Eberhard Havekost

deutscher Maler (1967–2019)

Eberhard Havekost (* 12. Oktober 1967 in Dresden; † 5. Juli 2019[1] in Berlin) war ein deutscher Maler.

Werdegang und Würdigung

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Eberhard Havekost wurde 1967 in Dresden geboren, ging in die Kreuzschule und war Sängerknabe im Dresdner Kreuzchor. Nach dem Abitur machte er eine Steinmetzlehre. 1989 floh er über Budapest in den Westen und lebte anschließend in Frankfurt am Main.[2]

Von 1991 bis 1996 studierte er an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. 1997 wurde er dort Meisterschüler unter Ralf Kerbach. 1999 erhielt er das Karl-Schmidt-Rottluff-Stipendium. Die Kunstakademie Düsseldorf berief ihn mit Wirkung zum Sommersemester 2010 zum Professor für Malerei. Havekost lebte und arbeitete in Berlin, wo er im Juli 2019 im Alter von 52 Jahren überraschend starb.[3]

Aus der Tradition der realistischen Malerei und teilweise des Fotorealismus der 1970er Jahre entwickelte Havekost einen Malstil, der gleichzeitig wahrheitsgetreu und augentäuschend ist. Außer den rein gegenständlichen Bildern gehören zu seinem Werk ebenso Abstraktionen, wobei Havekost mit den beiden Darstellungsweisen stets dasselbe Ziel verfolgte: die Mechanismen unserer visuellen Wahrnehmung zu erforschen. Er brach mittels Verzerrungen bewusst mit den Sehgewohnheiten des Betrachters.[4]

Werke von Havekost befinden sich unter anderem in den Beständen des Museum of Modern Art in New York, der Rubell Family Collection, der Tate Modern London[5], des Städel Museums in Frankfurt a. M. sowie des Stedelijk Museum in Amsterdam.

Alleinstehende Objekte, Fassaden, Menschenakte, Verkehrsmittel, Pflanzen, Landschaften und seltener Figurenkonstellationen sind die erkennbaren Motive in Havekosts Gemälden. Das eigentliche Thema, das sich anhand der ausgewählten Motive realisiert, ist die Materialität der Wirklichkeit, die flüchtig wahrgenommen und häufig übersehen wird.

Als Vorlagen für seine Bilder benutzte Eberhard Havekost eigene oder aufgefundene Fotografien. Sie wurden digital bearbeitet und es wurden beispielsweise Helldunkelwerte und Farben verändert, Details verwischt oder verzerrt.[6] So verlieren die auf den Aufnahmen festgehaltenen Gegenstände oft ihre Erkennbarkeit[7] und relativieren den Blick auf die Realität.

Die Werke von Eberhard Havekost beschäftigen sich mit dem Prozess des Sehens und des Wahrnehmens und stellen oft die Sehgewohnheiten in Frage. Eine große Rolle spielt dabei die Subjektivität des Sehens, deren Zufälligkeit mit bildnerischen Mitteln in Havekosts Gemälden offenbart wird.[8] Die Tatsache, dass Menschen nicht unmittelbar sehen, sondern nur innerhalb der empirischen Strukturen die Dinge der Außenwelt identifizieren, veranlasste Havekost dazu, durch die visuellen Veränderungen der gewöhnlichen Objekte einen Weg aus dieser Determination vorzuschlagen und zum unabhängigen reinen Anschauen zu bewegen. Havekost ging es darum, „zu fragen, mit welchen Filtern wir wahrnehmen“, und diese Filter zu „dechiffrieren“.[9]

Die Welt der Dinge

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Havekost konzentrierte sich auf die Darstellung der Gegenstände – der Welt der Dinge. Häufig werden Objekte alleinstehend, ohne Kontext oder menschliches Zutun gezeigt. So wird ein Gegenstand von den Bedeutungen befreit, die ihm im Prozess der Funktionalisierung von Menschen zugeschrieben werden. Seine Gemälde suggerieren, „dass den Dingen eine Irreduzibilität, eine Lebendigkeit und Dichte zu eigen ist, die unabhängig von unserer Wahrnehmung besteht.“[8]

In Havekosts Bildern werden überwiegend Ausschnitte von Gegenständen dargestellt. Damit schärft er den Blick auf Details, die die Gesamtheit der Realität bilden. Häufig wird ein und dasselbe Motiv in Serien von mehreren Werken behandelt. Mit dem Perspektivenwechsel ist eine ständige Veränderung verbunden: die geringste Versetzung führt dazu, dass jeweils ein etwas anderer Teil des Objektes sichtbar wird und der Betrachter jedes Mal einen anderen Gegenstand vor Augen hat. Durch den ständigen Wechsel des Blickwinkels zeigt Havekost die Vielschichtigkeit der Realität.

Oberfläche

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Ein anderes wichtiges Merkmal ist die betonte Nahsicht auf die dargestellten Gegenstände. Havekost arbeitet mit der Oberfläche, die ein eigentlicher sichtbarer Teil der Objekte ist. Häufig wird diese Thematisierung im digitalen Kontext verstanden und mit dem Phänomen der Benutzeroberfläche verglichen. Dieser Begriff bezeichnet den sichtbaren Teil eines Computerprogramms, der für Interaktion mit dem Benutzer geeignet ist. Wichtig dabei ist, dass das eigentliche digitale System hinter dieser Oberfläche verborgen bleibt und für den gewöhnlichen Nutzer unsichtbar bleibt. Nach dieser Analogie präsentiert Havekost in seinen Bildern die sichtbare Wirklichkeit durch ihre Oberfläche. Um hinter die äußere Fassade zu gelangen, wird eine erhöhte Blickkonzentration gefordert. Havekost malt nicht die Objekte ab, die auf der Oberfläche zu sehen sind, sondern er malt die Benutzeroberfläche selbst.[10]

Distanz und Kälte

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Um den Blick auf die Gegenstände so zu aktivieren, arbeitete Havekost mit den Gegensätzen wie Distanz und Nähe, Wärme und Kälte. Extreme Nahansichten und nüchterner Detailrealismus[8] sind kennzeichnend für seine Malerei. So entwickelte sich eine undurchdringliche Malweise, die den flüchtigen Blick auf die Außenwelt entspricht – gerade er wird in Havekosts Bildern thematisiert. In seiner Malerei unterliegt dieser Blick einem Verlangsamungsprozess.[6]

Einzelausstellungen (Auswahl)

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Sammlungen

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Literatur

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  • Eberhard Havekost, Logik; Editor: Galerie Rudolfinum; Text: Petr Nedoma, Petr Vanous, Invar-Torre Hollaus; Prag 2017.
  • Eberhard Havekost, Inhalt, Publisher: Sternberg Press; Editor: Andreas Fiedler; Berlin 2016.
  • Eberhard Havekost, Titel, Publisher: Walter Smerling; Text: Walter Smerling, Katy Siegel, Robert Fleck; Köln 2013.
  • Eberhard Havekost, In India, Publisher: Distanz Verlag; Text: Tasneem Mehta; Gespräche zwischen Bose Krishnamachari und Eberhard Havekost; Berlin 2012.
  • Eberhard Havekost, Ausstellung, Publisher: Distanz Verlag; Text: Ulrich Loock, Barry Schwabsky, Jean-Charles Vergne; Berlin 2010.
  • Eberhard Havekost, Guest, Publisher: White Cube; Text: Craig Burnett; London 2010.
  • Eberhard Havekost, Retina, Publisher: Verlag der Buchhandlung Walter König; Text: Max Hollein, Jean-Charles Vergne; Köln 2010.
  • Eberhard Havekost, Entrée, Publisher: Schirmer/Mosel; Text: Jean-Charles Vergne; München 2007.
  • Eberhard Havekost, Benutzeroberfläche, Publisher: Schirmer/Mosel; Text: Heiner Bastian, Eberhard Havekost; München 2007.
  • Eberhard Havekost, Harmonie, Publisher: Kunstmuseum Wolfsburg, Hatje Cantz Verlag; Text: Th. Köhler, Susanne Köhler, Annelie Lütgens, Ludwig Seyfahrt; Wolfsburg 2005.
  • Eberhard Havekost, Grafik 1999–2004, Publisher: Verlag der Buchhandlung Walter König; Text: Wolfgang Holler, Raimar Stange, Tobias Burg, Hans-Ulrich Lehmann; Köln 2004.
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Einzelnachweise

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  1. Eberhard Havekost gestorben. Dresdner Neueste Nachrichten, 5. Juli 2019, abgerufen am 5. Juli 2019.
  2. Character im Porträt Eberhard Havekost. (PDF) Bethmann Bank, September 2014, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 6. Juli 2019; abgerufen am 6. Juli 2019.
  3. Dresdner Maler Eberhard Havekost gestorben (Memento vom 6. Juli 2019 im Internet Archive), deutschlandfunkkultur.de, erschienen und abgerufen am 6. Juli 2019.
  4. Thobias Burg: Oszillationen zwischen Kunst und Wirklichkeit. In: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Eberhard Havekost. Graphik 1999-2004. Köln 2004.
  5. Homepage Tate, abgerufen am 5. Juli 2019
  6. a b Susanne Köhler: Destiny – Zur neuen Werkgruppe von Eberhard Havekost. In: Kunstmuseum Wolfsburg and Hatje Cantz Verlag (Hrsg.): Eberhard Havekost: Harmonie. Bilder 1998 – 2005. Ostfildern-Ruit 2005, ISBN 978-3-7757-1651-2.
  7. Barry Schwabsky: Phantombilder. In: Distanz Verlag (Hrsg.): Eberhard Havekost: Ausstellung. Berlin 2010, ISBN 978-3-942405-14-0.
  8. a b c Katy Siegel: Und der Mond kam näher. In: Walter Smerling (Hrsg.): Eberhard Havekost: TITEL. Köln 2013, ISBN 978-3-942405-72-0.
  9. Eberhard Havekost: Ich male, was ich nicht sehe. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Nr. 12, 23. März 2003.
  10. Ludwig Seyfarth: Benutzeroberflächen. In: Kunstmuseum Wolfsburg and Hatje Cantz Verlag (Hrsg.): Eberhard Havekost: Harmonie. Bilder 1998–2005 Ort=Ostfildern-Ruit. 2005, ISBN 978-3-7757-1651-2.
  11. In Berlin-Neukölln eröffnet die Kindl-Brauerei jetzt komplett als Zentrum für zeitgenössische Kunst. Es soll um die Gegenwart gehen. VON BIRGIT RIEGER
  12. Gefeierter Maler Eberhard Havekost in Duisburg - dpa via Focus, 11. Juli 2013
  13. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Ausstellung 13. November 2010 bis 6. Februar 2011 (Memento vom 14. Juni 2011 im Internet Archive)
  14. The Collection | MoMA. Abgerufen am 6. Februar 2019.
  15. Tate: Eberhard Havekost born 1967. Abgerufen am 6. Februar 2019 (britisches Englisch).
  16. Eberhard Havekost. Abgerufen am 6. Februar 2019.
  17. SKD | Online Collection. Abgerufen am 6. Februar 2019.
  18. Eberhard Havekost. Abgerufen am 6. Februar 2019.