Digital Native

Person der gesellschaftlichen Generation, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist
(Weitergeleitet von Digital native)

Als digital native (deutsch „digitaler Eingeborener“, Plural digital natives) wird eine Person der gesellschaftlichen Generation bezeichnet, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist.[1] Im Gegensatz dazu stehen die Begriffe des digital immigrant (deutsch „digitaler Einwanderer[2] oder „digitaler Immigrant“) für jemanden, der diese Welt erst im Erwachsenenalter kennengelernt hat, sowie des Digital Outsider für jene, die außerhalb der digitalen Welt bzw. ohne einen digitalen Bezug zu ihr leben.

Etymologie

Bearbeiten

Das erste Mal tritt der Begriff native im technologischen Zusammenhang in der 1996 veröffentlichten Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace von John Perry Barlow auf. In dieser heißt es in einem Absatz:

You are terrified of your own children, since they are natives in a world where you will always be immigrants.

Der Begriff digital native wurde von Marc Prensky[3] geprägt, einem ausgebildeten Pädagogen und Manager mit Aktivitäten auch im Bereich E-Learning. Als Ursprünge gelten der Artikel Digital Natives, Digital Immigrants in der Zeitschrift On the Horizon im Oktober 2001 und der Folgeartikel Do They Really Think Differently? im Dezember 2001. Als Übertragungen von „Digital Natives“ ins Deutsche werden „[die] Digital-Nativen“,[4] „[die] Digitalen Einheimischen“,[5] „[die] digitalen Eingeborenen“,[6] „[die] digitalen Ureinwohner“[2] und Ähnliches verwendet.

Ein Synonym aus dem Englischen ist born digital („digital geboren“),[7] das schon früher für Medien und Kunst verwendet wurde, die rein digital entstanden sind. Verwandt sind auch die Begriffe der Generation Internet[8] und Generation C64.

Beschreibung

Bearbeiten

Prensky beschreibt im Jahr 2001 mit Digital Natives alle Schüler vom Kindergarten bis zum College. Er behauptet in seiner These, es sei die erste Generation, welche von klein auf mit der neuen Technik des digitalen Zeitalters aufgewachsen ist. Computerspiele, E-Mails, Internet, Mobiltelefone und Instant Messaging seien integrale Bestandteile ihres Lebens, sie wurden schon früh damit sozialisiert. Diese allgegenwärtige Ausstattung und die massive Interaktion damit führe zu anderen Denkmustern und zu einem fundamentalen Unterschied, Informationen zu verarbeiten. Sie seien gewohnt, Informationen sehr schnell zu empfangen, sie lieben es, in Multitasking zu arbeiten. Sie lieben den Direktzugriff auf Informationen (im Gegensatz zum seriellen), ziehen die Grafik dem Text vor und funktionieren am besten, wenn sie vernetzt sind. Sie gedeihen bei sofortiger und häufiger Belohnung.[9]

John Palfrey und Urs Gasser ziehen mit 1980 als ältestem Geburtsjahrgang von Digital Natives in ihrem 2008 erschienenen Buch Born Digital eine noch deutlichere Grenze.[10]

Während Digital Natives attestiert wird, sich gut im Internet und mit neuen Technologien auszukennen, zeigt sich in einer Studie von 2016,[11] dass sie oft noch nicht in der Lage sind, zwischen glaubwürdigen und unglaubwürdigen Inhalten im Internet zu unterscheiden.[12] Die ICILS-Studie 2018 zeigt, dass nur 2 % aller getesteten Schüler über die Fähigkeit verfügen, Informationen aus dem Internet kritisch zu analysieren.[13] Digitale Kompetenzen sind mehr vom sozioökonomischen Hintergrund abhängig als vom Alter.[14] Diese Ergebnisse sind konform mit dem, was aus dem Forschungsbereich zur Digitalen Kluft bekannt ist.

Digital Immigrants sind mit diesen Techniken nicht von klein auf vertraut, sie adaptieren ihre Umwelt, um damit zu arbeiten. Als Kennzeichen bringt Prensky folgende Beispiele: Sie drucken eher eine E-Mail aus oder lassen sie sich von der Sekretärin ausdrucken. Sie bringen eher Leute physisch ins Büro, um ihnen eine Webseite zu zeigen, als dass sie nur die URL versenden. Um einen Text zu überarbeiten, drucken sie ihn vorher aus. Sie können sich nicht vorstellen, dass man, während man Musik hört oder Fernsehen schaut, lernen kann, weil sie es selbst nicht können, da sie es in ihren Jugendjahren nicht gemacht haben.[9] Primär sind mit der Gruppe die Geburtenjahrgänge vor 1970 gemeint.[15]

Zwischen diesen beiden Gruppen besteht eine Kluft hinsichtlich der IT- und Computernutzung. Die Schüler sind nicht mehr dieselben wie früher. Man hat nach Prensky dadurch die Unterrichtsmethoden und den Inhalt anzupassen.[9]

Der Management-Professor Don Tapscott befasst sich seit seinem Buch Net Kids (1998) mit den Auswirkungen und Veränderungen, die das Aufwachsen der Generation der Digital Natives auf alle Bereiche der Gesellschaft hat. Im Bestseller Wikinomics (2006) beschreibt er insbesondere die Folgen für die Wirtschaft. Für sein Buch Grown up digital (2008)[16] hat er 11.000 Jugendliche zu ihrem Netznutzungsverhalten befragen lassen.

Nach Moshe Rappoport von IBM Research zeichnet sich die junge Generation auch durch Risikobereitschaft und schnelles Handeln aus, analog zu Computerspielen, wo man mit Risikoverhalten schnell zum Ziel komme beziehungsweise nach einem Game over einfach neu beginne. Galt man früher als gescheitert, wenn eine Geschäftsidee nach zwei Jahren nicht mehr funktionierte, so gehe es heute stärker darum, Ideen auszuprobieren, umzusetzen und gegebenenfalls wieder zu verwerfen. Die Akzeptanz bei der Einführung technischer Innovationen in Unternehmen wäre ebenfalls wichtig. Deshalb werde es beim Eintreten der Digital Natives in die Führungsebenen zu einem radikalen Umdenken in Unternehmensführungen kommen.[15]

Studien zum Konzept

Bearbeiten

Verschiedene Studien öffentlicher, akademischer und privater Institutionen zum Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen haben sich mit der Identifikation typischer Muster im Verhalten von Digital Natives auseinandergesetzt, zum Beispiel:

  • ARD/ZDF Langzeituntersuchung Massenmedien (1964–2005)
  • Statistisches Bundesamt: Informations- und Kommunikationstechnologien in privaten Haushalten (2002–2006)
  • Institute for Social Research, University of Michigan: Changing Times of American Youth (1981–2003)
  • Kaiser Family Foundation: Kids & Media @ the New Millennium (1999)
  • DIVSI: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der digitalen Welt[17] (2014)

Die DIVSI-Studie hat ermittelt, dass im untersuchten Alterssegment (unter 25 Jahren) kaum Offliner zu finden sind (über 98 % benutzen das Internet) und die Unterscheidung zwischen on- und offline zunehmend verschwindet. Allerdings wurde auch deutlich, dass es in der Darstellung des Verhaltens von Digital Natives Verzerrungen gibt:

„Die Bedeutung von Facebook-Freunden wird offensichtlich meist falsch dargestellt. Laut unserer Studie unterscheiden die Befragten sehr deutlich zwischen Online-Freunden, persönlichen Bekannten und echten engen Freunden.“

DIVSI: U25-Studie[17]

Kritik am Konzept

Bearbeiten

Die Definition von Begriffen wie „Digital Natives“ wird unter anderem von Rolf Schulmeister für falsch erachtet.[18] Eine Klassifizierung als „Digital Native“, „Generation Y“, „Millennial“ oder Ähnlichem wird von mehreren Medienwissenschaftlern[19][20] abgelehnt, weil hinsichtlich des tatsächlichen Nutzungsverhaltens (das heißt, für welche Aktivitäten die Medien verwendet werden) kaum Unterschiede zu früheren Nutzern feststellbar sind und sich deshalb keine neue Generation im Sinne des Begriffs herausgebildet hat. Ähnlich argumentiert der Historiker Valentin Groebner.[21][22]

Weiter ist eine reine Klassifikation nach Alter nicht realitätskonform, da nicht selten auch Angehörige der Digital-Immigrant-Generation mit den neuen Medien umgehen, als wären sie damit aufgewachsen. Daneben gibt es auch Angehörige der jungen Generation, die traditionellere Formen von Kommunikation und Zusammenarbeit bevorzugen. Demnach wäre der Begriff des digital native über die Art und Weise des Umgangs mit Medien und Technik zu definieren und nicht über das Alter.[23][24]

Auch der Medienpädagoge Philippe Wampfler lehnt den Begriff ab und verweist darauf, dass er insbesondere die „digitale Kluft“ unsichtbar mache.[25]

ICDL Europe weisen in ihrer Publikation The Fallacy of the "Digital Native" auf mehrere Indizien hin, weshalb dieser Begriff irreführend ist. So fehle vielen Jugendlichen der kritische Umgang in digitalen Umgebungen. Zudem schätzen Jugendliche ihre digitalen Fähigkeiten häufig höher ein, als diese tatsächlich sind. Sie weisen außerdem darauf hin, dass es eine Unterscheidung zwischen digital lifestyle und digital workplace benötige. Jugendliche eignen sich zwar relativ schnell Fähigkeiten im Entertainmentbereich an, was sich aber eher auf passives konsumieren beschränkt. Eine Barriere stellt es jedoch dar, wenn sie die Programme nutzen sollen, um selber Inhalte zu produzieren oder mit anderen gemeinsam zu arbeiten.[26]

Die internationale ICILS-Vergleichsstudie für 2023 bestätigte dies. Demnach sei der Digitalisierungsgrad von Schulanfängern auf über zwei Drittel angestiegen. Dabei verfügten jedoch etwa 40 Prozent aller deutschen Jugendlichen nur über allenfalls „rudimentäre [...] Fähigkeiten“ im Umgang mit Computern und könnten laut Birgit Eickelmann „im Grunde [...] nur klicken und wischen“. Relevante Faktoren für einen wünschenswerten Grad an Medienkompetenz und berufsbildenden Kompetenzen seien in Deutschland laut Studie zudem besonders das Elternhaus und die soziale Herkunft der Kinder und Jugendlichen.[27][28]

Siehe auch

Bearbeiten

Literatur

Bearbeiten
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Eva Windisch & Niclas Medman: Understanding the digital natives. In: Ericsson Business Review. 1/2008, S. 36–39 (217 kB)
  2. a b Peter Marwan: PC-Arbeitsplatz der Zukunft: So stellen Firmen die Weichen. In: ZDNet, 18. Februar 2008.
  3. http://www.marcprensky.com/
  4. Lothar Rolke, Johanna Höhn: Mediennutzung in der Webgesellschaft 2018: Wie das Internet das Kommunikationsverhalten von Unternehmen, Konsumenten und Medien in Deutschland verändern wird, BoD – Books on Demand, 2008, ISBN 3-8370-3162-4, S. 144
  5. Christian Stöcker: Die Generation C64 schlägt zurück. In: Spiegel Online, 2. Juni 2009.
  6. Gry Hasselbalch: Unterrichten Sie Internetskian? (Memento vom 14. November 2008 im Internet Archive) In: Insafe (European Schoolnet), 5. August 2007.
  7. Nicht ohne mein Offline-Selbst. In: Süddeutsche Zeitung. 17. Mai 2010, abgerufen am 5. Dezember 2020.
  8. Christian Bütikofer: Was die Generation Internet ihren Eltern voraus hat. In: Tagesanzeiger, 3. November 2008.
  9. a b c Marc Prensky: Digital Natives, Digital Immigrants (PDF; 135 kB), in: On The Horizon, ISSN 1074-8121, MCB University Press, Vol. 9 No. 5, Oktober 2001
  10. John Palfrey, Urs Gasser: Born Digital: Understanding the First Generation of Digital Natives, Basic Books, 2008, ISBN 0-465-00515-2, S. 1
  11. STANFORD HISTORY EDUCATION GROUP: "Evaluating Information: The Cornerstone of Civic Online Reasoning". 22. November 2016 (stanford.edu [PDF]).
  12. Anant Agarwala: "Wir vergraben uns in unseren Vorurteilen". In: Die Zeit. Nr. 51, 11. Dezember 2016 (zeit.de).
  13. ICILS 2018 Results. International Association for the Evaluation of Educational Achievement, abgerufen am 16. November 2019 (englisch).
  14. Bernd Kramer: Jeder zehnte Schüler mit mangelhafter Digitalkompetenz. In: Süddeutsche Zeitung. 5. November 2019, abgerufen am 16. November 2019.
  15. a b Pressemitteilung: Digitale Immigranten – IBM ortet gespaltene Technologie-Gesellschaft (Memento vom 24. Oktober 2012 im Internet Archive), 24. September 2008
  16. Jan Free: "Netzgeborene können's besser", ZEIT online, 16. September 2009.
  17. a b DIVSI "U25-Studie: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der digitalen Welt"
  18. R. Schulmeister: Gibt es eine Net Generation? Widerlegung einer Mystifizierung. In: S. Seehusen, U. Lucke, S. Fischer (Hrsg.): DeLFI 2008: Die 6. e-Learning Fachtagung Informatik der Gesellschaft für Informatik e. V. 07.–10. September 2008, Lübeck. Lecture Notes in Informatics (LNI), Vol. P-132. Gesellschaft für Informatik Bonn 2008, S. 15–28.
  19. Simson Garfinkel: The myth of Generation N. Not all kids are tech-savvy; how will they handle wired future? In: Technology Review Aug. 13, 2003.
  20. Scott Carlson: The Net Generation Goes to College; The Chronicle of Higher Education, Section: Information Technology, Volume 52, Issue 7, Page A34; 7. Oktober 2005.
  21. Valentin Groebner: Wissenschaftssprache digital: Die Zukunft von gestern. Konstanz University Press, 2018, ISBN 978-3-8353-9714-9, S. 13 (google.de [abgerufen am 15. Februar 2022]).
  22. Julia Amslinger: Zur Topik Digitaliens – Valentin Groebners schmutzige Ideengeschichte der Wissensgesellschaft : literaturkritik.de. Abgerufen am 15. Februar 2022 (deutsch).
  23. www.digitalnative.orgAboutAre All Youths Digital Natives? (engl., Berkman Center for Internet & Society, Cambridge, MA), abgerufen am 19. Juni 2010
  24. John Palfrey: Born Digital (engl.), abgerufen am 19. Juni 2010
  25. Philippe Wampfler: Bitte verzichtet auf den Begriff »digital natives«! In: Schule Social Media, 12. August 2014, abgerufen am 25. Juni 2015.
  26. Perception & reality of digital skills. In: ICDL Europe. Abgerufen am 8. Dezember 2021 (britisches Englisch).
  27. 40 Prozent der Achtklässler laut Studie nicht fit am PC. In: Tagesschau. 12. November 2024, abgerufen am 13. November 2024.
  28. Birgit Eickelmann et al.: ICILS 2023 #Deutschland. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking von Schüler*innen im internationalen Vergleich. Waxmann, Münster 2024, ISBN 978-3-8309-4949-7 (uni-paderborn.de).