Heinrich von Pfalzpaint

deutscher Wundarzt (Chirurg)

Heinrich von Pfalzpaint (* um 1400 in Pfalzpaint im Altmühltal; † um 1464) war ein deutscher Wundarzt, Feldchirurg, Deutschordensritter und Verfasser eines seinerzeit innovativen chirurgischen Handbuchs in deutscher Sprache, das erstmals Schusswunden erwähnt.

Heinrich von Pfalzpaint entstammte einem bayerischen Ministerialengeschlecht, das seinen Sitz in Pfalzpaint, heute Ortsteil von Walting im Altmühltal, unterhalb von Eichstätt hatte. Der Vater war vermutlich Heinrich Pfalzpeunter.

Seine wundärztliche Lehre führte ihn durch den bayerischen (Eichstätt, Weißenburg, München, Tegernsee) und fränkischen (Bamberg, Bayreuth) Raum sowie bis nach Basel und Metz. Zu seinen Lehrern zählten Hans von Bayreuth (später, um 1474/1479 promovierter Leibarzt der Herzöge Ludwig und Georg von Bayern-Landshut und Ingolstädter Professor),[1] in Metz der moselfränkische Wundarzt Johannes Beris[2] (auch Johann von Paris, Hans von Beris, Birer in Lothringen),[3] der ihn in der kunstgerechten Behandlung der Pfeilschüsse unterrichtete, Conrad von Nürnberg, Linhardt von Basel, Hans von Halberstadt und Otto von Heideck zu Weissenburg (Odon von Heydelbergk, Chirurg in Wissembourg)[4]. Bei italienischen Wundärzten lernte er die Kunst der Rhinoplastik.

Seine Schwester Margarethe heiratete den Eichstätter Patrizier Michael Muggenthaler. 1452 verkaufte Heinrich ihr die Burg Pfalzpaint.[5]

Vor 1450 trat er in den Deutschen Orden ein (wahrscheinlich in die heimatnahe Kommende Ellingen), wurde an den preußischen Ordenszweig überstellt und gehörte dem Konvent Marienburg an, in dem er Komturämter innehatte und Berater des Hochmeisters war.[6] 1453 unternahm er eine Visitationsreise auf die Burg Rehden im kriegsgefährdeten Kulmerland, von wo er dem Hochmeister Ludwig von Erlichshausen am 11. August 1453 einen Visitationsbericht sandte, in dem er den trostlosen Zustand von Mannschaft und Waffen schildert sowie Verbesserungsvorschläge unterbreitet, und am 8. November 1453 einen Antrag auf Niederschlagung einer Klage gegen den Hauskomtur stellte, der aufgrund rüstungsbedingter Sparmaßnahmen des Ordens die Verpflegungsrationen einschränken ließ. Bei der polnischen Belagerung der Marienburg 1454 bis 1457[7] organisierte er als für zwei Groß-Infirmarien zuständiger Feldarzt[8] mit des Hochmeisters Leibarzt, Jakob Schillingholz, das Heeressanitätswesen und versorgte (nach eigenen Angaben) im größten Feldlazarett des Mittelalters über 4000 Ritter und Söldner chirurgisch.

Er bildete den späteren Hochmeister Hans von Tiefen sowie den hochalemannischen Deutschordensritter Heinrich von Baldenstetten[9] zu Wundärzten aus. Ab Februar 1460 verfasste er sein Lehrbuch für Wundärzte. Anscheinend ist er wenig später gestorben, denn 1465 wird er in einer Erbschafts-Urkunde seiner Schwester nicht mehr genannt.

Bedeutung

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Als Wundarzt war Heinrich von Pfalzpaint ein erfahrener Praktiker, verfügte über ein hervorragendes fachliches Können auf der Höhe des Leistungsstandes der oberdeutschen Chirurgie des Spätmittelalters und galt vor allem im Deutschordensstaat als führender Wundarzt. In seiner als Geheimbuch angelegten Wundarznei sind die Kenntnisse der Lehrer sowie eigene Erfahrungen, aber auch ältere Schriften verarbeitet, auch wenn er diese selbst nicht gekannt haben muss. Das Werk ist in einen allgemeinen und einen speziellen Teil gegliedert, zwischen die ein Register gestellt ist. Die Binnengliederung erfolgte nach verfahrenstechnischen und therapeutischen Prinzipien, zum Teil auch nach Herkunft. Im Vordergrund steht wie meist bei den Werken der mittelalterlichen Chirurgie die Materia medica (Pharmakognosie und Pharmakologie[10]), während an praktisch-wundärztlichen Anweisungen seine Narkosetechnik (mit einer vom 9. bis 16. Jahrhundert belegten Anwendung von sogenannten Schlafschwämmen[11]), die Anastomose der Enden eines abgetragenen vorgefallenen Darmteils[12] über einem Silberrohr, die Behandlung von (erstmals in der deutschsprachigen Literatur erwähnten[13]) Schusswunden durch Pulver und Blei und Frakturen sowie eine Lippenplastik bei Hasenscharte beachtenswert sind; herausragend ist auch die Erstbeschreibung einer speziellen Lappenplastik zur Nasenrekonstruktion, die aus italienischer Quelle stammt. Pfalzpaint mobilisiert (im Text von 1460) einen gestielten Hautlappen an der Oberarm-Innenseite und geht – weit einfacher als Gaspare Tagliacozzi (1597) – in drei Operationsschritten vor; das Verfahren dieser gestielten Ferntransplantation (mit Lappenplastik bzw. „Rolllappentechnik“) wurde erst Anfang des 19. Jahrhunderts durch Carl Ferdinand von Graefe neu geschaffen. Die Wundarznei konnte die Chirurgie der Neuzeit jedoch nicht beeinflussen, da ihr Wirkungskreis durch die Beschränkung auf Schüler (Operationszöglinge) eingeengt war, sie – wenngleich sich etwa der mit ihm in Verbindung stehende Ritter Hans von Toggenburg das hochinnovative Werk abschreiben ließ und bearbeitete[14] und es 1519 von dem Geistlichen Heinrich Hen(t)ze im Auftrag eines Wilhelm von Greussen († 1521) als Abschrift angefertigt wurde[15] – deshalb nicht gedruckt und erst 1858 wiederentdeckt (1868 ediert) wurde, als der operative Kenntnisstand bereits eingeholt war.

Die bairisch-ostmitteldeutsche Mundart und die offensichtlich schwierige Orthographie Heinrichs von Pfalzpaint[16][17] war häufig verwirrend für die Fachgeschichte, die den Werktitel Wundarznei in der Schreibung Bündth-Ertznei als 'Binde-Arznei' (Verbandlehre) fehldeutete. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der erfahrene Wundarzt die wehrtechnische und chirurgische Fachsprache meisterlich beherrscht, überall klar und eindeutig ist, und auch ein schwieriges plastisch-rekonstruktives Verfahren sicher beschreiben kann. Deshalb gilt Heinrich von Pfalzpaint als bedeutendster deutschsprachiger Chirurg des ausgehenden Mittelalters.

Werkausgaben

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  • Heinrich Haeser, Albrecht Theodor Middeldorpf (Hrsg.): Buch der Bündth-Ertznei von Heinrich von Pfolsprundt, Bruder des deutschen Ordens, 1460, Berlin 1868 (Online)
  • Karl Sudhoff: Beiträge zur Geschichte der Chirurgie im Mittelalter. 2 Bände, Leipzig 1914–1918 (= Studien zur Geschichte der Medizin. Band 10–11/12), Band 2, S. 531–560.

Literatur

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  • Bernhard Dietrich Haage: Medizinische Literatur des Deutschen Ordens im Mittelalter. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 9, 1991, S. 217–231, hier: S. 221–228.
  • Bernhard Dietrich Haage, Wolfgang Wegner, Gundolf Keil, Helga Haage-Naber: Deutsche Fachliteratur der Artes in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin 2007 (= Grundlagen der Germanistik. Band 43), S. 43, 241 f. und 244.
  • Gundolf Keil: Heinrich von Pfalzpaint. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon., 2. Auflage. Band 3, De Gruyter, Berlin/New York 1981, Sp. 856–862.
  • Gundolf Keil: Heinrich von Pfalzpaint und die plastische Chirurgie der Haut. In: Günter Burg, Albert A. Hartmann, Birgit Konz (Hrsg.): Onkologische Dermatologie. Neue Aspekte, altersbedingte Besonderheiten. (14. Jahrestagung der Vereinigung für operative und onkologische Dermatologie vom 10.–12. Mai 1991 in Würzburg). Springer, Berlin u. a. 1992, S. 3–11.
  • Gundolf Keil: Heinrich von Pfalzpaint und die plastische Chirurgie der Haut. In: Mitteilungsblatt der Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgie. Nr. 11, (September) 1992, S. 11–13.
  • August Lange: Die Rhinoplastik im 'Göttingischen Taschenkalender auf das Jahr 1805'. Eine Bemerkung zur Geschichte der Nasenwiederherstellung. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 9, 1991, S. 345–350, hier: S. 345 f.
  • Muffat: Heinrich von Pfolspeunt (nicht Pfolsprunt), Bruder des deutschen Ordens. Ein medizinischer Schriftsteller des fünfzehnten Jahrhunderts, aus Bayern gebürtig. In: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: phil.-historische Klasse (1869) I, S. 564–570.
  • Christian Probst: Zwei unbekannte Briefe des Chirurgen Heinrich von Pfalzpaint aus dem Jahr 1453. In: Sudhoffs Archiv. Band 50, 1966, S. 69–78.
  • Christian Probst: Heinrich von Pfalzpaint. In: Klemens Wieser (Hrsg.): Acht Jahrhunderte Deutscher Orden. Godesberg 1967, S. 229–238.
  • Claudia Richter: Phytopharmaka und Pharmazeutika in Heinrichs von Pfalzpaint 'Wündärznei' (1460). Untersuchungen zur traumatologischen Pharmakobotanik des Mittelalters. Würzburg 2004 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 84); Online-Version.
  • Gustav Roethe, Hermann Frölich: Pholspeunt, Heinrich von. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 26, Duncker & Humblot, Leipzig 1888, S. 91 f.
  • Christoph Weißer: Die Nasenersatzplastik nach Heinrich von Pfalzpaint. Ein Beitrag zur Geschichte der plastischen Chirurgie im Spätmittelalter mit Edition des Textes. In: Josef Domes, Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Ch. Weißer, Volker Zimmermann (Hrsg.): Licht der Natur. Medizin in Fachliteratur und Dichtung. Festschrift für Gundolf Keil zum 60. Geburtstag. Göppingen 1994 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 585), S. 485–506.
  • Christoph Weißer: Heinrich von Pfalzpaint. In: Werner E. Gerabek, B. D. Haage, G. Keil und W. Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin/New York 2005, S. 563 f. (zitiert)

Einzelnachweise

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  1. Wolfgang Wegner: Hans von Bayreuth (Bereuth). In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Walter de Gruyter, 2005, ISBN 9783110157147, S. 532. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  2. Ein New Wundartzney M. Johanns von Parisijs, Wie man alle Wunden, sie sein gestochen, gehawen, geschossen, mit Pfeil odder Lot [...] heylen soll [...]. Frankfurt am Main (Hermann Guelfferich) 1552.
  3. Gundolf Keil: Beris, Johannes (Bires, Baris, Paris). In: Burghart Wachinger u. a. (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neubearbeitete Auflage, Band 1: ‚A solis ortus cardine‘ - Colmarer Dominikanerchronist. De Gruyter, Berlin / New York 1978, ISBN 3-11-007264-5, Sp. 724 f.
  4. Ernest Wickersheimer: Dictionnaire biographique des médecins en France au Moyen âge. Librairie Droz, 1979, ISBN 9782600033831, S. 584. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  5. Felix Mader: Die Kunstdenkmäler von Mittelfranken. Oldenbourg, 1982, ISBN 9783486505054, S. 260. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  6. Gundolf Keil: „Meister der Chirurgie“ aus dem „gesamten deutschen Sprachraum“. Christoph Weißers Chirurgenlexikon mit 2000 Biographien aus der Geschichte der Chirurgie. Ein Essai. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 327–333, hier: S. 331.
  7. Vgl. auch Gundolf Keil: Aphorismen zur Krankenhausgeschichte. In: Arnulf Thiede, Heinz-Jochen Gassel (Hrsg.): Krankenhaus der Zukunft. Heidelberg 2006, S. 735–742, hier: S. 740 („Krankenhaus der Zukunft“ 1454–1457 auf der Marienburg).
  8. Gundolf Keil: „Meister der Chirurgie“ aus dem „gesamten deutschen Sprachraum“. Christoph Weißers Chirurgenlexikon mit 2000 Biographien aus der Geschichte der Chirurgie. Ein Essai. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 327–333, hier: S. 330 f.
  9. Christoph Weißer: Heinrich von Baldenstetten. In: Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 562 f.
  10. Claudia Richter (2004); vgl. auch Claudia Richter: Pflanzen in der Wundchirurgie des Deutschordensritters Heinrich von Pfalzpaint. In: Sacra bella septentrionalia, I: Mittelalterliche Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preußen: Leben und Nachleben. Marburg 2009, S. 245–255.
  11. H. Orth, I. Kis: Schmerzbekämpfung und Narkose. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 1–32, hier: S. 2 f.
  12. Nikolaus Papastavrou: Darm. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 107–131, hier: S. 108.
  13. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 20.
  14. Gundolf Keil: „blutken – bloedekijn“. Anmerkungen zur Ätiologie der Hyposphagma-Genese im ‚Pommersfelder schlesischen Augenbüchlein‘ (1. Drittel des 15. Jahrhunderts). Mit einer Übersicht über die augenheilkundlichen Texte des deutschen Mittelalters. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, S. 7–175, hier: S. 10–12, 32 und 135 f.
  15. Christoph Weißer: Henze (Hentze), Heinrich. In: Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 570.
  16. Jakob Grimm: Deutsche Mythologie. I–III, Berlin 1835; 4. Aufl., besorgt von Elard H. Meyer, Berlin 1875–1878; Neudruck, mit einer Einführung von Leopold Kretzenbacher, Graz 1968; Nachdruck Wiesbaden 1992; Band I (1875), S. 187 (zum Namen „Pholespiunt“), und Band III, S. 79 f. (zu „Heinrich von Pfolsprundt“).
  17. Hans Kritzler: Die geschichtliche Entwicklung der Schußwundenbehandlung von Pfolspeundt[!] bis Fabricius von Hilden. Medizinische Dissertation Berlin 1912.