Ebrahim Hussein
Ebrahim Hussein (* 1943 in Britisch-Tanganjika) ist ein tansanischer Dramatiker. Sein erstes Theaterstück, Kinjeketile (1969), das auf Suaheli geschrieben wurde und auf dem Leben von Kinjikitile Ngwale, einem Anführer des Maji-Maji-Aufstands während der deutschen Kolonialherrschaft in Ostafrika, beruht, gilt als „Meilenstein des tansanischen Theaters.“[1]
Leben und Werk
BearbeitenHussein wurde an der Aga Khan Secondary School in Daressalam und an der University of Eastern Africa in derselben Stadt ausgebildet, wo er französische Literatur und Theaterwissenschaft studierte. Dort schrieb er seine ersten Einakter, wie Wakati Ukuta (dt. Die Zeit ist eine Mauer) und Alikiona (dt. Konsequenzen). In diesen frühen Werken geht es oft um Spannungen zwischen der alten und der neuen Generation und um die Zerrissenheit, die sich aus dem europäischen Kolonialismus ergeben hatte. Obwohl Hussein Elemente der europäischen Vorstellungen von einem klassischen Theaterstück in der Tradition von Aristoteles übernahm, wie z. B. die Guckkastenbühne, interessierte er sich auch für traditionelle afrikanische Theaterformen und die Erwartungen des Publikums.[2] Einige seiner frühen Stücke, wie Alikiona, enthalten Elemente des kichekesho, einer komischen Einlage in den Pausen vieler Taarab-Musikaufführungen.[3]
Anfang der 1970er Jahre studierte Hussein an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin und schrieb seine Dissertation mit dem Titel Zur Entwicklung des Theaters in Ostafrika.[4] Ausgehend von Kinjeketile verwendete er auch Elemente des epischen Theaters im Stil von Bertolt Brecht. Später veröffentlichte er Jogoo Kijini und Ngao ya Jadi, zwei Texte für einen einzelnen Schauspieler, in denen er die Suaheli-Tradition des Geschichtenerzählens (Hadithi) verwendete.[5] Weitere Stücke sind Mashetani und Arusi, in dem Hussein seine Enttäuschung über die tansanische politische Theorie der Ujamaa zum Ausdruck bringt.[6]
Werke
BearbeitenTheaterstücke
Bearbeiten- Kinjeketile, 1969[7]
- Michezo ya kuigiza, 1970
- Mashetani, 1971
- Jogoo Kijijini und Ngao ya Jadi, 1976
- Arusi, 1980
- Jambo la maana, 1982
- Kwenye ukingo wa Thim, English translation At the edge of thim, 1988
- Ujamaa
Einakter
Bearbeiten- Wakati Ukuta (dt. Die Zeit ist eine Mauer), 1967
- Alikiona (dt. Konsequenzen)
Rezeption
BearbeitenAufgrund seiner politischen Aussage im Kontext des Maji-Maji-Aufstands wurde Husseins erstes Theaterstück Kinjeketile zu einem der Standardthemen für Prüfungen in Suaheli in tansanischen und kenianischen Schulen und wurde mehrfach neu aufgelegt.
Der Theaterwissenschaftler Joachim Fiebach bezeichnete Husseins Stücke als eine „Dramaturgie, die übernommene europäische Modelle eines intimen Theaters mit nicht-aristotelischen und völlig einzigartigen eigenen Techniken zu verschmelzen oder zu vermischen scheint."[8]
In seiner Studie Ebrahim Hussein: Swahili Theatre and Individualism äußerte sich der französische Literaturwissenschaftler Alain Ricard über die Bedeutung Husseins für das Theater in Suaheli: „Ebrahim Hussein ist der bekannteste Suaheli-Dramatiker und die vielschichtigste literarische Persönlichkeit Tansanias. Er ist in erster Linie als Dramatiker bekannt, aber auch als Theoretiker, dessen Dissertation über das Theater in Tansania nach wie vor als Standardwerk gilt. Seine Stücke sind ein Korpus an theatralischem Material, das für das Verständnis der politischen und sozialen Entwicklung Tansanias im Zusammenhang mit der Suahili-islamischen Küstenkultur, zu der er gehört, von großer Bedeutung ist."[3]
Der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Robert M. Philipson veröffentlichte 1989 seine Dissertation mit dem Titel Drama and National Culture: a Marxist Study of Ebrahim Hussein. In seiner Rezension über die Studie von Alain Ricard[9] schrieb Philipson: „Ebrahim Hussein ist ein schwieriger Fall. Er ist nach Wole Soyinka und Athol Fugard der interessanteste und begabteste Dramatiker, den Afrika hervorgebracht hat, doch sein Name wird in europäischen Studien über afrikanische Literatur nur selten erwähnt. [...] Der Grund dafür ist einfach: Hussein schreibt auf Suaheli, und sein dramatisches Werk, mit Ausnahme von Kinjeketile, ist nicht in eine westliche Sprache übersetzt worden.“[10]
Ebrahim Hussein Poetry Prize
BearbeitenDer Ebrahim Hussein Poetry Prize ist eine Auszeichnung, die seit 2014 jährlich dem Gewinner des gleichnamigen Gedichtwettbewerbs in Tansania verliehen wird. Der Wettbewerb wurde nach dem Wunsch des verstorbenen kanadischen Filmemachers Gerald Belkin (1940-2012) ins Leben gerufen. Dieser hatte in den 1960er Jahren Hussein in Tansania kennengelernt. Kurz vor seinem Tod hatte Belkin diesen Preis gegründet, um die Karriere von jungen Lyrikern der Suaheli-Literatur zu fördern.[11] Die ausgewählten Gedichte wurden 2017 unter dem Titel Diwani ya tunzo ya ushairi ya Ebrahim Hussein (Anthologie des Ebrahim Hussein Poetry Prize) veröffentlicht.[12]
Ebrahim Hussein Fellowship
BearbeitenDie Ebrahim-Hussein-Stiftung für die Erforschung afrikanischer Kulturen (expressive cultures) wurde 2003 am College of Letters and Science der University of Wisconsin-Madison dank eines Stipendiums von Robert M. Philipson, einem Absolventen des College, eingerichtet. Das College vergibt jedes Jahr 7500 US-$ an einen oder mehrere Vollzeitstudenten, die dort Forschungsarbeiten über afrikanische Kultur und/oder Archive außerhalb der Vereinigten Staaten durchführen.[13]
Literatur
Bearbeiten- Affiah, Uwem, und Patience George Eni. Drama and the Revolutionary Archetype: Ebrahim Hussein’s Kinjeketile and Wa Thiong’o And Mugo’s The Trial Of Dedan Kimathi. European Journal of Literature, Language and Linguistics Studies 2.3 (2018).
- Mwaifuge, Eliah S. German Colonialism, Memory and Ebrahim Hussein’s Kinjeketile. 2014, (pdf)
- Kuloba, Agnes N. Translation inadequecies in the English version of Kinjeketile. Diss. University of Nairobi, 2013.
- Alamin M. Mazrui: Swahili Beyond the Boundaries: Literature, Language, and Identity. Ohio University Press, 2007, ISBN 978-0-89680-252-0, S. 34–35 (englisch, google.com).
- Martin Banham, Errol Hill, George Woodyard: The Cambridge Guide to African and Caribbean Theatre. Cambridge University Press, 1994, ISBN 978-0-521-41139-4, S. 115–116 (englisch, google.com).
- Amandina Lihamba: Popular theatre in Africa. Nr. 4, 1992, OCLC 1248428484, S. 53–64 (englisch).
- Penina Muhando Mlama: Tanzania's cultural policy and its implications for the contribution of the arts to socialist development. Utafiti, Dar es Salaam 1985, OCLC 61749373 (englisch).
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Alain Ricard: Ebrahim's Predicament. In: Research in African Literatures. 23. Jahrgang, Nr. 1, 1992, S. 175–178, JSTOR:3819960 (englisch).
- ↑ Joachim Fiebach: Ebrahim Hussein's Dramaturgy: A Swahili Multiculturalist's Journey in Drama and Theater. In: Research in African Literatures. 28. Jahrgang, Nr. 4. Indiana University Press, 1997, S. 22–27, JSTOR:3820782 (englisch).
- ↑ a b Alain Ricard: Ebrahim Hussein: Swahili Theatre and Individualism. Mkuki na Nyota, Daressalam 2000, ISBN 9976-973-81-0, S. 19–21 (englisch).
- ↑ Ebrahim Hussein: On the development of theatre in East Africa. Hrsg.: Humboldt-Universität, Gesellschaftswiss. Fak., Diss. A. Berlin 1975 (englisch).
- ↑ Joachim Fiebach: Ebrahim Hussein's Dramaturgy: A Swahili Multiculturalist's Journey in Drama and Theater. In: Research in African Literatures. 28. Jahrgang, Nr. 4. Indiana University Press, 1997, S. 22–27, JSTOR:3820782 (englisch).
- ↑ Alain Ricard: Ebrahim's Predicament. In: Research in African Literatures. 23. Jahrgang, Nr. 1, 1992, S. 175–178, JSTOR:3819960 (englisch).
- ↑ Hussein, E.N. 1969. Kinjeketile. Kiswahili Version. Dar es Salaam: Oxford University Press; Hussein, E.N. 1970: Kinjeketile. English Version. Dar es Salaam: Oxford University Press.
- ↑ Fiebach 1997, S. 26
- ↑ Alain Ricard. Ebrahim Hussein. Théâtre swahili et nationalisme tanzanien. Paris: Karthala 1998, ISBN 2-86537-834-9
- ↑ Robert Philipson: Ebrahim Hussein: Theatre swahili et nationalisme tanzanien (review). In: Research in African Literatures. Band 30, Nr. 4, 1999, ISSN 1527-2044, S. 226–227, doi:10.1353/ral.2005.0048 (englisch).
- ↑ The Ebrahim Hussein Poetry Prize. 1. April 2021, abgerufen am 22. Dezember 2024 (englisch).
- ↑ Juzuu La Pili: Diwani ya tuzo ya ushairi ya Ebrahim Hussein. Juzuu la pili. Juzuu la pili. Mkuki na Nyota Publishers, Dar es Salaam 2017, ISBN 978-9987-08-326-8 (Suaheli).
- ↑ Ebrahim Hussein Fellowship. University of Wisconsin, African Cultural Studies Dept, abgerufen am 11. September 2020 (englisch).
Personendaten | |
---|---|
NAME | Hussein, Ebrahim |
KURZBESCHREIBUNG | tansanischer Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 1943 |
GEBURTSORT | Britisch-Tanganjika |