Handels- und Gewerbekammer Prag

historische Handels- und Gewerbekammer in Österreich-Ungarn

Die Handels- und Gewerbekammer Prag (tschechisch: živnostenská komora v Praze) war in Österreich-Ungarn die Handels- und Gewerbekammer in Prag.

Gebäude der Handelskammer in Prag
Siegelmarke Die Handels- und Gewerbekammer in Prag

Entstehung

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Mit dem Gesetz über die Errichtung von Handels- und Gewerbekammern vom 18. März 1850 wurden im Kaisertum Österreich Handels- und Gewerbekammern eingerichtet, darunter die Handels- und Gewerbekammer Prag. Sie hatten die Aufgaben von Handelskammern.

Neben der Kammer in Prag wurden für Böhmen die Kammern in Reichenberg, Eger, Pilsen und Budweis eingerichtet. In Mähren waren dies die Kammern in Brünn und Olmütz und in Galizien und Lodomerien die Handels- und Gewerbekammer Troppau.

Mit dem Gesetz vom 29. Juni 1868 betreff die Organisierung der Handels- und Gewerbekammern wurde die Kammerorganisation im Grund bestätigt und die Aufgaben neu definiert.

Aufgaben

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Die Kammern sollten die Wünsche und Vorschläge der Wirtschaft beraten und den Ministerien und Behörden eigenverantwortlich vortragen. Sie erstellten Stellungnahmen zu Gesetzesvorlagen der Regierung soweit diese kommerzielle oder gewerbliche Interessen betrafen. Auch konnte die Regierung die Kammern um Stellungnahmen zu wirtschaftlichen Fragen auffordern.

Die Kammern führten die Wahlregister über die Wahlberechtigten zur Handels- und Gewerbekammer, die Marken- und Muster-Archive und die Gewerbeanmeldungen. Sie erhoben die Daten zur Gewerbestatistik. An der Prüfung und Ernennung der Waren- und Wechselmakler, der Börsenräte und der Handelsgerichtsbeisitzer wirkten die Kammern mit. Die Kammern konnten in gewerblichen Verträgen als Schiedsgerichte benannt werden.

Jede Kammer musste jährlich einen umfangreichen Bericht an das Handelsministerium abgeben, in der die Lage der Wirtschaft im Kammerbezirk geschildert wurde. In fünfjährigem Rhythmus wurde von den Kammern eine Gewerbestatistik geliefert.

Das Kunstgewerbemuseum in Prag wurde 1885 durch die Handels- und Gewerbekammer Prag als Kunstgewerbliches Museum gegründet.

Organisation

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Die Handels- und Gewerbekammern unterstanden dem Handelsministerium und mussten dessen Weisungen umsetzen. Sie gliederten sich intern in eine Handel- und eine Gewerbesektion (zum Gewerbe gehörte auch der Bergbau).

Die Kammern bestanden aus 16 bis 48 wirklichen Mitgliedern. Die genaue Mitgliederzahl wurde vom Handelsministerium in Anhängigkeit von der Größe des Kammerbezirks festgelegt. Die Kammer in Prag hatte 48 Sitze. Daneben konnte die Kammer noch weitere Mitglieder (ohne Stimmrecht) als „correspondierene Mitglieder“ kooptieren.

Die Wahl der Mitglieder erfolgte durch direkte Wahl durch die Handels- und Gewerbetreibenden bzw. die Vorstände bei Kapitalgesellschaften im Kammerbezirk. Die Amtsdauer lag bei sechs Jahren. Revolvierend wurde alle drei Jahre die Hälfte der Kammer gewählt. Es galt ein Zensuswahlrecht: Großhandels- und Industrieunternehmen waren nur Wahlberechtigt, wenn sie Erwerbssteuern von 100 Gulden zahlten, für andere Unternehmen galten geringere Grenzen. Die Wahl erfolgte in einzelnen Gruppen. Diese wurden vom Ministerium nach der Wählerzahl in Standorten und Handel- bzw. Gewerbeklassen festgelegt.

Bei der ersten Kammerwahl am 17. Oktober 1850 wurden auch 7 Juden in die Kammer gewählt, darunter Maximilian Dormitzer, Leopold von Lämel und Moses Porges von Portheim.[1]

Die Kammer wählte einen Präsidenten, der die Kammer nach außen vertrat. Sie finanzierte sich über eine Umlage der Unternehmen im Kammerbezirk. Die Kammer erstellte jährlich einen Haushaltsplan und legte ihn dem Ministerium zur Genehmigung vor. Die Summe wurde durch das Erwerbssteueraufkommen im Steuerbezirk geteilt und der so ermittelte Aufschlag auf die Erwerbssteuer von den Unternehmen eingezogen.

Besondere Bedeutung erlangten sie seit der Wahlrechtsreform von 1873, nach der die Kammern einen Teil der Abgeordneten des Reichsrats wählten.[2] Bis 1906 waren Vertreter der Prager Kammer im Reichsrat vertreten. Auch zum Böhmischen Landtag wurden 15 der 236 Abgeordnete von den böhmischen Handels- und Gewerbekammern gewählt (Prag: 4, Budweis: 2, Reichenberg: 4, Eger: 3, Pilsen: 2).[3]

Die Sprachenfrage

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Die Kammern waren frei darin selbst die Verhandlungssprache zu wählen. Entsprechend der Sprachverteilung im Kammerbezirk wählten Reichenberg und Eger ab 1884 die deutsche und Prag, Pilsen und Budweis die tschechische Sprache.[4]

Bei der Volkszählung 1890 hatten sich in den Kammerbezirken folgende Sprachverteilungen ergeben:

0 Tschechisch Deutsch Andere Summe
Prag 1.694.754 111.583 466 1.806.803
Pilsen 578.524 194.716 128 773.368
Budweis 517.359 139.757 104 657.220
Reichenberg 801.955 1.030.585 148 1.832.688
Eger 51.596 682.370 20 733.986

Bis 1884 hatte sich unter den Kammermitgliedern in allen 5 böhmischen Kammern eine deutsche Mehrheit ergeben. Dies war der Auswahl der Wahlgruppen durch das Handelsministerium und der Tatsache, dass die größeren Steuerzahler überwiegend Deutsche waren, geschuldet.

In der Tschechoslowakei

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Nach dem Ersten Weltkrieg zerfiel Österreich-Ungarn und Böhmen und Mähren wurden als Tschechoslowakei selbstständig. Die Kammern blieben bestehen. Als Geschäftssprache wurde jedoch einheitlich tschechisch vorgeschrieben, der Name der Kammern lautete nun živnostenská komora. Mit Verordnung Nr. 32 vom 20. Januar 1919 des Handelsministeriums wurden die Kammerwahlen ausgesetzt und die Kammern nun als Verwaltungsausschüsse organisiert, die nach dem Stimmergebnis der allgemeinen Wahlen besetzt wurden. In Prag, wo es bereits eine tschechische Mehrheit in der Kammer gab, waren diese Änderungen nicht sehr gravierend. Die ernannten Mitglieder waren überwiegend bereits gewählte Mitglieder gewesen. Von den 48 Mitgliedern waren 12 Deutsche.

Die Kammer in Prag hatte eine besondere Rolle in diesem Transformationsprozess. Da die Zentralbehörden in Wien nun im Ausland lagen, mussten in Prag neue aufgebaut werden. Im Auftrag des Nationalausschusses baute Kammerpräsident František Malynský die provisorische Zentrale der tschechischen Handelspolitik auf.

Die Aufgaben der Kammern waren denjenigen vor dem Krieg ähnlich: Sie waren Beratungsorgan, führten Marken- und Handelsregister, erteilten Zeugnisse und führten Statistiken. Sie wirkten bei der Wahl von Handelsrichtern mit und waren Schiedsgerichte. Statt Handel und Gewerbe waren sie nun in drei Sektionen: Handel, Gewerbe und Industrie eingeteilt.

1936/27 wurde die Zahl der Mitglieder auf 49 erhöht. Die Zusammensetzung war nun:

0 Tschechen Deutsche Summe
Industrie 8 7 15
Handel 18 5 23
Gewerbe 11 0 11
Summe 37 12 49

Seit 1920 war die Kammer in Prag Träger der Prager Messe.

Am 20. April 1922 bildeten die Kammern des Landes, darunter die Prager Kammer einen Dachverband, die československých obchodních a živnostenských.

1938 umfasste die Prager Kammer einen Kammerbezirk von 13.220 km² mit 2.457.276 Einwohnern und 104.499 Mitgliedsunternehmen (davon 99.729 tschechische und 3.281 deutsche). Sie war damit die mit Abstand größte böhmische Kammer.

Nach dem Münchener Abkommen

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In Folge des Münchener Abkommens wurde 1938 die Tschechoslowakei zerschlagen. Die überwiegend deutschsprachigen Gebiete, das Sudetenland wurden Teil des Deutschen Reiches, die überwiegend tschechischsprachigen Gebiete bildeten die Rest-Tschechoslowakei. Dies hatte naturgemäß auch Auswirkung auf die Kammerorganisation. Die Kammern in Reichenberg, Eger und Troppau kamen zu Deutschland und wurden in Industrie- und Handelskammern umbenannt.[5] In den Folgejahren teilen sie die Geschichte der deutschen IHKs: Gleichschaltung, Ablösung der Selbstverwaltung der Wirtschaft durch das „Führerprinzip“ und 1942 Eingliederung in die Gauwirtschaftskammer Sudetenland.

Die Kammer in Königgrätz wurde aufgelöst. Die Kammern in der Rest-Tschechoslowakei erlitten erhebliche Verluste ihrer Kammerbezirke. Prag verlor 1.635 Kammermitglieder.

Mit der Besetzung der Rest-Tschechoslowakei und der Bildung des Protektorates Böhmen und Mähren 1939 wurden die Kammern in den Dienst der Kriegswirtschaft gestellt und büßten wie bereits die an Deutschland abgegebenen Kammern die Selbstverwaltung ein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

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Aufgrund der Kriegslage kam die Tätigkeit der Kammern im Lauf des Jahres 1944 zum Stehen. Die Vertreibung der Deutschen führte Anfang 1945 dazu, dass das Personal und die meisten der Mitgliedsfirmen der sudetendeutschen IHKs verloren gingen. Dennoch begann nach Kriegsende der Wiederaufbau der Kammern in der Tschechoslowakei. Eine Anweisung des Ministeriums für Binnenhandel Ref. No. 3/1945 vom 18. Mai 1945 regelte die Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs der Prager Kammer. Ziel der Politik war, den Status vor dem Münchener Abkommen wiederherzustellen. Im Mai ernannte die Regierung Dr. Vojtěch Kuthan als Regierungsbeauftragten für die Prager Kammer. Am 23. Dezember wurde Ivana Petra als Präsident der Kammer Prag ernannt.

Insbesondere die kommunistische Komunistická strana Československa (KSČ) stand der Idee der Wirtschaftsselbstverwaltung durch die Kammern kritisch gegenüber. Eine Abschaffung konnte sie jedoch noch nicht durchsetzen. Nach dem Februarumsturz Anfang 1948 hatten die Kommunisten die Alleinherrschaft erreicht. Die Präsidenten der Kammer drückten ihre Loyalität mit dem neuen Regime aus, konnten aber das Ende der Kammern nicht verhindert. Mit der Regierungsverordnung Nr. 306 vom 28. Dezember 1948 wurden die Kammern aufgehoben und ihre Aufgaben den Bezirksämtern zugewiesen.

Persönlichkeiten

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Kammerpräsidenten

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Von der Kammer in den Reichsrat gewählt

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Die Kammer wähle jeweils zwei Abgeordnete in den Reichsrat:

Name Wahlperiode Anmerkung
Maximilian Dormitzer V. LP (1873–1879)
Adolf Schwab V. LP (1873–1879)
Maximilian Dormitzer VI. LP (1879–1885) Mandatsverzicht in der Sitzung am 30. November 1880 verkündet
Eduard Portheim VI. LP (1879–1885) am 30. November 1880 angelobt
Adolf Schwab VI. LP (1879–1885)
Wenzel Salášek VII. LP (1885–1891) 1890 verstorben
Ignác Skokánek VII. LP (1885–1891) am 16. Dezember 1890 als Nachfolger von Wenzel Salášek angelobt
Josef Fořt VIII. LP (1891–1897) am 10. Oktober 1893 als Nachfolger von Wenzel Němec angelobt, Mandatsverzicht in der Sitzung am 10. März 1896 verkündet
Václav Němec VIII. LP (1891–1897) Mandatsverzicht in der Sitzung am 18. Jänner 1892 verkündet
Václav Sehnal VIII. LP (1891–1897) am 22. Februar 1894 als Nachfolger von Josef Wohanka angelobt
Josef Wohanka VIII. LP (1891–1897) Mandatsverzicht in der Sitzung am 22. Februar 1894 verkündet, am 15. April 1896 erneut als Nachfolger von Josef Fořt angelobt
Lovro Borčić VIII. LP (1891–1897)
Josef Brdlik IX. LP (1897–1901)
Rudolf Kitschelt IX. LP (1897–1901) am 18. Oktober 1899 für Max Mauthner gewählt
Giuseppe Basewi X. LP (1901–1907) Mandatsniederlegung im März 1905
Josef Brdlik X. LP (1901–1907)
Bohumil Ryšánek X. LP (1901–1907) am 15. Februar 1905 für Vaclav Sehnal angelobt
Václav Sehnal X. LP (1901–1907) am 17. Jänner 1905 verstorben

Von der Kammer in den Böhmischen Landtag gewählt

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Von der Kammer wurden in den Böhmischen Landtag gewählt:

Jahr Abgeordneter Abgeordneter Abgeordneter Abgeordneter
1861 Andreas Haase Edeler von Wranau (nach dessen Rücktritt wählte die Kammer am 6. Dezember 1862 Richard Ritter von Dotzauer nach) Tempsty Franz Xaver Brosche Schary
1870 Richard Ritter von Dotzauer Anton Richter Maximilian Dormitzer Josef Lippmann Ritter von Lissingen[6][7]
1872 Richard Ritter von Dotzauer Anton Richter Maximilian Dormitzer Josef Lippmann Ritter von Lissingen[8]
1878 Otto Forchheimer Josef Sobotka Ferdinand Urban Friedrich Freiherr von Riese-Stallburg[9]
1883 Otto Forchheimer Josef Sobotka Alexander Richter Viktor Riedl[10]
1895 Josef Víšek Johann Vorlíček Josef Krejčík Josef Wohanka[11]
1901 Josef Jirousek Wenzel Karela Josef Krejčík Karl Tichý[12]

Literatur

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  • Bohumír Brom: Historie obchodních a živnostenských komor na území českých zemí, 2001
  • Christoph Boyer: Nationale Kontrahenten oder Partner?: Studien zu den Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen in der Wirtschaft der CSR (1918–1938); Band 42 von Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 1999, ISBN 9783486595864, S. 183–188, online
  • Gesetz über die Errichtung von Handels- und Gewerbekammern vom 18. März 1850, online
  • Anlage zu dem Gesetz mit der Liste der anfangs eingerichteten Kammern (enthält auch die italienischen Kammern), online
  • Gesetz vom 29. Juni 1868 betreff die Organisierung der Handels- und Gewerbekammern, Reichsgesetzblatt, S. 249 ff., online
  • Edmund Schebek: Richard, Ritter von Dotzauer: Ergänzt durch eine Autobiographie Dotzauers, 1895, online

Einzelnachweise

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  1. Martina Niedhammer: Nur eine »Geld-Emancipation«?: Loyalitäten und Lebenswelten des Prager jüdischen Großbürgertums 1800–1867, Band 2 von Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit, 2013, ISBN 9783525310205, S. 62 ff., online
  2. Reichsraths-Wahlordnung, Reichsgesetzblatt, S. 165 ff., online
  3. Jörg Konrad Hoensch: Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart. Verlag Beck, München 1997, ISBN 3-406-41694-2, S. 352.
  4. Jaroslav Kucera: Minderheit im Nationalstaat: Die Sprachenfrage in den tschechisch-deutschen Beziehungen 1918-1938, Band 43 von Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 1999, ISBN 9783486596007, S. 243, online
  5. Verordnung über die Einführung der Organisation der gewerblichen Wirtschaft in den sudetendeutschen Gebieten vom 29. Oktober 1938; Verordnungsblatt über die sudetendeutschen Gebiete 1938, S- 147-148
  6. Protokoll des Landtags 1870
  7. Edmund Schebek: Richard, Ritter von Dotzauer, S. 107
  8. Protokoll des Landtags 1872
  9. Protokoll des Landtags 1878
  10. Protokoll des Landtags 1883
  11. Protokoll des Landtags 1895
  12. Protokoll des Landtags 1901