Diskussion:Die Vergeltung (Droste-Hülshoff)
Deutung nicht ausschließlich theologisch zu sehen
BearbeitenDie Deutung hebt nahezu ausschließlich auf eine theologische Deutung ab, was eine starke Verkürzung darstellt. Die Ballade wurde zwar immer wieder auch so gelesen, die neuere Forschung dazu wird aber noch nicht einbezogen. Zentrale Quelle ist eine studentische Hausarbeit von 2004 mit 23 Seiten (!), was WP:Q widerspricht. Diese Arbeit, an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt verfasst, ist meines Erachtens komplett herauszunehmen. – Lange Rede, kurzer Sinn: Der Abschnitt Deutung muss grundlegend überarbeitet werden. Ich möchte das demnächst angehen und bitte vorher um Meinungen dazu, um eine grundlegende Diskussion nachher zu vermeiden. Gruß, --Psittacuso (Diskussion) 17:47, 18. Nov. 2024 (CET)
- Es wäre für die Diskussion ganz nützlich, wenn Du etwas davon mitteilst, in welche Richtung die Sichtweise der neueren Forschung überhaupt geht. Die von Dir angeführte studentische Hausarbeit hat ja lediglich pars pro toto die (bisher) allgemein akzeptierte Lesart dargelegt, die der Denkweise der gläubigen Katholikin Droste-Hülshoff mutmaßlich entspricht. Sie vertritt ja eben nicht eine blinde Schicksalsgläubigkeit Dahnscher Prägung.
- Für die traditionelle Sichtweise spricht m. E. auch, dass Balladen dieser und ähnlicher Art mit der Intention geschrieben wurden, dass der durchschnittlich gebildete Leser sie verstehen möge, ohne schwer zugängliche Zusatzinformationen dafür zu benötigen. Es liegt also kein nur für Eingeweihte verständlicher Code darin. Ein solcher durchschnittlich gebildeter Leser wird in dem Gedicht kaum etwas anderes finden, als dass auch das prima vista ungerecht Erscheinende einen höheren Sinn hat und daher „eigentlich“ gerecht ist. Dass diese „höhere“ Gerechtigkeitsinstanz nach Drostes Ansicht tatsächlich Gott ist, zeigt sich in ihrer alternativen Titelidee. Insofern bin ich gespannt auf Deine Antwort. --Chattus (Diskussion) 14:54, 1. Dez. 2024 (CET)
- Droste hat schon in der Judenbuche gezielt Leerstellen geschaffen, die eindeutige ‚didaktische‘ Interpretationen und Schuldzuweisungen erschweren oder gar unmöglich machen. Ob sich Friedrich Mergel erhängt hat oder ob er umgebracht wurde, lässt sich zum Beispiel nicht ohne Weiteres sagen. Dass Droste in Die Vergeltung eine gewisse Mehrdeutigkeit anlegt, sieht man ja gerade in der Zurücknahme des alternativen Titels „Gottes Hand“. Dazu eine sehr frühe Analyse des Juristen Erik Wolf von 1946: „Von einem Eingreifen Gottes ist ja gar nicht die Rede. Alles geht ganz natürlich zu, ohne Wunderzeichen.“ (Zit. nach Ulrike Vedder: Gedichte von AvDH, Interpretationen. Reclam 2014, S. 40). Wolfgang Rohe sieht in der Änderung des Titel einen Beleg dafür, dass sich die Ballade „gegen jede ‚Gewißheit über die Vergeltungsinstanz‘“ (zit. nach ebd. S. 34) richtet. Dem schließt sich Vedder in ihrem Fazit im Droste-Handbuch (2018, S. 393) an: „Die Deutungssysteme, die in dieser populären Ballade untereinander kollidieren – Gott, Schicksal, Justiz, Geschichte usw. –, zeigen einerseits die reichhaltigen Horizonte, in denen das dramatische Geschehen angesiedelt ist, und bringen andererseits die irritierende Gewissheit zum Ausdruck, dass kein übergreifendes Gesetz alles lenkt.“ Ziel einer Überarbeitung wäre also, diese Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten darzustellen und die Deutung à la ‚Darstellung göttlichen Eingreifens und religiöser Moral‘ als eine Option unter mehreren einzuordnen. Apropos Religion und „gläubige Katholikin Droste-Hülshoff“: Natürlich praktizierte Droste ihren Katholizismus. Frei von Glaubenszweifeln war sie nicht; im Geistlichen Jahr finden sich eine Reihe von Belegen dazu. Am prominentesten zu Beginn des Gedichts Am Pfingstmontage (HKA IV, 79):
Ist es der Glaube nur, dem du verheißen,
Dann bin ich todt.
O Glaube! wie lebendgen Blutes Kreisen,
Er thut mir Noth;
Ich hab ihn nicht.
Ach, nimmst du statt des Glaubens nicht die Liebe
Und des Verlangens thränenschweren Zoll:
So weiß ich nicht, wie mir noch Hoffnung bliebe;
Gebrochen ist der Stab, das Maß ist voll
Mir zum Gericht.
- Ich weiß noch nicht, wann ich zu einer Überarbeitung komme. Aber gut, dass wir uns hier im Vorfeld austauschen. Gruß, --Psittacuso (Diskussion) 18:48, 1. Dez. 2024 (CET)
- Danke für die Erläuterung, @Psittacuso. Allerdings ist das von Dir zitierte Gedicht aus meiner Sicht eher kein Beispiel, das eine andere als eine theologische Deutung nahelegt. Denn Droste zweifelt in dem Gedicht ja keineswegs die Existenz und Gerechtigkeit des allmächtigen und allwissenden Gottes an, sondern beklagt vielmehr ihre eigene Unzulänglichkeit, vor diesem Gott bestehen zu können – ihr fehlt der Glaube an die persönliche Erlösung; die Zeilen erinnern frappant an Luther vor seinem Turmerlebnis. Gerade weil sie die Instanz Gottes offenbar nicht im mindesten anzweifelt, kommt das erschütternde Gedicht zustande. Dort findet sich weiter unten die Zeile: „Nicht zweifle ich“, und in der letzten Strophe des Gedichts legt sie dar, dass sie sich ganz allein die Schuld für ihren Unglauben gibt und hofft, dass Gott („du Treuer“) ihr Bemühen belohnt, indem er ihr den Glauben gibt. Aus meiner Sicht also eher eine Bestätigung einer rein „theologischen“ Deutungsweise der „Vergeltung“. --Chattus (Diskussion) 11:01, 5. Dez. 2024 (CET)
- Danke für deine weitergehenden Deutungen dieses Gedichts. Bekanntlich kommt es hier in der WP aber nicht auf unsere persönlichen Auslegungen an, sondern darauf, Forschungsmeinungen allgemeinverständlich wiederzugeben und anhand reputabler Quellen zu belegen. Du wirst meine drei oben angegebenen Quellen zur Kenntnis genommen haben. Vedder ist Professorin an der HU Berlin; das Droste-Handbuch von 2018 ist die (erste) Anlaufstelle für alle Fragen zu Leben und Werk der Dichterin. Zur Erinnerung: Ich sage nicht, dass die theologische Interpretation falsch oder unmöglich ist, sie ist aber offenbar nicht die einzige mögliche. (Wie sich Interpretationen im Laufe der Zeit ändern können und dass es mehrere Ansätze nebeneinander geben kann, habe ich übrigens in den Artikeln zu Am Turme und Das Fräulein von Rodenschild zu zeigen versucht.) Gruß, --Psittacuso (Diskussion) 13:54, 5. Dez. 2024 (CET)
- Danke für die Erläuterung, @Psittacuso. Allerdings ist das von Dir zitierte Gedicht aus meiner Sicht eher kein Beispiel, das eine andere als eine theologische Deutung nahelegt. Denn Droste zweifelt in dem Gedicht ja keineswegs die Existenz und Gerechtigkeit des allmächtigen und allwissenden Gottes an, sondern beklagt vielmehr ihre eigene Unzulänglichkeit, vor diesem Gott bestehen zu können – ihr fehlt der Glaube an die persönliche Erlösung; die Zeilen erinnern frappant an Luther vor seinem Turmerlebnis. Gerade weil sie die Instanz Gottes offenbar nicht im mindesten anzweifelt, kommt das erschütternde Gedicht zustande. Dort findet sich weiter unten die Zeile: „Nicht zweifle ich“, und in der letzten Strophe des Gedichts legt sie dar, dass sie sich ganz allein die Schuld für ihren Unglauben gibt und hofft, dass Gott („du Treuer“) ihr Bemühen belohnt, indem er ihr den Glauben gibt. Aus meiner Sicht also eher eine Bestätigung einer rein „theologischen“ Deutungsweise der „Vergeltung“. --Chattus (Diskussion) 11:01, 5. Dez. 2024 (CET)
- Ich weiß noch nicht, wann ich zu einer Überarbeitung komme. Aber gut, dass wir uns hier im Vorfeld austauschen. Gruß, --Psittacuso (Diskussion) 18:48, 1. Dez. 2024 (CET)