Diskussion:Hans Ulrich Klintzsch
Weiterer Lebenslauf
BearbeitenIch fand bruchstückhafte Belege, dass Klintzsch 1924 in einen zivilen Beruf wechselte, nach 1935 der Luftwaffe angehörte, 1936-39 als Major die Blindflugschule 1/Flugzeugführerschule FFS B 31 kommandierte und zuletzt den Rang eines Obersten bekleidete, offenbar im Seenotdienst der Luftwaffe. Er scheint 1940 mit einer He 59 abgestürzt zu sein. Allerdings habe ich keine zusammenhängende Darstellung finden können, und auch Zeitpunkt und Ort des Todes sind noch unklar. --Der Bischof mit der E-Gitarre 00:13, 13. Jan. 2010 (CET)
Er starb am 17. August 1959 während der Hochzeit seines Sohnes Fridthjof in Berlin. (nicht signierter Beitrag von 82.113.98.46 (Diskussion) 21:55, 10. Mai 2013 (CEST))
- Erledigt - ich konnte die Puzzlestücke zumindest in groben Zügen zusammenfügen. --Der Bischof mit der E-Gitarre 00:38, 13. Jan. 2010 (CET)
- Heinz Höhne nennt ihn "Leutnant Johann Ulrich Klintzsch" [1]
- 1943 gibt es angeblich noch einen Oberstleutnant Klintzsch, aber das muss auch nicht stimmen: „January 27th 1943 made the returnflight from Venice to Athens, pilot was Oberleutnant Tretter and again with Oberstleutnant Klintzsch, Chef der Luftwaffeninspektion 16 (Seenotwesen), as guest. Take-off was at 10:30 and landing at Athens at 15:35.“ [2]
- wenn er sich in Boulogne aufgehalten hat, dann wahrscheinlich in Boulogne-sur-Mer.
- --Goesseln 13:31, 19. Mai 2010 (CEST)
auskommentiert
Bearbeitenim Quelltext von mir: Klintzsch sandte Franz Jaenicke nach Berlin um die NSDAP zu gründen: Ich kann den Namen Franz Jaenicke in meiner Handbibliothek nicht finden, unklar ist mir der Termin und die Information, dass die Brigade Ehrhardt offizielle Vertreter zur Gründung schickte. Bitte überprüfen, genauer und belegen. MfG --Holgerjan 19:21, 14. Jan. 2010 (CET)
- Das ist offensichtlich von hier --Asthma und Co. 13:57, 15. Apr. 2010 (CEST)
- Dazu auch interessant: http://www.servat.unibe.ch/fallrecht/bv002001.html --Asthma und Co. 13:58, 15. Apr. 2010 (CEST)
Tagebuch des Hans-Ulrich Klintzsch
BearbeitenCoranders 14:59, 8. Nov. 2011 (CET)Am 4. November 1898 wurde ich in Lübbenau, einem kleinen Städtchen im Spreewalde, geboren. Mein Vater war zu dieser Zeit Pastor der umliegenden Landgemeinden.
Da ich ein nicht sehr kräftiges Kind war, kam ich erst mit 7 ½ Jahren in die Schule, und zwar in Ermangelung einer Vorschule für’s Gymnasium auf die „Höhere Töchterschule“ der Stadt Lübbenau, einer Privatschule, die nur von den Töchtern der wohlhabenden Bürger besucht wurde. Ihre Leiterin war Fräulein Astmann, der Fräulein Köhn zur Seite stand. Unter den vielen Mädchen besuchten zu meiner Zeit nur zwei Jungens diese Schule, die entweder im Laufe der Zeit zu Mädchen werden oder wie ich in immer stärkere Opposition zur Weiblichkeit treten mußten.
So brachte man mich eines Tages mitten im Schuljahr sehr eilig nach Cottbus auf das dortige humanistische Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, wo ich das letzte Vierteljahr der Sexta noch mitmachte, um dann Ostern 1910 in die Quinta versetzt zu werden. Auf der Schule mitzukommen, wurde mir nicht schwer; nur störte der mir angeborene Freiheitsdrang immer wieder die Stetigkeit meiner Laufbahn.
Damals wohnte ich zusammen mit meinem einzigen Bruder Heinz in der Pension Kolshorn, dessen Haus in der Vionvillestraße 28 lag. Der Inhaber der Pension, eben der Herr Kolshorn, war mir vom ersten Tage an unsympathisch, während sich zwischen meinem Bruder und ihm ein sehr vertrauensvolles Verhältnis entwickelte. Das Ende vom Lied war, daß ich Ostern 1912 von der Schule genommen und nach Berlin auf das Königliche Joachimsthalsche Gymnasium geschickt wurde, was hauptsächlich das Verdienst meines Onkels Alfred, des Bruders meiner Mutter, war. Seinem Einflusse waren die meisten Entscheidungen zu verdanken, die meine Eltern über ihre beiden Söhne trafen.
Nach Ablegung einer Prüfung wurde ich in die Alma Mater Joachimica als Alumnus aufgenommen, d.h. ich wurde Heimschüler mit der Vergünstigung, daß mein Vater nur ein sehr geringes Jahresgeld für mein Leben auf der Schule aufbringen mußte. Schule und Alumnat wurden bereits ein halbes Jahr später, im Herbst 1912, nach Templin in der Uckermark verlegt, wo eine funkelnagelneue Anstalt auf uns wartete.
Hier zwischen Seen und herrlichen Wäldern, einer typisch märkischen Landschaft, verlebte ich die schönsten Jahre meiner Schulzeit. Ihr Abschluß wurde vorzeitig durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges erzwungen.
Es herrschte eine Hochstimmung sondergleichen auf der Schule, als der Ruf zur freiwilligen Meldung erscholl. Die Klassen leerten sich zusehends. Auch meine Klasse, die Untersekunda, schmolz immer mehr zusammen. Da ich noch nicht 16 Jahre alt war verweigerte mir mein Vater die Erlaubnis zur Meldung als Kriegsfreiwilliger, wodurch eine lange Fehde zwischen mir und meinem Vater entbrannte.
Endlich im Jahre 1916 - die Skagerrakschlacht war gerade geschlagen und drei meiner Klassenkameraden waren bereits Kadetten bei der Kaiserlichen Marine - gelang es mir, das Herz meines Vaters zu erweichen. Im Oktober dieses Jahres trat ich mit der Reife für Oberprima als Seekadett in die Marine ein. Meine infanteristische Ausbildung erhielt ich auf der Marineschule Flensburg-Mürwik und kam anschließend mit meiner ganzen Crew im Januar 1917 zur seemännischen Ausbildung auf den Schulkreuzer S.M.S. Freya. Auch hier blieb ich nur drei Monate.
Aufgrund einer freiwiligen Meldung wurde ich mit 20 anderen Crewkameraden an die Westfront kommandiert. Zunächst kam ich mit der Hälfte meiner Kameraden zur Zerstörerflottille Flandern, die von Zeebrügge aus gegen England operierte. Ihr Chef war der heute noch in Hamburg lebende damalige Korvettenkaptiän Albrecht, mein Halbflottillenchef der damalige Kapitänleutnant Zander, der später als General der Luftwaffe in russischer Gefangenschaft starb, und mein Kommandant auf G 95 der damalige Kapitänleutnant von Eichhorn, ein Sohn des Feldmarschalls im 1. Weltkrieg, der 1917 in Kiew ermordet wurde.
Sämtliche Torpedostreitkräfte unterstanden dem damaligen Fregattenkapitän von Stosch, der heute noch hochbetagt in Berlin lebt.
Nach der Hälfte der für unser Frontkommando vorgesehenen Zeit wechselten wir Torpedobootsleute mit unseren anderen Kameraden, die inzwischen bei der Schweren Korpsartillerie Flandern Dienst getan hatten. So lernte ich auch den Landkrieg kennen und erlebte gerade noch den Beginn der englischen Offensive im Herbst 1917. Dann ging ich zurück zur Marineschule Mürwik, wo ich, inzwischen zum Unteroffizier befördert , an dem mit der Seeoffiziershauptprüfung abschließenden Lehrgang teilnahm, der die Voraussetzung für die Beförderung zum Offizier bildete. Hier erfolgte meine Beförderung zum Dolchfähnrich.
Nach Ablegung der Prüfung im November 1917 wurde ich mit der Hälfte der Crew zum Fähnrichsartilleriekursus auf das Artillerieschulschiff S.M.S. Kaiseriin Augusta kommandiert. Untergebracht waren wir auf der Hulk Nixe, einem uralten abgetakelten Segelschiff aus den Anfängen der Kriegsmarine.
Auf diesem Lehrgang erhielt ich am 27.01.1918, dem Geburtstage Kaiser Wilhelms, die Mitteilung, daß ich aufgrund einer besonderen Verfügung zusammen mit meinem Crewkameraden Spannagel, erneut zur Zerstörerflottille Flandern kommandiert sei. Diese Nachricht war der erste Höhepunkt meiner militärischen Laufbahn.
Anfang März 1918 meldete ich mich bei meinem Halbflottillenchef Kapitänleutnant Zander. Ich kam zunächst auf den Zerstörer V 74, Kommandant Kapitänsleutnant Junghans, den wir 30 Jahre später in Schorndorf wiedersehen sollten.
Nachdem V 74 im Hafen von Zeebrügge auf eine Mine gelaufen und gesunken war, stieg ich afu V 69 über. Kommandant war Kaptiänsleutnant Benecke. V 69 war das Boot, auf dem sich kurz darauf meine höchsten soldatischen Wunschträume erfüllen sollten. Am 22.03.1918 kurz vor Mitternacht gab es Alarm, und in wenigen Augenblicken war die Schlacht um Zeebrügge im Gange. In ihrem Verlaufe hatte ich das Glück, zusammen mit meinem Kommandanten an einem entscheidenden Punkte der Abwehr zu stehen und mit der Waffe eine für uns günstige Entscheidung zu erzwingen. Ich erhielt auf kaiserliche Anordnung das Eiserne Kreuz I.Klasse.
Inzwischen war ich zum Säbelfähnrich befördert worden und sollte demnächst eine Planstelle als Wachoffizier auf einem Zerstörer erhalten. Dazu war noch eine Waffenausbildung erforderlich, und so erfolgte meine Kommandierung zum Artillerie-Offizier Kursus B nach Kiel. Ende des Sommers ging es wieder nach Flandern zurück, wo ich inzwischen sehr heimisch geworden war, leider aber auch dem tragischen Ende des Krieges entgegen.
Der Rückzug erschien mir wie die Vertreibung aus meiner Heimat. Bei Sturm und hochgehender See durchbrachen wir die englischen Sperren und kamen in ein kriegsmüdes, zermürbtes Deutschland zurück.
Die Revolution erlebte ich in Kiel. Gerade zu meinem Geburtstag begannen die ersten Matrosendemonstrationen, und ich hatte Mühe, mich durch die Mengen zur Werft, wo unsere Boote lagen, durchzuschlagen, nachdem Stadtalarm gegeben war.
Es zeigte sich sehr bald, daß die Marine in kaisertreue und revolutionäre Einheiten geteilt war. Als Stichwort galt: Blaue Biese gegen rote Biese. Das Torpedoboots- und -Bootpersonal trug nämlich im Gegensatz zu den Besatzungen der „dicken“ Schiffe rote Biesen an ihren Uniformen. Wir gehörten natürlich zu den Kaisertreuen, und es gelang uns nach einigen Tagen, den Brandherd Kiel mit unseren Booten zu verlassen.
Wir suchten zunächst in Warnemünde ein Unterkommen, liefen dann aber, als die Luft auch dort nicht rein war, weiter nach Stolpmünde. In diesem kleinen Fischerhafen mitten im gutgesinnten Pommern waren wir ungestört und konnten den Ablauf der Dinge in Ruhe abwarten. Der Waffenstillstand machte unserem Verbleiben in Stolpmünde ein Ende.
Die Boote mußten nach Scapa Flow überführt werden. Wer nicht unbedingt für die Inbetriebhaltung der Boote notwendig war, stieg aus.
Ich gelangte über Danzig auf abenteuerliche Weise endlich nach Berlin und von dort nach Hause. Alle Offiziere und Fähnriche z. See galten als zur Reserve versetzt und waren praktisch verabschiedet.
Aber das Leben ging weiter. Anfang Januar 1919 versammelten sich alle Notprimaner des Joachimsthalschen Gymnasiums in Templin, um das Abitur nachzumachen.
Inzwischen entwickelten sich die politischen Verhältnisse in Deutschland zu einer Gefahr für die Nation. Überall versuchten die Kommunisten, die sich damals Spartakisten nannten, die Gewalt an sich zu reißen.
In Oberschlesien begannen die Polen im Trüben zu fischen. Das Reich drohte auseinanderzufallen. Da ging noch einmal wie 1914 eine Welle nationaler Begeisterung über die deutsche Jugend.
In hellen Scharen strömte sie zu den Freikorps, die an allen größeren Orten entstanden. Auch nach Templin drang ihr Ruf, und im Handumdrehen war die Sonderklasse des Gymnasiums alarmiert. Der größte Teil verschwand bei den Freikorps. Ihnen allen wurde das Reifezeugnis von der Regierung auch ohne Prüfung zuerkannt.
Ich trat zuerst als Vizewachtmeister, meinem Rang als Säbelfähnrich entsprechend, beim Freikorps Lützow ein, dessen ruhmvoller Name noch aus der Zeit der Freiheitskriege zu uns herüberleuchtete.
Mir wurde die Führung eines Maschinenkanonenzuges in die Hand gedrückt und machte mit ihm die Kämpfe in Berlin, Braunschweig, Jena (Thüringen) und vor allem in München mit, das am 1. Mai 1919 in unsere Hand fiel.
Hier stieß ich auf die II. Marine-Brigade unter der Führung von Korvettenkapitän Ehrhardt und auf die zur Brigade gehörige Sturmkompanie, in der eine große Anzahl von Offizieren, Fähnrichen und Kadetten zusammengefaßt waren und Mannschaftsdienste taten. Keiner von ihnen trug Abzeichen, an denen man den Dienstrang hätte erkennen können. Dieser Geist machte großen Eindruck auf mich. Ich schloß mich sehr bald dieser Truppe an und blieb bei ihr bis zu ihrer Auflösung im Sommer 1920.
Einsatzgebiete der Brigade waren in erster Linie Berlin und Oberschlesien. Die Brigade wurde dann Kerntruppe beim sog. Kapp-Putsch. Ihren Marsch von Döberitz nach Berlin im März 1920 machte ich in der Spitzengruppe mit.
Nach dem Zusammenbruch des Unternehmens wurde die Brigade nach Munsterlager verlegt. Alle Freikorps mußten auf Befehl der Regierung aufgelöst werden, da die Alliierten der neu aufzustellenden Reichswehr nur 100.000 Mann und der Marine weitere 10.000 Mann zugebilligt hatten. Die Freiwiligenverbände stellten aber weit über 200.000 Mann.
Wir mußten uns entscheiden, ob wir in die Reichsmarine übernommen werden wollten oder es vorzogen, den Soldatenrock endgültig auszuziehen. Ich entschied mich für den Wiedereintritt in die Reichsmarine. Meinem Vater war das wahrscheinlich die liebste Lösung, da meine Zukunft sichergestellt war und ich nun einmal diesen Beruf infolge der Kriegsverhältnisse ergriffen hatte. Leider konnte ich mit ihm darüber nicht mehr sprechen. Denn er starb am 14. September 1920, als ich mich auf einer Dienstreise befand. Ich sah ihn nur noch auf dem Totenbett.
Doch erwies sich sehr bald, daß ich mich bei meiner politischen Einstellung und Gesinnung niemals mit den Verhältnissen in der neuen Marine abfinden konnte. Ich nahm daher am 1. Juni 1921 meinen Abschied und folgte einem Rufe des Kapitän Ehrhardt nach München. Damit hatte ich mich endgültig für eine politische Laufbahn entschieden.
Es begann die „Kampfzeit“, die Zeit der Geheimbünde und nationalen Verbände. Ehrhardt hatte einen Teil seiner Offiziere in der sog. O.C. (Organisation Consul) zusammengefaßt und entsandte sie zu schon bestehenden Organisationen oder ließ durch sie eigene Verbände aufstellen (z.B. Arbeitsgemeinschaften).
Damals gewann in München ein Mann mit Namen Adolf Hitler Einfluß, der ausgerüstet mit einer zündenden Redegabe dem Publikum die deutsche Not in einer aufrüttelnden und faszinierenden Art vor Augen stellte. Die bayrische Reichswehr suchte durch den bekannten Hauptmann Röhm Verbindung zu ihm.
Seiner Organsation hatte er den eindrucksvollen Namen „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ gegeben, und es schien ihm vorbehalten zu sein, den bis dahin international denkenden deutschen Arbeitern für den Nationalismus zu gewinnen.
Hitler, dem die Kreise der Intelligenz zunächst noch verschlossen waren und daher geeignete Führer fehlten, wandte sich an Kapitän Ehrhardt, der seit dem Kapp-Putsch im nationalen Lager die Nummer Eins war. Es kam zu einer Vereinbarung, nach der Ehrhardt Hitler Organisatoren militärischer Schulung, also Offiziere, zur Verfügung stellen sollte, während Hitler sich verpfichtete, die organisierte junge Parteimannschaft im Kampffalle in die Brigade einzureihen. In „Friedenszeiten“ sollte die Parteitruppe der Partei als Saalschutz dienen. Mir wrude als erstem diese Aufgabe von Kapitän Ehrhardt angeboten, und da ich selbst vor allen durch den Namen der Partei fasziniert war, war ich sofort einverstanden.
Während meiner ganzen zweijährigen Tätigkeit bei Hitler bleib ich aber Ehrhardt verpflichtet und verließ Hitler in dem Augenblick, als er den Vertrag mit Ehrhardt in dessen Abwesenheit brach. Zunächst stellte ich die geforderten Einheiten auf. Ich gliederte die gesamten Mannschaften in Hundertschaften und gab ihr den Namen Turn- und Sportabteilung. Bald bildete sich jedoch ganz von selbst der Name Sturmabteilung, und so kam es, daß ich schließlich der Gründer der S.A. wurde.
Leider geriet sie durch Hitlers Einfluß auf Wege, die den Intentionen Ehrhardts diametral entgegengesetzt waren. Nach dem einseitigen Bruch des Abkommens durch Hitler im Frühjahr 923 verließ ich seinen Kreis, weil ich das Verhalten Hitlers als glatten Verrat erkannte, und stellte mich Ehrhardt wieder zur Verfügung.
Ich hatte nun zunächst einige Zeit der Ruhe, und da ich inzwischen 24 Jahre alt geworden war, schien es mir richtig, meine privaten Verhältnisse in Ordnung zu bringen, d.h. nach einer Frau Ausschau zu halten.
Schon 1920 hatte ich in Eisenach Hildegard Friedrichs, die Schwester des damaligen Fähnrichs z.See F., mit dem ich zusammen in der Sturmkompanie der Ehrhardtbrigade war, kennengelernt. Fast jeden Urlaub hatte ich seitdem in Eisenach verlebt, und so war es für mich kein schwerer Entschluß, mich auf die Bahn zu setzen und von München nach Eisenach zu reisen. Am 18. März 1923 kam ich dort an und am Abend des gleichen Tages waren wir verlobt.
Fast den ganzen Sommer verlebten wir gemeinsam. Im August erfolgte meine Versetzung nach Coburg, von wo aus ich das damals kommunistisch regierte Thüringen für den Wikingbund, die Nachfolgeorganisation der O.O., gewinnen sollte. Dort heirateten wir am 8. September 1923.
Unsere Wohnung war das Kavaliershaus der Veste Coburg, das uns der letzte regierende Herzog Carl Eduard, ein Freund und Gönner Ehrhardts, zur Verfügung gestellt hatte.
Von Coburg aus bereiste ich Thüringen, wo in kurzer Zeit drei Wikinggaue entstanden. Am 25. Juli 1924 wurde uns unser erster Sohn geboren, der den Namen Fridthjof Ehrhardt erhielt. Kapitän Ehrhardt wurde sein Pate.
Infolge immer größer werdender geldlicher Schwierigkeiten - die Bezirke des Wikingbundes mußten sich selbst finanzieren - bat ich um meine Entlassung aus dem Brigadedienst um eine Zivilstellung anzunehmen. Mein Gesuch wurde mit meiner Versetzung nach Kiel beantwortet, wo Ehrhardt mit der Marine eine Stellung für mich aushandelte, die mir die wirtschaftliche Grundlage für meine weitere Bundesarbeit geben sollte. Ich arbeitete in der Abwehr, gleichzeitig wurde mir die Leitung des Wikingbezirkes Schleswig-Holstein und Hamburg übertragen.
Schließlich machte man mich noch zum Geschäftsführer der Vereinigten Vaterländischen Verbände von Kiel und Umgebung.
Eine plötzliche Wendung meines Schicksals brachte der Herbst 1926, als ich mit dem Motorrad in der Nähe von Laboe schwer verunglückte und ein halbes Jahr für jede Arbeit ausfiel.
Nach meiner Genesung konnte ich nicht in meine bisherige Stellung zurückkehren: ich war praktisch stellungslos. Versuche, als Versicherungsagent und Annoncen-Aquisiteur zu Geld zu kommen, schlugen fehl. In dieser Notlage wurde uns am 30. März 1927 unser zweiter Sohn Friedrich-Wilhelm geboren.
Durch Vermittlung meines alten „Führers der Torpedoboote Flandern“, Kapitän z.See a.D. von Stosch, derzeitiger 1. Vorsitzender des Marineoffizier-Verbandes, erhilet ich endlich im Sommer 1927 eine Stellung als Sport- und Segellehrer an der Hanseatischen Yachtschule in Neustadt (Holst.), einer Anstalt, die zu en sog. Tarnunternehmen der Reichsmarine gehörte. Auf ihr sollte der kommende Seeoffiziersnachwuchs die seemännische Vorausbildung erhalten und auch schon auf Tauglichkeit und Eignung gesichtet werden.
Während ich in Neustadt wohnte, zog die Familie nach Scharbeutz, natürlich ohne Möbel. Die Wohnung in Kiel wurde mit unseren Möbeln vermietet.
Nach kurzer Einweisung wurde mir auf der Yachtschule eine sog. Fliegerwache in die Hand gedrückt. Das waren Schüler der Deutschen Verkehrsfliegerschule, deren seemännische Ausbildung durch die Yachtschule erfolgte. Da diese Lehrgänge länger dauerten als normale Segelkurse der Schule und infolgedessen mehr Arbeitseinsatz beanspruchten, waren sie bei den Lehrern nicht sonderlich beliebt. So war es natürlich, daß man mir als dem Neuling diese Aufgabe zuschanzte. Für mich hatte dies aber schicksalhafte Bedeutung; denn mein weiterer Berufsweg war dadurch vorgezeichnet.
Im Anschluß an den seemännischen Lehrgang in Neustadt ging nämlich der ausbildende Lehrer mit seinen Flugschülern auf eine Station der Deutschen Verkehrsfliegerschule, um dort theoretische Navigation zu lehren. So begleitete ich z.B. im ersten Jahr meine Schüler nach Warnemünde. Im folgenden nach Schleißheim und schließlich, im Herbst 1929, wieder nach Warnemünde. Auf diese Art und Weise erhielt ich die Verbindung zur Fliegerei und erkannte sehr bald, daß die Flugzeugnavigation ganz andere Mittel und Methoden erforderte als die Schiffsnavigation, die wir den Schülern in Neustadt beibrachten.
Auch mit dem Flugfunkwesen, das eng mit der Navigation verknüpft war, machte ich mich vertraut. So blieb es nicht aus, daß mich eines Tages Herr von Gronau, der Leiter der Seefliegerschulen Warnemünde und List auf Sylt, fragte, ob ich Lust hätte, ganz zur D.V.S. überzutreten.
Ich entschloß mich sehr schnell und wurde im Frühjahr 1930 als Navigations- und Funklehrer bei der D.V.S. Warnemünde angestellt.
Mit Sack und Pack siedelten wir, nachdem wir noch im letzten Jahre in Neustadt eine hübsche Wohnung erhalten hatten, nach Warnemünde über und wohnten zunächst in der Moltkestraße, später in der Friedrich-Franz-Straße. Meine Tätigkeit war wiederum zweigeteilt: Während des Winters gab ich im wesentlichen theoretischen Unterricht, im Sommer dagegen leitete ich auf der Station List die praktische Navigationsausbildung der sog. C-Schüler.
Es gelang mir in dieser Zeit bei der D.V. S. mehrere Verfahren und Geräte für die Flugzeugnavigation zu entwickeln, die z.T. noch später in der Luftwaffe Verwendung fanden.
Durch Vorträge vor Fachkreisen wurde mein Name allmählich in der deutschen Luftfahrt bekannt, zumal es höchstens ein halbes Dutzend Leute gab, die die Flugnavigation in ihrer modernen Entwicklung praktisch und theoretisch beherrschten.
Ich erwarb das Flugfunkerpatent und machte 1932 meinen ersten Flugzeug-Führerschein.
Der politsche Umschwung des Jahres 1933 brachte zunächst für mich keine Veränderung. Im Herbst dieses Jahres erkrankte ich schwer an einer septischen Angina mit ernsten Herzkomplikationen. Noch einmal mußte ich ein halbes Jahr warten, ehe ich wieder verwendungsfähig war.
Nunmehr griff das „Dritte Reich“ doch nach mir. Schon während meiner Krankheit hatte mich der Oberste S.A.-Führer Röhm, der mir von früher her sehr zugetan war, gefragt, ob ich geneigt sei, in die Oberste S.A.-Führung einzutreten. Gleichzeitig zeigte ds Reichsluftfahrtministerium wegen meiner Spezialkenntnisse großes Interesse an mir, zumal Herr von Gronau sich dort warm für mich eingesetzt hatte. Ich reiste Anfang 1934 nach München, um ich an Ort und Stelle über die Verhältnisse bei der S.A. zu informieren. Dort saß als Adjutant Röhms mein alter Freund Graf Spreti, mit dem ich schon längere Zeit in Korrespondenz stand. Noch während ich in München verhandelte, griff das Reichsluftfahrtministerium ein und bat die Oberste S.A.-Führung, von meiner Einstellung abzusehen, da ich benötigt würde.
Man überließ mir die Entscheidung mit der Empfehlung, das Angebot des R.L.M. anzunehmen, und der Aussicht, daß ich immer noch zur S.A. zurückkehren könne, wenn mir die Fliegerei keine Chancen mehr böte.
Ich entschied mich für die Luftwaffe. Zu meinem Glück! Denn drei Monate später waren nach dem sog. Röhm-Putsch die Männer der Obersten S.A.-Führung beseitigt.
Nach meiner Rückkehr aus Süddeutschland wurde mor von General Sieburg die Stelle eines Gruppenleiters bei der Erprobungsstelle der Luftwaffe, Travemünde, (damals hieß sie noch: E-Stelle des Reichsverbandes der deutschen Luftfahrtindustrie) angeboten. Ich griff sofort zu, und schon am 1. April 1934 trat ich die bis dahin von Schily innegehabte Stellung an. Leiter der Erprobungsstelle war der spätere General Moll, dem meine Familie bis zu seinem vor kurzem erfolgten Tode freundschaftlichst verbunden war.
Schnell bekamen wir auf dem Priwall eine schöne Wohnung in einem Einfamilienhaus. Bei der E-Stelle war ich Leiter der Gruppe für die Erprobung von Navigations-, Funk-, Bild- und seemännischem Gerät.
Gesundheitlich war ich so weit wiederhergestellt, daß ich meine fliegerische Ausbildung weiterbetreiben konnte.
Die politische Entwicklung innerhalb der E-Stelle, sowie die unerfreuliche Konkurrenz der Erprobungsstelle Rechlin verleideten mir sehr bald die anfangs so fruchtbare Arbeit, so daß ich mich nach anderen Berufsmöglichkeiten umsah.
Die Arbeit lag damals auf der Straße; nur war mit den guten Posten meist die Verpflichtung verbunden, der Partei beizutreten. Das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Der Eintritt in die Wehrmacht reizte mich nicht sehr, da die sog. reaktivierten Offiziere zweitrangig behandelt und schlecht eingestuft wurden; und doch wurde ich diesen Weg geführt.
Anlaß dazu war eine Begegnung mit Göring im „Haus der Flieger“ in Berlin. Das Wiedersehen nach 14 Jahren wurde von seiner Seite mit stürmischem Temperament gefeiert: er bot mir goldene Berge. Doch ließ ich noch einige Zeit verstreichen, ehe ich mich entschloß, in die Wehrmacht zu emigrieren.
Im Herbst 1936 war es so weit. Ich wurde - entgegengesetzt den Versprechungen Görings - mit den übrigen reaktivierten verwurstet und als Hauptmann eingestellt.
Zunächst kam ich für ein halbes Jahr zur Ausbildung nach Quedlinburg, wo eine Fliegerersatzabteilung lag, und wurde einer Kompanie zugeteilt, deren Chef der Bruder meines Crew-Kameraden von Kunowski war. Ich verlebte dort eine schöne Zeit.
Im Frühjahr 1937 ging ich nach List auf Sylt, um dort die Aufgaben einer Mehrzweckestaffel innerhalb einer Seefliegergruppe kennenzulernen.
Man machte mich zur fliegerischen Nummer Eins in der Staffel des damaligen Majors Geiße, genannt Bazi.
Auch diese Zeit war reich an schönen Erlebnissen dienstlicher und kameradschaftlicher Art. Den Abschluß der Ausbildung bildete im Sommer 1937 ein großes Manöver über der Ostsee zusammen mit der Kriegsmarine. Meine Einsetzung als Staffelkapitän in einer Seefliegergruppe war so gut wie sicher, als vom R.L.M. die Entscheidung kam, daß ich die in Anklam neu zu gründende Navigationsschule der Luftwaffe als Kommandeur zu übernehmen hätte. Die Enttäuschung war zunächst groß; doch reizte mich, der ich noch Hauptmann war, auf der anderen Seite die Dienststellung eines Kommandeurs mächtig. In die Anklamer Zeit, die von Herbst 1937 bis Sommer 1939 dauerte, fiel der Einmarsch nach Österreich, an dem die Navigationsschule mit einer Staffel beteiligt war, sowie die Besetzung der Tschechoslowakei, beide Ereignisse im Jahre 1938.
Für mich hatte dieses Jahr noch eine besondere Bedeutung. Bei irgendeiner Gelegenheit erinnerte sich Hitler meiner. Er veranlaßte eine Einladung in die Reichskanzlei, der ich bald Folge leisten konnte. Dort hatte ich die Gelegenheit, das innere Getriebe seines Hofstaates aus nächster Nähe kennenzulernen und innerhalb von 12 Stunden - so lange dauerte mein Besuch - einen tiefen Einblick in das Wesen eines Mannes zu tun, der alle Maßstäbe verloren hatte und sich anschickte, die Welt in das Chaos, das in seinem eigenen Innern herrschte, zu stürzen.
Indessen interessierte sich Hitler sehr für die Umstände meiner Reaktivierung, und ich erfuhr später, daß er sich meinen Personalakt aus dem Personalamt der Luftwaffe hatte kommen lassen.
Im Herbst 1938 war ich Ehrengast Hitlers auf dem Reichsparteitag in Nürnberg. Hier wurde ich eines Tages zu einer Privataudienz befohlen und hörte aus dem Munde unseres damaligen Obersten Befehlshabers meine Beförderung zum Major mit einer gewissen Vorpatentierung. Ich hatte nicht sehr viel gewonnen, aber dem starrköpfigen Personalamt gegenüber empfand ich Genugtuung.
Im September 1938 wurde uns unser dritter Sohn, Heidjer, geschenkt.
Im Sommer 1939 wurde die Navigationsschule aufgrund einer weisen Generalstabs-Enscheidung aufgelöst. Man tröstete mich mit einer Versetzung zur Blindflugschule Brandis, deren Kommandeur ich wurde.
Schon im September - der zweite Weltkrieg war gerade ausgebrochen - fand auch diese Schule ihr Ende, da nach einem noch weiseren Beschluß des Generalstabes mit Kriegsbeginn alle Blindflugschulen aufgelöst werden sollten. Ich war plötzlich Kommandeur einer C-Schule (für Flugzeugführer); aber auch dies nicht lange. General Sieburg, der inzwischen Leiter der Luftwaffen-Inspektion für Navigation (L.In.XII) geworden war, berief mich ins R.L.M. als Gruppenleiter. Neben anderen Aufgaben erhielt ich den Auftrag, einen Navigationsleitfaden für die Luftwaffe zu verfassen.
Meine Familie, die mir 1939 nach Brandis gefolgt war und ein wunderschönes Haus mitten im Walde bewohnte, mußte sich mit dem Gedanken vertraut machen, noch einmal den Wohnsitz zu wechseln. In Berlin war ich sehr um eine gute Wohnung bemüht und bereits im Februar 1940 war ich am Ziel. Am Elsterplatz, genau: in der Berkaerstraße 15, fanden wir eine hervorragende 5-Zimmerwohnung in einem Wehrmachtsneubau, dessen obere Stockwerke noch nicht fertig waren, als wir bereits ins Erdgeschoß einzogen. Dort erlebten wir trotz Krieg und Fliegeralarm eine glückliche Zeit.
Meine Tätigkeit im Ministerium befriedigte mich angesichts unserer militärischen Erfolge keineswegs, und so war ich glücklich, als mir im Frühjahr 1940 General Goltz die Seenotgruppe anbot. Es war dies ein fliegender Verband, bestehend aus Seeflugzeugen vom Typ He 59 und Do 24, später auch aus anderen Typen, dessen Aufgabe es war, ins Meer gestürzte Flieger, und zwar Freund und Feind, zu retten. Diese Aufgabe schien zunächst wenig Kriegsruhm einzubringen; dennoch griff ich zu und hatte in Zukunft diesen Entschluß nicht zu bereuen.
Denn der Einsatz der Seenotstaffeln, die stets vom Feind bei ihrer Tätigkeit angegriffen wurden, setzte den gleichen Mut und die gleiche Opferbereitschaft voraus wie ein Bombenangriff auf eine englische Stadt.
Unsere Verluste dürften sogar höher gewesen sein. Nach dem Zusammenbruch kam mir die besondere Bedeutung meiner Aufgabe erst voll zum Bewußtsein.
Meinen Gefechtsstand richtete ich mir auf Norderney ein, während die Staffeln auf sämtliche von uns besetzten Küsten Europas und Nordafrikas verteilt waren, soweit dort Kampfhandlungen stattfanden. In die Norderneyer Zeit fiel eine Rettungsaktion unter der englischen Küste, die ich persönlich durchführte und die einen höchst dramatischen Verlauf nahm, ferner die sehr interessante Aufgabe, eine Seestaffel auf dem Landwege von Norderney nach Varna am Schwarzen Meer zu überführen. Wir machten dabei eine Zwischenlandung auf der Donau in unmittelbarer Nähe von Wien.
Anfang 1941 verlegte ich meinen Sitz auf den Seefliegerhorst Schellingwoude bei Amsterdam, da ich hier näher am Haupteinsatzgebiet des Seenotdienstes war. Dieses Jahr war für mich persönlich recht bewegt.
Im Frühjahr stürzte ich über dem Hafen von Cherbourg zusammen mit dem Staffelkapitän der dort stationierten Seenotstaffel und meinem Adjutanten ab. Ein Wunder rettete uns.
Im Juni wurde Heidrun geboren, was mir durch Oberst Jordan von Berlin aus telefonisch übermittelt wurde.
Und endlich wurde ich - noch als Major - zum Seenotführer der Luftflotte 3 ernannt, rückte damit in die Stelllung eines Regimentskommandeurs und war am Einsatz unmittelbar beteiligt.
Meinen Gefechtsstand errichtete ich in Cabourg an der Seine-Bucht unmittelbar der englischen Küste gegenüber. Da die eigene Küste immer mehr unter die Kontrolle der Engländer geriet, mußte ich auf Befehl der Luftflotte meinen Sitz zurückverlegen. Um in nächster Nähe der Flotte zu sein, siedelte ich nach Paris über, wo mein Stab beste Unterkunft im Vorort Sevres fand.
Noch in Cabourg war ich zum Oberstleutnant befördert worden. Von Paris aus machte ich Vorschläge zu einer grundlegenden Neuorganisation des Seenotdienstes mit dem Ziel, aus der unbeweglichen Bodenorganisation eine mobile Einsatztruppe zu machen.
Die Vorschläge fanden die Billigung es Generalstabes, und eine unmittelbare Folge dieser Vorschläge mag es gewesen sein, daß ich im November 1942 zum Inspekteur des Seenotdienstes der Luftwaffe un zum Nachfolger des Generals Goltz ernannt wurde. Damit rückte ich als Oberstleutnant in die Stellung eines Divisionsgenerals. Neben der Ehre erfreute mich der Umstand, daß ich mit meiner Versetzung ins Hauptquartier der Luftwaffe ganz in die Nähe meiner Familie kam; denn der Sitz der L.In.16, wie deie Inspektion des Seenotdienstes hieß, war Wildpark-Werder bei Potsdam. Von hier aus konnte ich öfter meine Familie besuchen, wenn auch meist nur gelegentlich von Dienstfahrten nach Berlin.
Meine neue Stellung öffnete mir praktisch ganz Europa. Sehr häufige Inspektionsreisen führten mich nach dem Balkan, zur Krim, auf die Insel Kreta, nach Italien, Nordafrika, Rußland, Finnland und Skandinavien. Mein nördlichster Punkt war Hammerfest, der südlichste Tripolis.
Bis 1943 war meine Inspektionstätigkeit eine sehr fruchtbare. Ich war so von meiner Aufgabe besessen und so häufig von meinem Dienstsitz abwesend, daß meine schon lange anstehende Beförderung sowohl von mir als auch von meinem Vorgesetzten, General Seidel, vergessen wurde. Fast heimlich wurde sie im Frühjahr 1944 nachgeholt.
Mit dem Jahre 1944 begann ein rapider Abbau, und man war zu fortdauernden Improvisationen gezwungen. Ich mußte meine Dienststelle verlegen und ging zuerst nach Brandenburg a.d.H.
Später siedelte ich nach Dresden über, wo wir auf Schloß Nöthnitz bei Bannewitz eine schöne und einigermaßen sichere Unterkunft erhielten. Aber praktisch waren wir lahmgelegt, da die Nachrichtenverbindungen nur mit Mühe aufrecht erhalten werden konnten.
In Nöthnitz erhielt ich öfters Besuch von meiner Frau und den beiden Jüngsten, die seit Ende 1943 bei meiner Mutter in Lübbenau wohnten. Meine Tätigkeit als Inpekteur endete am 31. Dezember 1944. An diesem Tage wurde die L.In.16 aufgelöst.
General Zcech überbrachte mir zum Abschied das Deutsche Kreuz in Silber.
Da für mich zunächst keine Verwendung vorhanden war und ich wegen eines Herzmuskelschadens schon lange behandelt werden sollte, ließ ich mich durch das Luftgaukommando IV, Dresden, in das Luftwaffenlazarett Riesa überweisen. Hier machte ich eine Strophantinbehandlung durch. Ein grausiges Erlebnis wurde mir dort der Untergang Dresdens, den ich auf freiem Felde stehend mit ansehen mußte.
Von Riesa aus organisierte ich die „Flucht“ meiner Familie aus Lübbenau, was unter den damaligen Verhältnissen ein Wagnis war. Es gelang mir aber, meine Frau und die beiden Kleinen, Heidjer und Heidrunh, nach Riesa zu holen. Von hier aus furh ich eines Tages mit ihnen weiter in Richtung Bayern. Nach abenteuerlicher Fahrt kamen wir eines Morgens - natürlich bei Fliegeralarm - in Fürth an und marschierten einig zum Flugplatz, wo wir in Trübenbachs Haus ein Unterkommen fanden.
Mit der Anwartschaft auf eine Kurbehandlung in einem Herzbad wurde ich aus dem Lazarett Riesa zunächst zu meiner Familie entlassen. Dort erreichte mich die Kommandierung zur Frontfliegersammelgruppe Quedlinburg. Praktisch war ich auch hier zur Untätigkeit verurteilt, und so betrieb ich meine Kommandierung zur Kurbehandlung mit dem Erfolg, daß man mich einem Kurlazarett in Bad Liebenstein (Thür.) überwies. Hier erlebte ich das langsame Heranrücken der Amerikaner. Um ihnen nicht hier in die Hand zu fallen und möglichst in der Nähe meiner Familie zu sein, wenn die Ereignisse sich überstürzten, ließ ich mich nach Fürth beurlauben. Von hier aus meldete ich mich beim Luftwaffen-Personalamt, das in der Verlegung von Berlin nach Rosenheim begriffen war.
Und es geschaft das Unbegreifliche, daß ich noch am 1. April 1945 zur Luftflotte 6, die zu dieser Zeit in Treuenbriezen lag, kommandiert wurde, angeblich um dort Führer der über der Ostsee operierenden fliegenden Verbände der Luftflotte zu werden. Man flüsterte mir zu, das wäre notwendig, um mich demnächst zum General zu machen.
So blieb mir weiter nichts übrig, als mich auf den Weg zu machen. Da Züge nur noch selten verkehrten, trampte ich treu und brav auf der Autobahn Würzburg - Berlin per Anhalter, wie man heute sagt, kurze Strecken auch mal ein Zügle benutzend, und kam nach drei Tagen wirklich in Treuenbriezen an. Man machte große Augen, als ich mich meldete. Fliegende Verbände? Man hatte schon lange keine mehr und befand sich auf der Verlegung ins - Sudetenland.
Ich faßte schnelle Entschlüsse: 1. Ließ ich mir einen Marschbefehl zum Personalamt nach Rosenheim geben, 2. Rief ich Fridthjof an, der noch immer in unserer Berliner Wohnung hauste, und wies ihn an, schnellstens Berlin zu verlassen und sich nach Fürth durchzuschlagen, 3. Bat ich die Luftflotte, mich einem Transport ins Sudetenland anschließen zu dürfen und 4. Veranlaßte ich den mir zur Verfügung gestellten L.K.W., über Lübbenau zu fahren. Dort trafen wir in einer pechschwarzen Nacht ein.
Ich ließ vor der Wohnung meiner Mutter halten und weckte sie. Es wurde ein schmerzlicher Abschied. Wir wußten, daß wir uns lebend nicht wiedersehen würden.
In der Gegend von Eger erreichten wir unseren Bestimmungsort. Nach eintägigem Warten bekam ich eine Gelegenheit, meine Reise in Richtung Nürnberg fortzusetzen und langte glücklich zu Hause, d.h. auf dem Flugplatz Fürth, an.
Die Ereignisse überstürzten sich. Die Amerikaner rückten langsam auf Nürnberg vor. Der Flugplatz wurde geräumt; ich blieb allein zurück. Um meine Familie vor einem eventuellen Bombardement zu schützen, schickte ich sie nach Vach, einem scheußlichen Dorf bei Fürth, in den schon lange von uns als Luftschutzbunker benutzen Felsenkeller, während ich selbst den Amerikaner, in voller Uniform vor meinem Haus sitzend, erwartete.
Erst am Abend klingelte es an der Haustür. Es erschien ein amerikanisches Kommando von 2 Mann. Ich wurde verhaftet und war somit Kriegsgefangener.
Ohne eine Nachricht zurücklassen zu können, ohne Abschied von meiner Familie, ohne Schutz gegen das noch recht nasse und kalte Aprilwetter wrude ich zu einer Gefangenen-Sammelstelle gebracht und von dort in ein Auffanglager nahe bei Würzburg. Weiter ging es westwärts bis Böhl-Iggelheim in der Nähe von Worms. Die Unterbringung war katastrophal, die Versorgung vor allem der Kranken und Verwundeten völlig unzureichend.
Ich verbrachte ganze Nächte stehend in strömendem Reen ohne Dach überm Kopf. Der Boden war buchstäblich knietief aufgeweicht. Ich war daher froh, als nach einigen Tagen einOffizierstransport in Richtung Südfrankreich abging. In Viehwagen lagen wir zusammengepfercht, hatten es aber wenigstens warm und trocken. Als Reise- und Leidensgefährten traf ich in meinem Wagen den württembergischen Pfarrer Christoph Duncker, den ich schon im lager Böhl kennen- und schätzengelernt hatte.
Er wurde mir im neuen Lager ein treuer Freund und Seelsorger, der meinem Leben eine entscheidende Wendung gegeben hat.
Der Zug rollte das Rhonetal hinunter bis kurz vor Marseille. Dort nahm uns das Lager 404 auf, das als amerikanisches Hungerlager berüchtigt wurde.
Im Sommer 1945 hätte ich von hier aus entlassen werden lönnen. Ich hatte mir aber in den Kopf gesetzt, die Entlassung nicht eher anzunehmen, als bis mich die Amerikaner wieder in den körperlichen Zustand gebracht hätten, in dem ich mich vor meiner Gefangenschaft befand. Das wurde mir zum Verhängnis. Denn im September kam es zu einer Entlassungssperre für Obersten, und ich saß in der Falle.
Im Lager haben wir sehr geungert. Aber nicht das war für mich Sinn und Bedeutung dieser Zeit und der Erwähnung und Erinnerung wert, sondern allein der vollständige innere Wandel zum christlichen Glauben, den ich im Lager 404 erfuhr. Ich schloß mich einem kleinen Kreis um Pfarrer Duncker an und legte damit den Grund für meine Tätigkeit, ja für meine ganze Existenz nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft.
Schneller als vorgesehen konnte ich das Lager verlassen, da ich in den Verdacht geriet, tbc-krank zu sein. Das machte meine Überführung in ein deutsches Lazarett notwendig. Es war Idstein am Taunus.
Später wurde ich in das Tbc-Heim Falkenstein am Taunus verlegt. Hier geschah wiederum eines von den Wundern, wie ich sie schon im Lager erlebt hatte; denn meine Krankheit stellte sich als Fehldiagnose heraus.
Ich war aber der Hölle 404 entronnen.
In Falkenstein kam es zum ersten Treffen mit meiner Frau und später auch mit den Kindern. Die Familie hatte sich in Vach zusammengefunden. Es fehlte nur Fritz in der Runde. Wir erfuhren schließlich, daß er sich als englischer Kriegsgefangener in Ägypten befand.
Meine Mutter starb kurz vor ihrem 74. Geburtstag an Entkräftung und Lebensüberdruß.
Nach vielem Hin und Her wurde ich endlich am 20. April 1946 entlassen. Zusammen mit meiner Frau und zwei Kindern furh ich über Frankfurt nach Vach. Hier war meiner Familie gerade nach Monaten unwürdigen Hausens so etwas zugesprochen worden, was man eine Wohnung nennen konnte. Wir lebten zu viert oder fünft in zwei kleinen, feuchten Räumen und teilten somit mit 99% der Bevölkerung das Schicksal einer total besiegten Nation. Auf dem Arbeitsamt, asu dem mir der ganze Haß des Kommunismus gegen den Offiziersstand entgegenschlug, vermittelte man mir eine Stelle als Bauhilfsarbeiter. Bei einem famosen Bauunternehmer, Herrn Steininger aus Vach, fronte ich monatelang im Schweiße meines Angesichts. Aber ich erhielt Geld und erhöhte Lebensmittelrationen.
Dann gelang es mir, in einer Spielwarenfabrik als Maler unterzukommen. Fridthjof betätigte sich kunstgewerblich, was damals viel Geld einbrachte. Er trug wesentlich zum Unterhalt der Familie bei.
Im Jahre 1948 kam am Gründonnerstag überraschend Fritz aus seiner afrikanischen Kriegsgefangenschaft zurück. So war die ganze Familie vollzählig beisammen.
Um diese Zeit hatte ich die Verbindung zu Pfarrer Duncker wiedergewonnen. Mit seiner Hilfe fand ich eine Betätigung innerhalb der württembergischen Taunuskirche. Nach Absolvierung eines Kurzlehrganges wurde ich als Religionshilfslehrer in Weiler a.d. Rems eingesetzt. Nach Teilnahme an einem ordentlichen Lehrgang erhielt ich im Februar 1949 eine Planstelle als Religionslehrer in Schorndorf.
Schon nach kurzer Zeit konnte ich meine Familie aus Vach nachkommen lassen. Nur Fridthjof blieb in Fürth zurück.
Schorndorf, dieses reizende Städtchen im Remstal, hätte die letzte Station meines Lebens werden können. Meine Arbeit an den mir anvertrauten Kindern tat ich mit ganzer Hingabe. Leider brach ich im Sommer 1951 körperlich vollkommen zusammen. Ich war nicht mehr in der Lage, Unterricht zu geben und so sah ich mich gezwungen, mich von der mir so lieb gewordenen Arbeit zu trennen. Ich wurde von der Kirche entlassen und stand wie schon einmal am Beginn unserer Ehe vor einem Nichts. Aber ein neues Wunder geschah. Wenige Monate zuvor war das sog. 131er-Gesetz verabschiedet worden, nach welchem den ehemaligen Berufssoldaten ein Versorgungsanspruch zugebilligt wurde. So erhielt ich ohne daß eine Unterbrechung meines monatlichen Einkommens eingetreten wäre, zwar aus anderer Quelle ein Gehalt, das zusammen mit den Zahlungen der Krankenkasse mein bisheriges Einkommen sogar überstieg.
Da an eine Wiederherstellung meiner Gesundheit bis zur vollen Erwerbsfähigkeit nicht zu denken war, wurde ich im Frühjahr 1952 pensioniert.
Langsam besserte sich mein desperater Zustand. Um nicht untätig zu bleiben, versuchte ich Nachhilfeunterricht zu geben. Bald hatte ich Erfolg damit. Mathematik, Latein, Englisch, Französisch und Deutsch waren meine Hauptfächer. Meine Schulkenntnisse konnte ich schnell auffrischen und beträchtlich erweitern. So verbrachten wir noch eine recht angenehme Zeit in Schorndorf, das uns fast zur Heimat geworden war.
Da aber die Frage nach der Zukunft unserer beiden schulpflichtigen Kinder immer brennender wurde, mußten wir dem Gedanken nähertreten, in eine Stadt zu ziehen, die alle Möglichkeiten der Berufsausbildung bot. Unsere Sehnsucht trieb uns nach Norddeutschland, un so rollte eines Tages der Möbelwagen mit unserer Habe und uns selbst gen Norden. Unser Ziel war Hamburg, in dem wir am 8. Novemmber 1955 unsere Zelte aufschlugen.
Sogleich war ich wieder um eine Tätigkeit bemüht. Herr Boysen, der Chef der Firma C. Plath, mit dem ich früher als Navigationsfachmann gut zusammengearbeitet hatte, sowie mein Crewkamerad Dr. Ulrich Köhn, ein alter treuer Freund, hätten mich wohl untergebracht, aber ich hatte Bedenken, mich zu binden. Auch fühlte ich mich nicht kräftig und gesund genug, inn einem modernen Industriebetriebe mit seinem höllischen Tempo acht Stunden am Tag tätig zu sein.
So bemühte ich mich wie in Schorndorf um Nachhilfeschüler und hatte bald eine kleine Schar um mich versammelt. Die Anforderungen, die von den Schülern an mich gestellt wruden, waren wesentlich höher, als ich’s von Schorndorf her gewöhnt war.
1956 erkrankte ich schwer an einem akuten Nierenleiden, das mich fast das Leben gekostet hätte. Durch Gottes Gnade blieb ich den Meinen erhalten.
Im Mai 1957 nahm Fritz Antje Jordan zur Frau. Sie ist die Tochter unseres alten Freundes Jordan, genannt Männe. So fanden nach den Freunden auch die Sippen zueinander.
An meinem 60. Geburtstage wrude mir mein erstes Enkelkind, Holger, geschenkt. Ihm folgte ein Jahr später unser Enkeltöchterchen Cornelia.
Fridthjof, der schon 1952 nach Berlin übersiedelte, um die dortige Photoschule zu besuchen, hat nun auch seinen Lebensgefährten gefunden und wird am 17. August 11959 seinen Bund mit Ursel Keller schließen. Heidjer verließ Ostern 1957 mit der mittleren Reife die Schule und begann die Lehrausbildung als Feinmechaniker bei der Deutschen Lufthansa. Heidrun steht im letzten Schuljahr und hofft, Ostern 1960 ihr Abitur zu bestehen. Sie will sich anschleiend der Schulmusik widmen.
Schon wieder sind seit unseren Umzug nach Hamburg vier Jahre vergangen. Wohin uns die Zukunft führen wird, wissen wir nicht. Eine Heimat ist mir Hamburg nicht geworden.
Immer stärker zieht es micht dorthin, wohin zu gelangen im Augenblick schwerer ist als nach dem Nordpol: nach Lübbenau, der Stätte meines Ursprungs. Selbst wenn ich es nicht erleben sollte, daß diese meine märkische Heimat frei wird, so würde mich doch jetzt der Gedanke froh machen, einmal in der heimatlichen Erde ruhen zu dürfen. Denn sie, die mütterliche, bleibt unberührt von den Irrungen und Wirrungen der törichten Menschen, die sie trägt.
Aber nicht mein, sondern Gottes Wille geschehe! Sein bin ich, wo auch immer mein Leib Ruhe finden wird.
Hans-Ulrich Klintzsch Frühjahr 1959
Zum Todesdatum von Hans Ulrich Klintzsch
BearbeitenHans Ulrich Klintzsch ist nicht 1940 gestorben. Er starb am 17 August 1959, am Tag der Hochzeit seines Sohnes Fridthjof. (nicht signierter Beitrag von 82.113.98.46 (Diskussion) 21:18, 10. Mai 2013 (CEST))