Diskussion:Violoncello piccolo
Das Cello ist schon vor 1600 entstanden. Man lese David Boyden. Um 1600 sind schöne Stiche bei Mersenne und Pratorius zu finden. Die Hybridinstrumente müßten belegt werden. Meines Wissens waren Gamben und Violinenfamiie streng getrennt. Die 5. Saite hat weiger mit dem fehlendem Lagenspiel zu tun, als mit dr Möglichkeit, Akkorde zu spielen. Celli wurden aus klanglichen Gründen übrigens bis in die Frühklassik teilweise mit Bünden versehen. Trotzdem macht das aus ihnen keine Gambe.-- Musicologus 08:07, 21. Nov. 2008 (CET)
Ich danke dem Musikologus, dass er die Diskussion begonnen hat! Ich habe einen Großteil der Cellomusik vor 1720 im Original in den Händen gehalten und vieles gespielt. Als Barockcellist finde ich die Frühgeschichte meines Instruments spannend, aber im Dunkeln. Leider lese ich in Büchern und CDs oft Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann, und die wahrscheinlich nicht belegt sind. Viele Originalquellen sind uns doch erst seit 20 oder 30 Jahren zugänglich, und davor wurde halt spekuliert.
Leider wird auch heute viel spekuliert. Ich habe das, was ich belegen kann, fett gesetzt.
Ich greife den Faden also auf und gehe ein bisschen in die Breite. Ich freue mich auf eine sach- und nicht ideologieorientierte Diskussion, die uns weiterbringt! Ich möchte den Artikel gerne besser belegen, aber meine "Quellen" sind aus den besagten Gründen eher die alten Noten und Traktate und die praktische Beschäftigung mit der Musik. Vielleicht gibt es auch Artikel aus neuerer Zeit dazu.
Der Begriff Violoncello taucht nach den mir verfügbaren Quellen (Faksimili von Noten für Streichinstrument in Basslage, Buch "Das Violoncello" von Winfried Pape und Wolfgang Böttcher (besitze ich leider nicht, habe es aber mal gelesen, leider ein älteres Buch, welches zur Frühgeschichte glaube ich wenig Genaues berichten kann), verschiedene Texte von Gerhart Damstadt, z.B. in der CD "Violoncello discordato", Buch "Die Gambe" von Annette Otterstedt, Musiklexikon von Walther, Traktate aus dem 18. Jahrhundert) erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf. Dessenungeachtet gab es natürlich Bassinstrumente der Geigenfamilie schon vorher, und diese sicher in verschiedenen Größen. Diese Instrumente waren einfach Geigenbässe.
Der Begriff "Violoncino" für das Bassinstrument in einer 1741 posthum erschienenen Sammlung von Sonaten von Fontana meint ebenfalls einen, in diesem Falle etwas kleineren ("-ino") Bass der Geigenfamilie und besagt gar nichts über Saitenzahl oder Stimmung; sh. z.B. Wikipedia-Artikel.
Auf der Seite von zwei historischen Geigenbauerinnen (http://www.geigenmacher.at/Seiten/Fachartikel_Barockcello.htm) steht, dass der Begriff Violoncello erstmals 1665 in Noten von G.C. Arresti für die Bassstimme einer Sonatensammlung angegeben ist, wie auch auf der Wikipedia-Seite Arresti vermerkt ist.
Diese Angaben bedürfen der Interpretation.
Aus den (wenigen) Noten des 17. Jahrhunderts, in denen Violoncello erwähnt ist, ist meiner Kenntnis nach folgendes sicher:
Es gibt erst nach 1700 "Cellomusik", die nicht aus der Gegend von Bologna stammt. Grund war offensichtlich eine in Bologna entstandene Tradition in der Accademia Filarmonica, wo Domenico Gabrielli, sein Lehrer (?) Franceschini (Quelle: MGG), Giovanni Battista degli Antonii und auch Guiseppe Maria Jacchini ein Instrument spielten, welches "Violoncello" genannt wurde, und der auch Arresti angehörten. Auf der CD von Darmstadt und Matzke findet sich auch Musik von Domenico Galli, über und von dem ich gar nichts gefunden habe; vielleicht kann jemand helfen.
Relativ sicher (Quelle: z.B. das Buch von Annette Otterstedt und die heute geübte Praxis) ist wohl, dass im konservativen Frankreich neben der Hochblüte der siebensaitigen Viole in den "24 Violons du Roy" Instrumente gespielt wurden, die man heute "Violone" nennt, und die wohl der Logik der Geigeninstrumente folgend BB F C G gestimmt wurden, folglich auch größer waren. Diese Stimmung wird schon von Mersenne erwähnt (Quelle: D. Boyden, Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761)
Solche Instrumente gab es, wie richtig vermerkt, ja schon lange, und das in verschiedenen Größen. Ein Original-"Violoncello" von Amati z.B. ist, soweit ich weiss, kleiner als die heute übliche Mensur. Die "Bass-Geig de bracio" auf der Abbildung von Prätorius hat fünf Saiten. Und hier beginnt das nächste begriffliche Problem: die Frühgeschichte des Kontrabasses war noch vielfältiger und blieb es bis ins 19. Jahrhundert hinein, mit Instrumenten ganz verschiedener Saitenzahl, Mensur, Stimmung, mit und ohne Bünden. Deshalb hilft der Begriff "Violone" nicht wirklich, wenn man wissen will, was damit gemeint war, außer im Frankreich vor und nach 1700.
Wenn man das alles zusammennimmt, kann m.E. eigentlich nur der Schluss daraus gezogen werden, dass eben nicht das Instrument neu war, sondern seine Bezeichnung: Der Begriff tauchte plötzlich regelmäßig auf, als Bassgeigenspieler Sonaten auf diesem Instrument spielten. Es gab zwar in der Tradition der Mehrstimmigkeit z.B. von Frescobaldi Sonaten "a due o tre bassi", aber keine Solomusik im eigentlichen Sinne. Die ersten bekannten Ricercari und Sonaten "a violoncello solo" von Domenico Gabrielli sind in der Handschrift auf den 15. Januar 1689 datiert, also 24 Jahre nach der Sonatensammlung von Arresti. Aus den Ricercari und einer der drei Solosonaten ergibt sich zwangsläufig eine Stimmung CGdg für diese Musik; die Ricercari von degli Antonii und die Sonaten von Jacchini sind auch in der Stimmung CGda spielbar.
Lt. Gerhart Darmstadt gab es (wenig) Solomusik für "Violone" aus dieser Zeit, die ich aber nicht habe (wer kann helfen?).
Für Bassgambe einschließlich der französischen Viole gibt es im 17. und 18. Jahrhundert eine zunehmende Zahl von Solomusik. Im 18. Jahrhundert gab es, z.B. von Vivaldi, auch viel Solomusik für andere Instrumente in Tenor-Bass-Lage, z.B. für das Fagott. (Die erste mir bekannte Bratschenmusik gibt es erst 40 Jahre später von Flackton.)
Aus dem gesagten ziehe ich den Schluss, dass der Begriff "Violoncello" nicht das Instrument meint, das gab es in der Tat schon früher, sondern die Spielweise, nämlich Sonaten auf einem tiefen Geigeninstrument. Die Tradition war, als Geiger alle Geigen zu spielen, und zwar die Soli auf den kleinen Geigen (Violinen) und die Begleitstimmen auf den größeren Instrumenten. Auch die Machart z.B. der frühen Cellosonaten zeigt eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit tief gesetzten Melodien; das Soloinstrument spielt öfters die Basslinie mit und die Melodie hat mit einer gut gesetzten Basslinie viel gemeinsam. Das hat sich allmählich geändert und erst in der Vorklassik aufgelöst.
Was aber außer der Lust, etwas neues zu probieren, mag zu dieser Spielart geführt haben? Die alte Tradition vom Musizieren in Instrumentenfamilien hatte sich im 17 Jahrhundert nicht mehr bruchlos fortgesetzt. Die hohen Gamben waren von den Geigen abgelöst worden (es gab viele Violinsonaten. Ich kenne keine Sonate für Diskantgambe aus dem 17. Jahrhundert. Kennt jemand eine?). Die Bassgambe war noch viel in Gebrauch, so dass die Bassgambenspieler (Spekulation von mir) zwangsläufig Spezialisten auf ihrem Instrument wurden. Deshalb im 17. Jahrhundert Solomusik für Gambe, die im Gegensatz zur Cellomusik durch die oberste Saite in die tiefe Sopranlage hineinreichte. D.h., im 17. Jahrhundert gab es die "Trennung" in Instrumentenfamilien eben nicht mehr. Das ist aus den Instrumentenangaben zu belegen; ich könnte aus dem Notenschrank einige Beispiele heraussuchen.
Spieltechnisch unterscheidet sich das Violoncello dadurch von der Geige, dass ein Finger pro Halbton eingesetzt wird, wie bei Laute und Gambe, und nicht ein Finger pro Tonschritt. Diese Veränderung (die der Denkart der Geiger entgegenlief, die zuvor den Fingersatz der kleinen Geigen auch auf den großen Geigen verwendet haben; das ist ein musikwissenschaftlicher Gemeinplatz, der noch mit einer Quelle belegt werden müsste) war entscheidend dafür, Sonaten auf diesem großen Instrument zu spielen. Wer das nachprüfen will, muss es nur ausprobieren. Die Cellomensur ist der Gambenmensur und auch der Anatomie der menschlichen Hand ähnlich. Die mir bekannten Kopien alter "Violone" = Basse de Violon sind größer und deshalb sehr unhandlich zu spielen.
Hieraus würde ich die Vermutung äußern, dass es eben spezialisierte Gambenspieler waren, die dem Trend der Zeit gefolgt sind und auf dem (lauteren) "Violoncello" eine ganz neue Art zu spielen kreiert haben. Und genau das ist es doch, was wir mit dem Begriff Violoncello verbinden: ein Streichinstrument in Tenor-Basslage, viersaitig, das sich eignet, auch Sonaten zu spielen.
Soviel zum Begriff Violoncello. Das Buch von Boyden verwendet leider den Begriff "Cello" für Epochen, wo es ihn noch gar nicht gab. 1964, als das Buch erschien, war manchen nicht bekannt, und sein Thema ist ja explizit die Geige und nicht das Cello.
Ansonsten kenne ich leider wenig Sekundärliteratur und vermute, es gibt noch nicht viel. Also auch ein Thema für die Diskussion. Um die Hybride zu belegen, könnte das Buch von Annette Otterstedt "Die Gambe" herangezogen werden, in dem auch vermerkt ist, dass Violoncelli im Frankreich nach 1700 manchmal mehr als vier Saiten hatten und evtl. die beiden oberen Saiten a und d mit der Gambe gemeinsam hatten. Leider hat sie das nicht aus Quellen belegt. Außerdem hoffe ich auf die Digitalisierung der vielen Bilder aus dieser Zeit, die irgendwelche Saiteninstrumente zeigen, die häufig Eigenarten von Geigen und Gamben vereinen, z.B. in Form des Korpus, der "Schultern", der Saitenzahl, der Bünde und in der Haltung des Bogens. Ich kenne leider noch keine Untersuchung, die hier ein bisschen Ordnung schafft, was wann wo üblich war; vielleicht gab es hier örtliche Gepflogenheiten.
Auch habe ich einen Plan eines Violoncello Piccolo von Andreas Jais, im Grunde eine fünfsaitige Gambe aus dem frühen 18. Jahrhundert. Oft wurden Gamben in Geigeninstrumente mehr oder weniger komplett umgebaut, hier könnten Geigenbauer sicher noch Informationen beitragen.
Zum Thema Bünde stimme ich überein, kenne aber keine Quelle, die ein Violoncello mit Bünden belegt. Bei Bässen war dies länger üblich, weil die Tonansprache präziser ist; deshalb verwenden historische Bassisten heute oft wieder Bünde. Beim Cello ist die Ansprache schneller, so dass die Bünde eher stören als helfen. Gamben sind das natürlich nicht.
Nun zum Begriff Violoncello Piccolo: hier gibt es, soweit ich weiss, fast gar keine Sekundärliteratur der Zeit, so dass die verfügbaren Noten und die Karikatur von Cervetto zur Klärung herhalten müssen.
Aus den Noten gesichert ist der Begriff "Violoncelle a cinq accordes CGdae'" aus der Überschrift der Abschrift der 6. Bach-Solosuite von Anna Magdalena Bach, was wohl heissen will: "Violoncello mit 5 Saiten in der folgenden Stimmung". Weiterhin die Kantaten, in denen eine Stimme mit "Violoncello Piccolo" bezeichnet ist.
Die Cello-Solosuite ist in der Schlüsselung (Bass-Schlüssel, Altschlüssel, Sopranschlüssel) für das Violoncello untypisch, behandelt aber auch die C-Saite gleichwertig, z.B. gegen Schluss des Prelude.
Die Kantaten habe ich noch nicht alle gespielt, aber die ich kenne, gehen praktisch nicht unter das c hinunter. Da bekannt ist, dass Bach eine große Bratsche ("Viola pomposa") gespielt hat, liegt die ja auch heute geübte Interpretation nahe, dass im Falle der Kantaten eben kein Violoncello, sondern ein Instrument in Armhaltung gemeint war, welches ja auch mit kleinerem Korpus die Tiefe nicht bringt, die sie in den Kantaten nicht braucht.
Deshalb glaube ich, dass es sich um zwei verschiedene Instrumente handelt. Eine wissenschaftliche Quelle kann ich nicht zitieren, weil ich bisher keine gefunden habe; ich habe den Eindruck, dass Bratscher und Cellisten hier eher schreiben, was sie haben wollen, als, was sie wissen. Immerhin auf einer Seite der Musikschule Steglitz sinngemäß das, was ich hier geschrieben habe (http://www.musikschule-steglitz-zehlendorf.de/181.0.html).
Hinweise finde ich jedoch aus Musik des 18. (nicht des 17.!) Jahrhunderts. Die Sonaten "Les Délices de la Solitude" von Michel Corrette sind auf einem Viersaiter zwar mit der heute üblichen Technik ohne weiteres spielbar, aber genauso sperrig (man probiere das mal mit den dicken Darmsaiten!) wie die Neuen Pariser Quartette von Telemann und auch seine Cellosonate. Vor allem letztere behandelt das Cello so, als habe es eine e-Saite; die Modulationen erklären sich von selbst, und es gibt keine Probleme mehr, mit Leichtigkeit zu spielen. Die Cellosonate von Telemann ist überhaupt ein Unikum, denn außer den Neuen Pariser Quartetten gab es für Telemann explizit die Gambe, und wer mag sie wohl aus der Zeitschrift "Der getreue Musikmeister" gespielt haben in einer Zeit, wo in Deutschland eben die Gambe noch nicht vom Violoncello abgelöst war? Telemann war Experte der französischen Musik. Von daher die Vermutung, dass in Frankreich fünfsaitige Violoncelli vorkamen und Telemann das in seine Musik gebracht hat.
Die mir bekannten Sonaten von Cervetto sind im Violinschlüssel notiert (und deshalb als Triosonaten mit Geige verkäuflich); mag sein, dass Cervetto das mit einem Fünfsaiter locker bewältigen konnte. Ansonsten kenne ich keine englische und auch keine italienische Musik, die einen Fünfsaiter gebraucht hätte. Sicher ist jedoch, dass die Musik von Gabrielli, Degli Antonii und Jacchini also frühe Cellomusik,nicht für fünfsaitiges Cello geschrieben wurde.
Deshalb scheint es mir sehr unwahrscheinlich, dass das fünfsaitige Violoncello ein Instrument des 17. Jahrhunderts war, von daher die Aussage, dass es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelegentlich in Gebrauch war.
Ich bleibe als Barockcellist bei der Aussage, dass das Lagenspiel der entscheidene Faktor für die e-Saite ist. Die Quintstimmung eignet sich nur ganz rudimentär fürs Akkordspiel, und daran ändert auch eine fünfte Saite nichts. Wer hören will, wie Akkordspiel auf der Gambe geht, der möge sich Arpegiata von Carl Friedrich Abel anhören, völlig undenkbar auf einem Geigeninstrument. Die hohen Lagen kamen mit der französischen Violoncellotechnik auf und haben dem Instrument im Grunde das Gepräge gegeben, welches es heute noch hat. Das war aber mit einem ganz anderen Klang verbunden, der mit den alten Bögen eigentlich nicht wirklich gut geht.
Für mich ungeklärt ist aber auch die Zusammenstellung der 6 Solosuiten von Bach, und, wer sie gespielt hat. Eigenartigerweise geht auch die 6. Solosuite trotz (oder wegen?) der e-Saite in ungeahnte Höhen, nämlich bis zum g, was seltsamerweise oder auch logischerweise mit einer dünnen e-Saite klanglich gut funktioniert, während auf einem Viersaiter ein vergleichbares c auf der a-Saite erhebliche Probleme aufwirft und ja bei Bach auch nicht vorkommt.
Von daher die im Artikel "Violoncello Piccolo" formulierte Hypothese, die aus der Musik und aus den Instrumenten nachvollziehbar und plausibel ist, für die es aber nur wenige Sekundärquellen, weder damals noch heute gibt. Die Hypothese kann mit Fakten modifiziert oder widerlegt werden, die nicht in sie eingeflossen sind; eine Alternativhypothese müsste wenigstens insoweit aus Musik, Instrumenten und vielleicht Bildern gestützt sein, wenn es nicht valide Texte aus der damaligen Zeit gibt, die anderes sagen.
Ich hoffe, dass diese Diskussion im Sinne der vernetzten Intelligenz hilft, diesen Sachverhalt genauer zu fassen, und freue mich auf die nächsten Beiträge!
Textsammlung
Bearbeiten„Violoncello, die Bassa Viola und Viola di Spala (ital.) sind kleine Baß - Geigen, in Vergleichung der größeren, mit , 6, oder auch wohl 6 Saiten, worauf man mit leichterer Arbeit als auf den großen Machinen allerhand geschwinde Sachen, Variationes und Manieren machen kann; insbesondere hat die Viola da Spala, oder Schulter = Viole einen großen Effect beym Accompagnement, weil sie so starck durchschneiden und die Töne rein exprimiren kan. Sie wird mit einem Bande an der Brust befestiget, und gleichsam auf die rechte Schulter geworfen (...) Die viersaitigen werden wie die Viola, C. G. d.a. gestimmet.“ Johann Gottfried Walther: Musikalisches Lexikon 1732
Der Begriff Violoncello piccolo kommt bei Walther im Lexikon nicht vor. -- Musicologus 23:51, 7. Jan. 2009 (CET)
Michael Praetorius zeigt im Syntagma musicum II 1619 auf Tafel XXI ein fünfsaitiges Instrument, welches er Bas-Geig de bracio benennt. Auf Seite 26 benennt er die Instrumente der Baßlage Baß Viol de Bracio mit Stimmungen in C-G-d-a und F-c-g-d. Ein weiteres Instrument mit der Stimmung F-C-G-d-a heißt Groß Quint-Baß.-- Musicologus 00:04, 8. Jan. 2009 (CET)
"1762 empfiehlt der Leipziger Musikverlag Breitkopf dieses Konzert in seinem Katalog zusammen mit einer ganzen Reihe von Werken für “Violoncello piccolo o Violoncello da braccia”" (Quelle:Musikstunde mit Christian Schnuff, swr2 vom 1.3.08)
uQ
Bearbeitenvorläufige Begriffsbestimmung
BearbeitenFür Instrumente der Geigenfamilie in Tenor-Basslage gibt es schon 1600 zahlreiche Belege in den Ländern, in denen die Violinen gebräuchlich waren. Sie waren viersaitig, in Quinten gestimmt (Prätorius: CGda; Mersenne: BFcg) und trugen verschiedene Bezeichnungen. Sie waren in Grösse und Mensur unterschiedlich; eine "Standardisierung" der Instrumente erfolgte erst durch Geigenbauer aus Cremona in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vor allem durchAntonio Stradivari. Noch Quantz empfiehlt in seinem "Versuch der Anweisung, die Flute traversiere zu spielen" größere Instrumente für das Continuo, kleinere für das solistische Spiel.
Der Begriff Violoncello ist erstmals 1665 in einer Notenhandschrift von Arresti in Bologna belegt; in der Folge haben mehrere Musiker (Domenico Gabrielli, Giuseppe Jacchini, ....) Musik für dieses Instrument hinterlassen. Violoncellomusik unterschied sich in der Spielweise grundsätzlich von der bisherigen Art, Geigen zu spielen: Auf der Geige wird pro Tonschritt (Halb- oder Ganzton) ein Finger eingesetzt; das Violoncello jedoch überträgt den Fingersatz der Gamben und Lauten (ein Finger pro Halbton) auf das Instrument und macht solistische Musik dadurch erst möglich. Violoncello bezeichnet also nicht eine Bassgeige einer bestimmten (im Sinne von kleineren) Größe, sondern eine neue Art, das Instrument zu spielen. Aufgrund der Anatomie der menschlichen Hand ist hierfür ein Instrument ideal, welches in der Mensur in etwa der einer Bassgambe entspricht.
In den Ricercari und in einer der drei Cellosonaten von Domenico Gabrielli ist eine Stimmung CGdg erforderlich. Für andere Musik aus Bologna ist diese Stimmung nicht zwingend, aber aufgrund gewisser Vorteile (bewegliche Melodieführung in der oberen Lage) plausibel.
Aufgrund der zunehmenden Bevorzugung des Violoncello gegenüber der leiseren Bassgambe wurden in den folgenden Jahrzehnten Gamben mehr oder weniger komplett zu Violoncelli umgebaut. Mancherorts waren fünfsaitige Violoncelli in Gebrauch. Hinweise dazu ergeben sich aus den Solosuiten von Johann Sebastian Bach (6. Suite in Bass/Alt/Sopranschlüsselung, gleichwertige Behandlung der C-Saite erfordert eher großes Instrument; Bezeichnung in der Abschrift von Anna Magdalena Bach "Violoncelle a cinq acordes CGdae1), aus mancher Violoncellomusik von Telemann und Michel Corrette und aus einer Karikatur von "Nosey" (Cervetto) um 1750, abgebildet mit einem fünfsaitigen Violoncello. Eine kleine Zahl von fünfsaitigen, z.T. etwas kleineren Violoncelli ist im Originalzustand erhalten.
Der Begriff Violoncello Piccolo wurde vor der Jetztzeit lediglich in Abschriften und möglicherweise auch in Originalnoten in 7 (??; in der Presse finde ich 9 oder sogar 10, aber beim Durchsehen der Kantaten sind eine davon für 2 konzertierende Violoncelli, 2 für Solobratsche bezeichnet und auch gesetzt) Kantaten von Johann Sebastian Bach sowie in einem Katalog des Notenverlags Breitkopf 1762 erwähnt, in letzterem Fall als "Violoncello piccolo o violoncello da braccio". In den Kantaten sind Notation (2x im oktavierten Violinschlüssel, einmal in Tenor- und Bassschlüssel, in den übrigen Kantaten in Alt- und Bassschlüssel) wie auch Ambitus (in drei Kantaten wird die unterste, die C-Saite überhaupt nicht gebraucht, in den übrigen nur für eingeschobene einzelne Basstöne gelegentlich eingesetzt. In der Kantate 115 auch vier Passagen (2 bzw. drei Töne in Folge) auf der C-Saite.
Gerber schreibt im Historisch Biografischem Musiklexikon von 1790, Bach habe die "Viola Pomposa" erfunden, ein Instrument, das nach Angaben der "Wöchentlichen Nachrichten, die Musik betreffend" 1766 wie eine Bratsche gespielt und wie das fünfsaitige Violoncello CDdae1 gestimmt sei.
Heute wird der Begriff je nach Interessenlage der Viola Pomposa oder einem fünfsaitigen Violoncello zugeordnet. Da durch die größere Saitenzahl beide Instrumente gewisse Ähnlichkeiten haben (zarter, näselnder Ton), sind sie (wie CD-Aufnahmen leicht hörbar machen) beide für ihre Rolle gleichermaßen geeignet.
Eher unwahrscheinlich scheint, in Bach Sammlung von Violoncellosuiten die letzte (6.) Suite für ein Instrument vorsieht, welches dem Spieler der übrigen Suiten technisch nicht nahelag; mit der gleichen Logik hätte er auch Suiten für Violininstrumente verschiedener Größen in einer Sammlung vereinen können (was er nicht getan hat). Auch gibt es Belege für fünfsaitige Violoncello, die in Knielage gespielt werden müssen (das ergibt sich aus der Zargenhöhe, die kleiner sein muss als die Halslänge eines Menschen). Deshalb ist eher anzunehmen, dass diese Musik für das fünfsaitige Violoncello gemeint war.
Die Bachkantaten entstanden mehr als fünf Jahre später; die historischen Zeugnisse deuten eher darauf hin, dass Instrumente in Armhaltung, möglicherweise sogar unterschiedlicher Größe, hierfür gedacht waren (möglicherweise von Bach selbst gespielt). Somit ist derzeit nicht belegt, dass sich das "Violoncello piccolo" von der "Viola pomposa" unterscheidet.
Nach heutigem Sprachgebrauch jedoch ist es derzeit üblich, das Instrument in Kniehaltung als "Violoncello piccolo", das in Armhaltung als "Viola pomposa" zu benennen.
- Im MGG gibt es einige Bilder, auf denen Celli in Armhaltung gespielt werden. Werde demnächst Bilder einscannen.-- Musicologus 20:37, 10. Jan. 2009 (CET)
Ergänzung und Präzision des hier diskutierten aus französischer Sicht
BearbeitenAlles in französischer Sprache auf ARTE TV.
Einfach ansehen.... -- Frinck 17:36, 22. Mär. 2009 (CET)
- http://www.arte.tv/fr/recherche/2256930.html Anbei 5 Filme mit dem Geigenbauer Antoine Laulhère www.violino.fr und ersten Tests des Klangergebnisses im Zusammenspiel.
- http://www.arte.tv/fr/Videos-sur-ARTE-TV/2151166,CmC=2281590.html Alle theoretischen Erkenntnisse der Orchester Zusammensetzung im 17. und frühen 18. Jhdt. Interview mit Patrick Cohën-Akenine, in dem die Zusammensetzung der Vingt-quatre Violons du Roy und deren Klang erläutern, sowie die Geschichte der Wiederherstellung der original Größen der Instrumente. Die Quinte de violon hatte eine Korpuslänge von 54 cm und entspricht m.E. dem hier und unter Viola pomposa beschriebenen Instrument. Es wird u.a. gesagt, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts die "Spallas" als Kindercellos umfunktioniert wurden. Dass in Forschungen zu Beginn des 20. Jhdt. normale Bratschen statt der 3 verschiedenen "tailles" eingesetzt wurden und dass so wichtige Farben im Klangbild nicht vorhanden waren.
- http://www.arte.tv/fr/accueil/Videos-sur-ARTE-TV/2151166,CmC=2343000.html Die Quinte „Live in Concert“
- http://www.arte.tv/fr/Videos-sur-ARTE-TV/2151166,CmC=2268916.html Gleich eine vierer Gruppe Schultercellos bei den 24 V. du roi.
- Seit ein paar Wochen sind die 6 Suiten von Bach aufm Schultercello im Handel
== ... aus der Sicht eines Barockcellisten: Es ist sehr erfreulich, Genaueres aus dieser zentralen Zeit des Barock am Hof Louis XIV zu erfahren. Der homogene Klang eines solchen Schultergeigenensembles ist frappierend homogen und strahlend. Ein Instrument wäre ja auch noch spannend, nämlich die französische Basse de Violon, eines der beiden verschiedenen Instrumente, die heute mit "Violone" bezeichnet werden. Soweit ich weiss, haben die (konservativen) Franzosen das Prinzip der Instrumentenfamilie konsequent durchdekliniert; jedenfalls stand die Basse de Violon wohl auf BB F c g. Ich habe mal auf einem Nachbau, einmal auf einem "Rückbau" gespielt und fand beide sehr unhandlich, was vielleicht auch an den Instrumenten lag.
Für die Diskussion Violoncello piccolo gibt es vielleicht nicht so viel her. Mag sein, dass solche großen Geigen auch als Kindercelli verwendet wurden; übrigens gab es in Sachsen zur Bachzeit ähnliche Modelle, deren Funktion sehr obskur ist. Der französische Barock war schon etwas sehr Spezielles. Dass der Fünfsaiter vermutlich dort häufig war (in der IMSLP finden sich 6 Sonaten von Masse von 1736, auch für Fünfsaiter sehr gut, für Viersaiter seltsam zu spielen), hatte mit der höfischen Musikszene nichts zu tun, weil sich der Fünfsaiter nun gerade nicht so gut mit den anderen Geigen gemischt hat. Eher damit, dass Gambisten unter den Geigen wahrscheinlich den Fünfsaiter als vertrautestes und vielse(a)tigeres Instrument evtl. bevorzugt hätten. Also die modernen Bürger, nicht die traditionsbewussten Höflinge.
Die Einspielung von Kuijken klingt nett, und ich finde es genauso legitim, diese Violoncellomusik in Armhaltung zu spielen, wie die Bachkantaten eingespielt von Christophe Coin mit fünfsaitigem Violoncello (diese allerdings klanglich inspirierender). Mit "historisch" hat das aber vermutlich wenig zu tun, und Bratschisten verwenden die Cellosuiten ja auch schon lange. Leider wird da manchmal selbst von Experten unwissenschaftliches kolportiert, um die eigene Position zu stützen.
Frage: schon klar, dass die große Bratsche wie eine Viola da Spalla aussieht, allerdings hat sie 4 Saiten. Wurde der Begriff Viola pomposa denn irgendwo schon mit einem Viersaiter angetroffen? Sonst wäre doch "Taille" der richtige Begriff?