Erinnerungsfest westfälischer Musensöhne

Die Erinnerungsfeste westfälischer Musensöhne waren Treffen von westfälischen Akademikern ähnlich dem Wartburgfest und Hambacher Fest, nur nicht so radikal und epochemachend wie diese, sondern eher mit einem schöngeistigen Charakter. Anders als diese, waren die Erinnerungsfeste auch kein einmaliges Ereignis, sondern eine etablierte Organisation: ein Gesprächs- und Diskussionskreis ranghoher Politiker, Juristen, Beamter, Künstler, Theologen, Wissenschaftler, Militärs, Industrieller, Kaufleute, Gutsbesitzer und Techniker ihrer Zeit; insgesamt 450 akademische Teilnehmer. In ihren Forderungen waren sie moderat und strebten eine friedliche Evolution, statt einer gewalttätigen Revolution an. Im Vormärz von 1819 bis 1830 fanden sie an den verschiedensten Orten in Westfalen statt.

Die westfälische Trikolore der couleur tragenden westfälischen, studentischen Korporationsverbände

Geschichte

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Der Initiator der Erinnerungsfeste war der Richter Friedrich Wilhelm Rautert, von 1800 bis 1802 an der Universität Erlangen Rechtswissenschaften studierte und dort bei der Westfälischen Landsmannschaft aktiv war. Er blieb bis zu seiner Versetzung nach Büren 1826 der Präses der Veranstaltungen. Über die Hälfte der 450 Besucher stammte aus Westfalen: Von diesen über ⅔ aus der Grafschaft Mark, 8 % aus dem übrigen Preußen und Köln, 4 % aus dem ehemaligen Hochstift Münster, Fürstentum Paderborn und Hochstift Osnabrück und weitere 4 % aus Dortmund und Berg mit Essen und Werden. ⅔ waren Juristen, ⅛ Theologen, 10 % Mediziner und Pharmazeuten, weitere 10 % Philologen, Ingenieure und Militärs; der Anteil der Studenten war gering, bei ca. 5 %. Die Feste hatten einen bürgerlichen Charakter, nur 16 % der Teilnehmer waren adeliger Herkunft, wovon die Hälfte dem Beamtenadel zugerechnet werden konnten. Unter den besuchten Bildungsstätten nimmt die Universität Halle mit ⅓ der Teilnehmer den ersten Rang ein, danach die Universität Göttingen und die Universität Berlin, Heidelberg, Bonn, Erlangen, Duisburg, Jena, Gießen, Marburg und weitere. Mehr als ½ der Gesamtteilnehmer ist nur einmalig erschienen, ¼ dreimalig und öfter; 1822 erreichte die Teilnehmerzahl 191 Musensöhne, beim letzten Treffen 1830 kamen nur noch 36.[1]

Veranstaltungen

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Insgesamt wurden zehn Erinnerungsfeste über einem Zeitraum von zwölf Jahren in der Regel jährlich abgehalten; wobei die Jahre: 1827 und 1829 ausfielen: 1. Hattingen (1. Juni 1819), 2. Schwelm (25. Mai 1820), 3. Luisenbad (Unna) (14. Juni 1821), 4. Luisenbad (Unna) (30. Mai 1822), 5. Luisenbad (Unna) (22. Mai 1823), 6. Dortmund (18. Juni 1824) 7. Luisenbad (Unna) (19. August 1825), 8. Luisenbad (Unna) (17. Mai 1826), 9. Luisenbad (Unna) (10. Juli 1828), 10. Luisenbad (Unna) (16. Mai 1830).[2]

Anlass und Charakter des Erinnerungsfestes

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Der offizielle Anlass des Festes, auf dem sowohl Liberale wie auch Konservative teilnahmen, war ein patriotischer: Man gedachte am Ende der Befreiungskriege an die Wiederauferstehung des Vaterlandes. Solche Erinnerungsfeste wurden auch an anderen Orten (Königsberg, Danzig)[3] zelebriert. Doch die westfälischen Erinnerungsfeier hatten auch ein deutliches lokales Chlorit. Auf diesen Zusammenkünften wurden die grün-weiß-schwarzen Farben der Corpsburschen der Westfalen an den Universitäten: (Corps Marko-Guestphalia Aachen, Corps Guestphalia Bonn, Corps Guestphalia Berlin, Corps Guestphalia Erlangen, Corps Guestfalia Greifswald, Corps Guestphalia Göttingen, Corps Guestphalia Halle, Corps Guestphalia Heidelberg, Corps Guestphalia Jena, Corps Guestphalia Würzburg) groß herausgestellt, sodass im öffentlichen Bewusstsein bald die Meinung vorherrschte, dass es sich um offizielle Westfalenflagge der Provinz handle. Daher gingen die Farben auch auf andere westfälische Vereinigungen und Körperschaften über. Bei anderen Festen und offiziellen Anlässen wurde entsprechend geflaggt. Den Irrtum klärte 1880 Roger Wilmans auf.[4] Mit zunehmender Dauer mischte sich unter die Freude des Erreichten auch die Kritik am Bestehenden. So wurden verholen Forderungen nach Demokratie und verfassungsmäßig garantierten Rechten laut. Die Forderung nach Nationalstaatlichkeit wurde anders, als bei den Burschenschaften, nicht überbetont. Wegen der Gesinnungsschnüffelei der Karlsbader Beschlüsse von 1819 verbrämte man diese Forderungen in harmlosen Gedichten von Musensöhne, wie etwa Friedrich Wilhelm Rautert in dem Lied zum dritten Erinnerungsfest, am 14. Juni 1821 in Unna:

Genießt den Reiz des Lebens,
Rasch eilt der Stunden Lauf,
Der Magen rollt, vergebens
Hält man die Speisen auf!

Der Knabe träumte Freuden,
Die bald der Jüngling schmeckt;
Wie ist er zu beneiden,
Wenn ihn die Muse weckt!

Erfüllt sind seine Träume,
Erwacht ist seine Kraft;
In ungemeß'ne Räume
Führt ihn die Wissenschaft.

Es folgt der Freiheit Fahne
Der stolze Musensohn:
Er baut der Zukunft Plane,
Und hofft der Zukunft Lohn.[5]
*  *  *

Bedeutende Teilnehmer (Auswahl)

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Name Tätigkeit Korporation Datum
Carl von Bodelschwingh Jurist und Politiker Corps Guestphalia Göttingen 1824, 25, 28
Ernst von Bodelschwingh der Ältere Jurist und Politiker Corps Guestphalia II in Göttingen 1824
Gisbert von Bodelschwingh-Plettenberg Landwirt und Jurist 1819, 24
Carl Heinrich Ebmeier Jurist und Politiker Corps Guestphalia Halle 1812, 16
Friedrich Gerstein Jurist Corps Guestphalia Erlangen 1820, 21, 22, 23, 24
Ludwig Franz Houben Jurist und Politiker Corps Guestphalia Bonn 1826
Jakob von der Kuhlen Theologe 1823
Bernhard Christoph Ludwig Natorp Theologe und Pädagoge Corps Guestphalia Halle 1819
Carl Overweg Jurist, Politiker und Industrieller Corps Guestphalia Bonn 1826, 28
Conrad von Rappard Jurist, Politiker und Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung Corps Guestphalia Bonn 1822, 25
Friedrich Wilhelm Rautert Jurist und Schriftsteller Corps Guestphalia Erlangen 1819, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 28
Christian Carl Theodor Ludwig Sethe Jurist und Kommilitone (1819) von Heinrich Heine Bonner Allgemeinheit (Burschenschaft)[6] 1823, 24, 28
Adolf Tellkampf Mathematiker 1824
Jodocus Temme Politiker, Jurist und Schriftsteller Corps Guestphalia Bonn 1821
Ludwig von Vincke 1. Oberpräsident der Provinz Westfalen Kränzchen der ordensfreien Westfälinger Erlangen[7] 1819, 21, 22, 24, 25, 28

Einzelnachweise

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  1. Richtering, Westfalens Musensöhne (Memento des Originals vom 11. November 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.lwl.org, in: Beiträge zur Westfälischen Familienforschung. 21, 1963, S. 82–104.
  2. Erinnerungs-Buch für Westfalens Musensöhne. Verzeichnis der Teilnehmer der Erinnerungsfeste der Musensöhne in Hattingen am 1. Juni 1819, im Schwelm am 25. Mai 1820, in Soolbach bei Unna am 14. Juni 1821, am 30. Mai 1822, am 22. Mai 1823, in Dortmund am 18. Juni 1824, in Soolbach bei Unna am 19. August 1825, am 17. Mai 1826, am 10. Juli 1828, am 16. September 1830, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen Msc. VII, Nr. 260.
  3. Christian Pletzing: Vom Völkerfrühling zum nationalen Konflikt: Deutscher und polnischer Nationalismus in Ost- und Westpreußen 1830–1871. Wiesbaden 2003, ISBN 3-447-04657-0, S. 120–121.
  4. Ein Nachwort der Schriftleitung (= Erich Bauer) zu Hans Lippold: Die Herkunft von Namen und Farben des Corps Masovia. In: Einst und Jetzt. 6, 1961, S. 127 f.
  5. Friedrich Wilhelm Rautert in Rheinisch-Westfälischer Musenalmanach › Bd. 1822, S. 155, Lied zum dritten Erinnerungsfeste westfälischer Musensöhne, gefeiert am 14. Juni 1821 im Soolbade bei Unna, ULB-Münster
  6. Burschenschaft (Memento des Originals vom 23. Juli 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.dieburschenschaften.de
  7. Kösener Korps-Listen 1910, „40“, 1.

Literatur

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  • Rainer Assmann: Dey Weiland Studentkes, Kassel 1992
  • Julius Fromm: 9 Erinnerungsfeste alter westfälischer Musensöhne, gefeiert in Westfalen in den Jahren 1819/28. In: Archiv für Studenten- und Hochschul-Geschichte. Heft 9, März 1935, S. 262–267.
  • Helmut Richtering: Westfalens „Musensöhne“. Sonderdruck: Die Teilnehmer der Erinnerungsfeste der Jahre 1819–1830 (= Beiträge zur westfälischen Familienforschung. Band 21, S. 82–104.) Aschendorff, Münster 1964.