Diskussion:Anastasius Grün
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BearbeitenIch weiß jetzt nich genau, aber wurden seine Werke eigentlich nicht zensiert? Glaube das wo gelsen zu haben, dass er nachdem sein Pseudonym aufedeckt wurde, wurde er vor die Wahl gestellt das Land zu verlassen oder nicht mehr zu schreiben. kann mich natürlich auch irren (nicht signierter Beitrag von 141.201.23.10 (Diskussion) 15:19, 27. Jun. 2007 (CEST))
- Kannst du die Quelle noch ausfindig machen, wo du das gelesen hast? Wenn das stimmt, kannst du diese Informationen noch hinzufügen. (nicht signierter Beitrag von Polemon (Diskussion | Beiträge) 19:24, 27. Jun. 2007 (CEST))
Gedichte von Anastasius Grün [1837]
BearbeitenGedichte von Anastasius Grün [1837]. Zwölfte Auflage, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1857. VIII, 375 S.; 16 x 11 cm [Format 16°]; grüner Pappeinband mit Goldprägung.
Eine Lanze für die Lyrik (und eine Spitze gegen Wikipedia): Wikipedia wünscht Beiträge mit ausführlichen Literaturangaben. Sind sie zu mager, droht die Löschung. Das ist korrekt und sichert den an wissenschaftlichen Maßstäben gemessenen, gewollten Standard. Das gilt m. E. vor allem für naturwissenschaftliche Darstellungen (in denen die Formulierung „meines Erachtens“ bereits verpönt ist); für geisteswissenschaftliche Themen kann das manchmal hinderlich sein. Gerade Lyrik ist nicht nur ein Objekt trockener Fakten und bedingt Einleben in die Zeit und die Welt des Dichters, sondern erlaubt und fordert geradezu subjektives Erleben und einfühlende Aneignung im Rahmen des eigenen Erfahrungshorizonts. Was macht man mit Dichtern, deren Lyrik nur sehr begrenzt Gegenstand moderner Forschung geworden ist. Muss man überalterte Literatur zitieren? Muss man ganz auf einen Beitrag verzichten? Anastasius Grün ist dafür ein geeignetes Beispiel. Und das subjektive Erlebnis fängt bereits mit der Quelle an. In den Regalen stapeln sich seit Jahrzehnten die Bücher; manches kann man leichten Herzens weggeben, einiges landet in einem wissenschaftlichen Institut, einzelne Bücher entdecke ich beim Durchsehen neu. So ging es mit dem hübschen kleinen Lyrikband, den ich nach dem ersten Eindruck wieder weglegen und abgeben wollte. Da fiel mein Blick auf ein kleines Stückchen Papier, das offenbar als Buchzeichen verwendet worden war und auf dem „-und“, „-tor“ und „-gler.“ zu lesen ist. Das Letztere kann ich entschlüsseln als „Spängler“, die Salzburg-Kremser Familie meiner Urgroßmutter väterlicherseits. Zusammen mit dem Druckdatum 1857 ergibt das ein Bild: Es ist offensichtlich eines der Literaturbändchen, über die das Ehepaar Franz Xaver Spängler, geboren 1839 in Salzburg, gestorben 1912 in Krems an der Donau, Dr. jur. und Richter in Krems, zuletzt k. k. Oberlandesgerichtsrat, und seine Frau Fanni, 1848 geborene Schlegel in Salzburg, gestorben 1905 in Krems, miteinander sprachen und darüber in vielen Briefen korrespondierten.˂ref˃Artikel „F. X. Spängler“ bei Salzburgwiki.at˂/ref˃ Das hat mit „Grün“ nichts zu tun, bewegt mich aber dazu, das Bändchen näher anzusehen (auch wenn „persönliche Betrachtungen nicht hierher gehören“). Es bleibt dann hoffentlich nicht das einzige Werk von Grün, das bei Wikipedia.de näher betrachtet wird.
Es ist eine Gedichtsammlung gemischten Inhalts und sie umfasst Werke aus unterschiedlichen Epochen. Nach einem „Prolog“ (S. 3 bis 6), der das „junge Laub der Eichen“ besingt (S. 3), Lieder nennt, die im „Dichtersaal Gehör fordern“ (S. 3) und „im Haine deutschen Sangs ein Sprosse“ (S. 5; reimt sich auf „Genosse“) sein wollen, folgen Texte als „Blätter der Liebe“ aus den Jahren 1825 bis 1829 (S. 9 bis 42). 1825 ist Grün 19 Jahre alt und Student in Graz und Wien. Seine erste Gedichtsammlung erscheint in Stuttgart 1830 eben unter dem Titel „Blätter der Liebe“, und offenbar ist hier vom Dichter selbst (der sich 1830 zu ersten Mal mit dem Pseudonym „Anastasius Grün“ zu Wort meldet) eine Auswahl daraus getroffen worden. Metrisch orientiert sich Grün an den traditionellen Regeln der vierzeiligen Strophe („einfache Liedstrophe aus vier Versen“ heißt es bei Wikipedia) mit jeweils vier Hebungen und Endreimen a b a b:
Frühling ist’s in allen Räumen!
Blüth‘ und Blume taucht empor,
Und aus Stauden und aus Bäumen
Sprießen Blätter grün hervor. (S. 9)
Natürlich verwendet Grün auch andere metrische Systeme, aber der gängige Vierzeiler ist vorherrschend. - Der junge Dichter lässt den Herrn die Rose erschaffen, die Lerche und das Weib. Und der Herr sprach „sei geliebt und liebe! …Rosen blühen, Lerchen steigen, und geliebt sein und – nicht lieben?“ (S. 11) ist die rhetorische Frage, mit der er zu seiner eigenen, jugendlichen Liebe „ja“ sagt. „Dir allein““ (S. 12) möchte er sein Herz zeigen, wo es „schwer verwundet“ ist. „…denn du allein hast den Dolch, der mich vermag zu morden“ (S. 12). Es sind Worte eines Jugendlichen, der offenbar bereits Liebe und Leid erfahren hat bzw. diesen Gefühlen poetischen Ausdruck zu verleihen mag, zwar jugendlich entbrannt, wenn man an den ‚mordenden Dolch“ denkt, aber doch nicht so fern und fremd, dass man sich nicht vorstellen kann, dass manche und mancher sich um 1850 darin wieder erkennt. – Wir sind mitten in der Epoche des Biedermeier und ein Gedicht wie das „Familiengemälde“ (S. 14 f.) ist nicht ironisch gemeint, sondern spiegelt jene Zeit:
Großvater und Großmutter,
Die saßen im Gartenhag,
Es lächelte still ihr Antlitz
wie sonniger Wintertag. (S. 14)
Im „Liebesgarten“ (S. 21 bis 23) „blühet manch lieblicher Strauß“ (S. 21), flattert ein „Küßchen als farbiger Schmetterling“ (S. 22), doch wieder erlebt der Jüngling, dass „die seligen Plätzchen verschwunden, die Blumen versengt und verblüht“ (S. 22) sind. Die Schwingungen der Gefühle halten sich die Waage, denn im folgenden Gedicht hat Liebe „gebaut die Brücke, hat aus Rosen sie gebaut!“ (S. 24). Er schwelgt, er „könnt‘… die Welle sein“, welche die Geliebte im Bade umwogt, ich „wogte mit stillem Gruß rasch um den lieben Fuß“ (S. 28). Bei uns mögen solche Bilder heute keinen Jubel hervorrufen; ich denke aber, es ist kein ‚falscher Ton‘ dabei, und ich kann solche Bilder umso mehr akzeptieren, wenn ich daran denke, dass meine Urgroßmutter (sie war beim Erscheinen des Buches erst elf Jahre alt, und wann der Band erworben wurde, weiß ich natürlich nicht) als junge Frau sie ‚in aller Unschuld‘ vielleicht geschätzt hat. (Anführungsstriche signalisieren, dass das Gesagte relativiert werden soll, wobei Assoziationen des Lesers helfen müssen, dass Unbeschreibliche nachfühlbar werden zu lassen.) Die Fachwelt urteilte damals folgendermaßen: Es „wirken die hohe volkstümliche Einfachheit, die reiche bildliche Bestimmtheit, die Reinheit, Tiefe und Durchsichtigkeit der Gedanken und Bilder mit unbeschreiblichem Zauber auf den Leser ein.“˂ref˃Wikisource BLKÖ: Auersperg, Anton Alexander Graf von = Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Band 1, 1856, S. 87˂/ref˃
Der Mann vergleicht seine Tränen, die „Mannesthräne“ (S. 31 f.), mit dem Harz des Baumes, der zwar grünt (wie die Hoffnung auf erwiderte Liebe) und dessen ‚Träne‘ vielleicht einst zum Bernstein wird (gesprochen wird von „edlem Harz aus Ostens Flur“; S. 31), aber „der Schnitt, die Wunde – bleibt“ (S. 31). Man kann dem jugendlichen Dichter eine gewisse Reife nicht abstreiten, und das macht ihn mir sympathisch (und damit wiederum auch seine Gedichte sympathisch). „Wie soll ich liebend dich umfassen und glauben, was dein Mund verspricht…?“ (S. 33). – Es folgen sechs Gedichte, die 1827 datiert und „Ein Friedhofkranz“ betitelt sind (S. 45 bis 52). Das letzte dieser Gedichte, gesondert 1837 datiert, gilt der „Erinnerung“ (S. 51 f.). Auch hier herrschen weniger düstre Gedanken, eher die Verklärung der Trauer vor: „…der Abendröthe Schimmer im Scheidegruße sanft“ und „Abendglockentöne, dass mir’s von Sternennächten ahnt“ (S. 52). Der Tod hat poetisch den Abschiedsschmerz aktiviert, mehr aber nicht. (Macht es etwas aus, dass ich beim Lesen nur dort hängenbleibe, wo mich eine Zeile, ein Ausdruck anspricht, und dass ich leichter darüber hinweggehe, was in mir kein Mitschwingen verursacht? Lyrik ist subjektives Erleben; ‚objektiv‘ wäre höchstens das Zählen der Versfüße im Sinne dumpfer Beckmesserei.)
Der nächste, größere Abschnitt gilt „Erinnerungen an Adria“, datiert 1829 (S. 55 bis 94). Von seiner Heimat in der Krain ist es nicht weit zum Meer; Grün wird oft dort gewesen sein. Er begrüßt das Meer, „unermeßlich und unendlich“ (S. 55), doch mischt sich Wehmut darin, weil es ihm auch wie „ein großer, stiller Friedhof“ erscheint (S. 55). Neben dem Kaufherrn, der „mit Ergötzen… auf hochgestapelte Ballen blickt“, sieht er den armen Fischer, der „betrübt an zerriss’nen Netzen“ flickt (S. 58). Das Meer gleicht dem Leben, weckt Tränen bei dem einen, ist „licht und mild“ (S. 59) für den anderen. Ein längeres Gedicht gilt „Hellas“ (S. 64 bis 68); es sind die Jahrzehnte der Griechenland-Begeisterung, als der Griechen Freiheitskampf gegen die osmanische Herrschaft verklärt wurde (Lord Byron, George Gordon Byron , war 1824 gestorben): „…wie viel Helden für dich starben, wie viel Blutes für dich rann!“ (S. 64). Hier wird der Krieg nicht glorifiziert, der Feind nicht verteufelt; hier bittet der Dichter darum, dass der junge Grieche andere Lieder lernen möge, die ihm an Anmut gleich sind: „Sing‘, o Hellas, andre Weisen, lehr‘ dein Kind ein ander Lied“, nämlich eines von „deiner Schnitter Sichelklang“ vom Ton des Bechers beim Mahl, vom „Winzersang“ (S. 67). Dann schimmert das Meer „gleich dem ew’gen Frieden“ und weiße Segel sind „der Freiheit Siegesfahn‘…“ (S. 69). – Wehmut herrscht wieder, wenn Grün von der vergangenen Pracht der Stadt Venedig schreibt:
Stumm und öde Platz und Straßen
Und die Fluthen rings umher,
Selbst die Steine reden nimmer
Und die Menschen längst nicht mehr! (S. 78)
Nach 1815 bis 1848 stand das Königreich Lombardo-Venetien unter der Herrschaft Österreichs; Grün scheint sich nicht dafür begeistern zu lassen, dass sein Vaterland hier regiert. Ganz im Gegenteil mag er sogar zum Aufstand gegen diese Herrschaft aufrufen, wenn er meint (Folgestrophe zur oben zitierten):
Und doch wüßt‘ ich einen Zauber,
Ja ein Wörtlein nur, gar klein!
Spräch’s zur rechten Stund‘ der Rechte,
Spräng‘ von diesem Sarg der Stein! (S. 78)
Scheint hier bereits etwas von dem Mann auf, der sich 1848 politisch engagiert? Freilich muss man den politischen Stachel (wenn es denn einer ist) fast zwischen den Zeilen suchen. Aber was besingt Grün mit dem Meer, das für ihn ‚Freiheit‘ bedeutet (…“Freiheit, Recht und Licht“; S. 93)? Er, der die Slowenen in der Krain 1848 für das Frankfurter Parlament gewinnen will, er, der ab 1861 auf Lebenszeit im österreichischen Reichsrat Sitz und Stimme hat, singt vom deutschen Vaterland:
Aufs Meer bin ich gefahren
Im Kahne ganz allein,
Begeisterung im Herzen,
Im Korb die Flasche Wein.
Aufs Meer bin ich gefahren,
zu leeren die Flasche rein;
Sieht man so vieles Wasser,
Schmeckt doppelt süß der Wein.
Den vollen blinkenden Becher
Empor hebt meine Hand:
Hoch all‘ ihr fernen Lieben!
Hoch deutsches Vaterland! (S. 92).
Es folgen zehn weitere Strophen.˂ref˃Nachzulesen auch bei zgedichte.de unter dem Titel „Auf dem Meere“.˂/ref˃ - Die Nachwelt vermerkt, Grün sei „von betont deutscher Gesinnung“ gewesen. Solches lesen wir hier auch aus diesem Werk heraus, während ein zweites Urteil, er habe „vornehme politische Lyrik“ geschaffen, sich eher auf andere Werke bezieht.˂ref˃Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL), Band 1, 1957, S. 36.˂/ref˃ Aber das obige Gedicht ist ein Text, der in Sprache und Rhythmus durchaus singbar ist und eine Komposition verdient hätte (meines Wissens ist das nicht der Fall). Er steht in dem Band „Gedichte“, der 1837 erscheint (steht aber auch bereits im „Morgenblatt für gebildete Leser“ (Morgenblatt für gebildete Stände), Band 24, 1830, gedruckt bei Cotta in Stuttgart und Tübingen) und er dürfte m. E. weiterhin zu den Texten gehören, die man von Anton Alexander Graf von Auersperg (um ihn auch mal beim richtigen Namen zu nennen, aber weiter verwendet der Graf sein Pseudonym „Anastasius Grün“) nicht völlig vergessen sollte. Das Pseudonym wählt er offensichtlich, um einem Verbot durch die Zensur (Zensur (Informationskontrolle)) zu entgehen, welche ihm allerdings nicht für dieses, wohl eher für andere Werke gedroht hätte.˂ref˃Vergleiche Wikisource ADB: Grün, Anastasius = Allgemeine Deutsche Biographie, Band 10, 1879, S. 28 f.˂/ref˃„Projekt Gutenberg-DE“ im Internet schreibt dazu: „Die Veröffentlichung seiner politischen Gedichte führte zu einer Untersuchung, die sein Pseudonym 1838 aufdeckte; von Metternich vor die Entscheidung gestellt, nicht mehr zu publizieren oder auszuwandern, wählte er die erste Alternative (blieb aber in oppositioneller Haltung), was bei den deutschen Dichtern des Vormärz heftige Kritik erregte.“ Nach dieser Einschätzung ist also vorliegender Band der „Gedichte“ als unpolitisch einzustufen.
Die folgende Abteilung heißt „Lieder aus dem Gebirge“ und ist 1830, 1831 datiert (S. 97 bis 146). Es sind Gedichte unterschiedlichen Inhalts, die z.B. vom treuen Wandergefährten handeln, vom Besuch auf der „Alpenhütte“ bei der schönsten „Hirtenmaid“ (S. 101), vom Frieden im Gebirge, wo die „Alpenhörner klingen und die Blumen nicken ein“ (S. 102), vom „Alpendirnlein, schön und lose“ (S. 103). Jedoch auch dort „schleicht mit blankem Dolche ein Mörder lauernd heran“ (S. 109), „Sicheln und Sensen“ blitzen am Bergeshang (S. 114) und „fern die blauen Berge“ sind „Gränzwächter von Granit“ (S. 115). Elfen und Kobolde lachen „auf der Alpenwiese“ (S. 118). Aber „des Gebirges schlanker Sohn“, der lieber als beim Militär und nachts vor dem Zelt auf der Wache, lieber „vor Liebchens Haus“ die „Ehrenwache“ hält, wird als Deserteur erschossen (S. 124). Die Sennerin, welche die Herde ins Tal bringt, die ihre schönsten Kühe „mit hellem Glockenlaut“ und „frischem Kranze“ geschmückt hat (S. 143), ist noch nicht das ‚Dirndl von der Alm‘ (Alm (Bergweide)), das sich als Stereotype in den 1840er Jahren herausbildet (z.B. mit dem Liederbüchlein H. M., das ist Herzog Max in Bayern, „Oberbayerische Volkslieder“ von 1846) und zusammen mit der Neuentdeckung der Mundart unser Blick auf das Leben in den Alpen bzw. ‚auf der Alm‘ bis heute verkitscht.˂ref˃Otto Holzapfel, „Die Entstehung des alpenländischen Mundartliedes nach 1800 als Spiegelbild einer neuen Wertschätzung des Dialekts“, in: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 69 (2002), S.38-57.˂/ref˃
Die „Lieder aus Italien“ (S. 149 bis 185) sind 1835 datiert. Sie besingen u. a. Pinie und Tanne im Vergleich. Die Bäume stehen an der Grenze und sie preisen gegenseitig die Vorzüge des anderen, des fremden Landes. Das gut nachbarschaftliche Bild wird am Schluss getrübt durch „meiner Heimath Kriegesmannen“ (S. 152), also österreichische Soldaten an der italienischen Grenze, deren Trommeln Schrecken verbreiten. Sie mahnt der Dichter an die ‚Botschaft‘ ihrer ‚Träume‘, nämlich zum Frieden. Es ist, etwa in der Mitte des Gedichtbandes, die zweite ‚politische‘ Botschaft, die ich aus den Texten herauslese. Und es folgt eine weitere: Beim Anblick eines Grabkreuzes erinnert der Dichter daran, dass Italien „von dem Schwert der Fremdenschaar“ (S. 155) wie tot daniederliege. – In einem weiteren Gedicht gepriesen wird die Taufkapelle in Florenz, das Baptisterium San Giovanni. Eine anrührende Szene, in der ein Bauernsohn dem Kloster überlassen wird, schließt mit dem Seufzer: „Und, ach, die Nächstenliebe verblutet im Kellerverließ!“ (S. 165) als grausames Gegenbild zur friedlichen bäuerlichen und klösterlichen Welt. Vergleichbare Bilder, erinnernd an vergangene Größe und berührt vom Elend der Gegenwart, bestimmen poetische Erinnerungen in Rom, in den pontinischen Sümpfen, am Hafen, der von „glühenden Granaten“ (S. 181) zerschossen ist, und in Neapel, wo den Hungernden die „Last der Knechtschaft“ (S. 184) drückt. Für Italien ist es die Zeit von „Restauration und Widerstand: 1815 – 1848“ (Risorgimento), die Zeit des ‚Wiedererstehens‘ einer italienischen Nation, die erst 1870 abgeschlossen ist und die zur Entstehungszeit dieser Gedichte (1835) von verschiedenen revolutionären Erhebungen geprägt ist: 1820 in Sizilien, 1821 und 1833/34 im Piemont. Österreichische Truppen schlagen einen Aufstand 1831 nieder, im Land herrschen Geheimbünde, denen sich 1833 der später als Nationalheld gefeierte Garibaldi (dessen Namen hier nicht fällt) anschließt.
Die folgenden Gedichte, zusammengefasst unter „Lied und Leben“ (S. 189 bis 208) sind undatiert. Ihnen gelten resignierende Themen wie das ‚ewige Lied des letzten, müden Dichters‘ (S. 191), im Abendschatten „einem Freunde“ (S. 196), Goethes Tod (S. 201) [[[Johann Wolfgang von Goethe]] 1832; hier wie üblich in der Zeit „Göthe“ geschrieben], einem „Winterabend“ (S. 203), dem, der Heilung sucht in Bad Gastein (S. 204). – Es folgen die „Zeitklänge“ (S. 211 bis 237), datiert 1836-1838. Das „Bundeslied“ (S. 211-213) ist eine Hymne auf Frieden und Freiheit, auch auf nationale Selbstbestimmung:
Wer trommelnd, trompetend mit uns geht,
Der bessere Held ist’s nicht,
Doch der, so fest zur Fahne steht,
Wenn er kein Wort auch spricht. (S. 214)
Friedrich Schiller wird besungen: „Lodert ihr deutschen Herzen in Flammen!“ (S. 217), die Wartburg und Polens Reichstag, der Rhein: „Ich ahnte nicht, daß hier zu Lande in Kerkern Jugend man erzieht!“ (S. 223) – der Rhein, wo der Winzer vom „Franzosenblei“ (S. 226) erschossen wird, wo andererseits auch die Ketten, die am (französischen) „Louvre“ (S. 227) gesprengt werden (Julirevolution von 1830), zur Freiheit mahnen, schließlich der Rhein, wo ‚milde Volkesliebe wohnte‘ (vgl. S. 227). Die Industrialisierung kündet sich im Lobpreis des Dampfschiffs an und der Eisenbahn: ‚dampfgetriebene Wagenburgen‘ (vgl. S. 232). Schließlich wird „An Jakob Grimm. (Neujahr 1838)“ (S. 234-237; Jacob Grimm) gedacht, der mit den ‚Göttinger Sieben‘ aus dem Königreich Hannover verbannt wird. Es sind Spiegelungen der Ereignisse des ‚Vormärz‘, die hier eine dichterische Form gefunden haben. Für unsere Ohren klingt es nicht ‚revolutionär‘, aber in den Jahren vor 1848 wurde man schon wegen leiser, politischer Töne verfolgt.
Der nächste Abschnitt ist „Romancero der Vögel“ (S. 241 bis 268) überschrieben, das sind im Verständnis der Zeit für poetische Gattungen liedhafte Gedichte erzählenden Inhalts (auch Heine verwendet diese Bezeichnung): über den Sturmvogel auf dem Meer, den ‚vielgereisten‘ Storch, über ein Vogelnest auf dem Wiener Stephansdom, das – hier wird das Gedicht, sonst die Natur beschreibend, zur politischen Satire – den Fürsten zittern, den Staatsminister springen lässt und den Landsturm alarmiert, über ‚Zinsvögel‘, welche die Bauern erpressen. Der Kolibri ist ein herausgeputzter Höfling, der Gimpel ein Domherr, der mit dem Höllenfeuer droht, der ‚rote Hahn‘ vertritt den Kriegsgott, der Zaunkönig, so klein er ist, trägt eine Krone – auch hier politische Anspielungen, die wohl aber zumeist sogar die Zensur im Vormärz kalt lassen.
Den Gedichtband schließt eine größere Abteilung ab, „Romanzen“ (S. 271 bis 375; Romanze (Literatur)) überschrieben, die wieder eher der erzählenden Liedgattung zuzurechnen sind (wissenschaftliche Unterscheidungen poetischer Gattungen wie Kunstballade und Volksballade, ja sogar Märchen und Sage werden erst Jahrzehnte später eindeutiger gefasst). Diese Gedichte sind unterschiedlichen Themen gewidmet; sie erzählen von der Geburt Karls V. in Gent [1500], eine Legende von der Entstehung der Kirche „Maria Grün“ (S. 281) in Graz (1663; Mariagrüner Kirche), von dem Boten, der in der Art einer Volksballade seinem Herrn den Grafen schrittweise beibringt, dass der Hund starb, das Ross, der eigene Sohn, schließlich die Gräfin. Und auch das Schloss liegt in Asche. Der Dichter findet ehrende Worte für den unbekannten Bettler am Stadttor, für den französischen Invaliden, der von der Revolution und von den Napoleonischen Kriegen erzählt, für den alten, sterbenden Komödianten. In der Art einer skandinavischen Volksballade dichtet er von der Elfenliebe und ähnlich, jetzt mit dem Blick auf die englisch-schottische Überlieferung, vom Elfenkönig, mit Irland im Sinn vom „Mährchenerzähler“ (S. 318; in der Zeit mit „h“ geschrieben) dort. Solche Themen sind damals modern; man kann an verschiedene Veröffentlichungen denken, ohne dass man bei Grün die eine oder andere zwingend festmachen kann („Schwedische Volksharfe“ von Studach 1826; „Der Nordensaal“ von Helwig 1827; „Ancient Ballads and Songs of the North of Scotland“ von Buchan 1828; u.s.w.). Erinnert sei auch daran, dass Grün selbst 1850 „Volkslieder aus Krain“ aus dem Slowenischen übersetzt und 1864 „Robin Hood. Ein Balladenkranz nach altenglischen Volksliedern“ veröffentlicht.
Immer wieder mahnt der Dichter den Frieden an; er lässt den hochgerüsteten, siegreichen Helden an seiner eigenen Rüstung und an den schweren Waffen verzweifeln bzw. der ‚Held‘ wird geläutert („Der eiserne Mann“, S. 321-323). Er lässt sich allerdings auch auf ein makabres Spiel ein, indem er aus dem Turban erschlagener Türken den griechischen Freiheitskämpfer Windeln für die Kinder verfertigen, die Kinder dann mit Türkenschädeln als Bälle spielen lässt („Des Klephten Gaben“, S. 324 f.). Hellas bleibt für ihn „Das Land der Freiheit“ (S. 329-331), Zypern ist für ihn ein Ort des Festgelages. Ein ähnliches Thema bilden die polnischen Aufstände, deren Helden einer, aus der Zeit der Türkenkriege, „Lubomirski“ (S. 341-346), er ein langes Gedicht widmet. – Die letzten drei Gedichte in diesem Band gelten einem „Schloß in Böhmen“ (S. 366-370), hier wird vielleicht eine Sage thematisiert, der „Heimliche(n) Liebe“ (S.371 f.) eines Pfarrers und zuletzt einer Liederzählung über „Die beiden Sängerheere“ (S.373-375), welche den Dichter im Traum bedrängen, aber es der „Allrichterin Zeit“ (S. 375) überlässt, über die Dichtung zu urteilen. – Ich lege das Buch aus der Hand; ich denke, meine Urgroßeltern werden darin auch das eine oder andere Gedicht gefunden haben, das sie ansprach, sie bewegte und nachdenklich machte.
Die besprochene Ausgabe der „Gedichte“ erschien in erster Auflage 1837; die Tatsache einer zwölften Auflage zwanzig Jahre später spricht für den Erfolg des Buches. Es gibt noch eine Ausgabe der „Gedichte“, erschienen in Halle um 1913; vom Umfang her könnte es sich um eine gekürzte Ausgabe handeln bzw. eine Auswahl-Edition. In der vom Direktor der Universitätsbibliothek Graz, Anton Schlossar, betreuten Edition „Anastasius Grüns sämtliche Werke in zehn Bänden“ erschien der Band 2, „Gedichte“, Leipzig 1906; davon gibt es eine elektronische Version 2004.--Lundbye1941 (Diskussion) 07:57, 3. Apr. 2013 (CEST)
Jetzt braucht's noch den Zeilenumbruch, dessen Codierung ich nicht kenne. --Lundbye1941 (Diskussion) 08:11, 3. Apr. 2013 (CEST) - Codierung der Strophen eingefügt. --Lundbye1941 (Diskussion) 15:11, 8. Apr. 2013 (CEST) Ich habe nochmals versucht, zwei Fotos hochzuladen; die sind offenbar bereits gespeichert - aber wo? Kann man sie auf diese Seite einfügen?--Lundbye1941 (Diskussion) 13:54, 7. Mai 2013 (CEST)