Exnovation

Gegenteil von Innovation

Exnovation ist in seiner einfachsten Deutung das Gegenteil von Innovation. Durch Exnovation werden Nutzungssysteme, Prozesse, Praktiken oder Technologien, die getestet und bestätigt wurden, aber nicht mehr wirksam sind oder nicht mehr mit der Strategie übereinstimmen, abgeschafft bzw. zurückgenommen.[1] Historische Beispiele sind die Verdrängung von Webstühlen, Kassetten- und Videorecordern sowie das Verbot der klassischen ineffizienten Glühlampen durch die Europäische Union.[2]

Ursprünglich stammt das Konzept aus der Organisations- und Management-Literatur. John Kimberly sprach 1981 von Exnovation, wenn sich ein Unternehmen von einer Innovation trennt, in die es zuvor investiert hatte ("occurs when an organization divests itself of an innovation in which it had previously invested").[3]

In den letzten Jahren wurde der Begriff vermehrt in der Transformations- und Nachhaltigkeitsforschung verwendet.[4][2][5][6][7] Dort wird Exnovation als intendierter Prozess zum Ausstieg aus nicht-nachhaltigen Infrastrukturen, Technologien, Produkten und Praktiken verstanden, der in der Regel auf Pfadabhängigkeiten und Widerstände etablierter Interessen trifft. Beispiele hierfür sind die Ausstiegsprozesse aus Atomenergie, Kohle und Verbrennungsmotoren.[2]

Exnovation und Innovation sind miteinander verknüpft: Einerseits schafft Exnovation Raum für neue Produkte und Praktiken. Andererseits trägt die Aussicht auf ein neues Produkts oder eine neue Praxis dazu bei, alte Produkte und Praktiken zu beseitigen.[8] Dieses Vorgehen absichtsvoll zu gestalten (und nicht etwa dem Zufall zu überlassen), spiegelt sich auch im bekannten Begriff der schöpferischen Zerstörung[9] von Joseph Schumpeter wider.

Verbindung zwischen Exnovation und Innovation

Bearbeiten

Das Spannungsfeld zwischen Exnovation und Innovation kann unterschiedlich beschrieben werden. Es reicht von einer losen Kopplung bis hin zu einer festen Verschränkung von Exnovation und Innovation in einem gesamtheitlichen Veränderungsprozess:

  1. Exnovation als Entfernung einer (ehemaligen) Innovation[10][11][12]
  2. Gegensätzlichkeit: Exnovation als Gegenteil von Innovation[13][14][15]
  3. Dichotomie: Exnovation als komplementäre Ergänzung zur Innovation[16][17][18]
  4. Interdependenz: Exnovation als integraler Teil von Innovation[19][20]

In vielen Veränderungsprozessmodellen sind sowohl innovative als auch exnovative Bestandteile zu finden, auch wenn die exnovativen Bestandteile in aller Regel nicht so benannt werden.

Exnovationsanlässe

Bearbeiten

Die folgenden Anlässe verdeutlichen, dass Exnovation in verschiedenen Kontexten und aus unterschiedlichen Gründen notwendig werden kann, sei es aus ökologischen, ökonomischen, technologischen oder gesellschaftlichen Überlegungen heraus:[21]

  • Begrenzte Ressourcen: Endliche Rohstoffe, begrenzte finanzielle Mittel, limitierte Zeit und Arbeitskraft
  • Nachhaltigkeit: Ausstieg aus nicht-nachhaltigen Praktiken, Abkehr von umweltschädlichen Technologien
  • Organisationale Altlasten: Veraltete Prozesse und Strukturen, nicht mehr zeitgemäße Produkte oder Dienstleistungen
  • Digitalisierung: Obsoleszenz analoger Technologien, Notwendigkeit der digitalen Transformation
  • Strategische Neuausrichtung: Fokussierung auf Kernkompetenzen, Anpassung an veränderte Marktbedingungen, Kräftekonzentration auf wichtigere Bereiche
  • Gesellschaftlicher Wandel: Veränderung von Werten und Normen, neue ethische Standards
  • Regulatorische Vorgaben: Gesetzliche Änderungen, politisch angestoßene Ausstiegs- und Beendigungsprozesse (wie z. B. FCKW-Ausstieg).
  • Technologischer Fortschritt: Obsoleszenz älterer Technologien, disruptive Innovationen
  • Effizienzsteigerung: Optimierung von Ressourcen und deren Einsatz, Verschlankung von Prozessen

Herausforderungen

Bearbeiten
  • Status-quo-Bias: Menschen neigen dazu, am Bestehenden festzuhalten, selbst wenn rationale Gründe für eine Veränderung sprechen.
  • Abschiedsschmerz: Das Aufgeben von etablierten Praktiken oder Produkten kann emotional belastend sein.
  • Entscheidungslast: In einer Zeit des Überflusses fällt es schwer zu entscheiden, was beibehalten und was aufgegeben werden soll, denn jede Exnovationsentscheidung ist mit einem Risiko verbunden.
  • Wirtschaftliche Verluste: Exnovation kann kurz- oder mittelfristig mit finanziellen Einbußen verbunden sein (z. B. durch den Entscheidungsprozess, Rückbau von Anlagen, Aufgeben von Produkten).

Methoden zur Unterstützung von Exnovationsvorhaben

Bearbeiten

Da Exnovation wie auch Innovation immer Teil eines ganzheitlichen Veränderungsprozesses darstellt, können Methoden aus dem Change-Umfeld dafür verwendet werden. Sie müssen ggf. leicht angepasst werden:

  • Ecocycle Planning oder TRIZ (aus der Methodenbox der Liberating Structures)[22]
  • Appreciative Exnovation[23][24]
  • Ritual Reset (aus dem Playbook von Atlassian)[25]
  • "The Ends" Canvas nach MacLeod[26][27] (deutsche Übersetzung verfügbar[28])
  • Exnovation Canvas nach Dennis Fischer[29]

Literatur

Bearbeiten
  • Annika Arnold, Martin David, Gerolf Hanke, Marco Sonnberger (Hrsg.): Innovation – Exnovation. Über Prozesse des Abschaffens und Erneuerns in der Nachhaltigkeitstransformation. Metropolis-Verlag, Marburg 2015, ISBN 978-3-7316-1164-6 (229 S., metropolis-verlag.de).
  • Bils, Sandra & Töpfer, Gudrun: Exnovation und Innovation - Synergie von Ende und Anfang in Veränderungen. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2024. 978-3-7910-6148-1.
  • Pel, B., Fossati, E. C., & Bauler, T. (2022). The secret life of Exnovation; Exploring weak signals of a new sustainability transitions mind-set. In: Mansuy, J., Verga, G.C., Pel, B., Messagie, M., Lebeau, Ph., Achten, W., Khan, A. Z., Macharis, C. (Hrsg.), Transitioning to a Circular Economy; Changing Business Models and Business Ecosystems. ASP (S. 75-93).

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Exnovation. Wissen kompakt, Glossar. Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit gemeinnützige GmbH, 2017, abgerufen am 8. Januar 2017.
  2. a b c Dirk Arne Heyen: Exnovation: Herausforderungen und politische Gestaltungsansätze für den Ausstieg aus nicht-nachhaltigen Strukturen. (PDF) Working Paper. Öko-Institut e. V., Dezember 2017, abgerufen am 8. Januar 2017.
  3. John Kimberly (1981): Managerial Innovation. In: P.C. Nystorm, W.H. Starbuck (Hrsg.) Handbook of Organizational Design. Amsterdam: Elsevier, S. 84–104
  4. Annika Arnold, Martin David, Gerolf Hanke, Marco Sonnberger (Hrsg.): Innovation – Exnovation: Über Prozesse des Abschaffens und Erneuerns in der Nachhaltigkeitstransformation. Metropolis, 2015, ISBN 978-3-7316-1164-6.
  5. Martin David: Exnovation-Governance im Nachhaltigkeitskontext: Annäherung an eine Typologie. 18. November 2014
  6. Klaus Jacob et al. (2020): Transformative Umweltpolitik: Ansätze zur Förderung gesellschaftlichen Wandels. Umweltbundesamt Texte-Reihe 07/2020.
  7. Lisa Graaf et al. (2021): Transformationsorientierte Umweltpolitik für einen sozial-ökologischen Wandel des Ernährungssystems in Deutschland. Umweltbundesamt, Texte-Reihe 160/2021
  8. Rafael Ziegler: Exnovation. In: Jürgen Howaldt, Christoph Kaletka (Hrsg.): Encyclopedia of Social Innovation. Edwar Elgar, 2023, ISBN 978-1-80037-334-1.
  9. Schumpeter, J. A. (1993). Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942) (7. Aufl.). Trancke (UTB), S. 136.
  10. J. R. Kimberly, M. J. Evanisko: Organizational innovation: The influence of individual, organizational, and contextual factors on hospital adoption of technological and administrative innovations. In: Academy of Management Journal. Band 24, Nr. 4, Dezember 1981, S. 689–713, hier Seite 710, JSTOR:256170 (englisch).
  11. Bonno Pel, Ela Callorda Fossati, Thomas Bauler: The secret life of Exnovation: Exploring weak signals of a new sustainability transitions mind-set. Hrsg.: Researchgate. November 2022 (englisch, 18 S., researchgate.net [abgerufen am 20. Januar 2024] PDF-Link, in: Transitioning to a Circular Economy; Changing Business Models and Business Ecosystems (pp.75-93)Chapter: 3Publisher: ASP).
  12. A. Jungjohann (2020). Nuclear Exnovation—How the Nuclear Phaseout drives Ecological Modernization [E-Paper]. Heinrich-Böll-Stiftung.
  13. R. Antes, K. Eisenack, K. Fichter (2012). Nachhaltigkeitsökonomik und Transformationsforschung Wirtschaftswissenschaftliche Ansätze zur Gestaltung von Wandlungsprozessen. ÖkologischesWirtschaften 27(3), 35–39.
  14. L. de Graaf, S. Werland, O. Lah, E. Martin, A. Mejia, M. Barriga, M. R. M., Nguyen, H. T. T., E. Teko, S. Shrestha (2021). The Other Side of the (Policy) Coin: Analyzing Exnovation Policies for the Urban Mobility Transition in Eight Cities around the Globe. Sustainability 13, 9045
  15. P. Kivimaa, F. Kern (2016). Creative destruction or mere niche support? Innovation policy mixes for sustainability transitions. Research Policy, 45, 205–217
  16. B. Pel, E. C. Fossati, T. Bauler (2022). The secret life of Exnovation; Exploring weak signals of a new sustainability transitions mind-set. In: J. Mansuy, G. C. Verga, B. Pel, M. Messagie, Ph. Lebeau, W. Achten, A. Z. Khan, C. Macharis (Hrsg.), Transitioning to a Circular Economy; Changing Business Models and Business Ecosystems. ASP (S. 75-93)
  17. E. Callorda Fossati, A. Fransolet (2021). The Transition Towards a Circular Economy in Brussels from an Exnovation Perspective. Actors’ Perceptions on Targeting Delinearisation. SSRN Electronic Journal
  18. D. A. Heyen, (2018b). Das Konzept der Exnovation – Und Beispielprozesse wie der Kohleausstieg aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive. Präsentation Öko-Institut Berlin
  19. C. Kropp (2015). Exnovation – Nachhaltige Innovation als Prozesse der Abschaffung. In: A. Arnold, M. David, G. Hanke, M. Sonnberger (Hrsg.), Innovation – Exnovation: Über Prozesse des Abschaffens. Metropolis Verlag
  20. L. Frost, J. McHann (2015). Cleaning the closet of Management Innovation: The forgotten stage of Exnovation. Global Business & Economics Anthology, 2, 15–31
  21. Sandra Bils, Gudrun L. Töpfer: Exnovation und Innovation - Synergie von Ende und Anfang in Veränderungen. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-7910-6148-1.
  22. sind Liberating Structures?, auf liberatingstructures.de
  23. E. D. November (2018). Axe of kindness: Introducing appreciative exnovation. Development and Learning in Organizations: An International Journal, 32(4), 14–17
  24. D. Cooperrider, D. Whitney (2005). A Positive Revolution in Change: Appreciative Inquiry. The change handbook: The definitive resource on today’s best methods for engaging whole systems, 87
  25. ATLASSIAN TEAM PLAYBOOK | Build strong teams with Plays
  26. J. Macleod (2017). Ends.: Why we overlook endings for humans, products, services and digital. And why we shouldn’t. For Our Sun Publishing
  27. J. Macleod (2021). Endineering—Designing consumption lifecycles that end as well as the begin. Amazon Fulfilment
  28. https://www.gudrun-toepfer.de/files/gt/blog/Consumer%20Endings%20Canvas%20n.%20Macleod_DeutscheÜbersetzung.pdf
  29. Exnovation Canvas (PDF), auf dennisfischer.com