Gesellschaftliche Gerichte waren in der DDR mit Laienrichtern besetzte Gerichte der „sozialistischen Rechtspflege“. Nach § 1 des Gesetzes über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik sollten „[d]ie gesellschaftlichen Gerichte [...] gewählte Organe der Erziehung und Selbsterziehung der Bürger [sein]“ und das „Recht der Bürger auf Mitwirkung an der Rechtspflege“ verwirklichen.[1]

Geschichte

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Die beiden Arten der gesellschaftlichen Gerichte waren die

Rechtsgrundlage waren zunächst die Schiedsmannsordnung[2] und die Konfliktkommissionen-Verordnung[3] von 1953. Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1968 regelte dann in Artikel 92:

„Die Rechtsprechung wird in der Deutschen Demokratischen Republik durch das Oberste Gericht, die Bezirksgerichte, die Kreisgerichte und die gesellschaftlichen Gerichte im Rahmen der ihnen durch Gesetz übertragenen Aufgaben ausgeübt.“

Artikel 92, VerfDDR68 (Hervorhebung nicht original)[4]

Die Beteiligung von Laienrichtern in der Rechtspflege allgemein war in Artikel 90 verankert.

„Die Teilnahme der Bürger an der Rechtspflege ist gewährleistet. Sie wird im einzelnen durch Gesetz bestimmt.“

Art. 90, Abs. 3 VerfDDR68[4]

In Umsetzung der Verfassungsregelung wurden das Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik - GGG vom 11. Juni 1968[1] und das Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik - GGG vom 25. März 1982[5] erlassen.

Nach der Wende wurden auch die Konfliktkommissionen und Schiedskommissionen in den Prozess der Wiedereinführung eines Rechtsstaates einbezogen. Der beherrschende Einfluss der in PDS umbenannten SED auf die gesellschaftlichen Gerichte endete. Die erste frei gewählte Volkskammer wandelte sie in Schiedsstellen um.

Mitglieder

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Die Mitglieder der gesellschaftlichen Gerichte (eine weitere Amtsbezeichnung gab es nicht), waren nach § 2 „[...] in ihrer Rechtsprechung unabhängig [und] nur an die Verfassung, die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik gebunden.“[6]

Zuständigkeit

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Die Zuständigkeit der gesellschaftlichen Gerichte erstreckte sich auf:[7]

  • Arbeitsrechtssachen einschließlich Neuererrecht (nur vor den Konfliktkommissionen)
  • zivilrechtliche Streitigkeiten
  • Vergehen, wenn die Sache von den Untersuchungsorganen, der Staatsanwaltschaft oder den Gerichten übergeben wurde (wie Eigentumsvergehen, Körperverletzungen, Verkehrsdelikte, Verletzungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes)
  • Verfehlungen (wie Eigentumsverfehlungen, Beleidigung und Verleumdung, Hausfriedensbruch in Räumen und Grundstücken eines Bürgers)
  • Ordnungswidrigkeiten, wenn die Sache von den Ordnungsstrafbefugten übergeben wurde
  • Schulpflichtverletzungen
  • „arbeitsscheues Verhalten“ (nur 1964 bis 1979 vor den Schiedskommissionen)

Verfahrensstatistik

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Die gesellschaftlichen Gerichte waren für eine große Zahl von Verfahren zuständig. 1970 bzw. 1985 entfielen auf:

Rechtspflegeorgane Rechtsgebiet 1970 1985
Kreis-, Bezirksgerichte[8] Strafsachen (nach Verurteilten) 63.214 a 59.574
Zivilsachen 30.606 55.280
Familienrechtssachen 65.507 88.356
Arbeitsrechtssachen   6.058 14.311
Gesellschaftliche Gerichte Straf-, Arbeits-, Zivilsachen 65.905 93.330
a 
Durchschnitt 1970–74

Innerhalb der gesellschaftlichen Gerichte verteilten sich die Verfahren wie folgt:[9]

Rechtsgebiet 1970 1985
Anteil KK SchK Anteil KK SchK
Arbeitsrecht 27,5 % 18.148 59,3 % 55.317
Zivilrecht 10,4 % 0 6.837 6,0 % 329 5.280
Vergehen 33,9 % 15.156 7.208 21,4 % 13.948 6.034
Verfehlungen 25,7 % 3.680 13.281 11,4 % 3.604 6.993
Ordnungswidrigkeiten 1,2 % 404 376 1,3 % 620 572
Schulpflichtverletzungen 0,8 % 73 422 0,7 % 147 486
arbeitsscheues Verhalten 0,5 % 320
Summe 65.905 37.461 28.444 93.330 73.965 19.365
Anteil 56,8 % 43,2 % 79,3 % 20,7 %

Ähnliche Einrichtungen

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Land Einrichtung Zeitraum Rechtsgrundlage Anzahl[10]
Deutschland Demokratische Republik 1949  DDR Gesellschaftliche Gerichte:
KK; SchK (bis 1963: Sühnestellen)
1953–90 Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte (GBl. 1968, 1982) 1970: 20.000 KK, < 6.000 SchK
Sowjetunion  UdSSR Товарищеские суды
Kameradschaftsgerichte
1919–38, 1956–95 Положение о товарищеских судах (ВВС РСФСР 1961, 1977); ferner: общественный приговор (1957–65), товарищеские суды чести (ab 1971) 1965: 230.000
Polen  VRP Sądy społeczne: w zakładach pracy; społeczne komisje pojednawcze
GG: an Arbeitsplätzen; ges. SchK
1960?–90 Ustawa z dnia 30 marca 1965 r. o sądach społecznych. 1965; (polnisch, Dz.U. z 1965 r. nr. 13 poz. 92.). 1963: 50+200
Tschechoslowakei  ČSSR Místní lidové soudy; rozhodčí komise
Örtliche Volksgerichte; Schiedskommissionen
1961–69
1975–91
Zákon ze dne 18. dubna 1961 o místních lidových soudech (38/1961 Sb.)
Zákon č. 20/1975 Sb.
1963: 1.000
Ungarn  UVR Társadalmi bíróságok
Gesellschaftliche Gerichte
1958–89? 1962. évi 24. törvényerejű rendelet társadalmi bíróságokról ?
Rumänien  SRR Comisiile de judecată
Schiedskommissionen
1957–92 Legea nr. 59 din 26 decembrie 1968 privind comisiile de judecată (B.Of. nr. 169 din 27 decembrie 1968) ?
Bulgarien  VRB Другарските съдилища
Kameradschaftsgerichte
1961–91 Закон за другарските съдилища (Известия, бр. 50 от 23 юни 1961 г.) 1963: 10.000
China Volksrepublik  VRC 人民调解委员会 Rénmín tiáojiě wěiyuánhuì
Volksschiedskommissionen
1949–? 中华人民共和国人民调解法 Zhōnghuá rénmín gònghéguó rénmín tiáojiě fǎ (2010年8月28日) 1955: 158.000
Jugoslawien Sozialistische Föderative Republik  SFRJ Самоуправни судови: Судовима удруженог рада, Мировна већа
Selbstverwaltungsgerichte: Gerichte assoziierter Arbeit, Friedensräte
1975–91 Закон о судовима удруженог рада (Сл. лист СФРЈ 24/74), Закон о мировним већима (Сл. гласник СРС 43/79) ?
Albanien  SVRA Komiteti profesional
Arbeitskomitee
? Kodi i Punës (1980), Art. 100 ?
Kuba  Kuba Tribunales populares
Volksgerichte
1964–73 ? 1969: > 2.000[11]
Athiopien Demokratische Volksrepublik  DVRÄ ማህበራዊ ፍርድ ቤቶች
Gesellschaftliche Gerichte
1989– Establishment of social courts of Ethiopia proclamation 37/1989[12] ?

Außerdem: Beschwerdekommissionen für Sozialversicherung beim FDGB (siehe Sozialgerichtsbarkeit)

Literatur

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  • Werner Reiland: Die gesellschaftlichen Gerichte der DDR. Univ.-Diss. Tübingen/Basel 1971. ISBN 3-7711-0949-3
  • Frank Rotter: Die Gesellschaftlichen Gerichte in der DDR und das Problem der Alternativen zum Recht, in: Alternative Rechtsformen und Alternativen zum Recht. Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 6, Opladen, 1980, S. 462–475. ISBN 978-3-322-96990-3
  • Hans Martin Schmid: Gesellschaftliche Gerichte und ihre Übertragbarkeit auf das bundesdeutsche Strafverfahren – Ein Beitrag zur Institutionalisierung gemeinwesenbezogener Konfliktschlichtung in das allgemeine Strafrecht, Univ.-Diss. Würzburg, 1998.
  • Felix Herzog: Rechtspflege - Sache des ganzen Volkes? Bericht über eine Studie zu den Gesellschaftlichen Gerichten in der DDR. Humboldt-Spektrum, Heft 04/1999, S. 20–26
  • Hans-Andreas Schönfeldt: Vom Schiedsmann zur Schiedskommission : Normdurchsetzung durch territoriale gesellschaftliche Gerichte in der DDR. (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Band 145). 2002, ISBN 3-465-03176-8.
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Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. a b Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 11. Juni 1968, im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 11, 1968, S. 229ff., Digitalisat.
  2. Anordnung über die Errichtung von Sühnestellen in der Deutschen Demokratischen Republik (Schiedsmannsordnung) vom 24. April 1953 (GBl. Nr. 59 S. 647)
  3. Verordnung über die Bildung von Kommissionen zur Beseitigung von Arbeitsstreitfällen (Konfliktkommissionen) in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben und in den Verwaltungen vom 30. April 1953 (GBl. Nr. 63 S. 695)
  4. a b Text der DDR-Verfassung 1968
  5. Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik - GGG - vom 25. März 1982. Im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 13, S. 269ff., Digitalisat.
  6. Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 11. Juni 1968, im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 11, 1968, S. 229ff., Digitalisat.
  7. § 8 GGG 1968; §§ 13, 14 GGG 1982
  8. Statistisches Jahrbuch der DDR, 1978 und 1986
  9. Britta Schubel: Geschichte und Gegenwart außergerichtlicher Erledigung von Strafsachen durch ehrenamtliche Schiedsinstanzen in den neuen Bundesländern (1997), S. 316–319
  10. Walter Knüsli: Die gesellschaftliche Gerichtsbarkeit in Osteuropa (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 2, Rechtswissenschaft. Band 195). Lang, Frankfurt/M. 1978, ISBN 3-261-03130-1.
  11. Luis Salas: The emergence and decline of the Cuban popular tribunals (1983)
  12. Dereje Tilahun: Jurisdiction of social courts in Addis Ababa: the law and the practice (2010)