Pharisäer und Zöllner
Das von Jesus von Nazaret erzählte Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner illustriert die richtige Art des christlichen Gebets. Es wird im Neuen Testament der Bibel lediglich im Evangelium nach Lukas überliefert (Lk 18,9–14 EU).
Inhalt
BearbeitenEin Pharisäer und ein Zöllner gehen in den Tempel zu Jerusalem, um zu beten. Der Pharisäer dankt Gott in seinem Gebet dafür, dass er Pharisäer ist und hebt hervor, dass er sich (in seinen Augen) vorbildlich verhält – und nicht so wie etwa Räuber, Ehebrecher oder eben der Zöllner neben ihm. Er lobt seine Leistungen beim Fasten und beim Geben des Zehnten und sieht keinen Anlass, sich vor dem Höchsten als Sünder zu bekennen. Der Zöllner hingegen schlägt sich gegen seine Brust, wagt dabei nicht aufzusehen und bittet Gott darum, ihm, dem Sünder, gnädig zu sein. Im Gegensatz zum Pharisäer ist er sich seiner Sündhaftigkeit bewusst und voller Demut. Das Gleichnis wird abgeschlossen von den Worten Jesu, der erklärt, dass der Zöllner im Gegensatz zum Pharisäer gerechtfertigt nach Hause ginge, denn jeder, der sich selbst erhöhe, werde erniedrigt werden, wer sich aber selbst erniedrige, werde erhöht werden.
Deutung
BearbeitenZuhörer Jesu
BearbeitenWährend des 1. Jahrhunderts n. Chr. stellten die Pharisäer eine angesehene Gruppe unter den Juden dar und waren dafür bekannt, sich streng an die Gesetze des Moses und zudem an die mündlich überlieferten „Vorschriften der Vorfahren“ zu halten. Zöllner hingegen zählten als sozial geächtete Gruppe, da sie mit den Römern als Besatzungsmacht kollaborierten und als Steuereintreiber Geld von der Bevölkerung pressten. In diesem Gleichnis werden die beiden Gruppen entsprechend dem Stereotyp ihrer Zeit dargestellt (Pharisäer = fromm, Zöllner = gesetzesuntreu), dann aber mit einer für die Zuhörer unerwarteten Wendung versehen. Allerdings bedeutete das Gebet des Pharisäers für seine Zeitgenossen keineswegs etwas Ungewöhnliches, im Gegenteil, es ist ein rechtschaffenes jüdisches Gebet.[1] Warum dennoch das Verzweiflungsgebet des Zöllners das Urteil Jesu begünstigt, wird durch die Verbindung zum (mittleren, 4.) Buß-Psalm deutlich, den der Zöllner betet (Psalm 51,13 EU) und der in den Satz einmündet:
- Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen. (Ps 51,19 EU)
Moderne Theologen betonen, dass es sich nicht um eine Beispielerzählung, sondern um ein Gleichnis handelt. Daher gehe es hier weder um eine Verurteilung der Pharisäer noch um eine Aufwertung der Zöllner; vielmehr werde deren übliche Beurteilung vorausgesetzt. Der springende Punkt der Geschichte sei damit, dass sogar einem Pharisäer Selbstgerechtigkeit unterlaufen könne und sogar ein Zöllner in der Lage sei, Buße zu tun; und eben auf die Fähigkeit, Buße zu tun, komme es Jesus an.[2]
Moderne Deutungen
BearbeitenDie traditionelle Deutung des Gleichnisses führte zu einem eher klischeehaften Bild der Pharisäer, in dem sie pauschal mit Heuchlern gleichgesetzt wurden.[3] Neuere Deutungen betonen zum einen, dass das tatsächliche und ehrliche, keineswegs heuchlerische Streben der Pharisäer nach einem gottgefälligen Leben gewürdigt werden muss. Zum anderen nehmen moderne Theologen häufig eine sehr viel größere Nähe Jesu zu den Pharisäern als zu anderen jüdischen Gruppen an.[4] Das Gleichnis warne vor der Sünde als „Meisterin des Manipulierens“.[5] Sie sei imstande, Gesetzestreue in Menschenverächter zu verwandeln und heimtückisch menschliche Gemeinschaft zu zerstören. Davor gelte es sich zu hüten – also auch davor, sich besser fühlen zu wollen als jener Pharisäer, der seiner Selbstgerechtigkeit erlag. Das Jerusalemer Bibellexikon sieht den „sündigen, aber bußfertigen Zöllner Gott näher als den stolzen Gerechten“.[6]
Liturgie
BearbeitenIn der klassischen Perikopenordnung der Westkirche (und bis heute in der Leseordnung der EKD) wird das Gleichnis am 11. Sonntag nach Trinitatis als Evangelium gelesen und gibt dem Sonntag sein charakteristisches Thema. Johann Sebastian Bach schuf als Meditation dazu die Kantate Mein Herze schwimmt im Blut. In der heutigen römisch-katholischen Leseordnung wird das Gleichnis im Lesejahr C (Lukas) am 30. Sonntag im Jahreskreis gelesen. In den orthodoxen Kirchen dient die Lesung der Vorbereitung auf die Fasten- und Passionszeit. Der Sonntag vom Pharisäer und Zöllner ist der fünfte Sonntag vor dem Anfang der österlichen Fastenzeit.
Volkstümliche Rezeption
BearbeitenEugen Roth († 1976) dichtete zu diesem Thema folgendes:[7]
- Der Salto
„Ein Mensch betrachtete einst näher
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei
dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob! rief er in eitlem Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin!“
Literatur
Bearbeiten- François Bovon: Das Evangelium nach Lukas. 3. Teilband. Lk 15,1-19,27 (= Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Band III/3). Neukirchener, Neukirchen-Vluyn 2001, ISBN 3-7887-1810-2, S. 200–218.
- Robert Doran: The Pharisee and the Tax Collector: An Agonistic Story. In: The Catholic Biblical Quarterly. Band 69, Nr. 2, 2007, ISSN 0008-7912, S. 259–270.
- Hans-Joachim Eckstein: Der aus Glauben Gerechte wird leben. Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments (= Beiträge zum Verstehen der Bibel. Band 5). Lit, Münster 2003, ISBN 3-8258-7036-7, S. 143–151.
- Timothy A. Friedrichsen: The Temple, a Pharisee, a Tax Collector, and the Kingdom of God: Rereading a Jesus Parable (Luke 18:10-14a). In: Journal of Biblical Literature. Band 124, Nr. 1, 2005, ISSN 0021-9231, S. 89–119.
- Heinz Giesen: Das Gleichnis vom selbstgerechten Pharisäer und vom bußfertigen Zöllner – oder das Gleichnis vom barmherzigen Gott (Lk 18,9-14). In: Christoph Heil, Rudolf Hoppe (Hrsg.): Menschenbilder – Gottesbilder. Die Gleichnisse Jesu verstehen. Patmos, Ostfildern 2016, ISBN 978-3-8436-0605-9, S. 144–159.
- Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu (= Kleine Vandenhoeck-Reihe. Band 1500). Kurzausgabe. 9. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1984, ISBN 3-525-33498-2, S. 95ff.
- Thomas Popp: Werbung in eigener Sache (Vom Pharisäer und Zöllner) Lk 18,9-14. In: Ruben Zimmermann (Hrsg.): Kompendium der Gleichnisse Jesu. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2007, ISBN 978-3-579-08020-8, S. 681–695.
- Luise Schottroff: Die Gleichnisse Jesu. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005, ISBN 3-579-05200-4, S. 18–26.
- Florian Wilk: (Selbst-)Erhöhung und (Selbst-)Erniedrigung in Lk 18,9-14. In: Biblische Notizen. Nr. 155, 2012, ISSN 0178-2967, S. 113–129.
- Michael Wolter: Das Lukasevangelium (= Handbuch zum Neuen Testament. Band 5). Mohr Siebeck, Tübingen 2008, ISBN 978-3-16-149525-0, S. 591–595.
Weblinks
BearbeitenSiehe auch
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu (= Kleine Vandenhoeck-Reihe. Band 1500). Kurzausgabe. 9. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1984, ISBN 3-525-33498-2, S. 97.
- ↑ Luise Schottroff: Die Gleichnisse Jesu. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005, ISBN 3-579-05200-4, S. 19f.
- ↑ Symptomatisch hierfür ist die Entstehungslegende des Begriffs Pharisäer als Getränk.
- ↑ Auch viele jüdische Forscher sehen Jesus heute in großer Nähe zum Pharisäertum, siehe Walter Homolka: Die jüdische Leben-Jesu-Forschung von Abraham Geiger bis Ernst Ludwig Ehrlich.
- ↑ Luise Schottroff: Die Gleichnisse Jesu. S. 25.
- ↑ Jerusalemer Bibellexikon, S. 957.
- ↑ Eugen Roth: Sämtliche Menschen, Sanssouci, München 2006, ISBN 978-3-8363-0102-2, S. 159.