1998 der Leiter des KGBs.

Einzelnachweise

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  1. a b 15 лет самому мутному «Озеру» в мире! (deutsch 15 Jahre der trübste „See“ der Welt!), Nowaja gaseta, 11. November 2011
  2. Арсен Рстаки, Сергей Плужников, Сергей Иванов: Кооператив „Озеро“. Вилла Путина на Комсомольском озере. Компромат.Ru ®, 6. März 2000, abgerufen am 15. Mai 2019 (russisch).
  3. Алина Фадеева, Евгения Маляренко: Тимченко заявил об усталости от обсуждения в СМИ кооператива «Озеро». Timchenko empfindet Müdigkeit bei der Diskussion um die Kooperative «Osero». ROSBUSINESSCONSULTING JSC, 24. Mai 2018, abgerufen am 17. Mai 2019 (russisch).
  4. Die Murmanbahn im hohen Norden Russlands, Markus Rabanser Fern-Express, 3/2011
  5. 15 лет самому мутному «Озеру» в мире! (deutsch: 15 years of the most turbid „lake“ in the world!). Nowaja gaseta, 11. November 2011, abgerufen am 19. Februar 2016 (russisch).
  6. a b c Fiona Hill, Clifford G. Gaddy: How the 1980s Explains Vladimir Putin. The Ozero group., The Atlantic, 14. Februar 2013. Abgerufen am 19. Februar 2016 (englisch). How the 1980s Explains Vladimir Putin (deutsch Wie die achtziger Jahre Wladimir Putin erklären), Fiona Hill & Clifford G. Gaddy The Atlantic, 14. Februar 2013
  7. Mumin Shakirov: Who was Mister Putin? An Interview with Boris Nemtsov. Open Democracy, 2. Februar 2011, archiviert vom Original am 27. Januar 2018; abgerufen am 19. Februar 2016 (englisch).
  8. Wladimir Pribylowski (russisch Владимир Прибыловский): Происхождение путинской олигархии (deutsch Der Ursprung von Putins Oligarchie), Internet-Datenbank Anticompromat.org, letzte Fassung: 1. November 2016
  9. Wladimir Pribylowskij, Juri Felschtinski; Kapitel aus dem Buch Operation „Erbe“ (russisch): Who is Mr. Putin?, 27. Juni 2004
  10. a b Забор путина (Memento vom 11. November 2012 im Internet Archive) (deutsch Putins Zaun), 14. September 2010
  11. Putin's Kleptocracy: Who Owns Russia? (deutsch Putins Kleptokratie: Wem gehört Russland?), Karen Dawisha, Simon & Schuster, 2014, Seiten = 97, 98, 165, 338, 2014 ISBN 978-1-4767-9519-5
  12. Vladimir Pribylovsky: Origin of Putin's oligarchy. Abgerufen am 19. Februar 2016 (russisch).
  13. Putin. Corruption. An independent white paper, putin-itogi.ru, 2011
  14. Ближний круг Путина: кто попал в новый список санкций США (deutsch Putins innerer Kreis: Wer auf die neue Liste der US-Sanktionen geraten ist), liga.net, 21. März 2014
  15. a b c Karen Dawisha: Putin's Kleptocracy: Who Owns Russia? Simon & Schuster, 2014, ISBN 978-1-4767-9519-5, S. 97, 98, 165, 338 (englisch, google.com).
  16. Кто теперь живет на „даче Путина“ в кооперативе „Озеро“ deutsch Wer jetzt in „Putins Hütte“ in der See-Genossenschaft lebt, Sobesednik, 13. Januar 2016
  17. Sogaz Versicherungsgruppe (Memento des Originals vom 27. März 2023 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.sogaz.ru
  18. Russland: Wie der Kreml Putins Schwiegersohn ein Vermögen vermachte. In: Der Spiegel. 8. Dezember 2020, abgerufen am 13. Dezember 2020.
  19. Роман Анин: Кирилл и Катя: любовь, разлука, офшоры и неограниченный ресурс. История самой тайной пары России. In: istories.media. 22. Februar 2011, abgerufen am 13. Dezember 2020 (russisch).
  20. Reinhard Veser: Sanktionen gegen Russland. Putins Datschen-Freunde. FAZ, 20. März 2014, abgerufen am 17. Mai 2019.
  21. Boss der Tambow-Bande Barsukow: Ich kenne Putin nicht
  22. a b Putin. Corruption. An independent white paper. In: putin-itogi.ru. 2011, abgerufen am 19. Februar 2016 (englisch).
  23. Haftbefehle für Putin-Freunde, 5. April 2016, kurier.at
  24. Neue Putin-Biografie Geldwaschen am Komsomol-See