Gottfried W. Locher (Theologe)
Gottfried Wilhelm Locher (* 31. Oktober 1966 in Bern, heimatberechtigt in Zürich und Bern[1]) ist ein ehemaliger Schweizer Pfarrer und Theologe. Vom 1. Januar 2011 an war er Präsident der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (kurz EKS; damaliger Name: Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund),[2] bis er am 27. Mai 2020 seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung erklärte.[3] Von 2015 bis Juni 2020 war er zudem geschäftsführender Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE).
Leben
BearbeitenGottfried Locher wurde 2000 am King’s College, University of London in systematischer Theologie (Ph.D.) promoviert (Sign of the Advent: A Study in Protestant Ecclesiology, 2004 als Buch publiziert). Er hat ausserdem einen Master of Business Administration (M.B.A.) von der London Business School erworben. Im Schweizer Militär befehligte er als Oberstleutnant ein Bataillon.[4] Er arbeitete von 1994 bis 1999 als Pfarrer der Swiss Church in London. Von 2001 bis 2005 leitete er die Abteilung für Aussenbeziehungen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes und war von 2006 bis 2010 Leiter des Instituts für Ökumenische Studien an der Universität Freiburg (Schweiz). Im Jahre 2008 wurde er in den Synodalrat der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn gewählt, wo er bis 2010 tätig war.
Locher war von 2011 bis 2020 vollamtlicher Präsident des Rats der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, sein Amtsvorgänger war Thomas Wipf. Im Juni 2018 wurde Locher zum dritten Mal zum Ratspräsidenten gewählt; er erhielt 43 der 70 Abgeordnetenstimmen, seine Herausforderin Rita Famos erhielt 24 Stimmen.[5]
Am 12. Oktober 2015 wurde Locher als Nachfolger des 2015 verstorbenen Landesbischofs Friedrich Weber zum geschäftsführenden Präsidenten des Rates der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) gewählt. 2018 wurde er wiedergewählt. Er teilte das Präsidium mit Miriam Rose und John Bradbury.[6] Locher war ausserdem von 2015 bis 2020 Vorsitzender des Schweizerischen Rates der Religionen.
Locher vernetzte die Schweizer Reformierten weltweit,[7] pflegte aktive Beziehungen auf viele Seiten hin, insbesondere zur römisch-katholischen Kirche, ohne evangelische Grundanliegen aufzugeben. Die aus dem Glauben an Christus gewonnene Freiheit und die aus dem Gebet verantwortete Tat waren ihm besonders wichtig.[8][9] Zudem wollte er die evangelisch-reformierten Kirchen in der Schweiz «aufwecken, reformieren und ihnen mehr Profil geben».[10] Im Jahr 2014 gelangte er in die Schlagzeilen, weil er in einem Buchinterview pointierte Aussagen zu Männern, Frauen, Sexualität, Prostitution und auch zu anderen Themen gemacht hatte und ihm teilweise Sexismus vorgeworfen wurde.[11][12][13][14][15] Im August 2019 befürwortete Locher die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare.[16]
Nachdem im Frühling 2020 mit Sabine Brändlin eine Kollegin Lochers in der EKS wegen «unüberbrückbarer Differenzen» aus der Exekutive zurückgetreten war, kam von mehreren Frauen der Vorwurf auf, Locher habe «Grenzverletzungen» begangen. Unter anderem auf Druck von vier grossen Landeskirchen trat Locher am 27. Mai per sofort als Präsident zurück. Die Vorwürfe sind bislang (Stand 2020) nicht geklärt.[17] Im Juni 2020 erklärte er auch den Rücktritt aus dem Rat und Präsidium der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE).[18] Laut eigener Ankündigung in verschiedenen Schweizer Tageszeitungen ist er im Frühling 2022 aus der evangelisch-reformierten Landeskirche ausgetreten.[19]
Locher ist verheiratet und hat drei Kinder.[20]
Ehrungen
BearbeitenDie Universität Debrecen im Osten Ungarns verlieh ihm 2013 die Ehrenpromotion (Dr. theol. h. c.). Er ist Ehrenritter der Schweizerischen Kommende des Johanniterordens.[21] 2017 wurde er in der Londoner St Paul’s Cathedral als Ökumenischer Ehrendomherr eingesetzt.[22]
Literatur
Bearbeiten- Josef Hochstrasser: Gottfried Locher. Der «reformierte Bischof» auf dem Prüfstand. Zytglogge, Oberhofen 2014, ISBN 978-3-7296-0855-9.
- Philipp Mäder: Gottfried Locher. Der höchste Reformierte im grossen Religions-Interview. In: Schweizer Illustrierte, 3. April 2015. online
Weblinks
Bearbeiten- Publikationen von und über Gottfried W. Locher (Theologe) im Katalog Helveticat der Schweizerischen Nationalbibliothek
- Brigitta Rotach: Gottfried Locher. Pfarrer Gottfried Locher, neuer Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, warum Kirche glücklich macht. «Sternstunde Religion», Schweizer Fernsehen, Zürich 30. Januar 2011 online
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ 2009 in Bern (Gesellschaft zum Distelzwang) eingebürgert; Verzeichnis der Burgerschaft der Stadt Bern auf 1. Januar 2010. Burgerbuch. Aus den amtlichen Quellen und aus privaten Mitteilungen bearbeitet, Bern 2010, S. 445.
- ↑ Schweizer Evangelischer Kirchenbund, Ratspräsident Gottfried Locher ( vom 14. Dezember 2014 im Internet Archive)
- ↑ Vaness Buff: Gottfried Locher tritt zurück. ref.ch, abgerufen am 27. Mai 2020.
- ↑ https://www.handelszeitung.ch/management/ich-erwarte-widerstand-von-der-basis
- ↑ Giorgio V. Müller: Dem Präsidenten des Kirchenbunds gelingt die Wiederwahl. In: Neue Zürcher Zeitung. 17. Juni 2018, abgerufen am 17. Juni 2018.
- ↑ Gottfried Locher erneut zum Präsidenten der Evangelischen Kirchen in Europa gewählt. Communique des SEK.
- ↑ Gottfried Locher: Das Christentum im Nahen Osten – Eindrücke zweier Reisen. Filzbach 16. Juni 2013.
- ↑ Gottfried Locher: [1] Die Wandlung. Das Problem. Von der Bedeutung des letzten Abendmahls für die Ökumene. Impulsreferat an der Tagung «Ökumene wohin?» Fokolar-Bewegung, Bern 8. November 2012.
- ↑ Gottfried Locher: Stille – Bewegung – Gemeinschaft. Drei Einsichten zum Reformationsjubiläum. Synode der evangelisch-reformierten Landeskirche Zürich 27. November 2012.
- ↑ Gottfried Locher: Wort des Ratspräsidenten. Scuol 17. Juni 2014.
- ↑ Stefan von Bergen: Glaubenswörter wie Sünde sind keine Ladenhüter. Will Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK), die Kirchenstrukturen reformieren, ist er vielen zu forsch. Spricht er in starken Worten über Sünde und Suizid, kommt er einigen zu katholisch oder zu modern vor. In: Berner Zeitung, 10. November 2014.
- ↑ René Donzé: Gottfried Locher lobt Dienste der Prostituierten. In: NZZ am Sonntag, 8. November 2014.
- ↑ Sexismus-Vorwurf an Gottfried Locher durch Rebecca Angelini von der Zürcher Fachstelle Frauenhandel. ref.ch, 10. November 2014.
- ↑ Michael Meier: Ein politisch nicht ganz korrekter Oberhirte. Gottfried Locher, der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, schärft sein Profil. In: Tages-Anzeiger, 11. November 2014.
- ↑ Roger Köppel: Organigramme der Erlösung. Gottfried Wilhelm «Godi» Locher, 48, ist der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds. Seine kühnen Pläne wecken Widerstand. Pikant: Locher will die Reformierten katholischer machen, um sie vor Mitgliederschwund, Substanzverlust und Untergang zu retten. In: Weltwoche, 21. November 2014.
- ↑ Oberster Protestant befürwortet Homo-Ehe. In: Liechtensteiner Vaterland. 16. August 2019, aktualisiert am 9. September 2020, abgerufen am 20. August 2019.
- ↑ Simon Hehli: Amouröse Verstrickungen stürzen die reformierte Kirche in die Krise. In: Neue Zürcher Zeitung vom 15. Juni 2020.
- ↑ Pressemeldung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa vom 26. Juni 2020.
- ↑ Vera Rüttimann: Gottfried Locher: «Das Sterben der Landeskirchen geht weiter.» kath.ch, 3. April 2022 (abgerufen am 4. April 2022).
- ↑ Der Tod hat nicht das letzte Wort. In: NZZ am Sonntag. 27. März 2016, abgerufen am 17. Juni 2020.
- ↑ Martin Garbani: Honorary Ecumenical Canon of St. Paul‘s. In: Johanniter-Bulletin 2017 Nr. 1. Abgerufen am 1. Juni 2020.
- ↑ Martin Garbani: Honorary Ecumenical Canon of St. Paul‘s. In: Johanniter-Bulletin 2017 Nr. 1. Abgerufen am 1. Juni 2020.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Locher, Gottfried W. |
ALTERNATIVNAMEN | Locher, Gottfried Wilhelm (vollständiger Name); Locher, Godi (Spitzname) |
KURZBESCHREIBUNG | Schweizer evangelisch-reformierter Pfarrer und Theologe und Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds |
GEBURTSDATUM | 31. Oktober 1966 |
GEBURTSORT | Bern |