Elisabeth Binder (Schriftstellerin)

Schweizer Schriftstellerin

Elisabeth Binder (* 10. Juli 1951 in Bürglen; ehemals Elisabeth Etter) ist eine Schweizer Schriftstellerin.

Elisabeth Binder (2014)

Elisabeth Binder wuchs in Bürglen, Kanton Thurgau, auf. Nach der Matura an der Kantonsschule Frauenfeld studierte sie Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Zürich und schloss 1980 bei Adolf Reinle mit dem Lizenziat ab. 1981 heiratete sie den 1986 verstorbenen Germanisten Wolfgang Binder. Ab 1987 war sie vorübergehend Lehrerin, dann (1990–1994) Literaturkritikerin beim Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung. Seit 1994 ist sie freie Schriftstellerin. Ihr bisheriges Werk umfasst Romane und Essays. Binder wohnt und arbeitet in Unterstammheim.

  • Der Nachtblaue. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000.
  • Sommergeschichte. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004.
  • Orfeo. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007.
  • Der Wintergast. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010. Neuausgabe: Amato Verlag, Unterstammheim 2017.
  • Ein kleiner und kleiner werdender Reiter. Spuren einer Kindheit. Amato Verlag, Unterstammheim 2015.

Literaturgeschichtliches

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  • Feuer und Skepsis. Einlesebuch. Über Brigitte Kronauer von Elisabeth Binder (Hrsg.). Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2005.
  • Im Prinzip Liebe. Goethe, Marianne von Willemer und der West-östliche Divan. Reclam-Verlag, Ditzingen 2019
  • Tableaux vivants – vom Umgang der Erzählerin mit den Bildern. Zu Brigitte Kronauers Werk. In: Die Sichtbarkeit der Dinge. Über Brigitte Kronauer. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1998.
  • Glück. Zu Vladimir Nabokovs Berliner Poetik. In: Merkur, 628, August 2001.
  • Barthold Hinrich Brockes gegen Tony Blair. Über Strategien des poetischen Widerstands in Brigitte Kronauers Werk. In: Literarisches Portrait Brigitte Kronauer. Schriften der Akademie für gesprochenes Wort 6, Stuttgart 2004
  • Heimatträumen. Die Ausgewanderten in Gottfried Kellers Werk. In: Merkur, 676, August 2005.
  • Die «schöne Kunst» und das «verhunzte Klima». Anmerkungen zu Gottfried Kellers Ästhetik. In: Neue Zürcher Zeitung, 18./19. August 2007.
  • Der Wiesenbewohner. Oder die Verwandlung. Zu Albrecht Dürers Bild «Das große Rasenstück». In: Booklet zur CD: Aglais. Bach/Guy. Maya Recording 2008.
  • Das verlassene Mägdlein. Gedichtinterpretation. In: Im Spiegel zu lesen. Eduard Mörike. Verlag Ulrich Keicher. Warmbronn 2009.
  • Auf Goldgrund. Brigitte Kronauers Figurenkunst. In: Sinn und Form, Heft 5 / 2020
  • Splitter im unendlich Offenen. Philippe Jaccottets Poesie der Anwesenheit. In: Sinn und Form, Heft 3 / 2021

Auszeichnungen

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  • 2000: Preis der Schweizerischen Schillerstiftung, für Der Nachtblaue
  • 2004: Förderpreis zum Mörikepreis

Rezeption

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In ihrem Debüt-Roman Der Nachtblaue schildert Elisabeth Binder «präzise und in atmosphärisch dichten Bildern»[1] die vielschichtigen Eindrücke der Schriftstellerin C., denen sie im Laufe eines ereignisreichen Dezembertages in der Stadt Rom ausgesetzt ist. Die Kritik konstatiert bereits hier einen «obsessiven Beschreibungsdrang»[2] als bestimmendes Element ihrer Literatur, eine Formulierung, die in Variationen («scharfe Beobachterin»,[3] «Beschreibungsfuror»[4]) auch in den Besprechungen der dann folgenden Romane auftaucht, bezogen auf die Sommergeschichte jedoch auch kritisch gesehen wird: «Ihre Beschreibungslust verstellt allerdings oft den Blick auf das Entscheidende.»[4].

Neben einer starken Affinität zu kulturhistorisch aufgeladenen Orten bzw. Regionen (Rom, Venedig, Bergell), deren Assoziationspotential Ambiente, Handlung und Personal der jeweils erzählten Geschichte mit tradierten Bedeutungen verknüpft,[5] spielen, mit gleicher Intention, Bilder in ihren Texten eine wichtige Rolle. In Orfeo – erzählt wird die Geschichte eines Schweizer Fabrikanten im Ruhestand, der nach Venedig reist, um die Frau (Stella), von der er sich vor 40 Jahren getrennt hatte, wieder zu sehen – deutet die Autorin über die Erwähnung einer Postkarte der Conegliano-Federzeichnung von Orpheus[6] eine Verbindung zu mythischen Ereignissen an und enthüllt damit «die tiefste Dimension der Geschichte.»[7] Nicht von ungefähr gerät C. zu Beginn des 2. Kapitels («Der Nachtblaue») in der Kirche San Luigi dei Francesi in den Sog eines Caravaggio-Gemäldes,[8] in dem der Zöllner Matthäus der Normalität des Alltagslebens entrissen wird. Und «Der Wintergast» – es handelt sich um einen jungen Maler (Andreas), der in einem Bergdorf im Bergell seine Schaffenskrise überwindet – gerät kurz nach der Ankunft in eine komplexe Beziehung zu den alten Fresken der kleinen Kirche (Evangelisten als «Engelfiguren mit Tierköpfen, Adler, Löwe, Stier», S. 17): Ouvertüre zur parallel erzählten Genesungsgeschichte eines verletzten Adlers.

Der junge Künstler vor den Fresken, die Schriftstellerin C. angesichts des Caravaggio-Gemäldes: Beide Situationen gewinnen an Intensität durch die Beschreibung des dramatischen Wechsels zwischen Schatten und heller Illumination (eine Rezensentin spricht von Chiaroscuro[9]), wobei das solchen Momenten eigene Pathos gekontert wird: Vor Caravaggio durch die Frage, wer die nächsten 200 Lire in den Beleuchtungsautomaten stecken wird,[10] vor den Fresken durch die zuvor erwähnte Bierreklame «CALANDA BRÄU».[11] Solche Momente, wie sie Andreas erlebt, der «über einen Bach von der Schatten- auf die Lichtseite des Tales wechselt» und dabei den massgeblichen Impuls zur Bewältigung seiner Krise bekommt,[12] sind signifikant und stehen in enger Verbindung zur Hauptintention des Binderschen Schreibens. Die Autorin führt ihre Protagonisten in Momente von hoher Erfahrungsdichte, in denen sich grundlegende, ihr Leben neu ordnende Einsichten ergeben: Seine «Stella» gewinnt der o. a. Fabrikant nicht zurück. «Dafür überkommt ihn eine Ahnung von einer ‹anderen, unbekannten, dem sogenannten gesunden Menschverstand unzugänglichen Ordnung der Dinge›».[3]

Zu ihrem 2015 erschienenen Roman Ein kleiner und kleiner werdender Reiter schrieb Charles Linsmayer: «Zu Elisabeth Binders ersten vier Romanen fügten die Schauplätze jeweils einen Interesse heischenden, strukturierenden und stimulierenden Aspekt hinzu. Schon in Der Nachtblaue taucht aber auch der Gedanke auf, einmal einen Roman über einen Ort zu schreiben, dem alles äusserlich Spektakuläre fehlt und der mittels der Kraft der Erinnerung dennoch zu einer gewissen, wenn auch eher sublimen, seelischen Bedeutung gelangen würde. … Mit Ein kleiner und kleiner werdender Reiter legt Elisabeth Binder zehn Jahre später nun ein solches Buch vor und ist sich bewusst, dass sie sich nicht mehr auf die Berühmtheit des Schauplatzes stützen kann: «Gewöhnlicher als dieses Dorf, wo ich ohne Unterbruch aufgewachsen bin, langweiliger als meine Herkunft aus diesem Dorf konnte überhaupt nichts sein.» Dennoch verbindet etwas diesen Roman mit den Früheren: das Flanieren, das Spazieren, das Herumgehen, das für diese Erzählerin ganz offenbar die bewegliche Struktur ist, aus der heraus sie ihre Geschichten in zyklischer Bewegung entwickelt.»[13]

Über ihr 2019 erschienenes Buch Im Prinzip Liebe schrieb Gustav Seibt: «Über den Divan weiß man so viel wie über kein zweites Werk Goethes, den Faust eingeschlossen. Von den meisten Gedichten kennen wir Tag und Stunde ihrer Entstehung. … Aus diesem Wissensvorrat ein kurzes, leichtes Buch zu machen, in dem dann auch alles stimmt, das ist eine eigene Leistung. … Der zugänglichste Lebenshintergrund des Divan ist Goethes über zwei Sommer gehegte Liebe zu Marianne von Willemer. Darauf konzentriert sich Binder. Sie muss nur die Quellen sprechen lassen, um die Unwahrscheinlichkeit dieser gesellig-heiteren und am Ende doch verstörend leidenschaftlichen Wochen vorzuführen. … Das kurze Buch ist die derzeit beste Anregung, sich in den Divan neu zu verlieben.»[14] – Und Manfred Papst bezeichnet das Buch als «… zauberhaft kluges Werk»[15]

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Commons: Elisabeth Binder – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Schweizerische Schillerstiftung, Preisbegründung, Luzern, 18. Juni 2000.
  2. Werner Jung, in: «neue deutsche literatur», Juli/August 2000, S. 119.
  3. a b Christine Lötscher: Wie Perlen am Jäckchen der verlorenen Geliebten. In: Tages-Anzeiger, 23. August 2007.
  4. a b Beatrice Eichmann-Leutenegger: Vergangenheit kehrt zurück. In: Neue Luzerner Zeitung, 14. April 2004.
  5. Urs Heinz Aerni: «Wer sucht, der verliert» (Gespräch mit Elisabeth Binder über den Schauplatz ihres Romans: Venedig), in: Lettra. Aktuelle Buchnachrichten, 3. August 2007, S. 4.
  6. Cima da Conegliano: Orpheus bezaubert die Tiere. Federzeichnung (um 1500)
  7. Charles Linsmayer: Eine Liebe stirbt in Venedig. In: Der Bund, 16. Mai 2007.
  8. Michelangelo Merisi da Caravaggio: Berufung des Heiligen Matthäus. (1599/1600)
  9. Beatrice Eichmann-Leutenegger: Das Paar in der Dunkelheit. In: Der kleine Bund, 29. April 2000
  10. Der Nachtblaue, S. 17.
  11. Der Wintergast. S. 15
  12. Alexander Košenina: Hoch hinaus, aber daneben. In: FAZ, 14. Dezember 2010.
  13. Charles Linsmayer: Der unvergleichliche Geschmack des Pausenbrots. In: NZZ am Sonntag, 26. April 2015, Bücher am Sonntag, S. 10.
  14. Gustav Seibt: Doch du wirst lieben. In: Süddeutsche Zeitung, 28. August 2019
  15. NZZ am Sonntag, 15. September 2019, S. 67.