Bei vielen Messaufgaben ist eine physikalische Größe nicht direkt messbar, sondern sie muss indirekt aus messbaren Größen nach einer mathematischen Formel bestimmt werden. Jeder gemessene Wert weicht von seinem richtigen Wert ab (siehe Messabweichung,[1] die ältere Bezeichnung war Messfehler). Diese Messabweichungen werden mit der Formel übertragen (oder fortgepflanzt). Daher wird auch das Ergebnis von seinem richtigen Wert abweichen. Diese Tatsache wird Fehlerfortpflanzung genannt. Für diese existieren Rechenregeln, mit denen die Abweichung des Ergebnisses bestimmt oder abgeschätzt werden kann.

Seit der Unterscheidung zwischen Messabweichung und Messfehler ist die Bezeichnung Fehlerfortpflanzung als überholt anzusehen. Da sich aber noch kein neuer Ausdruck etabliert hat, wird zur sprachlichen Einheitlichkeit hier noch die Bezeichnung Fehler beibehalten.

  • Häufig soll ein Ergebnis   aus einer Größe   oder im allgemeinen Fall aus mehreren Größen   ,   ,   berechnet werden. Mit einer fehlerbehafteten Bestimmung der Eingangsgröße(n) wird auch die Ergebnisgröße fehlerbehaftet sein. Nach „groben“ Fehlern muss neu gemessen oder neu gerechnet werden. Sonst ist es eher angebracht, nur die Auswirkung des Fehlers oder der Fehler auf das Ergebnis zu bestimmen.
  • Mathematisch gesagt: Gibt es eine Funktion   mit mehreren unabhängigen Variablen  , die um ein kleines   falsch sind, so wird auch das Ergebnis   falsch um ein kleines  . Dieses   soll berechnet werden können.
  • Messtechnisch gesagt: Ist ein Messergebnis aus Messwerten verschiedener Größen auszurechnen, wobei diese Messwerte von ihren richtigen Werten abweichen, so wird ein Ergebnis berechnet, das entsprechend auch vom richtigen Ergebnis abweicht. Die Größe der Abweichung des Messergebnisses soll ausgerechnet werden können (im Rahmen des quantitativ Sinnvollen, siehe Fehlergrenze[1]).

Fallunterscheidung

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Systematischer Fehler

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Systematische Fehler[1] sind im Prinzip bestimmbar, sie haben Betrag und Vorzeichen.

Beispiel: Die in einem Verbraucher umgesetzte elektrische Leistung soll berechnet und dazu die Stromstärke durch den Verbraucher gemessen werden. Dazu wird ein Strommesser in die Leitung geschaltet. An dem Messgerät fällt aber eine Spannung ab; dadurch wird die Spannung am Verbraucher kleiner als die Speisespannung; dadurch wird bei einem ohmschen Verbraucher die Stromstärke auch kleiner; es wird etwas zu wenig gemessen (negative Rückwirkungsabweichung, die sich bei bekannter Speisespannung und bei bekanntem Messgeräte-Innenwiderstand ausrechnen lässt). Die aus Speisespannung und gemessener Stromstärke berechnete Leistung wird damit auch zu niedrig angegeben.

Bei einem systematischen Fehler der Eingangsgröße oder bei systematischen Fehlern der Eingangsgrößen lässt sich mittels der Fehlerfortpflanzungs-Regeln zu den Fehlern mit Vorzeichen der systematische Fehler der Ausgangsgröße berechnen.

Messgerätefehler

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Ferner kann nicht davon ausgegangen werden, dass die vom Messgerät erfasste Größe ohne Messgerätefehler angezeigt wird. In seltenen Fällen ist anhand einer Fehlerkurve zu dem Messwert der zugehörige systematische Fehler bekannt. Im Allgemeinen ist von einem Messgerätefehler nur dessen vorzeichenloser Grenzwert, die Fehlergrenze bekannt.

Beispiel: Kann die Stromstärke im obigen Beispiel nur mit einer Fehlergrenze von 4 % bestimmt werden, kann die Leistung auch nur in einem Bereich von −4 % bis +4 % um den berechneten Wert bestimmt werden.

Bei einer Fehlergrenze der Eingangsgröße oder bei Fehlergrenzen der Eingangsgrößen lässt sich mittels der zugehörigen Fehlerfortpflanzungs-Regeln die Fehlergrenze der Ausgangsgröße berechnen.

Zufälliger Fehler

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Soweit bisher behandelt, gibt es mehrere Eingangsgrößen (unabhängige Variable, Messgrößen) und davon jeweils nur einen Wert. Anders ist es bei zufälligen Fehlern[1], die erkannt werden, wenn von einer Eingangsgröße mehrere Werte vorliegen – gewonnen durch wiederholte Bestimmung (Messung) unter konstanten Bedingungen. Aus diesen Werten lässt sich ein arithmetischer Mittelwert berechnen, der als Schätzwert der Eingangsgröße weiterverwendet wird, der aber mit einer vorzeichenlosen Typ-A-Komponente der Messunsicherheit behaftet ist.[1][2]

Bei einer Messunsicherheit der Eingangsgröße oder bei Messunsicherheiten mehrerer Eingangsgrößen lässt sich mittels der zugehörigen Fehlerfortpflanzungs-Regeln die Unsicherheit der Ausgangsgröße berechnen.

Bei Messgerätefehlern kann gemäß[1] davon ausgegangen werden, dass der Betrag des zufälligen Fehlers wesentlich kleiner ist als die Fehlergrenze (anderenfalls ist auch der zufällige Fehler bei der Festlegung der Fehlergrenze zu berücksichtigen). Bei voneinander unabhängigen Messwerten, deren Qualität von den Fehlergrenzen der Messgeräte bestimmt wird, ist die Untersuchung zufälliger Fehler dann aber nicht sinnvoll.

Fehler des mathematischen Modells

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Die zu berechnende Größe muss durch die mathematische Formel korrekt beschrieben werden. Um leichter rechnen zu können oder mangels vollständiger Kenntnis wird aber oft auf Näherungen ausgewichen.

Beispiel: Die Speisespannung im obigen Beispiel wird als bekannt angenommen, wie das bei Bezug aus einer Konstantspannungsquelle zulässig ist. Falls die Spannung der Quelle aber von der Belastung abhängig ist, ist ihre Kenngröße „Leerlaufspannung“ nicht mehr die Speisespannung; es entsteht ein weiterer Fehler.

Ein Fehler der Ausgangsgröße, welcher aufgrund eines unzureichenden mathematischen Modells für den Zusammenhang mit den Eingangsgrößen entsteht, lässt sich mit Fehlerfortpflanzungs-Regeln nicht berechnen.

Regeln zur Fehlerfortpflanzung

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Grundlage

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Eine glatte Funktion  , wie das in der klassischen Physik und in der Technik fast immer gegeben ist, lässt sich in der Umgebung einer Stelle x durch ihre Taylorreihe darstellen. Der nachfolgend dargestellte Formalismus mit linearer Näherung benötigt nur die einfache Differenzierbarkeit.

Fehler mit Vorzeichen

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Eine fehlerbehaftete Größe

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Der Einfluss einer fehlerbehafteten Eingangsgröße   auf das Ergebnis   kann mittels der Taylorreihe abgeschätzt werden:

 

Bei genügend kleinem   kann die Reihenentwicklung nach dem linearen Glied abgebrochen werden, weil Glieder mit   und noch höheren Potenzen erst recht klein werden. Damit ergibt sich die Näherungslösung

 
Mit einer Eingangsgröße: Bei deren Änderung um   ändert sich die Aus­gangs­größe um  . Bei genügend kleinem   wird   proportional zu   mit dem Anstieg der Tangente als Proportionalitätsfaktor
 

Dieses liefert eine Regel zur Fehlerfortpflanzung, wenn die  -Werte als absolute Fehler angesehen werden.

  • Beispiel: Proportionalität
 
Für die Ausgangsgröße   enthält deren absoluter Fehler   die spezielle Proportionalitätskonstante  . Besser wird mit dem relativen Fehler   gerechnet, der unabhängig von   ist und stets genauso groß wie der relative Fehler   der Eingangsgröße  .
  • Beispiel: umgekehrte Proportionalität (Kehrwertbildung)
 
Der relative Fehler der Ausgangsgröße hat denselben Betrag wie der relative Fehler der Eingangsgröße, aber entgegengesetztes Vorzeichen.

Mehrere fehlerbehaftete Größen

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Mit zwei Eingangsgrößen: Kleine Ände­run­gen   auf der Fläche   und kleine Ände­run­gen   auf der Fläche   erzeugen kleine Ände­run­gen der Ausgangs­größe   und  , die addiert   ergeben.

Bei mehreren voneinander unabhängigen Eingangsgrößen wird die entsprechende Reihenentwicklung verwendet, ebenfalls bis zum linearen Glied als Näherungslösung für kleine  :

 
 : Gesamtfehler   des Ergebnisses  
 : relativer Fehler   des Ergebnisses  
 : Fehler   der Eingangsgröße  
 :   relativer Fehler   der Eingangsgröße  

Die hier einzusetzenden partiellen Differentialquotienten   liefern Aussagen, wie stark sich   ändert, wenn sich von allen unabhängigen Eingangsgrößen ausschließlich   ändert; die übrigen Eingangsgrößen werden jeweils als Konstanten behandelt.

Die allgemeine Lösung vereinfacht sich für die vier Grundrechenarten:

* Bei Addition        
* Bei Subtraktion        
* Bei Multiplikation          
* Bei Division        
Hinweis: Dabei sind Angaben mit ungewissem Vorzeichen (±) keine Angaben von Fehlern; der Unterschied zwischen Fehler und Fehlergrenze ist zu beachten. Bei Fehlergrenzen und Messunsicherheiten gelten andere Sachverhalte, siehe dazu die nächsten Abschnitte.

Die Formeln gelten nur, wenn die tatsächlichen Werte der Fehler mit Vorzeichen bekannt sind. Bei Fehlerfortpflanzung können sich die Fehler mehr oder weniger ergänzen oder aufheben.

Beispiel: Wenn   um 2 % zu groß und   um 3 % zu groß sind:
Dann wird bei der Multiplikation   um 5 % zu groß.
Dann wird bei der Division   um 1 % zu klein.
Zur Verdeutlichung kann folgendes Beispiel dienen: Wer   ausrechnen will, aber im Zähler eine um 2 % zu große Zahl einsetzt und im Nenner eine um 3 % zu große Zahl, berechnet   und erhält 0,99. Dieses Ergebnis weicht vom richtigen Wert 1,00 um −1 % ab. Diese Feststellung zum Fehler lässt sich mit der Formel   einfacher bekommen. Und das Minuszeichen vor   ist offensichtlich richtig!

Fehlergrenzen

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Sind nicht die Fehler selber bekannt, sondern nur ihre Grenzen, so lässt sich derselbe mathematische Ansatz verwenden, wenn die  -Werte als Fehlergrenzen angesehen werden. Diese sind vorzeichenlos, also als Betrag definiert. Für das Ergebnis lässt sich so auch nur die Fehlergrenze ausrechnen; dazu ist mit der ungünstigsten Vorzeichenkombination zu rechnen, indem Beträge addiert werden.

 
 : Gesamtfehlergrenze   des Ergebnisses  
 : Fehlergrenze   der Eingangsgröße  
 :   relative Fehlergrenze   der Eingangsgröße  
 : relative Fehlergrenze   des Ergebnisses  

Die allgemeine Lösung vereinfacht sich bei den vier Grundrechenarten:

* Bei Addition und Subtraktion  
* Bei Multiplikation und Division    
Beispiel: Wenn   um bis 2 % zu groß oder zu klein und   um bis 3 % zu groß oder zu klein sein können:
Dann kann bei der Multiplikation wie bei der Division   um bis 5 % zu groß oder zu klein sein.

Messunsicherheiten

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Eine fehlerbehaftete Größe

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Gibt es von der Größe   mehrere mit zufälligen Fehlern behaftete Werte   mit  , so ergibt sich nach den Regeln der Fehlerrechnung für Normalverteilung gegenüber dem Einzelwert eine verbesserte Aussage durch Bildung des empirischen Mittelwertes  :[2]

 

Jeder neu hinzukommende Wert verändert mit seinem individuellen zufälligen Fehler den Mittelwert und macht ihn somit unsicher. Die Unsicherheit  , die dem berechneten Mittelwert anhaftet, ist gegeben:[2]

 

Anschaulich sind hier näherungsweise die quadrierten zufälligen Fehler addiert worden. Für große   strebt die Unsicherheit gegen null, und bei Abwesenheit systematischer Fehler strebt der Mittelwert gegen den richtigen Wert.

Wird in einer Rechnung zur Fehlerfortpflanzung als Eingangsgröße   der Mittelwert   verwendet, so wirkt sich dessen Unsicherheit   auf die Unsicherheit   des Ergebnisses   aus. Bei genügend kleinem   kann dieser Wert für die Fehlerfortpflanzung als   in die lineare Näherung der Taylorreihe eingesetzt werden. Dabei ist zu beachten, dass Unsicherheiten als Beträge definiert sind:[2]

 

Mehrere fehlerbehaftete Größen

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Voneinander unabhängige fehlerbehaftete Größen
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Bei mehreren voneinander unabhängigen Eingangsgrößen   seien die Mittelwerte jeweils mit einer Unsicherheit   bestimmt worden. Das Ergebnis   wird aus den Mittelwerten berechnet. Zur Berechnung seiner Unsicherheit   wird wieder mit der linearen Näherung bei mehreren unabhängigen Variablen begonnen; allerdings müssen – wie bei der Berechnung der Unsicherheit – die quadrierten Beiträge der Einzel-Unsicherheiten addiert werden.[2]

 

Diese Gleichung „wurde früher Gaußsches Fehlerfortpflanzungsgesetz genannt“.[2][3] „Sie betrifft jedoch nicht die Fortpflanzung von Messabweichungen (früher „Fehler“), sondern die von Unsicherheiten.“

Die Gleichung vereinfacht sich für die vier Grundrechenarten:

* Bei Addition und Subtraktion    
* Bei Multiplikation und Division      

Das Gesetz ist nur anwendbar, wenn sich die Modellfunktion   bei Änderungen der Einflussgrößen   im Bereich ihrer Standardunsicherheiten   hinreichend linear verhält. Ist dies nicht der Fall, ist das Rechenverfahren erheblich aufwändiger. Die Norm DIN 1319[3] und der „Leitfaden zur Angabe der Unsicherheit beim Messen“ geben Hinweise, wie eine unzulässige Nichtlinearität zu erkennen und zu umgehen ist. Außerdem ist Varianzhomogenität vorausgesetzt.

Voneinander abhängige fehlerbehaftete Größen
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Bei einer Abhängigkeit (Korrelation) zwischen   fehlerbehafteten Größen muss das Gauß’sche Fehlerfortpflanzungsgesetz unter Einbeziehung der Kovarianzen oder der Korrelationskoeffizienten zwischen jeweils zwei Größen zum verallgemeinerten (generalisierten) Gauß’schen Fehlerfortpflanzungsgesetz erweitert werden:[2]

 

mit der Kovarianz  . Für unabhängige Größen fallen die Korrelationsterme weg und es ergibt sich die Formel aus dem Abschnitt für unabhängige Größen. Die relative Unsicherheit einer Größe, die sich aus zwei vollkommen korrelierten Größen ableitet, kann dabei kleiner (besser) werden als die beiden relativen Unsicherheiten der Eingangsgrößen.

Die Fehlerfortpflanzung für ein Ergebnis   und den korrelierten Messfehlern, lässt sich auch folgendermaßen formulieren:

 

mit   als Kovarianzmatrix.

Generalisiertes Fehlerfortpflanzungsgesetz

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Mit Hilfe des Matrixformalismus kann das allgemeine Fehlerfortpflanzungsgesetz kompakt ausgedrückt werden als:[4]

 

wobei   und   die jeweiligen Kovarianzmatrizen der Vektoren   und   sind und   die Jacobi-Matrix  . Dabei handelt es sich hier nicht nur um ein Ergebnis   wie im oben genannten Beispiel, sondern um einen Vektor mit vielen Ergebnissen, die aus den Eingangsgrößen   abgeleitet werden. Die Standardabweichung für jedes   ergibt sich nun aus den Wurzeln der Diagonalelemente  .

Literatur

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Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. a b c d e f DIN 1319-1
  2. a b c d e f g DIN 1319-3
  3. a b DIN 1319-4
  4. Roger J. Barlow: A Guide to the Use of Statistical Methods in the Physical Sciences Wiley, Chichester 1989, ISBN 0-471-92295-1, S. 60.
  5. JCGM Publications: Guides in Metrology. BIPM, abgerufen am 6. Oktober 2024 (amerikanisches Englisch).