Denavit-Hartenberg-Transformation

Mathematisches Verfahren in der Kinematik

Die Denavit-Hartenberg-Transformation (DH-Transformation) aus dem Jahr 1955 wurde nach Jacques Denavit und Richard S. Hartenberg benannt und ist ein mathematisches Verfahren, das auf der Basis von homogenen Matrizen und der sogenannten Denavit-Hartenberg-Konvention (DH-Konvention) die Überführung von Ortskoordinatensystemen (OKS) innerhalb von kinematischen Ketten beschreibt[1]. Dies wird vor allem in der Berechnung der direkten Kinematik (Vorwärtskinematik), der inversen Kinematik, als auch bei in der Kalibrierung von Industrierobotern gezielt ausgenutzt und gilt hierbei mittlerweile als das Standardverfahren im Bereich Robotik.

Beispiel einer kinematischen Kette anhand eines Roboters; mit Koordinatensystemen und DH-Parametern

DH-Konvention

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Folgende Voraussetzungen sind notwendig:

  1. die  -Achse liegt entlang der Bewegungsachse des  -ten Gelenks
  2. die  -Achse ist das Kreuzprodukt von  -Achse und  -Achse ( ).
  3. das Koordinatensystem wird durch die  -Achse so ergänzt, dass es ein rechtshändiges System ergibt.

Für das erste Gelenk wird die  -Achse vom zweiten Gelenk übernommen. Es ist weiter zu beachten, dass die nach der DH-Konvention modellierten Gelenke nicht an den gleichen Positionen liegen müssen wie ihre physischen Gegenstücke. Sofern die Verschiebung in einem der nachfolgenden Segmente der kinematischen Kette ausgeglichen wird, können Gelenke nach Belieben entlang ihrer Rotationsachse verschoben und um diese gedreht werden, ohne das Gesamtergebnis der Berechnung zu beeinflussen. Diese Eigenschaft wird gezielt ausgenutzt, um Gelenke so aneinander auszurichten, dass Rotationen und Verschiebungen entlang der  -Achse vermieden werden und in der Folge die Anzahl der notwendigen Parameter zur Beschreibung der jeweiligen Transformationen von sechs auf vier reduziert werden kann.

Einen Sonderfall bilden Schubgelenke: Hier ist zusätzlich eine Translation orthogonal zum Schubvektor möglich, wodurch es in DH konformen Modellen - genau wie bei aufeinander folgenden, parallel ausgerichteten Gelenken - noch immer zu Redundanzen in den Modellparametern kommen kann. Um eine vollständige Kalibrierung zu ermöglichen, werden in der Theorie zudem zwei zusätzliche Freiheitsgrade zwischen dem letzten Gelenk und dem Endeffektor eines Roboters benötigt. Neueren Modellen wie dem S-Model[2], das complete and parametrically continuous kinematic (CPC) Model[3] und das Modifizierte CPC (MCPC) Model[4] ist es gelungen einzelne oder sogar alle Schwächen der DH-Konvention auszugleichen, jedoch haben diese Modelle nie eine ähnliche Bekanntheit wie die DH-Konvention erlangen können.

DH-Transformation

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Die eigentliche DH-Transformation vom Objektkoordinatensystem (OKS)   in das OKS   besteht in der Hintereinanderausführung folgender Einzeltransformationen:

  • einer Rotation   (Gelenkwinkel) um die  -Achse, damit die  -Achse parallel zu der  -Achse liegt
 
Schritt 1 der Denavit-Hartenberg-Transformation. Koordinatensysteme und der zugehörige Denavit-Hartenberg Parameter
 
  • einer Translation   (Gelenkabstand) entlang der  - Achse bis zu dem Punkt, wo sich   und   schneiden
 
Schritt 2 der Denavit-Hartenberg-Transformation. Koordinatensysteme und der zugehörige Denavit-Hartenberg Parameter
 
  • einer Translation   (Armelementlänge) entlang der  -Achse, um die Ursprünge der Koordinatensysteme in Deckung zu bringen
 
Schritt 3 der Denavit-Hartenberg-Transformation. Koordinatensysteme und der zugehörige Denavit-Hartenberg Parameter
 
  • einer Rotation   (Verwindung) um die  -Achse, um die  -Achse in die  -Achse zu überführen
 
Schritt 4 der Denavit-Hartenberg-Transformation. Koordinatensysteme und der zugehörige Denavit-Hartenberg Parameter
 

Die beiden Rotation entsprechen hierbei den klassischen Euler Winkeln. In Matrixschreibweise lautet die Gesamttransformation dann (von links nach rechts zu interpretieren):

 
Koordinatensysteme und die zugehörigen Denavit-Hartenberg parameter
 

Die Inverse dieser Matrix

 

beschreibt die Transformation eines Punktes vom OKS   ins OKS  . Entsprechend kann die ursprüngliche Matrix   auch als Transformation eines Punktes vom OKS   ins OKS   interpretiert werden, wenn der Ortsvektor des Punktes von rechts an die Matrix multipliziert wird. Es ist zu beachten, dass die Matrizen-Multiplikation im Allgemeinen nicht kommutativ und somit die Berechnungsfolge der Gesamttransformation nicht vertauschbar ist.

Die Parameter   und   werden dabei auch Denavit-Hartenberg-Parameter genannt.

Bei offenen kinematischen Ketten sind   und   variable Größen während der Bewegung des Roboters, abhängig von dessen spezieller Geometrie und Maßen. Bei einem rotatorischen Gelenk ist   variant und   konstant, bei einem Schubgelenk umgekehrt.   und   dagegen sind sowohl bei Rotations-, als auch bei Schubgelenken invariante Größen und müssen für die spätere Berechnung der direkten Kinematik nur einmal für jedes einzelne Armelement bestimmt werden.

Modifizierte DH-Parameter

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Einige Bücher wie Introduction to Robotics: Mechanics and Control (3rd Edition) verwenden modifizierte DH-Parameter. Der Unterschied zwischen den klassischen DH-Parametern und den modifizierten DH-Parametern sind die Orte der Koordinatensystemanbindung an die Glieder und die Reihenfolge der durchgeführten Transformationen.

Im Vergleich zu den klassischen DH-Parametern werden die Koordinaten des Rahmens   auf die Achse   gelegt, nicht auf die Achse   in klassischer DH-Konvention. Die Koordinaten von   werden in klassischer DH-Konvention auf die Achse  , nicht auf die Achse   gelegt.

Ein weiterer Unterschied ist, dass nach der modifizierten Konvention die Transformationsmatrix durch die folgende Reihenfolge der Operationen gegeben ist:

 

Somit wird die Matrix der modifizierten DH-Parameter

 

bzw. die Inverse:

 

In einigen Büchern wird die Transformationsreihenfolge für ein Paar aus aufeinanderfolgender Rotation und Translation (z. B.  und  ) ersetzt. Da die Reihenfolge der Matrixmultiplikation für ein solches Paar jedoch keine Rolle spielt, ist das Ergebnis dasselbe. Ein Beispiel:  .

Literatur

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  • Hans-Jürgen Siegert, Siegfried Bocionek: Robotik, Programmierung intelligenter Roboter. Springer Verlag 1996, ISBN 3-540-60665-3.
  • Wolfgang Weber: Industrieroboter, Methoden der Steuerung und Regelung. Carl Hanser Verlag, München Wien, 2009, ISBN 978-3-446-41031-2.
  • Jorge Angeles: Fundamentals of Robotic Mechanical Systems. Springer Verlag, New York, 1997, ISBN 0-387-94540-7.
  • Friedrich Pfeiffer, Eduard Reithmeier: Roboterdynamik. Teubner Verlag, Stuttgart, 1987, ISBN 3-519-02077-7.
  • Miomir Vukobratvic: Introduction to Robotics. Springer Verlag, Berlin, 1989, ISBN 0-387-17452-4.
  • John J. Craig: Introduction to Robotics, Mechanics and Control. Pearson Prentice Hall, NJ 07458, 2005, ISBN 0-201-54361-3.
  • J.J. Craig, Introduction to Robotics: Mechanics and Control, 3rd ed., Pearson Prentice Hall, Upper Saddle River, NJ, 2004, ISBN 978-0201543612.
  • Chen-Gang, Li-Tong, Chu-Ming, J.-Q. Xuan und Xu, Sun-Han, Review on kinematics calibration technology of serial robots, International journal of precision engineering and manufacturing, 15(8):1759–1774, 2014.
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Commons: Denavit-Hartenberg-Transformation – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Jacques Denavit und Richard S. Hartenberg: A kinematic notation for lower-pair mechanisms based on matrices. 1955.
  2. Stone, Henry W: Kinematic modeling, identification, and control of robotic manipulators. Springer Science & Business Media, 1987.
  3. Zhuang, Hanqi and Roth, Zvi S and Hamano, Fumio: A complete and parametrically continuous kinematic model for robot manipulators. IEEE, 1992.
  4. Zhuang, Hanqi and Wang, Luke K and Roth, Zvi S: Error-model-based robot calibration using a modified CPC model. Elsevier, 1993.