Georg von Oettingen

deutsch-baltischer Mediziner

Georg Philipp von Oettingen (* 10. Novemberjul. / 22. November 1824greg. auf Gut Wissust (estnisch: Visusti), Gemeinde Ecks (estnisch: Äksi) bei Dorpat, Livland (heute Estland); † 3. Februarjul. / 16. Februar 1916greg.[1] in Dorpat) war ein deutsch-baltischer Mediziner, Chirurg und Augenarzt. Er war Rektor der Kaiserlichen Universität Dorpat und Stadthaupt von Dorpat.

Georg von Oettingen

Herkunft und Familie

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Er entstammte einem alten, ursprünglich aus Westfalen stammenden Adelsgeschlecht und war der Sohn des Gutsbesitzers Alexander von Oettingen (1798–1846), livländischer Landmarschall und Landrat, und der Helene von Knorring (1793–1863).

Oettingen heiratete in erster Ehe am 16. Dezember 1854 Marie von Seidlitz (* 11. April 1832 in Sankt Petersburg; † 3. Dezember 1903 in Obersasbach, Ortenaukreis, Baden), die Tochter des kaiserlich russischen Wirklichen Staatsrats Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Karl von Seidlitz, Gutsbesitzer auf den Gütern Waetz in Estland sowie Meyershof und Unnipicht in Livland, und der aus russischem Adel stammenden Marie Weltzien. Diese Ehe wurde geschieden.[2]

In zweiter Ehe heiratete er am 14. Juli 1875 in Dorpat Dorothea Baronesse von Wrangell (* 16. Februar 1847 in Reval, Estland; † 4. März 1916 in Reval), die Tochter des kaiserlich russischen Generalleutnants Georg Baron von Wrangell aus Haus Ruil, Estland, und der Karoline von Schwebs.

Seine beiden Brüder, der Physiker Arthur (1836–1920), und der Theologe Alexander von Oettingen (1827–1905), waren ebenfalls an der Universität Dorpat tätig. Drei weitere Brüder, August Georg Friedrich (1823–1908), Nicolai Conrad Peter (1826–1876) und Eduard Reinhold (1829–1919), waren in der livländischen Landespolitik aktiv. Sein Sohn Herbert (1874–1946) war Pfarrer und Mitglied der Bekennenden Kirche. Sein Sohn Wolfgang (1859–1943) war Kunsthistoriker und Direktor des Goethe-Nationalmuseums und Goethe-Schiller-Archivs in Weimar.

Werdegang

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Oettingen studierte ab 1841 an der Kaiserliche Universität Dorpat Jura, wechselte aber im gleichen Jahr zur Medizin. Zugleich wurde er in der Baltischen Corporation Livonia Dorpat aktiv.[3] 1848 promovierte er mit der Arbeit De ratione, qua calomelas mutetur in tractu intestinali (Von den Veränderungen von Quecksilberchlorid im Verdauungstrakt). Während er auf einen Auslandspass wartete, arbeitete er in Riga als Leiter des Cholerahospitals und der chirurgischen Abteilung des Stadtkrankenhauses. 1850 bis 1853 folgten Studienaufenthalte u. a. in Wien, Paris, London, Edinburgh, Prag und Berlin. Ab 1853 praktizierte er als Arzt in St. Petersburg, bevor er sich 1854 in Dorpat mit einer Arbeit über Star-Operationen habilitierte (Observationes quaedam de cataracte operatione extractionis ope instituenda). 1856 wurde er zum Leiter der Universitätsklinik ernannt, die er bereits ein Jahr kommissarisch geführt hatte. 1857 folgte seine Ernennung als ordentlicher Professor der Chirurgie. Zu seinen Schülern in Dorpat gehörte der spätere Chirurg Ernst von Bergmann.[4] 1871 wurde die Augenheilkunde, Oettingens Spezialgebiet, von der Professur für Chirurgie getrennt, und Oettingen der neue Lehrstuhl übertragen. Außerdem war er von 1859 bis 1866 Prorektor der Universität, 1866 Dekan der medizinischen Fakultät und schließlich 1868 bis 1876 Rektor. Seine Emeritierung erfolgte 1879. Er war von 1878 bis 1898 Stadthaupt von Dorpat. Wilhelm Ostwald schrieb über ihn: „G. von Öttingen war einer der ersten Wahlrektoren gewesen, Er führte ein strammes Regiment und dämmte allzu explosive Äußerungen der über- schäumenden Jugendlust durch Karzerstrafen. Eines seiner Opfer hatte rachedurstig an die Wand seiner Zelle das Zitat aus H. Heines Harzreise über Göttingen geschrieben: ‚G. Öttingen sieht man am besten mit dem Rücken an.‘ Der Rektor fand den Scherz gut und ließ die Inschrift bestehen; sie wurde viele Jahre lang den freiwilligen wie unfreiwilligen Besuchern des Karzers vorgewiesen.“[5]

In der Zeit zwischen 1856 und 1858 unternahm Oettingen gemeinsam mit Hermann Guido von Samson Himmelstjerna (1809–1868) und einem großen Stab von Studenten und Ärzten eine statistische Untersuchung an über 656.000 Einwohnern über die Zahl von Blinden und Augenkranken in Livland. Seine Erfahrungen als Oberarzt eines Lazaretts im Russisch-Türkischen Krieg 1877–1878 fasste er in einer Monografie über Schussverletzungen des Auges zusammen. Als sein bedeutendster Beitrag zur Medizin gilt die Beschreibung eines neuen Krankheitsbildes, die "amoloide Entartung der Conjunctiva", in einem Aufsatz über die ophtamologische Klinik in Dorpat[6]. Außerdem führte Oettingen den von Hermann von Helmholtz erfundenen Augenspiegel in Livland ein.

Auszeichnungen

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Veröffentlichungen (Auswahl)

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Literatur

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  • Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, Bd. 4 (3. Aufl. 1962), S. 415.
  • Imma Saenger: Georg Philipp von Oettingen, ein baltischer Arzt und Politiker, Med. Diss. FU Berlin 1965.
  • Toomas Pung: Die Wissenschaftlerfamilie v. Oettingen, in: Deutsche im Zarenreich und Russen in Deutschland, hrsg. v. Ingrid Kästner und Regine Pfrepper (= Deutsch-russische Beziehungen in Medizin und Naturwissenschaften Bd. 12), Aachen 2005, S. 359–380, zu Georg von Oettingen hier S. 361–366.
  • Genealogisches Handbuch des Adels, Adelige Häuser B Bd. XII, S. 366, Bd. 64 der Gesamtreihe, Limburg (Lahn) 1977, ISSN 0435-2408.
  • Neue Deutsche Biographie, Bd. 6, S. 410; Bd. 19, S. 477.
  • Baltische Historische Kommission (Hrsg.): Eintrag zu Oettingen, Georg* Philipp v.. In: BBLD – Baltisches biografisches Lexikon digital

Fußnoten

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  1. Eintrag im Beerdigungsregister der Universitätsgemeinde zu Dorpat (estnisch: Tartu ülikooli kogudus)
  2. Genealogisches Handbuch der baltischen Ritterschaften, Teil Estland III. C. A. Starke, Görlitz, 1935, S. 254.
  3. Alexander Ammon: Album Dorpati Livonorum. Dorpat 1890 (Digitalisat mit handschriftlichen Ergänzungen), Nr. 306
  4. Nicolai Guleke: Kriegschirurgie und Kriegschirurgen im Wandel der Zeiten. Vortrag gehalten am 19. Juni 1944 vor den Studierenden der Medizin an der Universität Jena. Gustav Fischer, Jena 1945, S. 36–37.
  5. Wilhelm Ostwald, Lebenslinien, Bd. 1, S. 76. (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive)
  6. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, Bd. 4 (3. Aufl. 1962), S. 415.
  7. Orden nach Personal der Kaiserlichen Universität Dorpat 1875, S. 3
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