Diskussion:Mark Aurel

Letzter Kommentar: vor 8 Monaten von Barnos in Abschnitt Die Rechtsprechung des Kaisers
Diese Diskussionsseite dient dazu, Verbesserungen am Artikel Mark Aurel zu besprechen.
Persönliche Betrachtungen zum Artikelthema gehören nicht hierher.
Sei mutig im Verbessern dieses Artikels. Wenn du im Bearbeiten der Wikipedia unsicher bist, findest du hier das Wichtigste in Kürze. Schwerwiegende Qualitätsprobleme kannst du der Qualitätssicherung des Projekts Philosophie melden.

Portal Philosophie Projekt Philosophie

Diese Diskussionsseite dient dazu, Verbesserungen am Artikel „Mark Aurel“ zu besprechen. Persönliche Betrachtungen zum Thema gehören nicht hierher. Für allgemeine Wissensfragen gibt es die Auskunft.

Füge neue Diskussionsthemen unten an:

Klicke auf Abschnitt hinzufügen, um ein neues Diskussionsthema zu beginnen.
Archiv
Wie wird ein Archiv angelegt?

Tausende oder Zehntausende Märtyrer?

Bearbeiten

Euseb von Cäsarea gibt für 177 n.Chr. Tausende Martyriumsopfer an - oder Zehntausende (beide Übersetzungen habe ich gelesen). Welche Zahl steht im Griechischen, und wie ist das zu übersetzen?
Die Angabe findet sich in seiner Kirchengeschichte, gleich am Beginn des Buches V (in der praefatio):

"... durch die Hetze städtischer Einwohner ... Zehntausende Märtyrer ..."

Manche Althistoriker überlegen, ob Eusebius hier übertreibt. Aber dabei wäre es ein Unterschied, ob 1000e oder 10.000e.
Hat jemand die Dokumentation von Guyot/Klein: Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen (Bd.1, 1997) griffbereit? Dort könnten sich Angaben dazu finden. –– Franz Graf-Stuhlhofer, 22:05, 13. Feb. 2024 (CET)Beantworten

bei Eusebius steht μυριάδας μαρτύρων, und das wäre gewöhnlich mit zehntausend Märtyrer zu übersetzen (vgl. Pape-GDHW Bd. 2, S. 219). Allerdings kann die Angabe auch benutzt werden, um eine "unzählbare, große Menge" zum Ausdruck zu bringen (vgl. ebenfalls Pape ebd.). So kommt es wohl zu "Tausende" oder eben "Zehntausend". Beste Grüße Krešimir Matijević (Diskussion) 00:10, 14. Feb. 2024 (CET)Beantworten
das ist toll, dass wir hier solche Fachleute haben!
ist die korrekte wörtliche Übersetzung also "zehntausend" = (ungefähr) 10.000, aber nicht (mehrere) "zehntausende", was z.B. 30.000 bedeuten könnte? –– Franz Graf-Stuhlhofer, 10:58, 14. Feb. 2024 (CET)Beantworten
Ganz wörtlich tatsächlich "zehntausende", da es sich um einen Plural handelt. Ohne Zahl vor dem Wort Myriaden kann aber auch eine "unzählbare, große Menge" (siehe Pape) gemeint sein. Wenn Eusebius, wie in hist. eccl. 2,19, es genau ausdrücken will, setzt er eine Zahl davor: in 2,19 spricht er von drei Myriaden = 30.000. Beste Grüße Krešimir Matijević (Diskussion) 11:26, 14. Feb. 2024 (CET)Beantworten
danke, das hilft mir sehr, weil ich im Altgriechischen nicht sattelfest bin.
eben las ich: myriádas pente = 50.000, in Apg 19,19 - der Wert der verbrannten Bücher über Zauberei.
Der Vergleich mit der anderen Eusebius-Stelle mit 30.000 beim Tempel zu Tode gedrückten Juden ist aufschlussreich. Das wäre ein Indiz dafür, dass bei den - ohne genaue Zahl davor - myriádas Märtyrern die übertragene Bedeutung zu bevorzugen ist.
Wobei bei massenhaften Hinrichtungen der Eindruck einer "riesigen Menge" schon bald entstehen kann. Das wäre ein ähnliches Thema wie bei der Christenverfolgung durch Nero, bei der Tacitus von multitudo ingens (ungeheure Menge) spricht. Bei 100 ziemlich gleichzeitig Ermordeten könnte man so formulieren. Während man in einem Fußballstadion vielleicht erst bei 100.000 Zuschauern von einer "ungeheuren Menge" spricht. Was als "viel" erscheint, ist relativ - je nachdem, was diesbezüglich "normal" ist. –– Franz Graf-Stuhlhofer, 12:04, 14. Feb. 2024 (CET)Beantworten

Bedeutung des Namens Aurelius

Bearbeiten

Vielleicht sollte man noch erläutern (oder einen Link setzen), was es mit dem Namen Aurelius auf sich hat. Antonius geht zurück auf seinen Adoptivvater, Augustus ist der Titel für Kaiser nach Augustus (da wäre für den Laien ein Link hilfreich), aber wie kommt es zu Aurelius, und was bedeutet der Name?--tombrenner (Diskussion) 12:44, 21. Feb. 2024 (CET)Beantworten

Die Rechtsprechung des Kaisers

Bearbeiten

Ich möchte in diesem Rahmen eine Diskussion zu dem hier vermittelten Bild des Kaisers anregen, das m. E. den innenpolitischen Zielen Mark Aurels nicht gerecht wird und ihn sehr auf seine Philosophie und einen darin begründeten Wohltätigkeitsgedanken begrenzt. Der Ruf des Philosophenkaisers und seiner gerechten Jurisdiktion wurde im letzten Jahrhundert oftmals positiv ausgelegt: u. a. als „Philosoph auf dem Kaiserthron“; „der ,humane Ethos‘ des stoischen Kaisers“ und der „Förderung der Freiheit‚ um jeden Preis‘“ (s. Th. Finkenauer, Die Rechtsetzung Mark Aurels zur Sklaverei (Stuttgart 2010) S. 8 mit weiterführender Literatur; u. a.zitiert er E. Renan, Marc-Aurèle et la fin du monde antique (Paris 1882) 22 f. 24 ff.; A. Piganiol, Les empereurs parlent aux esclaves, in: A. Piganiol, Scripta varia 3 (Brüssel 1973) 204 f. 211.; P. Noyen, Marc Aurel. Der größte Praktiker der Stoa, in: R. Klein (Hrsg.), Marc Aurel (Darmstadt 1979) 105–118; G. R. Stanton, Marc Aurel. Kaiser und Philosoph, in: R. Klein (Hrsg.), Marc Aurel (Darmstadt 1979) 360; O. Behrends, Prinzipat und Sklavenrecht. Zu den geistigen Grundlagen der augusteischen Verfassungsschöpfung, in: U. Immenga (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung (Göttingen 1980) 63; J. Garcia Sanchez, A propositó de D. 28.4.3.1, Marcelo, libro 29 digestorum, in: Studi in onore di Cesare Sanfilippo 3 (Mailand 1983) 321 f. Anm. 45 oder W. Waldstein, Operae libertorum. Untersuchungen zur Dienstpflicht freigelassener Sklaven (Stuttgart 1986) 205; B. Huwiler, Homo et res. Skizzen zur hellenistischen Theorie der Sklaverei und deren Einfluss auf das römische Recht, in: Mélanges Felix Wubbe (Fribourg 1993) 262 f. Anm. 351; W. Waldstein, Zur „Teilrechtsfähigkeit des Sklaven nach Kaiserrecht“, in: M. Avenarius – R. Meyer-Pritzl – C. Möller (Hrsg.), Ars iuris. Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag (Göttingen 2009) 598).

Es ergab sich demnach das allgemeine Verständnis, Mark Aurel müsse als Anhänger der Stoa die persönliche Freiheit eines jeden Individuums beschützen und fördern (s. dazu A. R. Birley, Marcus Aurelius. A Biography (London 1966) 179. 185 f. 275; A. M. Duff, Freedmen in the early Roman Empire ²(London 1958) 195; A. Wagner, Die soziale Entwicklung des Sklavenrechts in der römischen Kaiserzeit (Diss. Marburg 1968) 158; Noyen 1979, 109; B. Maier, Philosophie und römisches Kaisertum (Wien 1985) 307; P. Grimal, Marc Aurèle (Paris 1991) 264. 268; C. E. Manning, Stoicism and Slavery in the Roman Empire, in: ANRW 2. Principat Bd. 36, 3 (Berlin 1989) 1536 ff.)

Der neuere Forschungsansatz (zusammengefasst u. a. bei Finkenauer 2010) hebt den philosophischen Hintergrund des Kaisers in Bezug auf seine kaiserliche Pflichten nicht mehr hervor, da es sich bei der Gesetzgebung um streng geregelte, juristische und administrative Abläufe für den inneren Frieden und der Stabilisation des Reiches handelt und weniger einem sozialethischen, philosophischen Humanitätsgedanken entspringen.

Im Gegensatz finden sich z. B. in den stoischen Grundgedanken keine Aufrufe zur praktischen Umsetzung von Sklavenabschaffung, sondern sie fordern die geistige Freiheit und eine Unabhängigkeit von Emotionen und materiellen Einflüssen, um die angestrebte Glückseligkeit zu erlangen (M. Aur. 3,8. Ferner auch 2,2; 4, 31; 9, 29. 40; 10, 19; 11, 30).  Unter anderem bezeichnet Chrysipp Sklaverei als menschliche Arbeitsbeziehung, während Seneca um einen gütigen Umgang zwischen Herren und Sklaven ermahnt, sodass Sklaven kein Grund zur Auflehnung gegeben wird (Sen. benef. 3,21, 2. 22,1 und Sen. epist. 47,13; Sen. clem. 1,18,1). Dieser Ansatz entspricht dem allgemeinen Verständnis des antiken pater familias. Epiktet hingegen, selber als Sklave geboren und dessen Lehren die Inspirationsquelle des Kaisers Mark Aurel waren, predigt das Erlangen von wahrer Freiheit durch die Abwesenheit von Begierden, Sorgen und Affekten (Epikt. diatr. 4, 1, 1. 6 ff. 21). In keiner Weise wird weder bei Epiktet, selbst ein Sklave, als auch bei den Senatoren der frühen Kaiserzeit, z. B. Seneca, noch beim Kaiser Mark Aurel die antike Gesellschaftsordnung grundsätzlich in Frage gestellt.

Um nun die Wirkweise des römischen Rechts anhand von Mark Aurels Rechtsprechung nachzuempfinden, möchte ich an ausgewählten Beispielen ausführen, warum die oben genannten Aussagen „Innenpolitische Akzente setzte Mark Aurel in Gesetzgebung und Rechtsprechung bei der Erleichterung des Loses von Benachteiligten der damaligen römischen Gesellschaft, vor allem der Sklaven und Frauen.“ und „Seiner Selbstdarstellung als Stoiker auf dem Kaiserthron entsprechend, konzentrierte Mark Aurel sein Regierungshandeln, solange ihm dies möglich war, auf die inneren Strukturen des Reiches. Das besondere Augenmerk galt dabei den Schwachen und Benachteiligten der römischen Gesellschaft, den Sklaven, Frauen und Kindern, deren Situation er zu erleichtern suchte. Mehr als die Hälfte der überlieferten Gesetzgebungsakte des „Philosophen auf dem Kaiserthron“ zielten auf Verbesserung der Rechtsstellung und Freiheitsfähigkeit dieser Bevölkerungsgruppen. In gleicher Richtung hat er auch als oberstes Rechtsprechungsorgan des Reiches gewirkt, ein Amt, das er mit mustergültiger Sorgfalt und beispielloser Hingabe ausgeübt hat.“ eine Verklärung des antiken juristischen Tatbestandes sind:

Fast 40 Konstitutionen über die Rechtsprechung der Sklaven sind von Mark Aurel überliefert (ausführlich bei Finkenauer 2010 besprochen; insgesamt sind 350 bekannt). Viele Urteile werden in der älteren Forschung vereinzelt als besonders sklavenfreundlich und humanitär ausgelegt, da den Sklaven unter der Motivation der favor libertatis Recht gegeben worden sei. Jedoch berücksichtigt der Kaiser, der in keinem Fall alleine urteilte, sondern mit einem consilium an bedeutenden Juristen betraut war, in seiner Rechtsprechung stets die Interessen der Sklavenbesitzer (vgl. Finkenauer 2010, 90 f. Dazu M. Avenarius, Marc Aurel und die Dogmatik des römischen Privatrechts. Kaiserliche Rechtspflege im System der Rechtsquellen und die Ausfüllung von Gestaltungsspielräumen in einer Übergangszeit der Rechtsentwicklung, in: M. van Ackeren – J. Opsomer (Hrsg.) Selbstbetrachtungen und Selbstdarstellungen. Der Philosoph und Kaiser Marc Aurel im interdisziplinären Licht. Akten des Interdisziplinären Kolloquiums Köln 23. Bis 25. Juli 2009 (Wiesbaden 2012): „Gerade dieser princeps soll sich konsequent auf die Autorität und Mitverantwortung von Beratern gestützt haben. Dies belegen zahlreiche Reliefdarstellungen, wie etwa einige Abbildungen des Kaisers auf der Marc-Aurel-Säule. Für Rechtsangelegenheiten wird dieses Merkmal zudem in der Historia Augusta berichtet.“ s. dazu H. A. Marc. 11, 10. Ferner bei Ulp. dig. 37,14,17).

In Rechtstreitigkeiten um das Erbe wird die Freilassung unter Berücksichtigung der voluntas testatoris stattgegeben, damit das Testament nicht angreifbar ist. Bei Entscheidungen zu fideikommissarischen Freilassungen hingegen entschied der Kaiser oder die Kaiserbrüder immer entsprechend des Willen des Erblassers, sodass den Sklaven unter zuvor festgelegten Bedingungen die Freiheit gegeben wurde. Ebenso wurden Sklaven freigelassen, nachdem sie unter Auflage der Freilassung verkauft wurden. In diesen Fällen richtete sich Mark Aurel immer nach dem Veräußerer, wodurch den Sklaven oftmals zuvor die Freiheit zugesprochen wurde. Bei einem Freikauf des Sklaven aus eigener Tasche musste der Herr stets einverstanden sein, da ihm die peculium rechtlich gehörte. Über Abmachungen mit Dritten konnten die Patronatsrechte umgangen werden, sodass der Sklave unter Zustimmung seines Herren ein freies Leben führen konnte. Die Freiheit durch eine Erbnachlassfolge wurde von Mark Aurel ausgeweitet, sodass nicht nur die Sklaven als Schuldner eingesetzt werden und dadurch der Ehrverlust (ignominia) von den Erben verhindert wird, sondern er versucht eine Balance zwischen den nun Freigelassenen und den Gläubigern zu halten, da diese weiterhin den Anspruch auf den Nachlass behielten. Dies ist nur eine Auswahl an Rechtsprechungen, die die Doppeldeutigkeit in der Gesetzgebung zugrunde legen.

Tatsächlich reiht sich Mark Aurel aber in langer Tradition seiner Vorgänger Hadrian und Antoninus Pius ein, die ebenfalls in gewalttätigen Fällen zu Gunsten der geschädigten Sklaven geurteilt  haben (Gai. dig. 1,53; Ulp. dig. 1,6,2; 1,12,1,1. 8; coll. 3,3,4). Aber das Urteil zielte in diesen Fällen oftmals vordergründig auf den Schutz der Erbberechtigten ab, die das Recht auf Unversehrtheit ihres Eigentums hatten. Ebenso wird bei Mark Aurels Rechtsprechung die lex Fabia als Grundlage für die Bewahrung des Eigentumsrechts der Herren herangezogen. Dadurch schließt er sich seinen Vorgängern an und verbietet u. a. die Freilassung fremder Sklaven bei öffentlichen Spielen ohne Zustimmung des Besitzers (Paul. sent. 40,9,17; Cod. Iust. 7,1,3). Auch beim Einsatz von Sklaven in der Arena oder im Krieg behielt er sich das alleinige Staatsrecht vor, sodass der Kaiser und die Kanzlei alleinig Sklaven in die Arena und an die Front schicken konnten (SHA Aur. 21,6 f.). Ebenso ordnete Mark Aurel den Verkauf eines Sklaven an, der aus Angst fälschlich einen Mord gestanden hatte, um nicht zurück zu seinen Herren zu müssen. Dabei wurde zur Wahrheitsfindung das Instrument der Folter eingesetzt, unter der er seine Falschaussage zugab. Das Geld durch seinen Verkauf erhielt der Sklavenbesitzer als Entschädigung (Ulp. dig. 48,18,1,27. Zur Folter bei Sklaven s. auch Finkenauer 2010, 71–76). Die humanitas des Kaisers findet sich hier im angeblichen Schutz des Sklaven, der unter rechtlich angeordneter Folter die Wahrheit sprach, um weiterhin ein Sklavendasein in neuem Besitz zu führen. Diese Auswahl an Urteilen zeugen deutlich, dass sich die römische humanitas eher an der aequitas als am modernen Konzept der Humanität orientiert (Cod. Iust. 40,5,37; s. dazu auch C. Horst, Rezension zu: Finkenauer, Thomas: Die Rechtsetzung Mark Aurels zur Sklaverei. Stuttgart 2010, ISBN 978-3-515-09677-5, In: H-Soz-Kult, 25.07.2011, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-15213> (Stand: 14.02.2024)).

Der Kaiser verfolgte eine konservative Linie und urteilte programmatisch auf Grundlage der vorherrschenden Rechtsprechung seiner Vorgänger, die er gegebenenfalls noch nuancierter und präziser unterschied (s. U. Schall, Marc Aurel. Der Philosoph auf dem Cäsarenthron (München 1991) 230; G. Wöhrle, Der freie „Sklave“. Antike Sklaverei und das Konzept der „inneren“ Freiheit, in: E. Hermann-Otto (Hrsg.), Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis zur Gegenwart (Hildesheim 2005) 48; Finkenauer 2010, 91; Avenarius 2012, 207 f. Zur Wiederherstellung von altem Recht: H. A. 10,10; 11,10. Zur Gesetzgebung seines Vorgängers: M. Aur. 1,16,2-3. 6 sowie Cass. Dio 72,6,1-2 mit Einzelheiten zur Verfahrensleitung durch den Kaiser. Zur aufwendigen Rechtspflege des Mark Aurels s. K. Rosen, Marc Aurel ²(Reinbek 1998) 78 f.; J. Fündling, Marc Aurel (Darmstadt 2008) 84).

Weniger entwickelte er Neuregelungen und Gesetze. Zwar verabscheute er übermäßige Gewalt bei öffentlichen Schauspielen, aber schützte das Eigentumsrecht der Sklavenbesitzer, indem er ihnen freie Hand im Umgang mit den Sklaven ließ. In Ausnahmefällen nahm der Kaiser die Pflicht der Sittenaufsicht wahr, um der Gewalt der Herren gegen ihre Sklaven Einhalt zu gebieten und den sozialen Frieden zu schützen. Eine ausgeprägt humanitäre Gesetzgebungsakte des Kaisers, die auf eine "Verbesserung der Rechtsstellung und Freiheitsfähigkeit dieser Bevölkerungsgruppen" abzielte, ist jedoch im Hinblick auf eine rechtlich gestützte Folter im heutigen Sinne weitgefehlt und verklärt Mark Aurels Rechtsetzung zu einer philosophisch geprägten Wohltätigkeitsgesetzgebung. Seine stoischen Ansichten bilden kaum eine Grundlage zu den kaiserlichen Konstitutionen, erkennbare Ansätze lassen sich in der Wertung der stoischen Ethik erkennen, aber nicht als rechtstheoretische Konsequenz deuten, sodass der Titel des „Philosophen auf dem Thron“ relativiert werden muss.

Gleiches lässt sich ebenfalls zu der Gesetzgebung der Alimentarstiftungen an Kinder feststellen (Literatur: S. Mrozek, Zu der kaiserlichen und privaten Kinderfürsorge in Italien im 2. Und 3. Jh., Klio 55, passim; Demandt 2018, passim; G. Seelentag, Der Kaiser als Fürsorger. Die italische Alimentarinstitution, Historia 57 H. 2, 2008, 209. s. dazu auch Garnsey, P. / Woolf, G. (1989): Patronage of the Rural Poor in the Roman World; in: Wallace-Hadrill, A. (Hg.): Patronage in Ancient Society; London / New York, 153-170; Woolf, G. (1990): Food, Poverty and Patronage. The Significance of the Roman Alimentary Inscriptions in the Epigraphy of Roman Italy; in: PBSR 59, 197-228; Wierschowski, L. (1998): Die Alimentarinstitution Nervas und Trajans. Ein Programm fiir die Armen?; in: Kneißl, P. / Losemann, V. (Hgg.): Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift für Karl Christ zum 75. Geburtstag (Stuttgart):

Alimentarstiftungen wurden bereits unter Kaiser Nerva eingeführt  und von seinen Nachfolgern stetig ausgebaut. Bei diesen Alimentarstiftungen handelte es sich anfangs um Nahrungsmittel, später um eine Art Kindergeld, welches ab dem 2. Jh. n. Chr. in italischen Städten durch den Kaiser oder auch Privatstiftungen monatlich an Jungen und Mädchen einer bestimmten Altersgruppe ausgegeben wurde. Ab der Regierungszeit des Antoninus Pius wurden auch Mädchen in die Fürsorgestiftungen eingebracht, welche sich anfangs mehr an Jungen gerichtet hatten. Diese Kinderfürsorge ist bis in die severische Zeit belegt. Bei den Alimentarstiftungen handelt es sich nicht um eine Armenfürsorge, wie es im modernen Sinne einer materiellen Zuwendung für Bedürftige Gruppen entspricht, sondern vielmehr ist die antike Form der  Fürsorge den freigeborenen Kindern zugedacht, die dadurch prestigeträchtige Unterstützung bekamen und weniger für die Bedürftigeren unehelichen Kinder. Denn in der Antike gilt die kaiserliche Zuwendung, ob materiell oder durch Gesten, als eine Form der Statusaufwertung und ist somit mit Privilegien verbunden. Folglich dienen die kaiserlichen Alimenta als öffentlichkeitswirksame Selbstdarstellung des fürsorglichen Princeps.

Die Alimentarstiftungen standen unter der Obhut der Präfekten und begrenzten sich auf das italische Kernland und Stadt-Rom. Unter Mark Aurel förderten die Prokuratoren die Einnahme von Steuern auf Freilassung und Erbsteuer (vicesima hereditatium und libertatis). Diese waren die einzigen Steuern, die in Rom und Umland erhoben wurden. Für die Auskünfte wurden die munizipalen Magistraten befragt (vgl. W. Eck, Administration and Jurisdication, in: M. van Ackeren (Hrsg.), A Companion to Marcus Aurelius (Oxford 2012) 194; Demandt 2018, 304 f.).  Neben den Alimentarstiftungen richtete Mark Aurel erstmalig ein Amt mit 4 senatorischen Amtsinhabern (iuridici) ein, die für die freiwillige Gerichtsbarkeit im Umland Roms zuständig waren und sich um die Vormundschaft für Waisen kümmerten, deren Anzahl Mitte der 160er Jahre massiv anstieg. Waisen standen unter der Vormundschaft eines praetor tutelarius, welcher oftmals Vermögen veruntreute, sodass durch die neuen Magistrate Reisen nach Rom obsolet wurden und eine übergeordnete Instanz das Recht der Schützlinge bewahrte. In dieses System fallen jedoch auch Frauen. Bis zur Regierung unter Hadrian konnten Frauen testamentarisch nur treuhänderisch unter der coemptio testamenti faciendi causa betreut werden. Seit der 1. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. wurde dies ebenfalls abgeschafft und Frauen erlangten beinahe dieselben erbrechtlichen Zugeständnisse wie ihre Brüder (Zu den Rechten der Frau unter Mark aurels Regierung s. auch Y. Thomas, die Teilung der Geschlechter im römischen Recht, in: P. Schmitt Pantel (Hrsg.), Die Geschichte der Frauen I. Antike (Frankfurt 1993) 135-137). 178 n. Chr. bot sich durch den Orfitianischen Senatsbeschluß (senatus consultum Orphitianum) die Möglichkeit der Erbfolge von Müttern auf ihre legitimen Kinder. Dadurch erhielten Frauen in der Erbfolge scheinbar denselben Legitimationsstatus wie Männer. Das Ausmaß der Neuregelung ist bei Ulpian verzeichnet. Laut der XII-Tafelgesetze konnten Frauen rechtlich keine Kinder beerben. Ein Gesetz der Kaiser Mark Aurel und Commodus entschied, dass Kindern ebenfalls eine legitime Erbfolge ihrer Mütter zustand, auch wenn diese nicht nach den Regeln der manus-Ehe verheiratet waren und somit nicht derselben Familienpotestas angehörten (Ulp. dig. 26,7). Andere Agnaten konnten zugunsten der Kinder nicht beerbt werden. Dennoch blieben die Erben der Mutter im Vergleich zum Vater unterprivilegiert und Erben zweiten Grades. Die Kinder mussten somit ihren Erbschaftsantritt immer bestätigen, sodass nach Ablehnung die agnatischen Verwandten dennoch erben konnten.

Zusammenfassend ändert sich jedoch nichts an den allgemeinen Bürgerdiensten, die in der patriarchischen Rechtswelt des römischen Reiches bestand hielt. Demnach konnten Frauen keine officia übernehmen. Diese beinhalteten u. a. Vormundschaften, Stellvertretungen und auch die intercessio, das Eintreten als Bürge, sowie auch die Vermögensverwaltung, private Klagen vor Gericht und auch öffentliche Anklagen vor dem Volk.

In den Gesetzgebungen des Kaisers Mark Aurel finden sich kleinere Nuancen der wohlwollenden Rechtsprechung für benachteiligte Gruppen, aber es lässt sich kein Novum finden, welches die römische Gesellschaftsordnung in Frage gestellt hat, geschweige denn diese im modernen Sinne eines humanitären Herrschers umstrukturierte, wie es der stark vereinfachte Wikipedia-Artikel momentan suggeriert. Mark Aurel hat lediglich bestehende Gesetze aufgegriffen und anhand des gegebenen Interpretationsspielraums den juristischen Rahmen ausdifferenziert und neu bewertet, sodass im Einzelfall auch benachteiligte Gruppen profitieren konnten. Er legte jedoch keinen Hauptfokus auf eine sozialpolitische Agenda, die auch noch durch seine philosophischen Ansichten geprägt war, was im Rahmen seines Beraterstabs und der Kanzlei vermutlich auch gar nicht möglich gewesen wäre. Daher schlage ich entsprechend der obigen Ausführungen eine Entschärfung des Wortlautes vor, der in der Einleitung als auch im Absatz zur Innenpolitik vorliegt.


--Hasejohn (Diskussion) 11:34, 20. Mär. 2024 (CET)Beantworten

Danke für die ungemein detaillierte Begründung Deiner Modifizierungsimpulse, die im Wesentlichen den zweiten Absatz im Abschnitt "Innenpolitik" betreffen, auf den sich auch die entsprechende Aussage in der Einleitung bezieht. Nach gegenwärtigem Wikipedia-Entwicklungsstand zu bemängeln ist primär das Fehlen jeglichen Literaturnachweises für die in besagtem Absatz vorliegenden Aussagen. Vor allem diesbezüglich ist also Abhilfe nötig. Mein Vorschlag ist die Heranziehung der neueren Demandt-Gesamtdarstellung zu Marc Aurel (Gesetzgebung allgemein: S. 282 f.; Sklaverei im Rechtswesen: S. 284-91; Familienpolitik, Erbrecht, Vormundschaftsregelungen: S. 304-308), erschienen 2018, also acht Jahre nach Finkenauers Spezialmonographie betreffs Rechtssetzung Marc Aurels zur Sklaverei. In einer Anmerkung ließe sich Finkenauers Akzent zusätzlich berücksichtigen, wobei insgesamt festzuhalten bliebe, was in Claudia Horsts Finkenauer-Rezension bereits anklingt, dass es doch arg anachronistisch anmutet, den an universellen Menschenrechten orientierten heutigen Humanitätsbegriff zum Maßstab für das 2. Jahrhundert n. Chr. im Römischen Reich zu machen.
Einen Deine Bedenken berücksichtigenden geänderten Eintrag könnte ich morgen vorlegen. Freundlich grüßend -- Barnos (Post) 11:34, 21. Mär. 2024 (CET)Beantworten
Habe soeben die Anpassung vorgenommen, Hasejohn, im Rahmen des Angemessenen Deinen Einwänden hoffentlich einigermaßen Rechnung tragend. -- Barnos (Post) 12:28, 22. Mär. 2024 (CET)Beantworten