Edmond Vermeil
Edmond-Joachim Vermeil (* 29. Mai 1878 in Vevey; † 14. April 1964 in Paris) war ein französischer Germanist.
Leben
BearbeitenAls Sohn eines protestantischen Kaufmanns besuchte Edmond Vermeil die Volksschule in Congénies und das Lycée in Montpellier, später in Nîmes. Von 1904 bis 1907 war er an der Universität Göttingen als Lektor tätig. Nach Frankreich zurückgekehrt, unterrichtete er in Paris an der École Alsacienne deutsche Sprache und Kultur. 1912 promovierte er bei Charles Andler[1] über den katholischen Theologen Johann Adam Möhler. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde eingezogen und war von 1915 bis 1917 Kommandeur eines Maschinengewehrbataillons. Nach einer Verwundung wurde er dann aber in den militärischen Auslandsnachrichtendienst versetzt und fertigte im französischen Generalhauptquartier in Compiègne Studien über den Frontverlauf und die Moral der deutschen Truppen an[2]. Von 1919 bis 1933 lehrte Vermeil deutsche Kulturgeschichte zunächst an der Universität Straßburg, ab 1933 dann an der Sorbonne. Zu seinen Schülern gehörten u. a. Joseph Rovan und Alfred Grosser.
In den 1920er Jahren war Vermeil um eine Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen auf privater und akademischer Ebene bemüht. Er gehörte u. a. dem von dem Luxemburger Industriellen Émile Mayrisch gegründeten Comité franco-allemand d’information et de documentation an. Seine Veröffentlichungen in dieser Zeit sollten der französischen Politik eine Wissensgrundlage über das Nachbarland bieten und Entscheidungshilfe leisten. Darüber hinaus umfassen seine Veröffentlichungen eine große Bandbreite von Musikerbiographien über sozio-ökonomischen Studien, literaturwissenschaftliche Arbeiten, politikwissenschaftlichen Analysen und tagesaktuellen Presseauswertungen bis hin zu religionshistorischen Studien. Er sympathisierte mit den wirtschaftlichen Reorganisationsbestrebungen Walter Rathenaus und dem Verfassungsentwurf des Staatsrechtlers Hugo Preuß[3]. Bei der Unterzeichnung des Briand-Kellogg-Paktes am 27. August 1928 in Paris war Vermeil Dolmetscher zwischen Raymond Poincaré und dem deutschen Außenminister Gustav Stresemann[4].
Auf Einladung mehrerer deutscher Universitäten befand Vermeil sich von Januar bis Mai 1933 auf einer Reise durch Deutschland und wurde so unmittelbarer Zeuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Seine Eindrücke verarbeitete er in einem Buch, in dem er eine historische Entwicklungslinie von Martin Luther über Bismarck zu Hitler zog und dem autoritär geprägten Protestantismus preußischer Prägung einen entscheidenden Anteil am Scheitern der Weimarer Republik zuschrieb[5]. Als genauer Beobachter der politischen Entwicklung in Deutschland und guter Kenner der Konservativen Revolution versuchte Vermeil in den späten 1930er Jahren mit seinem Buch Doctrinaires de la Révolution allemande (1938) vergeblich, die führenden politischen und intellektuellen Kreise Frankreichs vor der Gefahr zu warnen, die von Seiten des nationalsozialistischen Deutschland drohte.[6] Vermeils 1940 erschienenes zweites Buch L’Allemagne. Essai d’explication beschrieb den Nationalsozialismus als einen radikalen Antiliberalismus, der angetrieben von einer unerschöpflichen Tatkraft („dynamisme illimité“) und mit den Mitteln der totalen Mobilmachung im vollen Frieden zunächst Deutschland und dann ganz Europa seiner rassistischen Herrschaft unterwerfen werde. Vermeil musste Paris unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen verlassen, sein gerade erschienenes Werk wurde von den Besatzern beschlagnahmt und eingestampft und konnte erst nach deren Abzug 1945 wieder erscheinen. Vermeil fand Kontakt zu einer Widerstandsgruppe in Montpellier und konnte 1943 schließlich nach Großbritannien flüchten, wo er in London als Berater für General de Gaulle tätig wurde.[7] Nach Kriegsende nahm er seine Lehrtätigkeit an der Sorbonne wieder auf und gehörte in den späten 1940er Jahren einem Komitee an, das die Umerziehungspolitik in der Französischen Besatzungszone gestalten sollte. In späteren Jahren gehörte Vermeil dem von Emmanuel Mounier gegründeten Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle an.[8]
Veröffentlichungen
Bearbeiten- Jean Adam Möhler et l´école catholique de Tubingue (1815-1840). Étude sur la théologie romantique en Wurtemberg et les origines germaniques du modernisme. Colin, Paris 1913
- La Constitution de Weimar et le principe de de démocratie allemande. Essai d´histoire et de psychologie politiques. Publications de la Faculté des lettres de l´Université de Strasbourg, Straßburg 1923
- L'Empire allemand 1871-1900. Paris 1926 (Histoire du monde 12,2)
- L'Allemagne du Congrès de Vienne à la Révolution hitlérienne (1815-1933). Éditions de Cluny, Paris 1934.
- Doctrinaires de la révolution allemande de 1918-1938. Walther Rathenau, Hermann Graf Keyserling, Thomas Mann, Oswald Spengler, Moeller van den Bruck, le groupe de la Tat, Hitler, Alfred Rosenberg, Gunther, Walther Darré, Gottfried Feder, Robert Ley, Goebbels. Éditions Fernand Sorlot, Paris 1938.
- L’Allemagne. Essai d’explication. Gallimard, Paris 1940
- La pensée religieuse de Ernst Troeltsch. Neu herausgegeben von Hartmut Ruddies. Labor et Fides, Genf 1990, ISBN 978-2-8309-0586-1. S. 10.
Literatur
Bearbeiten- Pascale Gruson: Un aspect du développement de la germanistique française dans l’entre-deux-guerres. Les travaux d’Edmond Vermeil (1878-1964). In: Michel Parisse (Hrsg.): Les Échanges universitaires franco-allemands du Moyen Âge au XXe siècle. Éditions Recherche sur les civilisations, Paris 1991. ISBN 2-86538-224-9
- Pascale Gruson: Edmond Vermeil (1878-1964). In: Michel Espagne, Michael Werner (Hrsg.): Histoire des études germaniques en France 1900-1970. CNRS Éditions, coll. „De l’Allemagne“ ISSN 1242-8809, Paris 1994, ISBN 2-271-05054-5, S. 171–193
- Corine Defrance: Edmond Vermeil et la commission de rééducation du peuple allemand 1945-1946. In: Revue d`Allemagne. 28 (1996), Nr. 2, ISSN 0151-1947 S. 207–223
- Katja Marmetschke: Vernunft oder Intuition? Der Streit zwischen Edmond Vermeil und Ernst Robert Curtius in der „Revue de Genève“. In: Lendemains. Études comparées sur la France. 25 (2001/3-4), H. 103/104 ISSN 0170-3803
- Katja Marmetschke: Expliquer ou comprendre l´Allemagne? Edmond Vermeils und Robert Minders Befassung mit Deutschland im Vergleich. In: Albrecht Betz, Richard Faber (Hrsg.): Kultur, Literatur und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich. Zum 100. Geburtstag von Robert Minder. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 3-8260-2925-9, S. 77–93
- Katja Marmetschke: Zwischen Feindbeobachtung und Verständigungsarbeit: Edmond Vermeil und die französische Germanistik in der Zwischenkriegszeit. (PDF; 3,2 MB) In: François Beilecke, Katja Marmetschke (Hrsg.): Der Intellektuelle und der Mandarin. Für Hans Manfred Bock. Kassel University Press, Kassel 2005. ISBN 978-3-89958-134-8
- Sebastian Liebold: Starkes Frankreich - instabiles Deutschland: Kulturstudien von Curtius, Bergstraesser und Vermeil zwischen Versailler Frieden und Berliner Notverordnungen. LIT Verlag, Berlin 2008. ISBN 978-3-8258-1030-6
- Katja Marmetschke: Feindbeobachtung und Verständigung. Der Germanist Edmond Vermeil in den deutsch-französischen Beziehungen. Böhlau, Köln 2008. ISBN 978-3-412-20184-5
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Edmond Vermeil im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Colloque international, 2011
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Ernst-Erich Metzner et al.: Spurensuche in Sprach- und Geschichtslandschaften. Festschrift für Ernst Erich Metzner. LIT Verlag, Berlin-Hamburg-Münster 2003, S. 438. ISBN 3-8258-6565-7
- ↑ Edmond Vermeil: La pensée religieuse de Ernst Troeltsch. Neu herausgegeben von Hartmut Ruddies. Labor et Fides, Genf 1990, ISBN 978-2-8309-0586-1. S. 10; Katja Marmetschke: Expliquer ou comprendre l´Allemagne? Edmond Vermeils und Robert Minders Befassung mit Deutschland im Vergleich. In: Albrecht Betz, Richard Faber (Hrsg.): Kultur, Literatur und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich. Zum 100. Geburtstag von Robert Minder. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 3-8260-2925-9. S. 82
- ↑ Katja Marmetschke: Expliquer ou comprendre l´Allemagne? Edmond Vermeils und Robert Minders Befassung mit Deutschland im Vergleich. In: Albrecht Betz, Richard Faber (Hrsg.): Kultur, Literatur und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich. Zum 100. Geburtstag von Robert Minder. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 3-8260-2925-9, S. 83–87
- ↑ Katja Marmetschke: Feindbeobachtung und Verständigung. Der Germanist Edmond Vermeil in den deutsch-französischen Beziehungen. Böhlau, Köln 2008. ISBN 978-3-412-20184-5
- ↑ Edmond Vermeil: L'Allemagne du Congrès de Vienne à la Révolution hitlérienne (1815-1933). Éditions de Cluny, Paris 1934, S. 11–34. Vermeils These von der historischen Zwangsläufigkeit der Entwicklung in Deutschland brachte ihm von Seiten Golo Manns den Vorwurf der nationalen Selbstgerechtigkeit ein. Hans-Martin Gauger, Wolfgang Mertz: Golo Mann. Erinnerungen und Gedanken. Teil 2: Lehrjahre in Frankreich. S. Fischer, Frankfurt am Main 1999. ISBN 3-10-047911-4, S. 89–90.
- ↑ Edmond Vermeil: La pensée religieuse de Ernst Troeltsch. Neu herausgegeben von Hartmut Ruddies. Labor et Fides, Genf 1990, ISBN 978-2-8309-0586-1. S. 11.
- ↑ Katja Marmetschke: Expliquer ou comprendre l´Allemagne? Edmond Vermeils und Robert Minders Befassung mit Deutschland im Vergleich. In: Albrecht Betz, Richard Faber (Hrsg.): Kultur, Literatur und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich. Zum 100. Geburtstag von Robert Minder. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 3-8260-2925-9, S. 79.
- ↑ Corine Defrance: Edmond Vermeil et la commission de rééducation du peuple allemand 1945-1946. In: Revue d`Allemagne. 28 (1996), Nr. 2, ISSN 0035-0974 S. 207–223; Katja Marmetschke: Expliquer ou comprendre l´Allemagne? Edmond Vermeils und Robert Minders Befassung mit Deutschland im Vergleich. In: Albrecht Betz, Richard Faber (Hrsg.): Kultur, Literatur und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich. Zum 100. Geburtstag von Robert Minder. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 3-8260-2925-9, S. 80.
Personendaten | |
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NAME | Vermeil, Edmond |
ALTERNATIVNAMEN | Vermeil, Edmond-Joachim |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Germanist |
GEBURTSDATUM | 29. Mai 1878 |
GEBURTSORT | Vevey |
STERBEDATUM | 14. April 1964 |
STERBEORT | Paris |