Georg Poelchau

deutsch-baltischer Musiker, Privatgelehrter und Musikaliensammler

Georg Johann Daniel Poelchau (* 23. Junijul. / 4. Juli 1773greg.[1] in Kremon (lettisch: Krimulda) bei Riga; † 12. August 1836 in Berlin) war ein deutschbaltischer Musiker, Privatgelehrter und Musikaliensammler.

Georg Poelchau
Georg Johann Daniel Poelchau, Lithographie, ca. 1840, Joseph Muller Collection, The New York Public Library

Biographie

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Georg Poelchau, ein Sohn des Pastors Daniel Poelchau (1731–1781), war ein Schüler von Georg Michael Telemann und studierte von 1792 bis 1796 an der Jenaer Universität. Vor allem wegen seiner Leidenschaft als Musikaliensammler erlangte er Berühmtheit und fand Eingang in die Musikgeschichte. Er trug eine mehr als 2.600 Titel umfassende Musikerhandschriften-Sammlung zusammen. Seine Bachsammlung war die größte und bedeutendste, die sich jemals in Privathand befand.[2]

Zwischen 1798 und 1813 lebte Poelchau in Hamburg, der letzten Wirkungsstätte Carl Philipp Emanuel Bachs. Er arbeitete dort als Solo-Tenor, Konzertorganisator und Gesangslehrer. Nach seiner Heirat 1811 mit Amalie Henriette Manecke (1789–1817), der Tochter eines reichen Hamburger Aristokraten, widmete er sich nur noch seiner Musiksammlung. Bereits in seiner Jugend hatte Poelchau begonnen, Manuskripte zu sammeln, konzentrierte sich jedoch später auf Musik und teilte seine Sammlung in 4 Teile:

  • Bücher über Musik vom 15. bis zum 17. Jahrhundert
  • Musikalien vom 16. bis zum 17. Jahrhundert
  • Musikalien vom 18. bis zum 19. Jahrhundert
  • Musikmanuskripte, Briefe und Porträts von Musikern.

Nach Carl Philipp Emanuel Bachs Tod erwarb er einen großen Teil seines Nachlasses, darunter das Altbachische Archiv.

Im Jahre 1813 übersiedelte Poelchau nach Berlin. Er trat 1814 in die Sing-Akademie zu Berlin unter Carl Friedrich Zelters Leitung ein, wirkte dort zwischen 1815 und 1826 als Tenorsolist, begann sich zudem an Zelters Seite um die Bibliothek der Institution zu kümmern, welche Zelter in dieser Zeit insbesondere für den Gebrauch des Chores aufbaute. Durch Poelchau gelangten viele der Musikalien in die Notenbibliothek. Poelchau unternahm beträchtliche Reisen, um seine Sammlung zu erweitern und führte Briefwechsel mit anderen Sammlern, besonders mit Aloys Fuchs und Raphael Georg Kiesewetter.

Er brachte auch Handschriften Georg Philipp Telemanns nach Berlin, die er als Schüler des Georg Philipp Telemann-Enkels, Georg Michael Telemann, erwerben konnte und fertigte selbst Abschriften von Werken verschiedener Komponisten.

Nach Zelters Tod entwickelte Poelchau gemeinsam mit Adolf Bernhard Marx in der Sing-Akademie die Pflege vor allem der Musik Johann Sebastian Bachs weiter, was 1850 auch zur Gründung der (alten) Bach-Gesellschaft und deren Hauptaufgabe, eine Gesamtausgabe der Werke Bachs vorzulegen, führte.[3] Als Besitzer von vielen Bachmanuskripten spielte er eine bedeutende Rolle in der aufkommenden Bach-Renaissance.

Als Poelchau nach Berlin kam, hatte er auch die Handschrift der Matthäuspassion Johann Sebastian Bachs aus dem Nachlass dessen Sohnes Carl Philipp mit in die Stadt gebracht, in der das Werk 16 Jahre später mit der Sing-Akademie unter Leitung des zwanzigjährigen Felix Mendelssohn Bartholdy seine Wiederauferstehung feierte. Die Handschrift diente jener Abschrift zur Vorlage, die Bella Salomon (geb. Itzig) ihrem Enkel Felix zu seinem 15. Geburtstag am 3. Februar 1824 geschenkt hatte[4] und aus der er am 11. März 1829 die Wiederaufführung dirigierte. Seit dem Erstdruck der Passion von 1830 diente diese Partiturhandschrift (Signatur: Mus. Ms. autogr. J. S. Bach P 25) neben dem meist autographen Stimmensatz (St 110) allen kritischen und revidierten Ausgaben als Vorlage.[2]

 
Exlibris der Sammlung Poelchau

Nachlass

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Die Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin verdankt Poelchau wesentliche Substanz. Nach Poelchaus Tod gelangte dessen Sammlung nach langwierigen Verhandlungen seines Sohnes Hermann durch Verkauf am 25. Februar 1841 in den Besitz des „Musikalischen Archives“ an der „Königlichen Bibliothek“, der heutigen Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin. Die Bände der Sammlung Poelchau wurden mit dem eigens für diese Sammlung gestochenen Exlibris BIBLIOTHECA POELCHAVIANA versehen. 1832 hatte Poelchau selbst einen handschriftlichen Katalog seiner Bibliothek angelegt (SBB, Signatur Mus.ms.theor. Kat. 41).[5] In der Poelchau-Sammlung befanden sich neben zahlreichen Bach-, Beethoven- und Haydn-Autographen auch die ersten acht Mozart-Autographe sowie die Telemanniana. Im Nachgang zu diesem bedeutenden Kauf wurde die Musikalische Abteilung gegründet.[6]

Briefe von Georg Poelchau befinden sich im Bestand des Leipziger Musikverlages C.F. Peters im Staatsarchiv Leipzig.

Literatur

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  • Till Reininghaus: Zwischen Wien und Berlin: Die Musiksammlung von Aloys Fuchs und Georg Poelchau im Spiegel ihrer Korrespondenz, In: Sammelwerk=Wasserzeichen – Schreiber – Provenienzen. Neue Methoden der Erforschung und Erschließung von Kulturgut im digitalen Zeitalter: Zwischen Wissenschaftlicher Spezialdisziplin und Catalog Enrichment (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderbände, Sonderband 118), hrsg. von Wolfgang Eckardt u. a., Frankfurt a. M. 2016, S. 27–45, ISBN 978-3-465-04257-0.
  • Karen Lehmann: Die Anfänge einer Bach-Gesamtausgabe 1801–1865 (= Leipziger Beiträge zur Bachforschung, Bd. 6), hrsg. vom Bach-Archiv Leipzig. Georg Olms Verlag, Leipzig und Hildesheim 2004, ISBN 3-487-12577-3.
  • Klaus Engler: Georg Poelchau in Göttingen. In: Gesellschaft für Musikwissenschaft – Kongressbericht (GfMKB). Gesellschaft für Musikwissenschaft, Berlin 1974, S. 376–379.
  • Klaus Engler: Georg Poelchau und seine Musikaliensammlung. Ein Beitrag zur Überlieferung Bachscher Musik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diss. phil., Universität Tübingen 1970 (Druck 1984).
  • Paul Kast: Die Bach-Handschriften der Berliner Staatsbibliothek. Hohner, Trossingen 1958.
  • Wilhelm Altmann: Die Musikabteilung der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin. In: Zeitschrift für Musikwissenschaft, Jg. 3 (1920–1921), S. 426–437.
  • Karl-Heinz Köhler: Die Musikabteilung. In: Deutsche Staatsbibliothek 1661–1961, Teil 1: Geschichte und Gegenwart. VEB Verlag für Buch- und Bibliothekswesen, Leipzig 1961, S. 241–274.
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Fußnoten

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  1. Eintrag im Taufregister der Gemeinde Kremon (Memento des Originals vom 29. Oktober 2019 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.lvva-raduraksti.lv (lettisch: Krimulda)
  2. a b Pressemitteilung der Staatsbibliothek zu Berlin: Die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach (1685–1750), veröffentlicht am 16. Dezember 2003.
  3. christoph-graupner-gesellschaft.de: Mitteilungen der Christoph-Graupner-Gesellschaft (Memento vom 10. Oktober 2007 im Internet Archive), Jg. 2007, S. 8–9 (PDF; 404 kB).
  4. R. Larry Todd: Die Matthäuspassion. Widerhall und Wirkung in Mendelsohns Musik. In: Anselm Hartinger, Christoph Wolff, Peter Wollny (Hrsg.): „Zu groß, zu unerreichbar“. Bach-Rezeption im Zeitalter Mendelssohns und Schumanns. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-7651-0386-5, S. 79–97, hier S. 79f.
  5. Karen Lehmann: Die Anfänge einer Bach-Gesamtausgabe 1801–1865, S. 385.
  6. Barbara Schneider-Kempf: Einführung zu „…gewaltig viel Noten, lieber Mozart!“, Pressemitteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, 25. Oktober 2006.