Diskussion:Omissio libera in causa

Letzter Kommentar: vor 1 Jahr von Stephan Klage in Abschnitt Sog. Garantenstellung beim freiverantwortlichen Suizid

Sog. Garantenstellung beim freiverantwortlichen Suizid

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Der Beitrag erscheint im Lichte der Entscheidung BVerfGE 153, 182-310 veraltet/unrichtig.

Es folgt nunmehr nämlich nicht (mehr) aus § 217 StGB, dass ein Unterlassen nach Bewusstlosigkeit bei der "Beihilfe" zum Suizid i.R.d. § 217 StGB über Art. 103 II GG wegen der Privilegierungsfunktion des § 217 StGB eine Unterlassensstrafbarkeit nach §§ 212, 211, 13 StGB sperrt (so auch die Quelle zu 1. Wilhelm, HRRS 2017, S. 70 [Endrik Wilhelm: Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord und § 217 StGB, Anmerkung zu OLG Hamburg, Beschluss vom 08.06.2016, 1 Ws 13/16, HRRS online]), sondern vielmehr unmittelbar positiv aus dem APR des Suizidenten, weswegen § 217 StGB auch nichtig ist.

Demgemäß ist es die Wertung des GG und positives Recht eines jeden Menschen, sich freiverantwortlich zu suizidieren. Dabei kann erst recht keine sog. Garantenstellung für andere Personen bestehen, denn diese würde das positive Recht vereiteln.

Weiterhin stellt sich hier sowieso die Frage, ob der Suizident einen vormaligen sog. Garanten durch seinen freiverantwortlichen (!) Entschluss zur Selbsttötung aus diesem Näheverhältnis "entlässt".

Der Artikel suggeriert hier jedoch eine rechtliche Einstandspflicht (= sog. Garantenstellung i.S.d. § 13 I StGB):

"[…]für dessen Abwendung er strafrechtlich jedoch einzustehen hat. Ein Fall einer omissio libera in causa liegt vor allem vor, wenn der Täter es sich nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des Suizidenten unmöglich macht, diesem zu helfen."

Richtigerweise dürfte sich dann aber im Grundsatz (Ausnahme sei der nicht freiverantwortliche Suizid; hier dann ggf. Problematik des § 16 I StGB, sofern die Unfreiheit nicht richtig er- und damit die tatsächlich bestehende sog. Garantenstellung verkannt wurde) eine Tatbestandslosigkeit des Handelns ergeben.

Demnach handelt es sich im Grundsatz nicht um eine sog. omissio libera in causa, denn es fehlt an der Unterlassung ("omissio"). --Enképhalos (Diskussion) 13:34, 25. Okt. 2023 (CEST)Beantworten

Nö, darum geht es überhaupt nicht. Die „omissio“ ist eine dogmatische Figur und gilt im Rahmen der Strafbarkeit genau so, wie im Artikel beschrieben. Schauen Sie sich den Artikel „actio libera in causa“ an. Hier geht es darum, dass ein zum Zeitpunkt der Tat durch positives Handeln schuldunfähig ist und deshalb nicht verurteilt werden könnte, wenn nicht der juristische Trick angewendet würde, dass der Handlungszeitpunkt (an sich contra legem) vorverlegt würde auf den Zeitpunkt der selbstverantworteten Herbeiführung der Schuldunfähigkeit, um in dieser die Tat zu einem späteren Zeitpunkt zu verüben. Die „omissio libera in causa“ geht lediglich in die Umkehrung des Handlungsbegriffs: positivems Tun wird ersetzt durch Unterlassen. § 13 StGB (Garantenstellung) ist notwendig, um durch Nichtstun überhaupt dogmatisch in die Strafbarkeit zu geraten. Nichthandeln unterläge ja sonst der Strafbarkeit. Und das ist (sieht man von § 323 c StGB ab) politisch/gesellschaftlich kaum gewünscht, oder? --Stephan Klage (Diskussion) 23:41, 22. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Danke für die Rückmeldung. Ich beziehe mich nicht allgemein auf die Rechtsfigur; der Artikel suggeriert aber, dass eine sog. Garantenstellung bei jeder Form des Suizids besteht, sofern diese Person lediglich anwesend ist und die Rechtsfigur dann folglich anwendbar wäre, wenn der sog. Garant sich vorher der "Hilfsmittel" entledigt hat.
Das ist im Lichte von BVerfGE 153, 182-310 sowie auch BGH, Beschluss vom 28.06.2022 - 6 StR 68/21 (sog. Insulin-Fall) für einen freiverantwortlichen Suizid nicht wirklich (mehr) haltbar.
Eine weitergehende Frage wäre in dieser Konstellation dann der Irrtum nach § 16 I 1 StGB oder ggf. des sog. untauglichen Versuchs.
Dahingehend muss der Artikel aktualisiert werden. --Enképhalos (Diskussion) 20:59, 25. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Das ist in jeder Hinsicht an der Sache vorbeigedacht. Weder die Irrtumslehre, noch die Versuchsstrafbarkeit noch die BVerfGE haben auch nur ansatzweise mit der hier beschriebenen Rechtsfigur zu tun. Es geht bei der „omissio“ genauso wie bei der „actio“ allein um die Problematik der „Vorverlagerung des Tatzeitpunktes“. Es wird nicht auf den Zeitpunkt der Unterlassungshandlung abgestellt, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem der Täter sich in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat, um das Unterlassen zum Zeitpunkt des Suizids zu vollziehen – und das, obwohl er eine Garantenstellung innehat, die die Strafbarkeit durch Unterlassen überhaupt erst auslöst. Die „omissio“ ist nichts anderes als die „actio“, nur, dass „Unterlassen“ vorliegt, statt positivem Tun. Der Artikel suggeriert nicht, dass eine Garantenstellung beim Aufeinandertreffen mit einem Suizidenten entsteht. Das tut sie nicht, denn die Garantenstellung muss bereits bestehen. Garantenstellung entsteht nicht bei jedem, sondern im Falle eines Suizids bei engen Familienangehörigen, bei einem Arzt oder bei jemandem, der die suizidale Zwangslage des Suizidenten ausgelöst hat (sogenannte Ingerenz). Trotz bestehender Garantenstellung (besonderes Näheverhältnis, berufliche besondere Qualifikation) wendet sich der Täter vom Suizidenten ab. Bestraft wird er dann, wenn er die zum Unterlassungszeitpunkt bestehende Schuldunfähigkeit (beispielsweise Vollrausch) im Zustand der Schuldfähigkeit bewusst herbeigeführt hat, um gerade zum Zeitpunkt des Suizids nicht einzugreifen, sondern wegzugehen. Nur darum geht es. Das hat mit der BVerfGE nichts zu tun, ebensowenig mit Versuchsstrafbarkeit, denn es liegt ein vollendetes Delikt vor und er irrt auch nicht, weder nach § 16 noch nach § 17 StGB. Das sollte jetzt mal klar werden. Ob das jetzt andererseits ein gutes Beispiel ist um die Rechtsfigur zu erklären, stelle ich gerne dahin. --Stephan Klage (Diskussion) 01:14, 26. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Bei der Rechtsfigur geht es nicht um Schuldunfähigkeit, sondern darum, dass der eigentliche sog. Garant seiner Handlungspflicht nicht mehr nachkommen kann, weil er sich zuvor seiner Handlungsmöglichkeiten begeben hat (s. nur Schönke/Schröder, StGB vor § 13 Rn. 144, 30. Aufl. 2019) - ob das nun im Berauschen liegt oder Zerstören eines Telefons im entlegenen Wald als Bsp., ist zunächst egal.
Es ist im Grunde kein Fall der abgeänderten a.l.i.c. (vgl. Weigend/Leipziger Kommentar, § 13 Rn. 67, Berlin, Boston, 2020; wenngleich Zusammentreffen möglich, s. Schönke/Schröder, StGB vor § 13 Rn. 145, 30. Aufl. 2019).
Das "Problem" (für h.M. das Gute) dabei ist, dass die Möglichkeit der Handlung nicht unter das Koinzidenzprinzip des § 20 StGB fällt - das Gesetz verhält sich dazu nicht - (anders als die Schuld, was bei der a.l.i.c. problematisch ist) und somit auch Umstände einbezogen werden können, die dem Unterlassen - anders als bei der Schuld - vorverlagert sind (was mit Verweis auf Art. 103 II GG auch kritisiert wird, s. Matt/Renzikowski/Haas, 2. Aufl. 2020, StGB § 13 Rn. 28).
Somit ist die Rechtfigur der "Omissio" lediglich eine Überwindung der Problematik „Unmöglichkeit der Handlung“, da die Möglichkeit grds. erforderlich ist, und nicht etwa eine „Vorverlagerung“ des gesamten obj. Tb. wie bei der a.l.i.c.
Für eine Strafbarkeit muss i.Ü. eine sog. Garantenstellung zum Zeitpunkt des vorwerfbaren Unterlassens bestehen, sonst ist Unterlassen nicht strafbar, § 13 I StGB - das wird insoweit eben nicht vorverlagert, da die "Omissio" diese Frage nicht mehr betrifft.
Diese sog. Garantenstellung besteht aber in dem genannten Beispiel nicht:
Der Artikel lautet: „[…] wenn der Täter es sich nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des Suizidenten unmöglich macht, diesem zu helfen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Täter sich vom Ort des antizipierten Geschehens entfernt.“
Für das spätere Unterlassen (der Nichthilfe) bedarf es einer sog. Garantenstellung, die aber beim freiverantwortlichen Suizid wegen der Überlagerung durch APR nicht bestehen kann, s. BVerfG, a.a.O. sowie BGH, a.a.O.
Hier die Stelle aus BGH, a.a.O. (Rn. 28 f.):
"Die Auffassung, nach der das Selbstbestimmungsrecht und die Eigenverantwortlichkeit des Sterbewilligen die Einstandspflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB begrenzen, wird auch in der Literatur weithin vertreten (vgl. Hoffmann, Der sogenannte natürliche Wille und sein Verhältnis zur Patientenautonomie im Recht der ärztlichen Heilbehandlung, 2021, 114; Kienzerle, aaO, S. 211; Öz, Das Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Opfers und dem strafrechtlichen Lebensschutz, 2021, S. 40; Otto, Recht auf den eigenen Tod? in: Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages, 1986, D 66; Roxin in Festschrift Fischer, 2018, S. 509, 519; Sowada in Festschrift Merkel, aaO, S. 1109; Leipold/Tsambikakis/Zöller/Mitsch, aaO, § 216 Rn. 26; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 75, 77, § 216 Rn. 66; Ceffinato, aaO, S. 66; Engländer JZ 2019, 1049, 1051; Hillenkamp, JZ 2019, 1053, 1056; Merkel, ZStW 1995, 545, 553; Miebach, NStZ 2016, 530, 537; Roxin, NStZ 1987, 345, 346; ders. GA 2013, 313, 317; Saliger, medstra 2015, 132, 136; Schroth, GA 2006, 549, 568; Sowada, NStZ 2019, 670, 671; Windsberger, ZErb 2021, 95, 96).
Für eine durch Eheschließung begründete Garantenpflicht kann nichts anderes gelten, zumal die vom 5. Strafsenat zur Begrenzung der ärztlichen Schutzposition für das Leben seiner Patienten herangezogenen Gründe (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, aaO, S. 142) mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 153, 182) zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben zusätzliches Gewicht erlangt haben. Dieses Recht schützt auch vor Verboten gegenüber Dritten, von denen die Wahrnehmung des Grundrechts abhängig ist (BVerfG, aaO, Rn. 213). Deshalb kann eine strafbewehrte Pflicht, den Ehepartner zu retten, wenn dieser infolge einer freiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung eingeschlafen ist, fortan keinen Bestand haben."
Betrachte man die Situation wertend: Würde man jemandem aufbürden, das Recht des Suizidenten aus dem APR abzuwenden, liefe dieses Recht dann leer. Das kann kein tragbares Ergebnis sein.
Der einzige Weg, in diesem Fall zu einer Strafbarkeit zu gelangen, wäre, dass man einen untauglichen Versuch unterstellt, wenn der Täter denkt, der Suizident suizidiere sich nicht freiverantwortlich - daher der Verweis auf den Versuch.
Sofern aber die Freiverantwortlichkeit erkannt wird, ist der Irrtum lediglich über die Garantenstellung ein strafloses Wahndelikt (s. Murmann/Leipziger Kommentar, § 22 Rn. 290, Berlin, Boston, 2021).
Wenn der Täter nicht erkennt, dass der Suizid unfreiwillig ist, dann ist § 16 I 1 StGB (+), da Irrtum über tatsächliche Umstände, die die sog. Garantenstellung begründen.
Ich würde folgendes Beispiel vorschlagen: Der sich betrinkende Schrankenwärter, der nicht mehr Lage (≠ schuldunfähig) ist, die Schranke zu schließen, wenn der Zug eintrifft (so bei Schönke/Schröder, StGB vor § 13 Rn. 144, 30. Aufl. 2019). --Enképhalos (Diskussion) 21:08, 26. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Beim Schrankenwärterfall (Schulfall) lag die Schuldunfähigkeit zum "Unterlassenszeitpunkt" vor, er war eben nicht mehr schuldfähig. Und das ist ein Fall der "omissio". Die anderen Fallkonstellationen lassen sich über die übliche Dogmatik lösen, modifiziert ggf. durch die neue Rechtsprechung. Dabei spielen dann Fragen der Versuchsstrafbarkeit / des Wahndelikts eine Rolle – nicht aber hier. --Stephan Klage (Diskussion) 10:20, 27. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Das Problem hier in dem Beispiel des Artikels liegt darin, dass die Figur der "Omissio", da zwar dem Grunde nach anwendbar, um die Unmöglichkeit der Handlung [durch das Weggehen] zu überwinden, keinerlei Relevanz für Fälle des freiverantwortlichen Suizids hat, da hier in jedem Fall eine notwendige sog. Garantenstellung fehlt.
Es ist daher angebracht, das Beispiel (auch gerne durch ein "Schulfall") auszutauschen bzw. sprachlich klarzustellen, um Missverständnissen vorzubeugen (in dem Satz zuvor wird nämlich von der Einstandspflicht (sog. Garantenstellung) gesprochen).
Die Konstellation wird dann höchstrelevant, wenn der Suizid nicht freiverantwortlich ist - das ist ja auch zwischen uns auch unstreitig, denke ich.
Insoweit führt die in der Fn. 1 genannte Quelle die "Omissio" beim Suizid nur deswegen an, weil sich eine Strafbarkeit (nach alter Rechtslage; vor der BVerfGE und BGH) ergibt.

Ein Zusammentreffen von a.l.i.c. und oder "Omissio" ist i.Ü. auch nicht ausgeschlossen (wie der Schulfall ja zeigt; hatte ich auch versucht, o. einzubeziehen), ist aber für die "Omissio" im Kern nicht ausschlaggebend:
Der Ehemann der kranken Frau wirft im Campingurlaub sein Telefon weg. Der Zustand der Frau verschlechtert sich stark, jedoch ist ein Hilfeholen nicht mehr möglich (da kein Handy mehr und auch sonst alles abgelegen).
Das würde zu einer Tatbestandslosigkeit führen, würde man in diesem Fall nicht die Figur der "Omissio" bemühen.
Indem auf ein Entledigen der Hilfsmittel abgestellt werden kann, führt eine Unmöglichkeit der Handlung (Hilferufen) dann ausnahmsweise zu einer Tatbestandsmäßigkeit.
Das zeigen auch die Fälle des BGH zur "Omissio", denn auch da geht es nicht um Schuldunfähigkeit i.S.d. § 20 StGB, sondern um eine Handlungs(un)möglichkeit bei Zahlungsunfähigkeit i.R.d. §§ 283 I Nr. 5, 266a I, 266 I u.a. StGB (BGH, 28.05.2002 - 5 StR 16/02; BGH, 03.12.2013 - 1 StR 526/13; BGH, 30.08.2011 - 2 StR 652/10).

Der BGH, 30.08.2011 - 2 StR 652/10, bestätigt dies zum Beispiel wie folgt bei § 283 I Nr. 5 StGB:
"Zwar hat das Landgericht unter zutreffender Heranziehung der Grundsätze der Rechtsfigur der omissio libera in causa […] ausgeführt, dass die finanzielle Unmöglichkeit, einen Steuerberater mit der Erstellung von Bilanzen zu beauftragen, den Angeklagten nicht entlasten könne, weil er trotz sich abzeichnender Liquiditätsprobleme eingehende Mietzahlungen und sonstige Vermögenswerte nicht zur Bildung von Rücklagen, sondern zur Begleichung eigener Schulden oder Schulden der A. GmbH verwandt habe."

Der im Artikel erwähnte Fall sollte somit zumindest mit der Ergänzung "nicht freiverantwortlich" versehen, wenn nicht ganz durch einen "Schulfall" ersetzt werden, damit er eindeutig ist.
Gerne würde ich dann auch den BGH zu § 283 I Nr. 5 StGB anbringen. --Enképhalos (Diskussion) 13:53, 27. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Grundsätzlich kann ich alles nachvollziehen, was Dich da bewegt. Wir sind aber kein Debattierverein, der sich daran ergötzt, irgendetwas in akademische Weihen hinein zu diskutieren. Ich schlage daher vor, dass wir den "Selbstmord-Fall" jetzt ersetzen durch einen Fall, der die "omissio" erläutert – frei von dogmatischen Randbemerkungen aus der Rechtsprechung. Die gibt es. Auf welchen Fall wollen wir uns einigen? Der wird dann eingebaut. OK? BG --Stephan Klage (Diskussion) 14:58, 27. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Ich kann das gut nachvollziehen - letztlich ist die Wiki kein Kommentar. Es war auch nicht beabsichtigt, dass das Thema so ausufert. Dafür entschuldige ich mich.

Folgende Fäll finde ich gut; der erste grenzt dabei hinreichend zur a.l.i.c. ab:
"Die Sicherheitstechnikerin einer Fabrik entfernt sich pflichtwidrig von ihrem Arbeitsplatz, so dass sie später nicht in der Nähe ist, als bei einem Vorfall die Sicherheitsabschaltung betätigen werden müsste, wodurch zahlreiche Mitarbeiter verletzt werden." (Fall nach NK-StGB/Engländer, 6. Aufl. 2023, StGB § 22 Rn. 119)
"Rettungsschwimmer R betrinkt sich im Dienst so, dass ihm ein rettendes Eingreifen unmöglich wird, was ihm egal ist. Daher hilft niemand O, als dieser wegen einer Gegenströmung das Ufer nicht mehr erreichen kann und deshalb ertrinkt." (Rengier, StrafR AT, 15. Aufl. 2023, § 49 Rn. 12)
Ggf. kann man erwähnen, dass eine Schuldunfähigkeit dabei nicht Voraussetzung ist.
Auch das würde ich noch hinzufügen:
"Bezug zur Praxis besteht im Wirtschaftsstrafrecht, wenn der insolvente Schuldner durch seine Zahlungsunfähigkeit keine tatsächliche Möglichkeit mehr hat, Sozialabgaben abzuführen (§ 266a Abs. 1 StGB) oder vom Steuerberater eine Bilanz erstellen zu lassen (§ 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB), da er das Honorar nicht entrichten kann. (Fn. mit Verweis auf die Rspr.)" --Enképhalos (Diskussion) 16:47, 27. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Vorschlag, weil der Text des Artikels kurz ist, aber auch das alles Wichtige benennt: Nimm doch den „Rettungsschwimmer-Fall“, bitte aber ohne die Stellungnahme zur Schuldunfähigkeitsfrage, von der ich bis heute nicht überzeugt bin (der „Sicherheitstechniker-Fall“ wird doch über die besonderen Straftatbestände iVm § 13 StGB gelöst, was soll das mit der „omissio“ zu tun haben?; worin soll die „omissio“ im „Insolvenz-Fall“ liegen?). Ist mir alles schleierhaft. Wir sollten aber weg vom Selbstmörder.
Nochmals zur angeblich nicht zu fordernden Schuldunfähigkeit: Wolltest Du das einfügen, müsste der Artikel komplett neu aufgebaut und deutlich ausgearbeitet werden. --Stephan Klage (Diskussion) 19:59, 27. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Gerade den Fall eingefügt - ist hoffentlich so i.O.
Der Sicherheitstechniker T wäre (vereinfacht) wie folgt zu lösen:
Strafbarkeit wegen §§ 223 I, 13 I StGB
Erfolg (+)
Handlung? hier nicht aktiv, damit durch Unterlassen (U), wenn "U, M, G"
U: Unterlassen muss Unwert von Handeln gleichkommen; hier Knopf (Not-Aus) nicht gedrückt (+)
M: Eine Handlung des T muss im maßgeblichen Zeitpunkt (Defekt der Maschine) möglich gewesen sein. Grds. (-), da T überhaupt nicht anwesend und Knopf nicht gedrückt werden konnte (Unmöglichkeit des Drückens zum Zeitpunkt des Defekts). Ausn.: Rechtsfig. "Omissio", wenn T die Unmöglichkeit selber hervorgerufen hat. T hat sich dem Ort durch pflichtwidriges Weggehen und damit seiner Abwendungsmöglichkeit entzogen. Damit ausnahmsweise Möglichkeit (+)
G: T müsste auch sog. Garant sein. Hier liegt die ganze Zeit über eine sog. Überwachergarantenstellung aus dem ArbV / der Tätigkeit durch VSP vor, da T nicht von jemandem abgelöst wurde.
Sog. Quasikausalität: Hätte T den Knopf betätigt, wäre der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben.
Vorsatz: dol. ev. ggf.; insbesondere bzgl. der Herbeiführung der Handlungsunmöglichkeit (wenn bzgl. Herbeiführen oder sonst. Umstände Vorsatz (-), dann §§ 229, 13 I StGB)
Damit Tb. (+); Rwk. + Schuld (+)((-) ggf., wenn Pflichtenkollision; hier aber nicht)
Ergebnis: Strafbarkeit aus §§ 223 I, 13 I StGB (+)

Bei "InsO" ist es als Beispiel an § 266a I StGB (fast) analog: Zahlungsunfähigkeit ist die faktische Unmöglichkeit zur "durch zB § 266a I StGB geforderten" (besser eigentlich: sanktionierten Nicht-) Zahlung; hier dann Abstellen auf einen früheren Zeitpunkt, zu dem noch Geld verfügbar und Zahlung möglich, da auch das echte U-Delikt eine Möglichkeit der gebotenen Handlung erfordert. => § 266a I StGB (+)

Ich fasse die Überarbeitung/Ergänzung des Artikels gerne mittelfristig ins Auge (das Beispiel ist ja jetzt gut :)), aber ich bin (man mag es nicht glauben) etwas unsicher, da neu und (noch?) nicht fortgeschritten in der Ausdrucksweise, die einen Artikel leicht leserlich gestaltet (wohl Übungssache).
VG und schönen Abend --Enképhalos (Diskussion) 21:34, 27. Nov. 2023 (CET)Beantworten

┌──────────────────────────────────────────────┘
Tja, recht interessant. Hast Du eine Vorstellung (habe wenig Zeit das nachzuschauen), wann die Figur der omissio in der von Dir dargestellten Version (Abkoppelung von der Schuldunfähigkeit) aus der Taufe gehoben wurde? Ich habe sie so nicht gelernt. Lösungen gingen bei den „unechten Unterlassungsdelikten“ über die Entsprechungsklausel und gut. Im qualifizierten Fall der omissio argumentierten wir über die teleologische Reduktion des § 8 StGB, damit „Handeln“ dogmatisch überhaupt „vorverlegt“ werden konnte, ebenso wie bei der a.l.i.c.

Aus diesem Grund interessiert mich brennend, wie ihr die Weiterung dogmatisch überhaupt begründet? Das ist für mich des Pudels Kern. In den 1980er-Jahren waren die o.l.i.c., die a.l.i.c. beziehungsweise die a.i.i.c. logisch gut hergeleitet (insbesondere auch von der Rechtsprechung anerkannt, denn es handelte sich um richterrechtliche Rechtsfortbildung. Bei der Umsetzung kann ich Dir sicherlich etwas helfen. Gruß zur Nacht --Stephan Klage (Diskussion) 23:46, 27. Nov. 2023 (CET)Beantworten

Danke für die Anpassung im Text.
Ich werde zu der Frage einmal ein bisschen (historische) Recherchearbeit leisten, wenn es die Zeit zulässt (ggf. in 2-3 Monaten).
Hier noch ein paar Erwägungen, die ggf. die eine oder andere Ansicht stützen könnten.

Der a.l.i.c.-Zusatz "sed non libera in actu" kann sinngemäß auf die "Omissio" übertragen werden:
Das Unterlassen müsste dann zum konkreten Unterlassungszeitpunkt, § 8 S. 1 StGB, "unfrei" sein. Das wäre doch dann der Fall, wenn der Nichthandelnde zwangsläufig
1. handlungsunfähig ist, da er keine Möglichkeit mehr zum Handeln hat. (Anknüpfung im Tb.)
2. schuldunfähig ist und so keine Einsichtsfähigkeit mehr hat. (Anknüpfung im Tb. nur, wenn dadurch Handlungsmöglichkeit beeinträchtigt; i.Ü. vgl. dann a.l.i.c. für Rechtsfolgen)
Die a.l.i.c. würde dann ja auch (nach hM) an ein früheres Handeln anknüpfen - insoweit kann man auch hier an Strafbarkeit der T "durch Weggehen" oder des R "durch das Betrinken" denken.
Str. ist durch die Vorverlagerung sowieso, ob dies nicht vielmehr ein Anknüpfen an ein aktives Tun (und damit nicht aus § 13 I StGB) wäre.
Das ist aber nur dann eigenständig notwendig, wenn nicht auch sonst die Handlungspflicht in dem Punkt "Möglichkeit der Handlung" erweitert werden könnte, da doch der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in einem nachgelagerten Unterlassen liegt. Zudem wird mit einer Gleichstellungsnotwendigkeit zu anderen Nichtrettenden argumentiert (Kindhäuser/Hilgendorf, LPK, 8. Aufl. 2019, § 13 Rn. 84), die dann dem Privileg des § 13 II StGB unterfallen.

Für eine Vorverlagerung der Handlung spricht allgemein auch folgende Erwägung:
"Dem Garanten ist es geboten, den Erfolg abzuwenden, gleichgültig zu welcher Zeit er dafür tätig werden muss; sieht er voraus, dass er zum „kritischen“ Zeitpunkt nicht zur Hilfe in der Lage sein wird, so muss er eben früher aktiv werden." (Weigend/Leipziger Kommentar, StGB § 13 Rn. 67, Berlin, Boston, 2020)
I.Ü. könnte man dann auch an eine (strafbewehrte) unterlassene "Garantenersatzbeschaffung" für den späteren Zeitpunkt denken.

Aber wie gesagt: Ich werde mich dem Problem gerne näher widmen. --Enképhalos (Diskussion) 17:53, 29. Nov. 2023 (CET)Beantworten
Ja wäre schön. Bin gespannt, was Du schildern wirst.
Wie schon mehrfach gesagt, „weggehen“ und „sich betrinken“ ist für mich nicht das Gleiche. „Sich betrinken“ selbst reicht ja auch nicht, denn ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln; dieser Zustand muss bei Tatbegehung erst einmal vorliegen (Vollsuff), bevor über eine Vorverlagerung überhaupt nachgedacht wird. „Weggehen“ ist in meiner Vorstellung vollumfänglich vom Wortlaut der Entsprechungsklausel gedeckt, wenn der Täter es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, dabei aber nach diesem Gesetz dann strafbar ist, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Das „Weggehen“ ist zwar ein positives Tun, stützt aber das letztlich strafbare Unterlassen durch ein „erst recht“. Für mich spielt es erst mal keine Rolle, ob der Täter nur tatenlos daneben sitzt (bei voller Schuldfähigkeit), oder ob er überdies sogar noch weggeht (bei voller Schuldfähigkeit), denn er muss handeln – so oder so... --Stephan Klage (Diskussion) 22:40, 30. Nov. 2023 (CET) ;-) Gruß zur Nacht. --Stephan Klage (Diskussion) 22:40, 30. Nov. 2023 (CET)Beantworten