Gjulnara Jurjewna Sultanowa

russische Menschenrechtlerin

Gjulnara „Gulja“ Jurjewna Sultanowa (russisch Гюльнара Юрьевна Султанова; geb. 23. August 1975 in Leningrad) ist eine russische Bürgerrechtlerin und LGBT-Aktivistin. Sie leitet das internationale LGBT-Filmfestival Bok o Bok (Seite an Seite) in St. Petersburg. Sultanowa floh 2022 aus Russland, engagiert sich aber weiterhin für die Menschenrechte russischer LGBT-Personen.

Porträt von Gulya Sultanova
Gulja Sultanowa (2009)

Leben und Aktivitäten in Russland

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Gjulnara Sultanowa wurde am 23. August 1975 im damaligen Leningrad (heute St. Petersburg) in Russland geboren. Sie studierte Germanistik an der Universität St. Petersburg. Anschließend arbeitete sie als Übersetzerin und Dolmetscherin, später als Organisatorin interkultureller Schüleraustauschprogramme zwischen Russland und Deutschland.[1]

Sultanowa lebt offen lesbisch, obwohl die Bürgerrechte lesbischer und schwuler Bürgerinnen und Bürger in Russland eingeschränkt und betroffene Menschen durch Anfeindungen und Repressionen immer mehr gefährdet sind.[2][3] Ab 2005 engagierte sich Sultanowa aktiv im zivilgesellschaftlichen Sektor von Sankt Petersburg, besonders in Projekten zur Aufklärung und Verteidigung der Bürgerrechte sowie bei der Gründung und Unterstützung von Organisationen und Koalitionen in der Zivilgesellschaft.[4][5] Sie koordinierte die russische LGBT-Gruppe Coming Out, ein überregionales Netzwerk, das Betroffene gegen Diskriminierungen durch die Behörden oder Hassattacken durch die Bevölkerung verteidigt. Sultanowa setzte sich für die Rechte der Lesben und Schwulen ein, nahm an Demonstrationen teil und veranstaltete Aufklärungsseminare und Kultur-Events.[1][6]

Bekannt wurde Sultanowa als Leiterin des russischen LGBT-Filmfestivals Side by Side (Deutsch: Seite an Seite; Russisch: Bok o Bok).[2] Das internationale Festival wurde 2007 gegründet und findet jedes Jahr im Herbst statt. Das Programm umfasst Spielfilme, Dokumentarfilme und Kurzfilme, für die jeweils Preise verliehen werden, außerdem eine Vielzahl von Retrospektiven, Ausstellungen, Fotowettbewerbe, Buchpräsentationen, Konzerte und Workshops. Damit ist das Festival nicht nur ein Kulturevent, sondern eine Quelle von LGBT-Information und ein Akt des Widerstands.[7][1]

Als der russische Staat 2013 das Gesetz gegen „Propaganda für Homosexualität“[8] erließ und das Festival zudem als ausländischen Agenten einstufte, brachte das weitere Verschärfungen und Gefährdungen für die Veranstaltenden mit sich.[9][10] Trotz massiver Repressionen durch die russische Regierung und ständiger Gewalt- und Bombendrohungen existiert das Festival jedoch weiter.[11][12]

Im Rahmen der Städtepartnerschaft Hamburg-St. Petersburg organisierte Gulja Sultanowa zusammen mit dem LSVD Hamburg mehrere Jahre einen deutsch-russischen Austausch mit Besuchen und Seminaren von Menschen der LGBTQ-Gemeinschaft.[13]

Internationale Aktivitäten und Flucht aus Russland

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Von den Medien als Bürgerrechtlerin gefragt war Sultanowa besonders zur Zeit der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi.[14][15] Sie wurde durch Berichte und Interviews zu Menschenrechtsfragen im Hinblick auf Schwule und Lesben in Russland weltweit bekannt.[16] Sultanowa hat in all den Jahren zahlreiche Städte und Länder besucht und Einrichtungen und Medien über die Situation der LGBTQ-Minderheit in Russland informiert.[17][18]

Im Jahr 2010 wurde Sultanowa als Jury-Mitglied beim Teddy Award der Internationalen Filmfestspiele Berlin eingeladen.[19][12] Als Sprecherin nahm sie am Festival Queer East der Freien Universität Berlin (FU) teil,[20] ebenso an der internationalen Konferenz Time to React in Berlin, veranstaltet von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung.[21][22] Im Streitraum der Schaubühne Berlin mit Carolin Emcke war sie zum Thema: Homophobie der Politik oder Politik der Homophobie als Podiumsgast eingeladen.[23][24]

Wachsende staatliche Repressionen in Russland und Hassangriffe von Teilen der Bevölkerung führten dazu, dass Sultanowas Arbeit und ihr Leben immer gefährlicher wurden.[10][9] Zwei Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine flüchtete sie schließlich aus Russland.[25][26]

Mit ihrer Partnerin und Filmfestival-Kollegin Manny de Guerre, die ebenfalls geflohen war, betreibt sie mittlerweile vom Ausland aus Q-Space, ein englischsprachiges LGBT-Kulturprogramm, das sich vor allem an die russischsprachige Community wendet.[13]

Auszeichnungen

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  • Rainbow-Award 2013 des Regenbogenfonds in Berlin (zusammen mit Manny de Guerre), als Gründerinnen des Side by Side Filmfestivals[27]
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Literatur

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  • Gabriel Wolkenfeld: Wir Propagandisten. Roman. Albino Verlag, Berlin 2023, ISBN 978-3-86300-362-3.
  • Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hg.): Spektralanalyse. Homosexualität und ihre Feinde. Osteuropa Heft 10/2013. Berlin 2013, Berliner Wissenschaftsverlag, ISBN 978-3-8305-3180-7.
  • Radzhana Buyantueva: Cultural and Geopolitical Conflicts between the West and Russia: Western NGOs and LGBT Activism. In: Connexe les espaces postcommunistes en question(s). Band 8, S. 148–167, Dezember 2022, ISSN 2673-2750; doi:10.5077/journals/connexe.2022.e1031 (unige.ch)

Einzelnachweise

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  1. a b c Fünf Fragen an: Gulya Sultanova, russische Menschenrechtlerin und Filmfestival-Organisatorin. In: Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin. 7. August 2015, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  2. a b Gulya geht nicht weg Einblick in die russische LGBT-Community. 6. März 2015, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  3. GULJA SULTANOVA: Willkür bedroht Freiheit. In: Die Tageszeitung: taz. 7. Februar 2014, ISSN 0931-9085, S. 10 (taz.de [abgerufen am 1. Dezember 2023]).
  4. Gulya Sultanova | Heinrich-Böll-Stiftung. Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  5. Axel Schock: Hoffen, dass die Situation nicht noch schlechter wird. In: magazin.hiv. 29. Januar 2014, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  6. Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Lage von LGBT-Personen in Russland allgemein (insbesondere in Moskau und St. Petersburg). 30. Mai 2018, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  7. deutschlandfunkkultur.de: Gulya Sultanowa: "Überall in Russland werden Menschenrechte verletzt". Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  8. Bundeszentrale für politische Bildung: Analyse: Russlands Gesetz gegen „Propaganda für Homosexualität“ und die Gewalt gegen LGBTQ-Personen. 30. September 2023, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  9. a b Axel Schock: „Hoffen, dass die Situation nicht noch schlechter wird“. In: ICH WEISS WAS ICH TU. 3. Februar 2014, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  10. a b „Homo-Propaganda“ und „Ausländische Agenten“ in St. Petersburg -. In: LSVD. 16. Mai 2013, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  11. „Angst ist das Ziel“ – warum das LSBTI*-Filmfestival Side by Side in St. Petersburg immer neue Bombendrohungen erhält. Interview mit der Veranstalterin Gulya. Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  12. a b Director Roman Polanski + Honey: Berlin Film Festival Winners. Abgerufen am 1. Dezember 2023 (amerikanisches Englisch).
  13. a b Organisers of LGBTQ+ film festival in Russia: “We were a little naïve about the backlash that was going to happen!” In: Feministeerium. 24. Juni 2023, abgerufen am 1. Dezember 2023 (amerikanisches Englisch).
  14. jádu - Leben - Goethe-Institut. Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  15. Christoph Petersen: LGBT in Russland: Liebe hat ihre Grenzen. In: FINK.HAMBURG. 9. Januar 2018, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  16. Homosexualität in Russland: Liebe hat ihre Grenzen – LSVD Hamburg. Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  17. Staatliche Repression, wachsende zivilgesellschaftliche Unterstützung -. In: Hirschfeld-Eddy-Stiftung. 11. April 2019, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  18. n-ost: „Homosexuelle sollen Angst haben“ Angst haben“. ostpol.de, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  19. Foto Archiv Detail. In: Berlinale Teddy Award. Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  20. Festival Queer*East. 11. Mai 2017, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  21. Author: Time to react - 1. Juni 2017 Berlin. In: Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  22. garconnefeuilleton: Oh, eine Insel? Bemerkungen zur Konferenz „Time to React“ ⋆ Garçonne Feuilleton. In: Garçonne Feuilleton. 7. Februar 2018, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  23. Streitraum: Homophobie der Politik oder Politik der Homophobie. In: Schaubühne. Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  24. Bundeszentrale für politische Bildung: Homophobie der Politik oder Politik der Homophobie / mit Übersetzung. Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  25. Felizitas Bborzym: Gedenken bedeutet handeln! In: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. 26. Januar 2023, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  26. Pauline Tillmann, für Russland HEUTE: „Sie wollen uns erschrecken“. 27. August 2012, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  27. Rainbow Award - Verleihung der Auszeichnung auf dem Stadtfest Berlin. Abgerufen am 1. Dezember 2023.