Filtrierung (Wahrscheinlichkeitstheorie)

(Weitergeleitet von Die üblichen Bedingungen)

Eine Filtrierung (auch Filtration) ist in der Theorie der stochastischen Prozesse eine Familie von geschachtelten σ-Algebren. Sie modelliert die zu verschiedenen Zeitpunkten verfügbaren Informationen zum Verlauf eines Zufallsprozesses.

Definition

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Seien   ein Wahrscheinlichkeitsraum,   eine Indexmenge und   eine aufsteigend geordnete Familie von Unter-σ-Algebren von  , das heißt

  •   ist eine σ-Algebra auf   für alle   und
  •   für alle   mit  .

Dann heißt die Familie von σ-Algebren

 

eine Filtration oder Filtrierung in   oder auf  .

Ist   eine Filtrierung, so wird   filtrierter Wahrscheinlichkeitsraum genannt.

Analog lassen sich Filtrierungen auch für beliebige halbgeordnete Indexmengen   definieren.[1]

Beispiele

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Erstes Beispiel

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Für den Wahrscheinlichkeitsraum   mit abzählbarer Grundmenge   der ganzen Zahlen und deren Potenzmenge   als σ-Algebra der Ereignisse ist

 

eine Filtration mit   für alle   und   für alle  .

Zweites Beispiel

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Die Filtration für einen  -fachen Münzwurf mit Wahrscheinlichkeitsraum   ergibt sich aus dem Ziel zu modellieren, dass zum Zeitpunkt   die Ausgänge der ersten   Münzwürfe bekannt sind, während   noch ausstehen. Man erhält zum Zeitpunkt   also:

 

Für   und   ergibt sich

 

Zum Zeitpunkt   liegt nur das Ergebnis des ersten Münzwurfes vor, daher genügt das Ereignissystem   zur Abbildung dieser Information, da z. B. das Ereignis   bedeutet, dass sich beim ersten Münzwurf eine 0 ergab und beim zweiten Münzwurf irgendetwas ergibt, also eine 0 oder eine 1.

Das Ereignissystem für   und   ist

 

und enthält 16 Ereignisse, neben dem unmöglichen Ereignis (der leeren Menge) sind das die vier Elementarereignisse

 

die sechs zweielementigen Ereignisse

 

die vier dreielementigen Ereignisse

 

und das sichere Ereignis  . Im Unterschied zum ersten Zeitpunkt sind jetzt vier Elementarereignisse zu berücksichtigen, da die Ergebnisse des ersten und des zweiten Münzwurfes berücksichtigt werden müssen.

Spezielle Filtrierungen

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Erzeugte Filtrierung

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Ist   ein stochastischer Prozess, so wird das durch   (d. h. der einhüllenden, minimalen  -Algebra auf der Menge aller Bilder der Zufallsvariablen   der Elemente der  -Algebra   für alle bisher vergangenen Zeitpunkte  , wobei   den σ-Algebren-Operator bezeichnet) erzeugte System   als erzeugte Filtrierung, kanonische Filtration[2], kanonische Filtrierung oder natürliche Filtrierung des Prozesses bezeichnet. Es ist also zu jedem Zeitpunkt   die vollständige Information über den vergangenen Verlauf des Prozesses bis einschließlich zum Zeitpunkt   vorhanden.

Filtrierung der vollständigen Information

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Durch die Festlegung   für alle   wird die Filtrierung der vollständigen Information definiert. Hier ist also zu jedem Zeitpunkt   die vollständige Information vorhanden.

Stetige Filtrierungen

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Definiert man für eine Filtrierung  

  und  

sowie

  und  ,

so gilt

 .

Ist

  •  , so heißt die Filtrierung eine rechtsstetige Filtrierung oder rechtsseitig stetig,
  •  , so heißt die Filtrierung eine linksstetige Filtrierung oder linksseitig stetig,
  •   linksseitig und rechtsseitig stetig, so spricht man von einer stetigen Filtrierung.

Weiter definiert man

 .

Filtrierung von Stoppzeiten

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Eine Stoppzeit   bezüglich einer beliebigen Filtrierung   erzeugt in Analogie zur natürlichen Filtrierung eine σ-Algebra, die sogenannte σ-Algebra der τ-Vergangenheit

  mit  .

Sei nun   eine geordnete Familie von Stoppzeiten mit   für alle   mit  , dann ist die Familie   eine Filtrierung, diese ist beim Studium von Stoppzeiten stochastischer Prozesse von Bedeutung. In Analogie erzeugt man die rechtsstetige Version der Filtrierung  , wobei:

  und  .

Es gilt immer  .

Augmentierte Filtration

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Eine augmentierte Filtration[3] ist das Pendant einer Vervollständigung eines Maßraumes für Filtrationen. Ist   ein Wahrscheinlichkeitsraum und   eine Filtration, so definiert man

 

als Mengensystem der (nicht notwendigerweise  -messbaren) Teilmengen von  -Nullmengen. Die augmentierte Filtration  (von   bezüglich  ) wird dann definiert als

 

und

 .

Standardfiltration und die üblichen Bedingungen

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Eine Filtration   heißt eine Standardfiltration[4], wenn sie mit ihrer augmentierten Filtration übereinstimmt und rechtsstetig ist, also wenn

 

gilt. Man sagt dann auch, dass die üblichen Bedingungen gelten.[5]

Von jeder beliebigen Filtration kann zu einer Standardfiltration übergegangen werden, indem man zuerst zur rechtsstetigen und dann zur augmentierten Filtration übergeht.

Vergrößerte Filtration

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Filtrationen werden in der Finanzmathematik vergrößert (engl. enlarged), um die zusätzlichen Informationen eines Insiders zu modellieren.[6]

Verwendung des Begriffes

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Der Begriff der Filtrierung ist unerlässlich, um, ausgehend vom Begriff des stochastischen Prozesses, wichtige Begriffe wie Martingale oder Stoppzeiten einzuführen.

Als Menge   wird wie bei stochastischen Prozessen meist   oder   gewählt und   als Zeitpunkt interpretiert.

σ-Algebren modellieren verfügbare Information. Die Mengen der σ-Algebra   geben zu jedem Zeitpunkt   an, wie viele Informationen zur Zeit bekannt sind. Für jedes Ereignis   bedeutet   übersetzt, dass zum Zeitpunkt   die Frage „ist  ?“ eindeutig mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden kann. Dass die Filtrierung stets aufsteigend geordnet ist, bedeutet demnach, dass eine einmal erlangte Information nicht mehr verloren geht.

Ist ein stochastischer Prozess   an eine Filtrierung   adaptiert, bedeutet dies also, dass der Verlauf der Funktion   im Intervall   zum Zeitpunkt   (für beliebiges, aber unbekanntes   und in Hinsicht auf die durch Ereignisse   formulierbaren Fragen) bekannt ist.

Der Begriff wird aufgrund seiner Bedeutung in den meisten fortgeschrittenen Lehrbüchern über stochastische Prozesse definiert. In einigen Lehrbüchern, zum Beispiel im Buch Probability von Albert N. Schirjajew, wird der Begriff aus didaktischen Gründen zunächst umfassend für Prozesse mit diskreten Werten in diskreter Zeit eingeführt.

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 2013, S. 195.
  2. Heinz Bauer: Wahrscheinlichkeitstheorie. 5. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2002, ISBN 3-11-017236-4, S. 138.
  3. Meintrup, Schäffler: Stochastik. 2005, S. 390.
  4. Meintrup, Schäffler: Stochastik. 2005, S. 390.
  5. Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 2013, S. 482.
  6. Hans Föllmer, Alexander Schied: Stochastic Finance. 3. Auflage. De Gruyter, 2011, ISBN 978-3-11-021804-6, S. 286–287.