Distanzritt Berlin–Wien, Wien–Berlin 1892

Militärische Übung deutscher und österreich-ungarischer Offiziere

Der Distanzritt Berlin–Wien, Wien–Berlin 1892 fand im Herbst 1892 statt. Es war ein bis dahin nicht dagewesener[2] militärischer Übungsritt für Offiziere des deutschen und des österreich-ungarischen Heeres zwischen Berlin und Wien bzw. Wien und Berlin.[3] Dieser als Wettbewerb ausgetragene Ritt über eine Entfernung von 572 Kilometern erbrachte erstmalige und überraschende Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit der Kavallerietruppe. Er war aber aus tierschützerischen Motiven auch stark umstritten. Trotz der aus diesem Grund teilweise negativen Presseberichterstattung der Zeit findet der moderne Distanzsport in diesem Ausdauerritt seinen Ursprung, neben dem Distanzreiten und dem Kutsch-Distanzfahren beispielsweise auch das Langstrecken-Fahrradrennen.[4]

Eine Veröffentlichung zum Distanzritt aus dem Jahre 1893[1]

Hintergrund

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Vorausgegangen war der Ausschreibung zu dem Wettbewerb eine Wette zwischen dem österreichischen Kaiser Franz Josef[5] und dem deutschen Kaiser Wilhelm II. über die Einsatzmöglichkeiten der jeweiligen berittenen Truppenteile. Der Ritt sollte der Erprobung der Kriegstüchtigkeit der beiden Armeen dienen. Beide Kaiser stifteten je einen Ehrenpreis für den Besten des anderen Landes. Außerdem wurden von verschiedenen Ministerien beider Länder Geldpreise für die nachfolgend Platzierten ausgelobt.

Der Wettbewerb zwischen den Teilnehmern der beiden Armeen erfüllte jedoch nicht nur einen militärischen Zweck[6], er löste damals in Deutschland und Österreich eine große nationale Euphorie unter den Bevölkerungen der beiden Länder aus. Schließlich sollte dieses Rennen auch die vormals verfeindeten, nun aber im Kriegsfalle verbündeten Armeen verbinden.[7] Entsprechend groß war der Ehrgeiz der Teilnehmer, und viele bereits erfolgreiche Jagdreiter unter den Militärs meldeten sich an. Auch bedeutende Vertreter des deutschen Hochadels, wie der Hauptmann Ernst Günther Herzog von Schleswig-Holstein (84. in der Gesamtwertung), ein Schwager des deutschen Kaisers oder der Major Prinz Friedrich Leopold von Preußen (37. in der Gesamtwertung) ritten mit.

Wettkampfbedingungen

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Die Ausschreibung wurde von einer gemischten Kommission hochrangiger Offiziere beider Seiten vorgenommen. Es galt, die jeweilige Strecke in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen, die Gesamtzeit von Start bis Ziel inklusive Ruhepausen wurde gerechnet. Ein Pferdewechsel war nicht erlaubt. Es wurden weder Tierarzt-Kontrollen durchgeführt noch Zwangspausen vorgeschrieben. Zwar wurde auf beiden Seiten ein mit je 5.000 Mark gutdotierter „Konditionspreis“ ausgeschrieben, der neben der Geschwindigkeit auch den gesundheitlichen Zustand des Pferdes bei Zieleinritt berücksichtigen sollte[8], dennoch war voraussehbar, dass die körperliche Unversehrtheit der Pferde bei diesem dem militärischen Ernstfall nachgespielten Ritt zurückgestellt werden würde. Jedem Reiter blieb es selbst überlassen, wie sehr er sich und sein Pferd belastete. Entsprechend hoch waren die gesundheitlichen Schäden bzw. Ausfälle bei den zumeist edlen, voll- oder halbblütigen Pferden. Innerhalb einer Woche nach dem Rennen verendeten 30 der 250 Pferde aus dem Teilnehmerfeld, darunter auch die der Sieger.

Das Startgeld betrug 100 Mark, die 40 schnellsten Reiter sollten eine Siegprämie von mindestens 500 Mark erhalten. Für den ersten Sieger wurden 20.000 Mark, für den zweiten 10.000 Mark und für den dritten 6.000 Mark ausgelobt.

Verlauf und Ergebnis

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Teilnehmer des Distanzrittes Berlin–Wien 1892[9]. In der Mitte vorne die drei erstplatzierten deutschen Reiter, vlnr.: Premierleutnant Freiherr von Reitzenstein, Secondeleutnant Albrecht von Thaer und Premierleutnant von Kronenfeldt;
Stich von H. Schnaebeli & Co.

Am 1. Oktober 1892[10] brachen von Wien 118 österreichisch-ungarische Offiziere Richtung Berlin auf, von Berlin aus starteten 132 deutsche Kavalleristen. Auf deutscher Seite hatten die Kürassier-, Husaren-, Dragoner- und Ulanenregimenter[11] ihre vielversprechendsten Reiter gemeldet, die die Ehre der jeweiligen Einheiten zu verteidigen hatten. Zumeist wurden private Pferde verwendet. Der Kavallerie-Oberst Heinrich von Rosenberg betreute die deutschen Reiter.

Die Österreicher, die vorteilhafterweise zunächst im schweren und später im leichten Gelände ritten, konnten auf der 572 Kilometer langen Strecke durchweg bessere Zeiten erzielen[12]. Gesamtsieger wurde der Oberleutnant im Husarenregiment Nr. 7 Wilhelm Graf Starhemberg (1862–1928) auf dem englisch-ungarischen Halbblut Athos mit einer Gesamtzeit von 71 Stunden und 40 Minuten[13]. Davon entfielen nur elf Stunden auf Pausen. Starhemberg erhielt 20.000 Mark Preisgeld sowie den Ehrenpreis des Kaisers Wilhelm und den Roten Adlerorden 4. Klasse. Sein Pferd verstarb wenige Stunden später.

Der zweitbeste österreichische Reiter war Oberleutnant von Miklos, der mit einer Zeit von 74 Stunden und 24 Minuten in der Gesamtwertung den 3. Platz errang und ein Preisgeld von 6.000 Mark erzielte. Als dritter Österreicher traf Leutnant Hofer mit 74 Stunden und 42 Minuten Reitzeit in Berlin ein. Er erhielt 4.500 Mark. Auf österreichischer Seite erhielt Rittmeister Haller, im Gesamtergebnis auf dem 25. Platz, den „Konditionspreis“ in Höhe von 5.000 Mark.

Zielort der deutschen Reiter war Floridsdorf, ein Vorort von Wien. Deutscher Sieger wurde der Premierleutnant Freiherr von Reitzenstein vom Kürassier-Regiment Nr. 4 auf der Senner Stute Lippspringe in 73 Stunden und sechs Minuten[14]. Er erhielt den Ehrenpreis des Kaisers Franz Josef sowie 10.000 Mark Preisgeld. Sein Pferd verendete ebenfalls am Tage nach dem Zieleinlauf.

Zweitbester deutscher Reiter (und in der Gesamtwertung Neunter) wurde Secondeleutnant Albrecht von Thaer (Kürassierregiment von Seydlitz Magdeburg Nr. 7) mit einer Gesamtreitzeit von 78 Stunden und 45 Minuten. Das errungene Preisgeld betrug 1.800 Mark. Drittbester Deutscher wurde Premierleutnant von Kronenfeldt vom Feldartillerie-Regiment Nr. 10 mit einer Zeit von 79 Stunden und 6 Minuten. Der „Konditionspreis“ für die deutschen Reiter wurde geteilt und je 2.500 Mark erhielten der Gesamtelfte Kronenfeldt und der Secondeleutnant Johannsen, der in der Gesamtwertung auf Platz 17 (mit einer Reitzeit von 80 Stunden und 45 Minuten) kam.

Teilnehmer und Platzierungen (Auszug)

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Deutschland

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Ehrenpreis Kaiser Wilhelms II. für den Erstplatzierten, Oberleutnant Graf Starhemberg

Österreich

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Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Buchgrafik in: E. von Naundorff (Hrsg.), Der grosse Distanzritt Berlin - Wien im Jahre 1892. Nach den zuverlässigsten amtlichen Quellen und den persönlichen Aufzeichnungen der einzelnen Theilnehmer, sowie der über denselben erschienenen Veröffentlichungen, Verlag J. Paul Lis, Breslau 1893
  2. gem. Dominique Trachsel auf Endurance-Bernwest.ch
  3. Der Ritt wurde als der "Große Distanzritt Berlin-Wien 1892" für die Deutschen und als der "Große Distanzritt Wien-Berlin 1892" für die Österreicher bezeichnet.
  4. So entstand die erste große Langstrecken-Fahrradrennen als direkte Folge des Rittes bereits im Folgejahr auf derselben Strecke, gem. Die Distanz-Fahrt Wien - Berlin 1893 auf cycling4fans.de
  5. Der österreichische Kaiser war zunächst skeptisch, da er befürchtete, dass der Ritt für die Pferde zur Quälerei werden könnte, gem. Martin Haller, Pferde unterm Doppeladler, siehe Literaturverzeichnis (S. 85).
  6. Zu den militärischen Beweggründen schreibt Gerhard Keerl: "... Daß auf längere Entfernungen und bei mehrtägigen Märschen Fußtruppen nicht gegenüber Einzelreitern, wohl aber gegenüber Reiterverbänden paradoxerweise nur wenig langsamer waren, hatte man schon länger erkannt. Nun galt es für die Heeresführungen zu testen, wo die Leistungsgrenzen des Pferdes für Dauerleistungen lagen, ohne es zu opfern, und Erfahrungen für Nachtritte zu verbessern ..." in: Gerhard Keerl, Reiter und Ritte, siehe Literaturverzeichnis (S. 186)
  7. gem. Barbara und Werner Sißmann auf Distanzpferd.de
  8. gem. Albin Friedrich Wilhelm Theodor Freiherr von Reitzenstein, Mein Distanzritt Berlin - Wien, Vortrag, gehalten in der militärischen Gesellschaft zu Berlin am 7. Dezember 1892, Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Berlin 1893 (S. 4)
  9. Stich von Schnaebeli & Co, Berlin, mit den 120 deutschen Teilnehmern
  10. Es wurde auf deutscher Seite wegen der hohen Teilnehmeranzahl in drei Wellen vom 1. bis zum 3. Oktober gestartet.
  11. Daneben traten noch Offiziere von Garde-Einheiten zu Pferde bzw. der berittenen Feldartillerie an.
  12. gem. Siegfried A. Kaehler (Hrsg.), Generalstabsdienst an der Front und in der O.H.L., Göttingen, 1958
  13. Starhemberg hatte sich - anders als die Teilnehmer auf deutscher Seite - gezielt auf das Rennen vorbereitet und die Strecke bereits im August langsam abgeritten. Gem. Martin Haller, Pferde unter dem Doppeladler, siehe Literaturverzeichnis (S. 85)
  14. Hätte Reitzenstein sich nicht kurz vor Zieleinlauf verritten und so 90 Minuten verloren, wäre er vermutlich Gesamtsieger geworden, gem. der Schweizer Zeitschrift Kavallo

Literatur

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  • C. von Blottnitz, Freiherr von Reitzenstein, Wien-Berlin 1892. Berichte vom Distanzritt, in: Joachim R. de Bruycker (Hrsg.), Die Abenteuer der Großen Distanzritte: Straßburg-Granada 1881, Berlin-Wien-Berlin 1892, Saarbrücken-Rom 1900, Verlag Moby Dick, Kiel, 1985
  • Distanzritt und Humanität. In: Die Gartenlaube. Heft 23, 1892, S. 738–739 (Volltext [Wikisource]).
  • Distanzritt Wien – Berlin im October 1892. Zusammengestellt nach Angaben der Theilnehmer, Verlag Friedrich Beck, Wien, 1893
  • Thomas Druml, Glanz und Untergang, aus der Serie: Österreichische Pferdezucht im 20. Jahrhundert (Teil 1), in der Zeitschrift: Pferderevue, Ausgabe 11/2006, 2006 (S. 58 f.)
  • Martin Haller: Pferde unter dem Doppeladler. Das Pferd als Kulturträger im Reiche der Habsburger, Georg Olms Verlag, Hildesheim 2002
  • Gerhard Keerl, „Reiter und Ritte. Historische Streifzüge“, aus der Reihe: Nova Hippologica, ISBN 3-487-08415-5, Georg Olms Verlag, Hildesheim 2000
  • Albrecht von Thaer, Gen.-Major a. D., Distanzritt Wien-Berlin, Berlin-Wien. October 1892, o. V., 1952
  • Distanzritt Wien – Berlin im October 1892. Zusammengestellt nach Angaben der Theilnehmer, Friedrich Beck, Wien 1893
  • E. von Naundorff, Der grosse Distanzritt Berlin – Wien im Jahre 1892. Verlag J. Paul Lis, Breslau 1893

Siehe auch

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Commons: Distanzritt Berlin-Wien 1892 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien