Der große Eisenbahnraub (1903)

Film von Edwin S. Porter (1903)

Der große Eisenbahnraub (Originaltitel: The Great Train Robbery) ist ein zwölfminütiger US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahre 1903 und einer der ersten Western der Filmgeschichte.

Film
Titel Der große Eisenbahnraub
Originaltitel The Great Train Robbery
Produktionsland USA
Originalsprache Englisch
Erscheinungsjahr 1903
Länge 12 Minuten
Stab
Regie Edwin S. Porter
Drehbuch Scott Marble,
Edwin S. Porter
Kamera Edwin S. Porter,
Blair Smith
Besetzung
The Great Train Robbery

Handlung

Bearbeiten

In 14 Szenen wird die Geschichte eines Überfalls auf einen Eisenbahnzug sowie die Verfolgung der Räuber durch den Sheriff erzählt.

Zwei maskierte Banditen überfallen den Angestellten eines Telegrafenbüros und zwingen ihn, durch ein Haltesignal den Zug zu stoppen. Nachdem der Angestellte gefesselt und geknebelt worden ist, besteigen vier Banditen während des Halts heimlich den Zug. Als der Zug wieder losfährt, versuchen sie die Tür zum Postwagen aufzubrechen. Als der Schaffner das bemerkt, schließt er den Tresor mit den Wertsachen ab und wirft den Schlüssel aus dem fahrenden Zug. Als zwei Räuber endlich die Tür aufbrechen können, kommt es zu einem Schusswechsel, bei dem der Schaffner erschossen wird. Nach einer erfolglosen Suche nach dem Schlüssel wird der Tresor mit Dynamit aufgesprengt.

Zur gleichen Zeit schleichen sich die beiden anderen Räuber an den Lokführer und den Heizer heran. Dabei kommt es zu einem Handgemenge mit dem Heizer, welcher aber niedergeschlagen und aus dem fahrenden Zug geworfen wird. Daraufhin wird auch der Lokführer überwältigt, der gezwungen wird, den Zug anzuhalten und die Passagierwagen abzukoppeln. Anschließend werden die Reisenden vor dem Zug versammelt und ausgeraubt. Als ein Passagier zu fliehen versucht, wird er niedergeschossen. Nachdem die Wertsachen eingesammelt worden sind, besteigen die Räuber die Dampflokomotive und verlassen den Schauplatz ihres Verbrechens. Nach einiger Zeit stoppen sie die Lokomotive und setzen ihre Flucht zu Pferd fort.

Inzwischen wird der gefesselte Telegrafenangestellte von seiner Tochter entdeckt und befreit. Er eilt sofort in die Stadt, wo er von dem Überfall berichtet. Der Sheriff bricht mit einigen Gefolgsleuten auf, um die Räuber zu verfolgen. Nach einer Verfolgungsjagd und einem Schusswechsel, bei dem ein Bandit getötet wird, glauben die übrigen Räuber zunächst, ihren Verfolgern entkommen zu sein, doch wird ihr Versteck entdeckt und die Räuber werden nach und nach in einem finalen Schusswechsel erschossen.

In einer letzten Einstellung sieht man den Anführer der Räuber in Nahaufnahme, wie er seinen Revolver zieht, direkt in die Kamera zielt und schießt, bis die Trommel leer ist.

Hintergrund

Bearbeiten

Der große Eisenbahnraub zählt zu den bekanntesten Werken aus den frühen Jahren des Kinos. Er ist nicht der erste Film, der als Western eingeordnet werden kann. So entstand 1899 in Großbritannien Kidnapping by Indians,[1] der diesem Genre zugeordnet werden könnte.[2][3] 1901 bereits kamen der US-amerikanische Kurzfilm Stage Coach Hold-up (in the Days of '49)[4] und 1903 der britische Kurzfilm Robbery of the Mail Coach[5][6] heraus. Beide Werke behandelten die Thematik „Hinterhalt, Überfall auf Reisende“ (i. d. F. einer Postkutsche) durch „Highwaymen“ bzw. „Banditen“, also Räuber. Die Inszenierung von Überfällen auf Reisende kam in Theaterstücken und Bühnenshows schon länger vor, welche als Inspiration für die ersten filmischen Darstellungen gelten können.[7]

Der Film Der große Eisenbahnraub basiert auf einer 1896 veröffentlichten Geschichte von Scott Marble (1847 – 1919) und auf einem ähnlich abgelaufenem Überfall der Bande von Butch Cassidy aus dem Jahre 1900.

Einer der Schauspieler, Max Aronson, der gleich in drei Rollen auftrat, wurde wenige Jahre später unter dem Pseudonym Gilbert M. Anderson selbst Filmproduzent und Regisseur und schuf mit der von ihm verkörperten Figur Broncho Billy den ersten Star des Westerngenres. Viele Westernklischees wie das durch Pistolenschüsse auf den Boden zum Tanzen animierte Greenhorn finden in Der große Eisenbahnraub ihren Ursprung.

Neu war die Anwendung der erst seit Beginn des Jahrzehnts bekannten Möglichkeiten des Filmschnitts. Durch den Einsatz von Parallelmontagen und Jump Cuts gelang es Porter, zwischen gleichzeitig stattfindenden Ereignissen hin und her zu springen, wodurch die Spannung für den Zuschauer erhöht wurde. Durch einen Stopptrick wurde es möglich, eine lebensgroße Puppe als „Heizer“ vom Zug zu werfen. In anderen Szenen arbeitete Porter mit Ellipsen, um die Handlung schneller voranzubringen. Trotz dieser Dynamik in der Montage war die Kamera selbst noch statisch, doch sind in einigen Szenen bereits Kameraschwenks eingesetzt, um den Handlungsort innerhalb einer Szene zu verlagern.

 
Justus Barnes in der Schlussszene des Films

Die berühmteste Szene aus Der große Eisenbahnraub ist die Schlussszene mit Justus D. Barnes, der seine Waffe direkt auf die Kamera richtet und abfeuert. Es wurde erzählt, dass das Kinopublikum bei dieser Szene häufig in Panik geriet, doch dürften diese Schilderungen übertrieben sein und hauptsächlich der Werbung für den Film gedient haben. Porter war sich der Wirkung dieser Szene bewusst, sie steht in keinem Zusammenhang zu den übrigen Szenen des Films und konnte, so eine Anweisung für die Filmvorführer, wahlweise zu Beginn oder zum Ende des Films eingefügt werden. Im deutschsprachigen Raum ist diese Szene vor allem durch die Fernsehserie Western von gestern bekannt, wo sie sowohl im Vorspann als auch im Nachspann gezeigt wurde.

Der große Eisenbahnraub wurde ein großer kommerzieller Erfolg und zu einem der erfolgreichsten Filme von Edisons Filmstudio, bei sehr geringen Herstellungskosten von nur 150 US-Dollar (heute entsprechend 4.767 US-Dollar). Er zog zahlreiche Nachahmungen nach sich, an denen sich die Firma Edison selbst mit Filmen wie der Filmparodie The Little Train Robbery (1905) beteiligte. In den aufstrebenden Nickelodeons gehörte Der große Eisenbahnraub jahrelang zum Standardrepertoire; er gilt als das Werk, das die Zukunft des Mediums Film sicherte. Zudem galt dieser Film als Leitfaden für andere Filmemacher, bis D. W. Griffith zu Beginn der 1910er Jahre die durch Porter im US-amerikanischen Film etablierten Techniken weiter perfektionierte.

Im Vergleich zu anderen Werken der 1900er Jahre ist dieser – erstmals am 1. Dezember 1903 in die US-Kinos gekommene – Film in gutem Zustand. Von dem in der Library of Congress aufbewahrten Kameranegativ können Kopien gezogen werden. Von dem Film existieren außerdem handkolorierte Fassungen, in denen beispielsweise die Explosionswolken eingefärbt sind. 1990 wurde Der große Eisenbahnraub in das National Film Registry aufgenommen.

Rezeption

Bearbeiten

Der Western-Experte und Filmkritiker Joe Hembus stellte fest, in Der große Eisenbahnraub seien „alle kommenden Spielfilme angelegt, vor allem natürlich alle kommenden Western: Überfall, Verfolgung, Showdown, ausgeschmückt mit Mord, Terror, Brutalitäten, Humor, unter Einsatz von schnellen Transportmitteln.“ Der erste richtige Film der Filmgeschichte sei ein Actionfilm und handle von Verbrechen und Verbrechern, auch darin weise der Film der zukünftigen Entwicklung seiner Kunst den Weg.[8]

1905 erschien eine Parodie auf den Film, Der kleine Eisenbahnraub.[Anm. 1] Hier werden alle Rollen, sowohl der Räuber als auch der Polizisten, von Kindern übernommen und eine Parkeisenbahn ist Ziel des Überfalls.[9]

Literatur

Bearbeiten
Bearbeiten
Commons: The Great Train Robbery – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

Bearbeiten
  1. USA, Produzent: Thomas Alva Edison; Regie, Drehbuch, Kamera: Edwin S. Porter, Länge: 12 Minuten. Nach Urban, S. 10.

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Kidnapping by Indians (1899) (Memento vom 6. Januar 2022 im Internet Archive), abgerufen am 21. Februar 2022.
  2. First western was shot in Blackburn, claims researcher (Memento vom 12. Juli 2021 im Internet Archive). The Times, 31. Oktober 2019, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  3. Could the first Western movie have been filmed in Blackburn? (Memento vom 10. Mai 2021 im Internet Archive). In: aboutmanchester.co.uk, abgerufen am 21. Februar 2022
  4. Stage Coach Hold-Up in the Days of '49 (Kurzfilm 1901) - IMDb.com (im Internet Archive), abgerufen am 20. April 2022.
  5. Robbery of the Mail Coach (Kurzfilm 1903) - IMDb.com (im Internet Archive), abgerufen am 20. April 2022.
  6. Robbery of the Mail Coach (1903) - BFI.org.uk (im Internet Archive), abgerufen am 20. April 2022.
  7. „Before the Nickelodeon, Chapter 6 - The Production Company assumes greater Control: 1900-1902“; Spring 1901 (S. 174 ff. plus Verweise) (Memento vom 20. April 2022 im Internet Archive), abgerufen am 20. April 2022.
  8. Joe Hembus: Western-Lexikon. 1272 Filme von 1894–1975. 2. Auflage. Carl Hanser, München u. a. 1977. ISBN 3-446-12189-7, S. 268.
  9. Urban, S. 10.