Der Parasit oder Die Kunst, sein Glück zu machen

französisches Lustspiel von Louis-Benoît Picard (1797), nachgedichtet 1803 von Friedrich von Schiller

Der Parasit oder Die Kunst, sein Glück zu machen (ursprünglich Médiocre et rampant, ou le Moyen de parvenir) ist ein französisches Lustspiel aus dem Jahr 1797 von Louis-Benoît Picard, nachgedichtet 1803 von Friedrich von Schiller. Im deutschen Sprachraum wird nur die Nachdichtung Schillers gedruckt und gespielt, oft ohne Nennung des Erstautors.

Es handelt sich um ein Intrigenstück nach dem Muster des Molière'schen Tartuffe von 1664.

Originalversion

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Louis-Benoît Picard

Louis-Benoît Picard (1769–1828) galt, so Joseph-Marie Quérard, als der eifrigste und vergnüglichste Komödienschreiber seiner Zeit, Quérard verwendet die Adjektive le plus fecond et le plus gai.[1]

Das Stück, es steht in der Tradition der Typen- oder Charakterkomödien, ist eine klassische pièce bien faite, eine handwerklich exzellent gefertigte Komödie, wie sie im deutschen Sprachraum nicht vorkam. Sie hat fünf Akte, ist durchaus gesellschaftskritisch angelegt und wurde am 19. Juli 1797 im Théâtre Français in der rue Feydeau von Paris uraufgeführt. Es handelte sich um das erste Werk von Picard, welches von der Kritik zur Kenntnis genommen wurde, obwohl zuvor bereits eine Reihe seiner Werke aufgeführt worden war, seit 1789 zumindest neun. Es war auch eines der ersten post-revolutionären Werke, welches mit der Gier und der Skrupellosigkeit der Konjunkturritter im Lande abrechnete. Der Text versucht, wie gängig im Theater des 18. Jahrhunderts, bürgerliche Moral zu praktizieren. Es kommen auch Lehrsätze vor im Text, hier zitiert aus der Schiller'schen Nachdichtung: „Bin ich meinem Amte in der That nicht gewachsen, so ist der Chef zu tadeln, der es mir anvertraut und mit meinem schwachen Talent so oft seine Zufriedenheit bezeugt.“ Der Literaturhistoriker Jörg Schönert: „Es geht um das Experiment, wie weit man kommt mit dem Befolgen bürgerlicher Tugenden wie Rechtschaffenheit, Bescheidenheit, Zurückhaltung und Würde. Es geht nicht nur um Situationskomik.“[2]

Strenggenommen stammt der Titel des Stückes von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, einem etwas berühmteren Kollegen Picards. „Médiocre et rampant, et l'on arrive à tout,“ ruft Figaro im Dialog mit dem Grafen Almaviva aus. Le Mariage de Figaro, 3. Akt, fünfte Szene, geschrieben 1778, uraufgeführt 1784. Verkürzt auf Médiocre et rampant on arrive à tout wurde es zu einem der berühmtesten Zitate Beaumarchais':[3]

„Mit Mittelmaß und Untertänigkeit erreicht man alles.“

Antonin Artaud (1896–1948), der ein Theater des Mangels und der Krise, ein Theater der Grausamkeit propagierte, setzte sich mit dem Theatertext Picards auseinander. Das oszillierende Bild der Wahrheit überraschte ihn, erinnerte ihn an „das Schauspiel der Bräuche eines unbekannten Volkes“.[4] Während das Original Picards in Frankreich weitgehend dem Vergessen anheimgefallen ist, erfreut sich die Nachdichtung Schillers im deutschen Sprachraum reger Rezeption.

Nachdichtung

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Friedrich von Schiller

Schiller, der die Komödie als Genre hoch schätzte, selbst jedoch kein einziges Lustspiel schrieb, weilte zur Entstehungszeit am Hofe von Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach. Dieser wünschte sich im Frühjahr 1803 für sein Theater explizit französische Komödien. Schiller kam dem Wunsch des Herzogs nach und übersetzte zwei piècen von Picard binnen weniger Wochen, Encore des Ménechmes (1791, von Schiller als Der Neffe als Onkel präsentiert) und Médiocre et rampant (1797).

„Welche Gesellschaft kennt sie nicht, die Emporkömmlinge, die immer auf ihren Vorteil bedachten. Die Parasiten. Sie ziehen im Hintergrund die Fäden, nutzen alles und jeden aus, um sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Sie lügen und betrügen. [Die] Komödie [hat] nichts an Brisanz und Aktualität verloren [...]. Denn Postenschacher und Korruption stehen nach wie vor an der Tagesordnung.“

Petra Weichhart: "Das Lügen und Stehlen muss ein Ende haben", Mein Bezirk (St. Pölten), 17. September 2019

„Dem Parasiten ist es auch gleichgültig, seine Gesinnung im Laufe der Jahre einfach zu wechseln wie ein schmutziges Hemd. Er ist die Person, die immer obenauf ist, egoistisch, ein Heuchler schlechthin. Er schmückt sich mit fremden Federn und stürzt andere ins Unglück, um selbst immer höher zu steigen. [...] So ist im Stück von Picard/Schiller nahezu alles enthalten, was die Psychologie des Blenders resp. Parasiten ausmacht, gleich, ob man ihm im Detail als Höfling, Günstling, Bückling oder Speichellecker benennt.“

Schiller hat an der Komödie nichts Wesentliches verändert. Personal und Handlung wurden eins zu eins aus dem Original übernommen. Einige Textpassagen wurden hinzugefügt, die etwas sperrigen Alexandriner des Picard löste er auf zugunsten einer Konversationsprosa, die weit entfernt war von seiner eigenen stilisierten Monolog- und Dialogsprache. Das „Abschreiben“ war am 5. Mai 1803 beendet. Wenige Tage später, am 18. Mai 1803, gelangte zuerst der Neffe als Onkel zur Aufführung am Weimarer Hofe. Der Parasit hingegen wurde erst am 12. Oktober 1803 in Szene gesetzt, der Name Picards wurde nicht genannt. Die Aufführung wurde am 26. Oktober 1803 wiederholt.[5] Iffland zeigte Interesse, die beiden Nachdichtungen in Berlin zu spielen, setzte den Parasiten an, jedoch unter Weglassung des Schillerschen Haupttitels, nur als Die Kunst, sein Glück zu machen und besetzte sich selbst als Selicour.[6]

Personen

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Ankündigung des Burgtheaters 1841
  • Narbonne, Minister
  • Madame Belmont, seine Mutter
  • Charlotte, seine Tochter
  • Selicour, Subalterner des Ministers
  • La Roche, Subalterner des Ministers
  • Firmin, Subalterner des Ministers
  • Karl Firmin, des Letztern Sohn, Lieutenant
  • Michel, Kammerdiener des Ministers
  • Robineau, ein junger Bauer, Selicours Vetter

Handlung

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Die Scene ist zu Paris in einem Vorgemach des Ministers

Zeit nach der Revolution, soeben wurde ein Minister gestürzt. Ein Heuchler (Selicour) hatte dessen Misswirtschaft sorgsam unterstützt, konnte jedoch als Beamter mit Geschick überleben. Er sieht seine Stunde gekommen, schleicht sich in die Gunst des redlichen Nachfolgers (Narbonne) ein und verspricht, den Missbräuchen, die unter seiner eigenen Beteiligung eingerissen waren, einen Riegel vorzuschieben. Mit Intrige und List macht er sich rasch dem neuen Minister verdient – um einen begehrten Gesandtschaftsposten und die Hand der schönen Tochter des Ministers (Charlotte) zu erringen. Skrupellos und vortrefflich versteht er es, Talent und Arbeit seiner Untergebenen für den eigenen Erfolg zu nutzen und sich als optimalen Schwiegersohn zu positionieren. Er steht knapp vor dem Ziel, doch die Mittel, die er verwendet, kehren sich letztlich gegen ihn selbst. Der Parasit verfängt sich im Netz seiner eigenen Tücke, das Edle und die Gerechtigkeit setzen sich durch. Schiller formuliert die Moral von der Geschichte wie folgt:

„Das Gespinst der Lüge umstrickt den Besten, der Redliche kann nicht durchdringen, die kriechende Mittelmäßigkeit kommt weiter als das geflügelte Talent: Der Schein regiert die Welt - und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.“

Analyse, Rezeption

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Während der Untertitel von Schiller recht genau übersetzt wurde – die wörtliche Übertragung wäre Die Mittel oder Der Weg, es zu etwas zu bringen – wurde der Haupttitel neu gedichtet. Médiocre steht für Der Mittelmäßige und Rampant für Der Kriecher, der Schleimer. In der Schiller'schen Kurzform des Titels geht der Aspekt der Mittelmäßigkeit verloren und wird das Ausnutzende der Titelfigur in den Vordergrund gestellt. Abwertend, entlarvend und denunzierend sind beide Versionen, Picards ebenso wie Schillers.

Keines der Dramen Schillers erreicht ähnlich hohe Aufführungszahlen wie Lessings Nathan der Weise, Goethes Faust oder Der zerbrochne Krug von Kleist, was überwiegend darauf zurückzuführen ist, dass die meisten Werke Schillers aufwendige Besetzungen und Bühnenbilder verlangen, oft auch eher spröde sind. Seit 1945 ging die Zahl der Schiller-Inszenierungen an deutschsprachigen Bühnen kontinuierlich zurück.[7] Deutlich häufiger aufgeführt werden die Vertonungen seiner zentralen Werke von Donizetti (Maria Stuarda), Rossini (Guillaume Tell) und Verdi (I masnadieri, Luisa Miller, Don Carlos et al.). In diesem Panorama hielt sich der Parasit wacker und taucht regelmäßig an zentralen, aber auch an eher regionalen Bühnen auf, einerseits, weil es sich um das einzige Lustspiel aus der Feder des Weimarer Klassikers ist, welches sich durchsetzen konnte, andererseits weil es – mit überschaubarer Besetzung und ohne allzuhohe Anforderung an die Ausstatter – auch für kleiner Theater realisierbar ist. Durchsetzen konnte sich das Werk, obwohl das Neue Rheinische Conversations-Lexikon von 1835 ein harsches Urteil fällte: „Die beiden Lustspiele, Der Neffe als Onkel, und Der Parasit, nach dem Französischen, sind unbedeutend.“[8]

Der Kritiker Ulrich Weinzierl verwies auf eine historische „Pointe“. Da während des Dritten Reiches und insbesondere während der Kriegsjahre Unterhaltung gefragt war, jedoch aus Frankreich stammende Dramen nicht angesetzt werden sollten, kam auch am Staatstheater der Reichshauptstadt der Parasit zum Zug. Mit diesem Stück schloss das Staatstheater vor der Theatersperre 1944, und mit diesem Stück, so Weinzierl, „nahm das Berliner Deutsche Theater im Jahr 1945 den Betrieb wieder auf.“[9]

Nach 1945 engagierten sich zwei profilierte Theatermacher besonders für dieses Lustspiel: Boleslaw Barlog und Matthias Hartmann. Ersterer setzte das Stück zweimal auf die Berliner Spielpläne, 1953 als Generalintendant der Staatlichen Schauspielbühnen, 1967 als Intendant des Schlosspark Theaters und als Regisseur. Hartmann inszenierte das Stück gleich dreimal – in Bochum, Zürich und Wien. Seine dritte Inszenierung des Parasiten, die Sylvesterpremiere des Jahres 2010 am Burgtheater, war edel besetzt – mit Udo Samel als Narbonne, mit Kirsten Dene und Yohanna Schwertfeger als dessen Mutter und dessen Tochter, mit Michael Maertens (Selicour), Oliver Stokowski (La Roche) und Johann Adam Oest (Firmin) als Trio der Subalternen sowie mit Gerrit Jansen, André Meyer und Dirk Nocker. Die Inszenierung evozierte Lachstürme, begeisterte Publikum und Presse.[9][10] Beruhend auf Schillers Diktum, dass „die Gerechtigkeit nur auf der Bühne“ herrsche, stellte der Direktor und Regisseur am Schluss zwei realistische Varianten für den Schluss der Komödie zur Diskussion: „In der einen wandelt sich der Gerechtigkeitsfanatiker zum Profiteur und in der letzten triumphiert der schleimige Opportunist Selicour auf allen Linien.“[11]

„Der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.“

Wichtige Inszenierungen

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Hörspiele, Fernsehproduktionen

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Hörspielfassungen
Fernsehproduktionen
  • Louis-Benoit Picard, Œuvres de L. B. Picard, t. 1, Paris, Jean Nicolas Barba, 1821, 510 p., 10 vol.
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Einzelnachweise

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  1. Joseph-Marie Quérard: La France littéraire ou dictionnaire bibliographique des savants, historiens et gens de lettres de la France, ainsi que les littérateurs étrangers qui ont écrit en français, plus particulièrement pendant les XVIIIè et XIXè siècles, Firmin Didot père et fils, 1835, S. 133
  2. Monika Nellissen: Parasit von Schiller oder Schiller als Parasit, Die Welt (Berlin), 6. August 2005
  3. The Foreign Review, Band 5, London 1830, S. 327
  4. LE GALLICANAUTE DES NAINES BRUNES ET NOIRES: L'écolier en vacances, comédie en 1 acte et en prose, mêlée d'ariettes (1794) - Louis-Benoît Picard, verfasst von Jérôme Nodenot, 25. April 2014
  5. Schiller's Werke , Bd. 5: Macbeth. Turandot. Der Parpsit. Der Neffe als Onkel. Phädra. Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, G. Grote 1897, S. xvii f
  6. Lesley Sharpe: A National Repertoire: Schiller, Iffland and the German Stage, Britische und Irische Studien zur deutschen Sprache, BI 42, Peter Lang 2007, S. 241 (Fußnote)
  7. Matthias Luserke-Jaqui (Hg.): Schiller-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, Springer-Verlag 2011, S. 593
  8. Neues Rheinisches Conversations-Lexikon, oder, Encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände, : Stichwort Schiller (Friedrich von), B. 10, S. 525
  9. a b Die Welt (Berlin): Moral ist doch so egal, Kritik von Ulrich Weinzierl, 3. Januar 2011
  10. Bühnenwelten: Burgtheater in Höchstform: Schillers „Der Parasit“ in einer Inszenierung von Matthias Hartmann., abgerufen am 26. Mai 2020
  11. Wiener Zeitung: Gewitzt ins neue Jahrzehnt, Kritik von Hilde Haider-Pregler, 3. Januar 2011
  12. Landesarchiv Thüringen: Theaterzettel Der Parasit, abgerufen am 26. Mai 2020
  13. Achim Klünder: Lexikon der Fernsehspiele / Encyclopedia of television plays in German speaking Europe. 1978/87. Band II, de Gruyter 2011, S. 73
  14. Wer zuallerletzt lacht
  15. Bühnenwelten: Burgtheater in Höchstform: Schillers „Der Parasit“ in einer Inszenierung von Matthias Hartmann., abgerufen am 26. Mai 2020
  16. DER PARASIT am Düsseldorfer Schauspielhaus (Gustaf TV), 16. September 2013
  17. Nicht Machtspiele sondern Vergeudung? - Das Stück „Der Parasit oder Die Kunst, sein Glück zu machen“ am Vorarlberger Landestheater, abgerufen am 26. Mai 2020
  18. Trailer Landestheater Niederösterreich, abgerufen am 26. Mai 2020
  19. ORF: Der Parasit, abgerufen am 25. Mai 2020
  20. ARD-Hörspieldatenbank: Der Parasit, abgerufen am 25. Mai 2020
  21. Audible: Der Parasit oder Die Kunst sein Glück zu machen, abgerufen am 25. Mai 2020
  22. ARD-Hörspieldatenbank: Der Parasit oder Die Kunst sein Glück zu machen, abgerufen am 25. Mai 2020
  23. ORF: DER PARASIT, abgerufen am 25. Mai 2020
  24. Fernsehen der DDR: PARASIT, DER (1955), abgerufen am 25. Mai 2020
  25. IMDb: Der Parasit (1957 TV Movie), abgerufen am 26. Mai 2020
  26. IMDb: Der Parasit (I) (1963 TV Movie), abgerufen am 26. Mai 2020
  27. IMDb: Der Parasit (II) (1963 TV Movie), abgerufen am 26. Mai 2020