Erster Leipziger Herbstsalon

Historische Ausstellung

Der 1. Leipziger Herbstsalon war eine vom 15. November 1984 bis 7. Dezember 1984 veranstaltete halblegale Ausstellung im Leipziger Messehaus am Markt. Die Künstler Lutz Dammbeck, Günter Firit, Hans-Hendrik Grimmling, Frieder Heinze, Günther Huniat und Olaf Wegewitz hatten die Ausstellung in Eigenregie organisiert.

Geschichte

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Obwohl es keine öffentliche Werbekampagne gab, verzeichnete der 1. Leipziger Herbstsalon einen hohen Besucherandrang, die Nachricht von der ungewöhnlichen Ausstellung hatte sich in der alternativen Szene herumgesprochen. Der Name der Ausstellung bezog sich auf Herwarth Waldens Erster Deutscher Herbstsalon in der Berliner Sturm-Galerie 1913, der seinerseits den Pariser Salon d’Automne zum Vorbild hatte.

Die sechs Künstler hatten bereits jeweils an großen DDR-Ausstellungen teilgenommen, waren mit eigenen multimedialen Projekten jedoch mehrfach an der Zensur gescheitert. Mit dem offiziellen sozialistischen Realismus hatten sie wenig im Sinn; sie zeigten auf ihren Bildern keine Helden der Arbeit, sondern Gestürzte und Gestolperte, sie malten surrealistisch-abstrakt, thematisierten Mauer und Grenze, setzten sich mit deutscher Diktaturgeschichte auseinander. Frieder Heinze, Lutz Dammbeck und Hans-Hendrik Grimmling hatten die Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst absolviert. Günter Firit, Günther Huniat und Olaf Wegewitz lebten als Autodidakten in Leipzig.

Als die Künstler mit dem Leipziger Messeamt den Vertrag über den geheim geplanten „Herbstsalon“ abschlossen, gaben sie bei den Vermietern vor, im Auftrag des staatlichen VBK zu handeln. Die Miete für die vierwöchige Nutzung der 627 m2 großen Ausstellungsfläche betrug 12.000 DDR-Mark und musste von den Künstlern selbst getragen werden.[1] Dadurch nahmen sie ein erhebliches finanzielles Risiko auf sich. Es war die einzige Chance, das Monopol der Kulturbürokratie zu unterlaufen, denn jede öffentliche Aktion war in der DDR genehmigungspflichtig. Mit dem Lastwagen eines befreundeten Schrotthändlers wurden die Arbeiten zum Messehaus gefahren. Der Aufbau der Ausstellung war nicht einfach: in die Wände durften keine Nägel geschlagen werden. Sie improvisierten, sie legten z. B. Schellen um Säulen, spannten Seile und hingen ihre Arbeiten daran.

Kurz vor der Eröffnung versuchte man die Ausstellung zu verhindern. Die Genehmigung erfolgte über das SED-Zentralkomitee in Berlin, da vermieden werden sollte, durch eine gewaltsame Schließung das Interesse der West-Medien zu wecken, was für Aufruhr gesorgt hätte. Die Ausstellung durfte schließlich mit verschiedenen Auflagen als Werkstatt-Ausstellung stattfinden, ähnliche Aktionen sollten aber künftig verhindert werden. Weitere geplante „Herbstsalons“ wurden unterbunden. In Konsequenz auf offene Drohungen reisten Firit, Grimmling und Dammbeck später in den Westen aus. Huniat, Heinze und Wegewitz blieben in der DDR. Künstlerisch und persönlich gingen die Beteiligten unterschiedliche Wege.

Ihr Vorbild machte allerdings Schule. So entstand in der Folge die Galerie Eigen+Art mit Beteiligung der von der Galerie vertretenen Künstlern.

Doris Liebermann bewertete 2014 den Herbstsalon als „Meilenstein auf dem Weg zur Implosion der DDR“.[2]

Lutz Dammbeck: 1. Leipziger Herbstsalon, DDR/BRD 1984–2006, Dokumentarfilm 30 min., Kamera Thomas Plehnert

Literatur

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  • Lutz Dammbeck, Günter Firit, Hans-Hendrik Grimmling, Frieder Heinze, Günther Huniat, Olaf Wegewitz: 1. Leipziger Herbstsalon. Künstlerbuch, Mogollon, Leipzig 1984, DNB 98810007X.
  • Lutz Dammbeck: Besessen von Pop. Wenn rechts neben der Uhr vor der Tagesschau ein schwarzer Punkt ist, läuft nachts um drei ein Pornofilm (= Kleine Bücherei für Hand und Kopf. Bd. 63). Edition Nautilus, Hamburg 2012, ISBN 978-3-89401-765-1, S. 73–82.
  • Hans Marquardt (Hrsg.), Olaf Wegewitz, Frieder Heinze: Unáùlŭtú. Steinchen im Sand. Ein Malerbuch, mit graphischen Blättern, Annotationen der Künstler und Reproduktionen nach Zeichnungen der Karaja-Indianer (= Druck der Dürer-Presse. Bd. 6). Reclam, Leipzig 1985, Edition Brusberg, West-Berlin 1986, DNB 212616927 und DNB 870672622.
  • Paul Kaiser, Claudia Petzold: Schubsen am Trog. Eine Künstlergruppe organisiserte 1984 den "1. Leipziger Herbstsalon" – furiose Schluß-Attacke nach vergeblichen Reformversuchen im Künstlerverband. In: Dies.: Boheme und Diktatur in der DDR. Gruppen, Konflikte, Quartiere 1970–1989. Katalog zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums vom 4. September bis 16. Dezember 1997. Fannei und Walz, Berlin 1997, ISBN 978-3-927574-39-7, S. 202–209.
  • Eigensinn und Strafe. Ein Künstlerkreis probt den Aufstand. In: Uta Grundmann, Klaus Michael, Susanna Seufert (Hrsg.): Revolution im geschlossenen Raum. Die andere Kultur in Leipzig 1970–1990. 2., überarb. und aktualisiserte Aufl., Faber und Faber, Leipzig 2002, ISBN 978-3-932545-77-1, S. 9–39.
  • Hans-Hendrik Grimmling: Die Umerziehung der Vögel. Ein Malerleben. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2008, ISBN 978-3-89812-543-7. S. 166–183.
  • Doris Liebermann: "Wie ein Wind im Weltmeer". In: Gerhard Panzer, Rüdiger Hurrle (Hrsg.): Getrennte Welten, Formen des Eigensinns. [Deutsche Kunst in Ost und West vor der Wende]. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-88423-486-0, S. 116–127.
  • Doris Liebermann: Ein Piratenstück. Der 1. Leipziger Herbstsalon 1984, seine Vorgeschichte und seine Protagonisten. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2015, ISBN 978-3-95462-404-1.
  • Hendrikje Hüneke: Das Künstlerbuch ŬNAULŬTŬ. Zeugnisse indigener Völker als künstlerische Inspiration in der DDR. Tectum, Marburg 2016, ISBN 978-3-8288-3645-7.


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Einzelnachweise

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  1. Paul Kaiser, Claudia Petzold 1997, S. 202.
  2. Doris Liebermann: Erster Leipziger Herbstsalon 1984 und seine Folgen. Eigensinn und EigenArt, Deutschlandfunk Kultur, 17. Juni 2014