Chaika Grossman (geboren 20. November 1919 in Białystok; gestorben 26. Mai 1996 im Kibbuz Evron, Mateh Ascher) kämpfte während der NS-Zeit im polnisch-jüdischen Widerstand und war eine Anführerin des Aufstands im Ghetto von Białystok. Nach dem Krieg emigrierte sie nach Israel und engagierte sich in der Politik. Sie war Vizepräsidentin und zuletzt Alterspräsidentin der Knesset.
Leben
BearbeitenChaika (oder Haika) Grossman besuchte in Białystok ein jüdisches Gymnasium. Sie war Mitglied der nationalen Leitung der zionistisch-sozialistischen Jugendorganisation Hashomer Hatzair und wurde Regionalleiterin im Bezirk Brest-Litowsk.[1] Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs flüchtete sie in das 1939 von Litauen annektierte Wilna. Als Litauen 1940 von der Sowjetunion annektiert und 1941 von der deutschen Wehrmacht erobert wurde, kehrte Grossman wie die meisten Führer der Jugendorganisation nach Białystok zurück. Dort wurde sie entdeckt und in dem von den Deutschen eingerichteten Zwangsghetto Bialystok inhaftiert.[2]
Grossman konnte entkommen. Sie nahm die Tarnidentität einer Polin mit Namen Halina Woranowicz an und konnte sich auf diese Weise nach außen hin legal in den deutsch besetzten Gebieten Polens bewegen. Sie fungierte als Kurier für verschiedene jüdische Widerstandsinitiativen.[3]
Ab Anfang 1942 war sie wieder im Ghetto Białystok und beteiligte sich an der Organisation des Aufstands, der im August 1943 von den Deutschen niedergeschlagen wurde.[4] Nach der Räumung des Ghettos nahm sie gemeinsam mit der Widerstandskämpferin Chasia Bornstein-Bielicka und dem deutschen NS-Gegner Otto Busse Kontakt zu polnischen und russischen Partisanen auf.[5] Sie beteiligte sich im August 1944 an Partisanenaktionen zur Befreiung von Białystok.[6]
Auswanderung und Leben in Israel
BearbeitenChaika Grossman wurde Mitglied im Zentralkomitee der Juden in Polen und organisierte die illegale Einwanderung polnischer Holocaustüberlebender nach Palästina, wohin auch sie selbst im August 1948 emigrierte.[7]
In Israel heiratete sie ihren Schulfreund und Gefährten von Hashomer Hatzair, Meir Orkin, den sie als Jugendliche in Białystok kennengelernt hatte.[8] Orkin war bereits 1936 nach Palästina ausgewandert.[9] Das Paar bekam zwei Töchter, Leah und Yosefa.[10]
Grossman lebte im Kibbuz Evron und leitete das 1963 gegründete Widerstandsarchiv, das Institut und den Verlag Moreschet in Tel Aviv[11]. Sie trat der Arbeiterpartei Mapam bei und engagierte sich in der Kommunalpolitik. Im Jahr 1969 wurde sie als Abgeordnete in die Knesset gewählt und war bis 1981 und dann wieder von 1984 bis 1988 Parlamentarierin der Mapam und der Listenverbindung HaMaʿarach. Sie war Knessetvizepräsidentin und zuletzt Alterspräsidentin der Knesset.[12]
Grossman erlitt 1993 einen schweren Unfall, von dem sie sich nicht mehr erholte und im Mai 1996 verstarb. In Israel wurde eine Straße nach ihr benannt.
Ehrungen und Gedenken
BearbeitenNach Kriegsende wurde Chaika Grossman vom polnischen Staat für ihre Widerstandsleistungen mit dem Order Krzyża Grunwaldu (Orden des Grunwald-Kreuzes) ausgezeichnet.[13]
An Grossmans Leistungen erinnert das nach ihr benannte Bildungszentrum „Haika House“ im israelischen Kibbuz Evron. Darin befindet sich ein Raum mit einer Ausstellung über ihr Leben. Mehrere Straßen in Israel wurden nach ihr benannt, in Jaffa (s. Abb.), Petach Tikva, Kfar Saba, Ra'anana und in Rischon Lezion.
Schriften (Auswahl)
Bearbeiten- Die Untergrundarmee. Der jüdische Widerstand in Białystok. Ein autobiographischer Bericht. Übersetzung aus dem Englischen von Ingrid Strobl. Frankfurt am Main: Fischer, 1993, ISBN 3-596-11598-1
Literatur
Bearbeiten- Israel Gutman: Encyclopaedia of the Holocaust, New York: Macmillan, 1990, vol. 2. S. 621f. (Foto)
- Arno Lustiger: Zum Kampf auf Leben und Tod! Das Buch vom Widerstand der Juden 1933–1945. Köln : Kiepenheuer & Witsch, 1994, ISBN 3-462-02292-X, S. 167–169
- Chasia Bornstein-Bielicka: Jüdischer Widerstand in Grodno und Bialystok. Erinnerungen eines Verbindungsmädchens zur arischen Seite. in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.): Dachauer Hefte 20 – Das Ende der Konzentrationslager, 2004, S. 71–87 (auszugsweise Übersetzung der Autobiographie)
- Avraham Barkai: Otto Busse: Ein deutscher "Gerechter" in Bialystok, in: Marion Kaplan, Beate Meyer (Hrsg.): Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Festschrift für Monika Richarz, Wallstein, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-888-4, S. 248–268
- Thomas Fatzinek: Der letzte Weg. Eine Graphic Novel nach den Erinnerungen von Chaika Grossman und Chasia Bornstein-Bielicka. Wien : Bahoe books, 2019
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Chaika Grossman im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Haika Grossman-Orkin, bei Knesset (en)
- Haika Grossman, website (en)
- Sima Talmon: Chajka Grossman – Life Story, An article from a Memorial Booklet published by the family and Kibbutz Evron after Chajka's death. Übersetzung ins Englische Eli Lapid
- Neima Barzel: Haika Grosman, bei Jewish Women’s Archive, 2009 (2021)
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Stories of women fighters of the Jewish Resistance explored in new book. In: The Jerusalem Post. 19. August 2021, abgerufen am 17. Juli 2024 (englisch).
- ↑ Marjorie Wall Bingham: Women and the Warsaw Ghetto: A Moment to Decide. In: World History Connected. Band 6, Nr. 2, Juni 2009 (uillinois.edu [abgerufen am 17. Juli 2024]).
- ↑ Karina Urbach: (S+) Jüdischer Widerstand im Nationalsozialismus: »Kämpft mit allem, was ihr finden könnt«. In: Der Spiegel. 25. Januar 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 17. Juli 2024]).
- ↑ Nicholas Potter: Zum Frauenkampftag: Vier inspirierende Antifaschistinnen. 8. März 2021, abgerufen am 17. Juli 2024 (deutsch).
- ↑ Gedenkstätte Stille Helden: Biografie Chaika Grossman. Abgerufen am 17. Juli 2024.
- ↑ Suprasl, Poland (pages 3-25). In: Jewish Gen. Abgerufen am 17. Juli 2024.
- ↑ Im Widerstand. In: Die Tageszeitung: taz. 28. August 1993, ISSN 0931-9085, S. 12 (taz.de [abgerufen am 17. Juli 2024]).
- ↑ Haika Grossman: Marriage and Family. Abgerufen am 15. September 2024.
- ↑ מאיר של חייקה - אנגלית - קיבוץ עברון- קהילנט. In: Gemeinde Evron. Abgerufen am 15. September 2024.
- ↑ Haika Grosman. In: Jewish Women's Archive. Abgerufen am 15. September 2024 (englisch).
- ↑ Das Verlagshaus von Moreshet, website
- ↑ Helmut Höge: Die schönen Mythen des Krieges. In: Die Tageszeitung: taz. 6. Januar 2001, ISSN 0931-9085, S. 15 (taz.de [abgerufen am 17. Juli 2024]).
- ↑ Internetowa baza tekstów prawnych OpenLEX. Abgerufen am 10. September 2024 (polnisch).
Personendaten | |
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NAME | Grossman, Chaika |
KURZBESCHREIBUNG | polnisch-israelische Politikerin |
GEBURTSDATUM | 20. November 1919 |
GEBURTSORT | Białystok |
STERBEDATUM | 26. Mai 1996 |
STERBEORT | Kibbuz Evron, Mateh Ascher |