Grzegorz Rossoliński-Liebe

Historiker

Grzegorz Rossoliński-Liebe (* 1979 in Zabrze, Polen)[1] ist ein in Berlin lebender deutsch-polnischer Historiker, der über den Holocaust, Nationalismus, Antisemitismus und Faschismus in Mittel- und Osteuropa forscht.

Grzegorz Rossoliński-Liebe (2012)

Studium und wissenschaftliche Tätigkeiten

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Von 1999 bis 2005 studierte Rossoliński-Liebe Kulturwissenschaften mit Schwerpunkten Osteuropäische Geschichte und Kulturgeschichte an der Europa-Universität Viadrina.[2] Seine Doktorarbeit über Stepan Bandera und dessen politischen Kult schrieb er an der University of Alberta und an der Universität Hamburg und verteidigte sie 2012 an der Universität Hamburg.[3] Er arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und dem Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien.[4]

2012–2014 arbeitete er am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin in einem Postdoc-Projekt über die Erinnerung der ukrainischen Diaspora an den Holocaust.[2] Er publizierte die erste wissenschaftliche Biographie von Stepan Bandera, die sich auch tiefgehend mit dem politischen Mythos und dem politischen Kult des ukrainisch-faschistischen Politikers und der Geschichte seiner Bewegung auseinandersetzt. Omer Bartov, Susanne Heim, Antony Polonsky, John-Paul Himka, Mark von Hagen und Arnd Bauerkämper hoben verschiedene starke Seiten der sehr gründlich recherchierten und den Personenkult entmystifizierenden Monografie hervor.[5]

Zwischen 2014 und 2018 erforschte Rossoliński-Liebe die deutsch-polnische Kollaboration im Zweiten Weltkrieg. In dieser Zeit war er Saul Kagan Fellow der Claims Conference und Stipendiat des United States Holocaust Memorial Museum, der Harry Frank Guggenheim Foundation, der Fondation pour la Mémoire de la Shoah, des Deutschen Historischen Instituts Warschau und des International Institute for Holocaust Research am Yad Vashem. Zwischen 2018 und 2022 untersuchte er im Rahmen eines durch die Fritz-Thyssen-Stiftung finanzierten Forschungsvorhabens und als Stipendiat der Gerda Henkel Stiftung das Verhalten polnischer Bürgermeister im Zweiten Weltkrieg.[6] Seit 2022 ist Rossoliński-Liebe Alfred Landecker Lecturer an der Freien Universität Berlin.[7] Er war auch Ehrenforschungsstipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung am Polnischen Zentrum für Holocaustforschung in Warschau.[8]

Politische Reaktion und Proteste

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Im Rahmen eines akademischen Programms, das zur Aufgabe hatte, die neue Forschung zur ukrainischen Geschichte in der Ukraine zu präsentieren, planten die Heinrich-Böll-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst und die deutsche Botschaft in Kiew, Rossoliński-Liebe zu sechs Vorträgen über Stepan Bandera und die Massengewalt der OUN und der UPA in Lemberg, Dnipropetrowsk und Kiew einzuladen. Von den für Februar und März 2012 geplanten Vorträgen konnten jedoch nur für zwei Veranstaltungen in Dnipropetrowsk und für zwei in Kiew Räume gefunden werden. Drei der vier Räume wurden teilweise wenige Stunden vor dem Beginn der Veranstaltung abgesagt. Schließlich fand nur eine Veranstaltung im Gebäude der deutschen Botschaft in Kiew unter Schutz der Polizei statt. Vor dem Gebäude demonstrierten ca. 100 Personen, darunter auch Mitglieder der rechtsextremen Swoboda-Partei. Sie versuchten einige Hundert interessierte Besucher, darunter viele Studenten und Wissenschaftler, vom Besuch des Vortrags abzuhalten. Die Demonstranten behaupteten, dass Rossoliński-Liebe der Enkel von Joseph Goebbels und ein „liberaler Faschist aus Berlin“ sei.[9] In Reaktion auf diese Ereignisse unterschrieben 97 Personen, darunter Etienne François, Alexandr Kruglov, Gertrud Pickhan, Susanne Heim, Alexander Wöll, Dovid Katz, Delphine Bechtel, Per Anders Rudling und Mark von Hagen, die Petition „For Freedom of Speech and Expression in Ukraine“.[10]

Publikationen (Auswahl)

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Monographien:

  • Stepan Bandera: The Life and Afterlife of a Ukrainian Nationalist: Fascism, Genocide, and Cult. Ibidem, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-8382-0604-2.
  • Der polnisch-ukrainische Konflikt im Historikerdiskurs: Perspektiven, Interpretationen und Aufarbeitung. New Academic Press, Wien 2017, ISBN 978-3-7003-1988-7.
  • Polnische Bürgermeister und der Holocaust. Besatzung, Verwaltung und Kollaboration. De Gruyter Oldenbourg 2024, ISBN 978-3-11-074897-0, doi:10.1515/9783110750065

Herausgeberschaft:

  • mit Lutz Henke und Philipp Ther: Eine neue Gesellschaft in einer alten Stadt. Erinnerung und Geschichtspolitik in Lemberg anhand der Oral History. Wydawnictwo Atut, Wrocław 2007, ISBN 978-83-7432-265-2.
  • mit Regina Fritz und Jana Starek: Alma mater antisemitica. Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939. New Academic Press, Wien 2016, ISBN 978-3-7003-1922-1.
  • mit Arnd Bauerkämper: Fascism without Borders. Transnational Connections and Cooperation between Movements and Regimes in Europe 1918 to 1945. Oxford, Berghahn 2017, ISBN 978-1-78533-468-9.
  • Operation Barbarossa and its Aftermath. New Approaches to a Complex Campaign. Berghahn, Oxford 2024, ISBN 978-1-80539-786-1

Aufsätze:

  • Bandera und Nikifor – zwei Modernen in einer Stadt. Die „nationalbürgerliche“ und die „weltbürgerliche“ Moderne in Lemberg. In: Lutz Henke, Grzegorz Rossoliński, Philipp Ther (Hrsg.): Eine neue Gesellschaft in einer alten Stadt. ATUT, Wrocław 2007, S. 109–124.
  • Umbenennungen in der Ziemia Lubuska nach 1945. In: Bernd Vogenbeck (Hrsg.): Terra Transoderana: zwischen Neumark und Ziemia Lubuska. Bebra, Berlin 2008, S. 59–68.
  • Der Raum der Stadt Lemberg in den Schichten seiner politischen Denkmäler. In: Kakanien Revisited. Bd. 12 (2009), S. 1–21.
  • Der polnisch-ukrainische Historikerdiskurs über den polnisch-ukrainischen Konflikt 1943–1947. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Bd. 57 (2009), S. 54–85.
  • Die Stadt Lemberg in den Schichten ihrer politischen Denkmäler. In: ece-urban. The Online Publications Series of the Center for Urban History of East Central Europe. Nr. 6, Lviv, Oktober 2009.
  • Celebrating Fascism and War Criminality in Edmonton. The Political Myth and Cult of Stepan Bandera in Multicultural Canada. In: Kakanien Revisited. Bd. 12 (2010), S. 1–16.
  • The „Ukrainian National Revolution“ of 1941. Discourse and Practice of a Fascist Movement. In: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History. Bd. 12 (2011), H. 1, S. 83–114.
  • Debating, Obfuscating and Disciplining the Holocaust: Post-Soviet Historical Discourses on the OUN-UPA and other Nationalist Movements. In: East European Jewish Affairs. Bd. 42 (2012), H. 3, S. 199–241.
  • Der Verlauf und die Täter des Lemberger Pogroms vom Sommer 1941. Zum aktuellen Stand der Forschung. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Bd. 22 (2013), S. 207–243.
  • Erinnerungslücke Holocaust. Die ukrainische Diaspora und der Genozid an den Juden. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Bd. 62 (2014), H. 2, S. 397–430.
  • The Fascist Kernel of Ukrainian Genocidal Nationalism. In: The Carl Beck Papers in Russian & East European Studies. No. 2402, Mai 2015, doi:10.5195/cbp.2015.204.
  • Remembering and Forgetting the Past: Jewish and Ukrainian Memories of the Holocaust in western Ukraine. In: Yad Vashem Studies. Bd. 43 (2015), H. 2, S. 13–50.
  • Holocaust Amnesia. The Ukrainian Diaspora and the Genocide of the Jews. In: German Yearbook of Contemporary History. 1 (2016), S. 107–144.
  • Ukraińska policja, nacjonalizm i zagłada Żydów w Galicji Wschodniej i na Wołyniu. In: Zagłada Żydów. Studia i Materiały. 13 (2017), S. 57–79.
  • Der europäische Faschismus und der ukrainische Nationalismus. Verflechtungen, Annäherungen und Wechselbeziehungen. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 65 (2017), H. 2, S. 153–169.
  • Kollaboration im Zweiten Weltkrieg und im Holocaust – Ein analytisches Konzept. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 21. Juli 2020, doi:10.14765/zzf.dok-1817
  • Survivor Testimonies and the Coming to Terms with the Holocaust in Volhynia and Eastern Galicia: The Case of the Ukrainian Nationalists. In: East European Politics and Societies and Cultures, Bd. 43 (2020), S. 221–240.
  • Ukrainian Nationalists and the Jews during the Holocaust in the Eyes of Anticommunist, Soviet, German, Jewish, Polish, and Ukrainian Historians: Transnational History and National Interpretations. In: MORESHET, Bd. 19 (2022)
  • Stepan Banderas Verantwortung für die Verbrechen ukrainischer Nationalisten. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung Bd. 31 (2022)
  • Bandera, Genocide, and Justice: Was Stepan Bandera Responsible for Crimes Committed by the OUN and the UPA? In: Yad Vashem Studies, Bd. 51, Heft 1 (2023), S. 89–117.
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Einzelnachweise

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  1. Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Bd. 22 (2013), S. 293.
  2. a b Grzegorz Rossolinski-Liebe, Arbeitsbereich Prof. Dr. Arnd Bauerkämper (Memento vom 10. Dezember 2014 im Internet Archive)
  3. Dr. Grzegorz Rossoliński-Liebe, Friedrich-Meinecke-Institut
  4. Projekt: „Every person has a name“ (Memento vom 5. Mai 2015 im Internet Archive); Forschungsleitlinien für den VWI-Vollbetrieb in Vorbereitung, VWI im Fokus 2011, 13.
  5. Grzegorz Rossolinski-Liebe: Stepan Bandera: The Life and Afterlife of a Ukrainian Nationalist. Fascism, Genocide, and Cult. Ibidem Press, Stuttgart 2014 (Verlagspräsentation (Memento vom 22. Dezember 2014 im Internet Archive)).
  6. Dr. Grzegorz Rossoliński-Liebe, Friedrich-Meinecke-Institut
  7. Dr. Grzegorz Rossoliński-Liebe, Alfred Alndecker Foundation
  8. Dr. Grzegorz Rossoliński-Liebe, Alfred Landecker Foundation
  9. Per Anders Rudling, Jared McBride: Ukrainian Academic Freedom and Democracy Under Siege. the algemeiner, 1. März 2012.
  10. Delphine Bechtel: Freedom of Speech on Collaboration by Ukrainian Nationalists against Jews under threat in Ukraine. WinnipegJewishReview.com.