Erwin Ackerknecht

deutscher Volksbibliothekar, Direktor des Schiller-Nationalmuseums

Erwin Ackerknecht (* 15. Dezember 1880 in Baiersbronn; † 24. August 1960 in Ludwigsburg) war ein deutscher Literaturhistoriker und Bibliothekar. Er hat sich in Stettin in der Zeit der Weimarer Republik einen Namen als Pionier des Volkshochschulwesens und der Volksbüchereibewegung gemacht.

 
Stettiner Haus, in dem Erwin Ackerknecht zwischen 1905 und 1907 wohnte (damals Friedrich-Karl-Straße 37, heute Ulica Piłsudskiego 37).

Ackerknecht besuchte das Karls-Gymnasium in Stuttgart. Sein Studium der Philosophie, Geschichte und Theologie an der Universität Tübingen schloss er 1902 mit der Promotion und 1904 mit dem Staatsexamen ab. Während seines Studiums wurde er Mitglied der AMV Stochdorphia Tübingen.[1] 1904 wurde er kurzzeitig wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der Kaiser-Wilhelm-Bibliothek in Posen.

1905 kam Ackerknecht als Bibliothekar an die Stadtbücherei in Stettin. Hier sollte er in den nächsten 40 Jahren ein Bücherei- und Volksbildungswesen aufbauen, das als Organismus einzigartig in Deutschland war. Von 1907 bis 1945 war er Leiter der Stadtbücherei Stettin, die er mit einem Bestand von 20.000 Bänden übernahm und zu einer wissenschaftlichen Studienbücherei und einer Volksbücherei mit insgesamt 200.000 Bänden ausbaute. 1919 konnte er die Stettiner Volkshochschule eröffnen, deren Leiter er wurde und an der er als Dozent wirkte. 1923 gründete er die Pommersche Landeswanderbücherei und 1932 die Staatliche Büchereischule in Stettin. Er gehörte zu den Initiatoren der Gründung (1921) des Vereins Deutscher Volksbibliothekare, heute aufgegangen im Berufsverband Information Bibliothek (BIB).

1934 wurden die Stettiner Volkshochschule und die Staatliche Büchereischule wieder geschlossen. Er blieb jedoch Direktor der wissenschaftlichen Stadtbibliothek. Unter der NS-Zeit litt seine Familie sehr. Sein Sohn musste Deutschland verlassen, seine Tochter ihr Studium abbrechen. 1939 wurde er wieder Direktor der Volksbüchereien, nachdem sein Nachfolger zum Kriegseinsatz musste. Bei seiner Arbeit wurde er ständig von einem Kommissar überwacht, da er als „politisch unzuverlässig“ galt. Seine Manuskripte verlor Ackerknecht im Jahre 1944 bei der Ausbombung seiner Wohnung. Am 10. März 1945 musste er Stettin verlassen.[2]

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Ackerknecht zunächst im Ludwigsburger Kulturamt tätig. Im Auftrag der staatlichen Verwaltung befasste er sich mit der Neueinrichtung des Bibliothekswesens. Er gründete 1945 sowohl die Stadtbücherei als auch die Volkshochschule Ludwigsburg. Im gleichen Jahr wurde er als Direktor des Schiller-Nationalmuseums in Marbach gewonnen, das bereits am 20. September 1947 wiedereröffnet werden konnte und das er bis April 1954 leitete. Im Mai 1948 erfolgte zusätzlich die Wahl zum Vorsitzenden der Deutschen Schillergesellschaft (bis 1954).

1946 war er an der Wiederbegründung der Süddeutschen Büchereischule in Stuttgart beteiligt und wirkte dort auch als Dozent. Für die handschriftlich geführten Kataloge der öffentlichen Bibliotheken entwickelte er eine gut lesbare und leicht erlernbare Normschrift, die auch in wissenschaftlichen Bibliotheken Verwendung fand.[3][4]

Erwin Ackerknecht liegt auf dem Neuen Friedhof in Ludwigsburg begraben.[5]

Es wurden ihm zahlreiche Ehrungen zuteil, wie die Ernennung zum Professor oder zum Ehrensenator der Technischen Hochschule Stuttgart. Anlässlich der 110-Jahresfeier der Errichtung des Baus der Stadtbibliothek Stettin benannte die darin heute ansässige Książnica Pomorska (Pommersche Bibliothek) am 5. Oktober 2015 einen Lesesaal zu Ehren des langjährigen Leiters des Hauses in Sala imienia Erwina Ackerknechta um.[6]

Erwin Ackerknecht ist der Sohn des Gymnasialprofessors u. a. für Französisch Julius Ackerknecht (1856–1932) und seiner Frau Sophie geb. Henes (1857–1932), einer Nichte des Tübinger Professors für Philosophie und Geschichte Albert Schwegler. Sein Bruder Eberhard Ackerknecht (1883–1968) war Professor für Veterinäranatomie. Ackerknecht war mit Clara, geb. Pfitzner, verheiratet. Sie hatten eine Tochter, Ingeborg, und einen Sohn Erwin Heinz Ackerknecht (1906–1988), der kommunistischer Politiker, Arzt und später Professor für Medizingeschichte war.

Er ist Verfasser von mannigfachen Schriften zum Bildungswesen, zu Lichtspielfragen, zu Literatur und Philosophie oder von Biographien über Schriftsteller, wie Gottfried Keller.

Sein Nachlass befindet sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach.

  • zusammen mit Fritz Gottlieb (Hrsg.): Büchereifragen: Aufsätze zur Bildungsaufgabe und Organisation der modernen Bücherei. Berlin: Weidmann, 1914. 151 S.
  • Jugendbücherei. Berlin: Weidmann, 1917. (Sonderabdr. aus: Schriften der Zentrale für Volksbücherei; 1).
  • Zur deutschen Lichtspielreform. Berlin-Schöneberg: Gebhardt, Jahn & Landt [1917].
  • Das Lichtspiel im Dienste der Bildungspflege: Handbuch für Lichtspielreformer. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1918.
  • Büchereifragen. Berlin: Weidmann, 1924. 168 S.
  • Lichtspielfragen. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1928.
  • Verzeichnis deutscher Fachschriften über Lichtspielwesen. Berlin: Bildwart-Verlag. 2., erweiterte Auflage, 1930.
  • Büchereigesetzgebung. Stettin: Verl. Bücherei und Bildungspflege, 1933.
  • Deutsche und amerikanische Büchereihandschrift. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 57 (1940), S. 395–402.
  • Emil Palleske und Gottfried Keller. In: Baltische Studien NF 44 (1957), S. 119–141 (online bei digitale-bibliothek-mv.de).

Literatur

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  • Robert Volz: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild. Band 1: A–K. Berlin: Deutscher Wirtschaftsverlag 1930, S. 5., ISBN 3-598-30664-4.
  • Max Fenger: Dr. Ackerknecht am 15.12.1950 70 Jahre alt. In: Pommersche Saat. Heft 5/1950. Neudruck 1985, S. 111–112.
  • Horst Ferber: Sendung, Leidenschaft, Schicksal : zum 100. Geburtstag Erwin Ackerknechts. In: Variationen – über Erwin Ackerknecht / hrsg. von d. Red. Buch und Bibliothek, Reutlingen. Bad Honnef : Bock und Herchen, 1981. Volltext.
  • Alexandra Habermann und Peter Kittel: Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare: die wissenschaftlichen Bibliothekare der Bundesrepublik Deutschland (1981–2002) und der Deutschen Demokratischen Republik (1948–1990). Klostermann, Frankfurt am Main 2004 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie: Sonderhefte; 86), S. 2f. ISBN 3-465-03343-4.
  • Fritz Leopold: Der Nachlaß Erwin Ackerknecht – ein Verzeichnis. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 1995. (Verzeichnisse, Berichte, Informationen Band 17) ISBN 3-929146-38-X.
  • Helene Messin und Klaus-Dietrich Hoffmann: Erwin Ackerknecht 1880–1960. Deutscher Bibliotheksverband, Berlin 1975. (Biobibliographien, Bd. 1) ISBN 3-87068-380-5.
  • Bernhard Zeller: Marbacher Memorabilien. Vom Schiller-Nationalmuseum zum Deutschen Literaturarchiv, 1953–1973. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 1995. ISBN 3-929146-35-5.
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Fußnoten

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  1. Verband Alter SVer (VASV): Anschriftenbuch und Vademecum. Ludwigshafen am Rhein 1959, S. 17.
  2. Ulrich Hohoff: Wissenschaftliche Bibliothekare als Opfer der NS-Diktatur ein Personenlexikon. Harrasowitz Verlag, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-447-10842-3, S. 100–101.
  3. Johannes Erich Heyde: Technik des wissenschaftlichen Arbeitens: zeitgemässe Mittel und Verfahrungsweisen. 1. Auflage. Junker und Dünnhaupt, 1931, S. 24: „Besides, if more than one person uses the sheet box (which is not that uncommon), the German library handwriting style invented by E. Ackerknecht is recommended in order to ensure equal handwriting style.“
  4. Erwin Ackerknecht: Deutsche Büchereihandschrift: mit 21 Tafeln. 3. Auflage. Berlin 1948.
  5. Abteilung 7a, Nr. 358, siehe: Christian Rehmenklau: Literatur im Landkreis Ludwigsburg. Ein literarischer Führer: von A–Z und von einst bis jetzt. Info & Idee Medien-Verlag, Ludwigsburg 2013, ISBN 978-3-931112-33-2, S. 5
  6. Marta Kurzyńska, „110-lecie biblioteki publicznej w Szczecinie. Od Stadtbibliothek do Książnicy Pomorskiej 1905-2015“, auf: Stowarzyszenie Bibliotekarzy Polskich Okręg Zachodniopomorski, abgerufen am 16. Mai 2019.