Diskussion:Die Unvollendeten

Letzter Kommentar: vor 14 Jahren von Frank Helzel in Abschnitt Reinhard Jirgls Erzähler Reiner K. als Attentäter

Reinhard Jirgls Erzähler Reiner K. als Attentäter

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Erstaunlich, dass in keiner der zu Rate gezogenen Rezensionen auf den Schluss von Teil 3 („Jagen Jagen“, S. 249-250) eingegangen wird. Denn deutlicher, als der Erzähler Reiner K. es tut, kann nicht dargestellt werden, dass er mit dem Öffnen der Gasbrenner im Buchladen ein Attentat vorbereitet, das einen Menschen auf jeden Fall treffen wird: entweder seine Frau, falls sie, anstatt ihren Mann verabredeterweise um 8 Uhr in der Charité abzuholen, um diese Zeit gewohnheitsmäßig vor der Verkäuferin in der Buchhandlung sein wird, oder die Verkäuferin, die ja, falls sie nicht durch einen „Deus ex machina“ oder andere höhere Gewalt vom Betreten der Buchhandlung abgehalten wird, dort nach den Angaben des Erzählers wie immer auftauchen wird.
Bleibt die Frage, ob Jirgl das wirklich so wollte, oder ob hier schlecht lektoriert worden ist. Denn solange sich die Aggression des Erzählers gegen seine Frau richtet, weil sie eine Verabredung mit ihm versäumt, könnte das noch in den Rahmen literarischer Plausibilität bei Enttäuschung vor dem Hintergrund von Krebserkrankung im Endstadium passen. Holt ihn seine Frau allerdings ab, nimmt er dafür den Tod der Verkäuferin billigend in Kauf, wenn sie im Buchladen eintrifft und das Licht einschaltet. Das ist entweder eine erzählerische Nachlässigkeit, die das Lektorat hätte verhindern müssen, oder der Erzähler mutiert zum blinden Attentäter, der er aber der Erzählung nach gar nicht sein möchte/könnte, wenn seine Frau wie verabredet zur Klinik kommt. Denn wozu sollte dann die Verkäuferin noch sterben?
Oder der Autor ist Opfer seiner Vorstellung von einem apokalyptischen Ende durch die Ausbreitung einer giftigen und explosiven Gaswolke geworden, die er mit dem Wucherungsendstadium von Krebs in Parallele setzt. Dann hätte das aber nicht mehr an das in solch einem Zusammenhang nebensächliche Auftauchen der Frau des Erzählers in der Klinik oder aber ihre Vergesslichkeit gebunden sein dürfen. Denn Apokalyptisches passt nicht mehr zu eingehaltenen oder versäumten Verabredungen.
Es bleibt auf jeden Fall für den Leser der Eindruck, dass hier etwas nicht stimmt, was spätestens dem Lektorat hätte aufgefallen sein müssen! --Frank Helzel 07:54, 31. Okt. 2010 (CET)Beantworten