Diskussion:Nietzsche contra Wagner
Letzter Kommentar: vor 12 Jahren von 93.50.221.252 in Abschnitt Merkwürdig
Merkwürdig
BearbeitenBeitrag kopiert von Diskussion:Friedrich Nietzsche:
- Es ist merkwürdig, dass als Grund für die Entfremdung zwischen Nietzsche und Wagner immer noch der Parsifal und Wagners "zu Kreuze kriechen" vor dem Christentum (lt. Nietzsche) überall angegeben wird. Der Parsifal und Bayreuth mögen eine Rolle gespielt haben. Aber seit der Quellenarbeit Martin Gregor-Dellins (1980) sollte bekannt sein, dass der Hauptgrund doch wohl eher in der tödlichen Beleidigung Nietzsches durch Wagners Indiskretion bezüglich Nietzsches angeblich gestörter Sexualität zu suchen ist. Diese Kränkung ist aus der Zeit heraus mehr als verständlich. Ebenso verständlich, dass Nietzsche seine Empörung über diese Peinlichkeit nur wenigen Leuten in Briefen mitgeteilt hat. Wagner korrespondierte 1877 mit Nietzsches behandelden Arzt bezüglich Nietzsches Augenleiden. Dabei äußerte Wagner seine Überzeugung, Nietzsches Leiden hätte seine Ursache in einer Schädigung des Rückenmarks durch exzessive Onanie (eine Ansicht, die zeitbedingt sehr verbreitet war). Der Arzt, seine Schweigepflicht brechend und Inhalte seiner Gespräche mit seinem Patienten wiedergebend, stimmte in Wagners Analyse ein. Der Inhalt dieser Korrespondenz sprach sich in Bayreuth wohl irgendwie herum (möglicherweise durch Wolzogen), wovon Nietzsche dann erfahren hat. Die menschliche Enttäuschung durch seinen "Halbgott" hat ohne Zweifel bei Nietzsche eine tiefe Wunde gerissen. Nichtsdestotrotz hat Nietzsche lt. der Quellen bei Gregor-Dellin noch lange Zeit auf eine Art Entschuldigung durch Wagner und eine Wiederherstellung der Beziehung, ja sogar auf eine Einladung nach Bayreuth gehofft. Die Beziehung ließ ihn auch nach Wagners Tod nicht los, und es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, Nietzsche war bis zu seiner geistigen Umnachtung und seinem Tod von Wagner besessen. Die Heftigkeit der Kritik Nietzsches an Wagner muss also auch in diesem "privaten" Licht betrachtet werden. Außerdem hat N. viele seiner kritischen Äußerungen zu Wagner (z. B. das berühmte und von Wagner-Gegnern gerne und viel zitierte Lob der Carmen-Oper) später an anderer Stelle ironisiert und das Parsifal-Vorspiel über alle Maßen gelobt. Das Ganze war schlicht nicht so gemeint wie es gern dargestellt wird und ist mehr aus dem persönlichen Affekt heraus zu verstehen. Von Wagner-Gegnern wird die Abkehr Nietzsches von Wagner gern dankbar als Ausdruck einer massiven Kulturkritik ausgebreitet, mit der man sich natürlich gern solidarisiert, nach dem Motto "selbst Nietzsche hat seinen Irrtum eingesehen und konnte Wagner nicht mehr leiden, also der wird ja wohl recht haben". Gänzlich absurd wird es zu behaupten, bei dieser Abkehr hätte Wagners Antisemitismus für N. eine Rolle gespielt, wie uns z. B. der Wagner-Hasser Gottfried Wagner (Urenkel) weißmachen will. Das würde ihm gewiss gut in sein wagnerfeindliches Konzept passen, überzeugt angesichts der Quellenlage aber ebenso wenig, wie seine Versuche, einen Gegensatz zwischen Wagner und Liszt aufzubauen. mh 18.03.2010
(nicht signierter Beitrag von 84.131.10.231 (Diskussion | Beiträge) 21:53, 18. Mär. 2010 (CET))
- Eine kurze Inhaltswiedergabe der Schrift fehlt im Artikel. Ob dies nun alles Vorwände Nietzsches waren, um sich für Beleidigungen vonseiten Wagners zu entschädigen, tut zunächst wenig zur Sache. Schlechthin wird die Sache weder berührt noch kritisiert, indem man die Person behandelt. Ergänzende biographische Hintergründe mögen vielleicht erst weiter unten im Artikel ihren durchaus berechtigten Platz finden. Sehr umgekehrt in diesem Punkt, verfahren beispielsweise die englischsprachigen Autoren, nicht ein Teil der Geschichte des eigenen Landes zu sein, lässt sie das Thema scheinbar sachlicher angehen. Die Sache betrifft Nietzsches Kritik der neuen Musik, das Freiwerden von Rhythmus und Form, das Wagner zweifellos mit eingeleitet hat. Alsdann Nietzsches Stellung zum Theater und seine Auffassung der Romantik, mit der er übrigens nicht alleine war. Auf Goethe, als Gegenstück zu Wagner, wird zweimal in der Schrift Bezug genommen. „Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke. Und da sind die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind gesund und tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht klassisch weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist.“ Eckermann, Gespräche mit Goethe, 2. April 1829. Ferner aufzuzeigen ist Nietzsches unbedingte Distanzierung von einer gewissen kulturellen Strömung der damaligen Zeit, einer Mischung aus christlichen Werten und nationaler Gesinnung, die seiner Meinung nach Wagners angestrebter Wirkungskreis war. (… und die Nietzsches Tod noch drei Jahrzehnte überdauert hat. Drei Viertel der Evangelischen Kirche war in den 30er Jahren radikal national. Hierzu sehr aufschlussreich der Artikel Deutsche Christen: „Eine innigere Verbindung zwischen Deutschtum und Christentum ist nur zu erreichen, wenn dieses aus der unnatürlichen Verbindung gelöst wird, in der es nach bloßem Herkommen mit der jüdischen Religion steht.“ Man glaubte ernsthaft an eine christliche Gemeinsamkeit mit Germanen und Wikingern, die unchristlicher gar nicht sein konnten als die Figuren des Neuen Testaments.) So sehr sich Wagner, um des Erfolgs willen, auch auf jenes christlich nationale Deutschtum eingelassen habe, als Künstlergenie gehöre Wagner selbst nicht zu Deutschland, sondern zur französischen Romantik, welche als kulturelle Elite deutschem Hornvieh samt Kaiser unverstanden geblieben sei. Wann immer sich der Ausnahmekünstler nicht an seinesgleichen richte, sondern seinen Genius der Massenwirkung verschreibe, werde eine nur aus bloßem Effekt und Gebärde bestehende Kunst das Resultat sein. So war es auch wiederum die Überzeugung Goethes. „Meine Sachen können nicht populär werden; wer daran denkt und dafür strebt, ist in einem Irrtum. Sie sind nicht für die Masse geschrieben, sondern nur für einzelne Menschen, die etwas Ähnliches wollen und suchen, und die in ähnlichen Richtungen begriffen sind.“ Eckermann, Gespräche mit Goethe, 11. Oktober 1828.--93.50.221.252 20:16, 19. Dez. 2012 (CET)