Evangelisch-reformierte Kirche Göttingen

Kirchengebäude in Göttingen, Niedersachsen

Die Evangelisch-reformierte Kirche Göttingen ist das Gotteshaus der seit dem 18. Jahrhundert bestehenden, derzeit rund 2.000 Mitglieder umfassenden evangelisch-reformierten Gemeinde der Stadt Göttingen in Niedersachsen. Ihre Adresse ist Untere Karspüle 10A im Norden der Göttinger Altstadt, im ehemaligen Reichhelmschen Garten.

Straßenfassade (2023)

Architektur und Ausstattung

Bearbeiten
 
Eingangsportal (2018)

Die Pläne zu dem Gebäude stammten von Universitätsbaumeister Johann Michael Müller, dessen architektonisches Hauptwerk der Kirchenbau ist. Die Grundsteinlegung erfolgte am 10. Mai 1752; das Richtfest am 2. November desselben Jahres.[1] Rund ein Jahr später am 11. November 1753 wurde der erste Gottesdienst in der Kirche gefeiert.[1] Das Jahr der Fertigstellung „MDCCLIII“ (1753) ist auch angezeigt unter dem lateinischen Widmungsspruch über dem Haupteingang, der lautet: „Deo Salvatori et Religionib. Reformator. S. MD CCLIII“ (Gott, dem Erlöser und den Religionen der Reformatoren geweiht 1753).[2]

In seiner Form folgt das spätbarocke Gebäude dem Typ des temple, wie die französischen Hugenottenkirchen genannt werden. Es handelt sich um einen schlichten kubischen Saalbau als Querkirche von 20 Metern Breite, 13,50 Metern Tiefe und 16 Metern Firsthöhe. An der südwestlichen Rückseite fasst ein kleiner, rechteckiger Anbau das Treppenhaus zur Kanzel. Auf dem Walmdach erhebt sich ein 6,80 Meter hoher Dachreiter als Glockentürmchen, dessen Glocke allerdings erst ab 1808 geläutet werden durfte.[3]

Die Innenraumgestaltung spiegelt vielfach die reformierte Theologie wider, die insbesondere das biblische Bilderverbot „Du sollst Dir kein Bild machen …“ (2 Mos 20,4 GNB) strikt beachtet und daher die Kirche lediglich als Ort der Predigt und Versammlung, nicht aber als „heiligen Ort“ betrachtet und auch dem Pastor keine besondere Stellung gegenüber den anderen Gläubigen einräumt. Entsprechend ist der aus der Erbauungszeit erhaltene und in Weiß gehaltene Innenraum mit rund 204 Quadratmetern Fläche und acht Metern Höhe typisch nüchtern gestaltet: Es gibt weder Kreuz noch Heiligenbilder. Gegenüber der Eingangswand des Raumes dominiert die über einem einfachen Tischaltar platzierte und von einem Säulenbaldachin gerahmte Kanzel den Raum, die ansteigenden weißen Sitzbankreihen sind zusammen mit Orgel und Kanzel kreisförmig um den Mittelpunkt des Saals gruppiert. Die Orgel steht gegenüber dem Abendmahlstisch hoch in der ehemaligen Fürstenloge.

Geschichte der Gemeinde

Bearbeiten

Bereits 1529 war die Stadt Göttingen im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg lutherisch geworden. Mit dem Zustrom hugenottischer Glaubensflüchtlinge aus Frankreich diversifizierte sich jedoch der Protestantismus in der Region, und im Zuge dessen entstanden auch erste reformierte Gemeinden in den lutherisch geprägten deutschen Ländern. Nachdem in Göttingen zunächst die Zusammenkunft der Reformierten nur in Privathäusern geduldet worden war, entstand kurz nach der Universitätsgründung 1748 auf Betreiben des Schweizers Albrecht von Haller, der damals als Professor für Medizin tätig war, die evangelisch-reformierte Gemeinde.

 
Ansicht von Nordwesten (Kupferstich aus der Zeit kurz nach der Fertigstellung der Kirche von 1753)

1752 zählte die Gründungsgemeinde 77 Gemeindeglieder.[4] 1853, hundert Jahre nach der Einweihung der Kirche zählte die Gemeinde 138 Haushalte.[5] 1902 wurde als Zahl der „ortsanwesenden Reformirten“ 2.023 angegeben.[4] Mit Stand Mai 2023 meldete die Gemeinde 2.100 Mitglieder, die im ganzen Stadtgebiet wohnen.[6]

Aktuell (Mai 2024) ist Michael Ebener Pastor der Kirchengemeinde.[7]

1928 zählte sie Gemeinde zu den Gründungsmitgliedern des Bundes Evangelisch-reformierter Kirchen Deutschlands, blieb aber weiterhin selbstständig. In einer Urabstimmung entschied sich die Gemeinde 2011 dafür, der Evangelisch-reformierten Kirche beizutreten. Die vollständige Zugehörigkeit zur Landeskirche mit Sitz in Leer (Ostfriesland) wurde am 1. Januar 2013 wirksam.[6][8]

In der Zeit des Nationalsozialismus ließ die Gemeinde über der Kirchentür den biblischen Gottesnamen „Jahwe“, der in hebräischen Buchstaben im Dreieck zu lesen war, überstreichen, um eine Verwechslung mit der nahegelegenen Göttinger Synagoge zu vermeiden. Straßenfront und Dach wurden während des Zweiten Weltkriegs durch eine Luftmine schwer beschädigt.[9] Der „Jahwe“-Schriftzug ist danach rekonstruiert worden.

Die heutige Orgel ist das vierte Instrument der Kirche. Das Werk von Paul Ott aus dem Jahr 1969 besitzt 15 Register auf zwei Manualen und Pedal.

 
Innenraum (2014)

Johann Tobias und Johann Justus Hansen stellten 1767 eine Orgel fertig, die über 14 Register auf einem Manual und Pedal verfügte. Sie tat bis 1859 ihren Dienst und wurde dann ersetzt. Zunächst schlug Carl Giesecke einen Neubau vor, der aber nicht zur Ausführung kam. Stattdessen erwarb die Gemeinde eine gebrauchte Orgel aus Stöckheim (Northeim), die 1816–1817 von Johann Dietrich Kuhlmann gebaut worden war. Giesecke überführte sie 1860 nach Göttingen und disponiert sie um. 1913/1914 schufen Furtwängler & Hammer ein weitgehend neues Innenwerk mit zusätzlichem Brustwerk und insgesamt 14 Registern auf pneumatischen Windladen. Dabei wurde teils altes Pfeifenwerk übernommen. Das Gehäuse von 1817 wurde um seitliche Anbauten erweitert, die durch Vorhänge verdeckt waren. Paul Ott reparierte das Instrument und nahm klangliche Änderungen vor. 1958 legte Ott Pläne für einen Neubau vor, die 1969/1970 in abgewandelter Form ausgeführt wurden. Der obere Teil des Prospekts in nochmals veränderter Form und ein Register von 1817 sind erhalten. Das Gehäuse wurde bis zur Decke angehoben, die bekrönenden hölzernen Vasen wurden entfernt und oberhalb des Pfeifenflachfelds ein zweites Feld mit Blindpfeifen angebracht, um dem Ideal des „Hamburger Prospekts“ näherzukommen.[10] Der Orgelbauer Ingo Kötter führte 1997 eine Renovierung durch, erhöhte den Winddruck und nahm eine Neuintonation vor. Die Disposition lautet wie folgt:[11]

 
Ott-Orgel von 1969
I Hauptwerk C–f3
Prinzipal 8′
Holzflöte 8′
Oktave 4′
Gemshorn 2′
Mixtur III–V
II Brustwerk C–f3
Gedackt 8′
Rohrflöte 4′
Prinzipal 2′
Zimbel I 23
Musette 8′
Tremulant
Pedal C–f1
Subbass 16′
Oktavbass 8′
Quintadena 4′
Rauschpfeife II 113′+2′
Trompete 8′

Literatur

Bearbeiten
  • Wolfgang Gresky: Das Portal der Göttinger Reformierten Kirche. In: Südhannoverscher Heimatkalender, Jg. 1964, S. 105–107.
  • Eingeweyhet den 11ten November im Jahre 1753. 225 Jahre Reformierte Gemeinde Göttingen, November 1978. Redaktion B. Ehlert, J. Pitsch. Weender Druckerei Rosenthal, Göttingen 1978.
  • Jochen Pitsch: Die Evangelisch-Reformierte Gemeinde Göttingen und ihre Kirche; Broschüre der Kirchengemeinde von 1999
  • Iris Manso: „Gott dem Erlöser und den Gottesdiensten der Reformierten gewidmet 1753“. Die spätbarocke Evangelisch-Reformierte Kirche in Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-28000-3[12]
Bearbeiten
Commons: Evangelisch-reformierte Kirche Göttingen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b Eingeweyhet den 11ten November im Jahre 1753. 225 Jahre Reformierte Gemeinde Göttingen, November 1978. Redaktion B. Ehlert, J. Pitsch. Weender Druckerei Rosenthal, Göttingen 1978, S. 3.
  2. Hier in der Übersetzung nach Wolfgang Gresky: Das Portal der Göttinger Reformierten Kirche. In: Südhannoverscher Heimatkalender, Jg. 1964, S. 105–107, hier S. 106 f.
  3. Eingeweyhet den 11ten November im Jahre 1753. 225 Jahre Reformierte Gemeinde Göttingen, November 1978. Redaktion B. Ehlert, J. Pitsch. Weender Druckerei Rosenthal, Göttingen 1978, S. 16.
  4. a b Eingeweyhet den 11ten November im Jahre 1753. 225 Jahre Reformierte Gemeinde Göttingen, November 1978. Redaktion B. Ehlert, J. Pitsch. Weender Druckerei Rosenthal, Göttingen 1978, S. 47.
  5. Eingeweyhet den 11ten November im Jahre 1753. 225 Jahre Reformierte Gemeinde Göttingen, November 1978. Redaktion B. Ehlert, J. Pitsch. Weender Druckerei Rosenthal, Göttingen 1978, S. 17 und 47.
  6. a b Evangelisch-Reformierte Gemeinde Göttingen. In: reformiert.de. Evangelisch-reformierte Kirche, Leer, abgerufen am 31. Mai 2024.
  7. Lernen Sie uns kennen. In: goettingen.reformiert.de. Evangelisch-Reformierte Gemeinde Göttingen, abgerufen am 31. Mai 2024.
  8. Kirchenvertrag zwischen der Evangelisch-Reformierten Gemeinde Göttingen und der Evangelisch-reformierten Kirche vom 17. November/8. Dezember 2011. In: kirchenrecht-erk.de. Evangelisch-reformierte Kirche (Landeskirchenamt), Leer, abgerufen am 31. Mai 2024.
  9. Eingeweyhet den 11ten November im Jahre 1753. 225 Jahre Reformierte Gemeinde Göttingen, November 1978. Redaktion B. Ehlert, J. Pitsch. Weender Druckerei Rosenthal, Göttingen 1978, S. 52.
  10. Karl Heinz Bielefeld: Orgeln und Orgelbauer in Göttingen. Pape Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-921140-75-8, S. 45.
  11. Informationen zur Orgel und -geschichte auf organindex.de. Abgerufen am 17. Oktober 2021.
  12. Zugleich Magisterarbeit 2007 an der Universität Göttingen; vgl. Angaben im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek.

Koordinaten: 51° 32′ 12,5″ N, 9° 56′ 7,8″ O