Die Liebenden von Valdaro

Ausgrabung in Valdaro

Die Liebenden von Valdaro (‚gli amanti di Valdaro‘), auch als Die Liebenden von Mantua bekannt, ist die Bezeichnung für die Skelette einer Frau und eines Mannes von etwa 18 bis 20 Jahren aus der Jungsteinzeit, die am 5. Februar 2007 in Valdaro, einem Industrievorort vor den Toren Mantuas im Gemeindegebiet von San Giorgio Bigarello in Oberitalien gefunden wurden. Die Skelette lagen seit über 5500 Jahren eng umschlungen in einem Grab, was bis 2015 für keinen anderen neolithischen Fund belegt werden konnte.[1] Es ist nicht bekannt, warum das Paar umarmt begraben liegt. Leiterin der Ausgrabung war Elena Menotti.

Die Liebenden von Valdaro im Archäologischen Museum in Mantua
Nahaufnahme des „Liebespaares“

Bezeichnung

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Die Bezeichnung „Liebende“ ist spekulativ, da nichts über die näheren Umstände des Lebens und die Todesursache bekannt ist. Jedoch wurden auch Hunde in die Nähe von Menschen gelegt, so dass sich hierin möglicherweise ein Abbild einer emotionalen Bindung in den Begräbnissitten erweist. So könnten Hinterbliebene das junge Paar bewusst in dieser Haltung beigesetzt haben.

Datierung und Bestimmung des Alters

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Das Alter der beiden wurde zunächst aufgrund der in der Grabstätte vorhandenen Werkzeuge und einer Pfeilspitze auf 5000 bis 6000 Jahre geschätzt. Mit der Radiokarbonmethode konnte das Alter auf 4557 ± 51 Jahre BP datiert werden, was einem kalibrierten Alter von 3370–3315 v. Chr. entspricht.[2]

Bei dem Paar handelt es sich um einen Mann und eine Frau. Da ihre Zähne noch intakt sind, wurde schon kurz nach der Entdeckung angenommen, dass sie relativ jung verstorben sein mussten. Heute wird ihr Alter auf 18 bis 20 Jahre geschätzt.

Bergung, wissenschaftliche Untersuchungen und Präsentation

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Normalerweise werden bei Skelettfunden die Knochen einzeln ausgegraben. Im Fall der Liebenden von Valdaro kam aber die Technik der Blockbergung zum Einsatz.

Daniela Castagna, eine der Archäologen, bemerkte gegenüber einer Fernsehanstalt, dass das Grab in Nord-Süd-Richtung angelegt sei, ein weiteres Einzelgrab in der Nähe jedoch in Ost-West-Richtung. In den letzten Jahren wurden in der Umgebung insgesamt 36 Beisetzungen entdeckt, hinzu kamen zwei beerdigte Hunde, möglicherweise drei. Die beiden sicher identifizierten Hunde, wahrscheinlich Wolfshunde, lagen zusammen mit menschlichen Toten im Grab, in einem Falle mit zwei Erwachsenen, im anderen zu Füßen eines Individuums. Auch hier fanden sich hinsichtlich der Ausrichtung der Toten einige abweichende Fälle. Die Haltung der Toten war ebenfalls nicht einheitlich. Da es keinerlei Störungen durch neue Gräber gab, geht man davon aus, dass die Gräber oberirdisch markiert waren, so dass die jeweils neu Beizusetzenden nicht die Ruhe der schon früher Verstorbenen störten. Meist wurden drei, manchmal vier Individuen gleichzeitig in nuclei beigesetzt, Beigaben waren üblich.

Das Paar wird dementsprechend so wie vorgefunden im Archäologischen Nationalmuseum Mantua ausgestellt, dem Museo Archeologico Nazionale di Mantova. Nur durch Spenden konnte die Vitrine finanziert werden, die allein 40.000 Euro kostete, wie die Leiterin des Museums, Maria Elena Menotti, einräumen musste.[3] Da die Erstpräsentation des Fundes im April 2015 jedoch kaum in die Tourismuswerbung einfloss, fanden sich am ersten Tag nur zwölf Besucher ein.[4] Ein zweiter bedeutender Fund, jener des Hundes, der zusammen mit einem Jäger beigesetzt wurde, wird seit 2015 gleichfalls ausgestellt. Der Mann erhielt den Namen Orione, während der Hund nunmehr Sirio genannt wird. Die beiden waren 2009 entdeckt worden. Sie wurden im Mantuaner Archäologiemuseum erstmals vom 27. bis 31. Oktober 2015 ausgestellt.[5] Mittlerweile ist das Paar Teil der Dauerausstellung.[6]

Die weiteren Untersuchungen leitete James Tirabassi. Zunächst wanderte das Bergungsgut ins Museo Civico di Como, wo es bis 2009 verblieb. Erst nach den dort durchgeführten Untersuchungen kehrte das Paar nach Mantua zurück. Nun vergingen zwei weitere Jahre in einer Holzkiste, bis 2011 ein Comitato Amanti aus Bürgern der Stadt unter dessen Präsidentin Silvia Bagnoli endlich weitere Fortschritte erzielte. Dieses Komitee bestand zugleich aus den Amici di Palazzo Te, den städtischen Museen sowie der Kommune und der Provinz. Die Kommune erklärte sich bereit, 30.000 Euro von den Ausstellungskosten zu übernehmen. Verbände und Einzelpersonen spendeten gleichfalls, während die Regierung in Rom keine Veranlassung dazu sah.

Rezeption

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Die Ausgräberin Maria Elena Menotti verkündete bereits 2007 gegenüber der BBC, die Toten würden „sich tatsächlich umarmen“, woraufhin der Boston Globe titelte: „Archaeologists Extract Ancient Lovers“, der Daily Mirror gar „Grave News: Romance is Dead“. Menotti beförderte diese Nachrichtenwelle in den Massenmedien, als sie nachlegte und meinte, dass man die Liebe noch nach Tausenden von Jahren spüre, und: „Ja, wir müssen es Liebe nennen“. So kursierte bald die Bezeichnung als „Die Liebenden von Valdaro“.

Eine Ausgabe der USA Today titelte nun „Archaeologists Find Prehistoric Romeo and Juliet Locked in Eternal Embrace“, und Associated Press schloss sich an mit „Prehistoric Romeo and Juliet Discovered“. Dabei wurde sogar darüber spekuliert, ob die in Shakespeare Werk beschriebene junge und tragische Liebe im Raum Mantua und Verona nicht weit in die Vorgeschichte der Menschheit zurückreiche.

Hingegen verwahrten sich einige Archäologen gegen die vorschnellen Deutungen, zumal die Methodik der Geschlechtsbestimmung nicht einmal diskutiert wurde. Dass eine solche Umarmung möglicherweise auf zusammengekauerte Verwandte, also Angst hindeuten könnte, oder auch Fremde, die sich angriffen, also Wut, wurde fast nie in Erwägung gezogen. Die wenigen Mutmaßungen in diese Richtungen wurden von der Berichterstattung der internationalen Medien überwuchert. Auch wurde ignoriert, dass nur einen Meter links von dem Paar ein weiterer Leichnam gehoben wurde, der auf der rechten Seite in Fötushaltung lag. In der internationalen Berichterstattung wurde er selten erwähnt, und wenn, dann als „einsames“ Begräbnis. Durch diese Art der Berichterstattung reduzierte sich auch die Zahl der Bilder, die in den Medien kursierten. So hatte das Lokalblatt, die Gazzetta di Mantova, ursprünglich 20 Bilder von der Ausgrabung präsentiert, jedoch blieb letztlich nur ein einziges, das die Interpretation als Liebende am besten zu untermauern schien.

Nachdem sich diese Deutung allgemein durchgesetzt hatte, ließen sich zahlreiche Künstler von dem Paar inspirieren. Quitting Heaven, eine Heavy-Metal-Gruppe, intonierte einen Skeleton Kiss, Fall Out Boy[7] Believers Never Die, Tesla Forever More (2008) oder Darkest Hours The Human Romance. Die Künstlerin Marzia Migliora erstellte eine Tonskulptur des Paares mit dem Titel lei, che non dormiva mai (sie, die niemals geschlafen hat). In Blogs wurde dazu aufgefordert, die Skelette in ihrer Position zu belassen. Als der Block nach Como verbracht wurde, um weitere Untersuchungen vorzunehmen, schrieb ein italienischer Journalist von ihrer „Hochzeitsreise“, und in Como wurde das inzwischen berühmte Paar vom Bürgermeister empfangen.

2015 veröffentlichte Ralph Dutli einen Roman mit dem Titel Die Liebenden von Mantua, in dem die beiden Skelette eine zentrale Rolle spielen.[8][9]

Ein vergleichbar positioniertes Paar sind „Die Liebenden von Hasanlu“ im Iran.

Literatur

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  • Pamela L. Geller: The Bioarchaeology of Socio-Sexual Lives. Queering Common Sense About Sex, Gender, and Sexuality, Springer, 2016, S. 90–92 (Abschnitt Love Never Dies)

Anmerkungen

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  1. 2015 wurde ein Paar in ähnlicher Haltung auf dem Peloponnes entdeckt (Nuovi amanti abbracciati sfidano la coppia di Valdaro, in: Gazzetta di Mantova, 13. Februar 2015).
  2. Daniela Castagna, Valentina Gazzoni, Gabriele Luigi Francesco Berrutu, Martina de March: Studio preliminare sulle sepolture neolitiche del territorio mantovano: i casi di Mantova, Bagnolo San Vito e San Giorgio, in: Rivista di Studi Liguri LXXVII-LXXIX (2011–2013) 339–352, hier: S. 351, Anm. 10 (online, PDF).
  3. Mantova, 6mila anni sotto terra e 7 in una cassa: gli ‘Amanti’ esposti al pubblico, in: Il fatto quotidiano, 10. April 2014.
  4. Vincenzo Corrado: "Flop prevedibile": gli amanti di Valdaro rossi di vergogna, in: Gazzetta di Mantova, 7. April 2015.
  5. In mostra il cacciatore e il cane sepolti insieme seimila anni fa, in: Corriere della Sera, 26. Oktober 2015.
  6. Gli amanti di Valdaro Museo Archeologico Nazionale di Matova, abgerufen am 6. April 2023
  7. Geller schreibt hier „Fallout Boys“
  8. Eros ist stärker als der Tod. Stuttgarter-Zeitung.de, 2. Oktober 2015, abgerufen am 11. August 2016.
  9. Alle Wollust des Erdreichs. Neue Zürcher Zeitung, 29. Oktober 2015, abgerufen am 11. August 2016.