Helene Böhlau

deutsche Schriftstellerin

Helene Böhlau, verh. al Raschid Bey (* 22. November 1856[1] in Weimar; † 26. März 1940 in Augsburg[2]), war eine deutsche Schriftstellerin und Vorkämpferin für Frauenrechte.[3]

Helene Böhlau um 1890
Helene Böhlau, 1878
Helene Böhlau um 1907
Durch Helene Böhlaus Romanserie Ratsmädelgeschichten wurden die Töchter des Weimarer Bürgermeisters Friedrich Kirsten in ganz Deutschland bekannt. Gedenktafel am Haus Windischenstraße 13 in Weimar
Hans Thoma: Zeichnung zu Sommerbuch, 1903
Erste Seite des Manuskripts: Die Geschichte einer zärtlichen Seele
Erste Seite des Manuskripts: Die Geschichte einer zärtlichen Seele

Helene Böhlau war die älteste Tochter des Weimarer Verlagsbuchhändlers Hermann Böhlau (1826–1900) und dessen Frau Therese, geb. Thon (1831–1911). Sie genoss eine sorgfältige Privaterziehung. Etwa 1873 lernte sie in Weimar den Architekten und Privatgelehrten Friedrich Arnd kennen; später entwickelte sich daraus eine außereheliche Beziehung. Um Helene neben seiner ersten als zweite Frau heiraten zu können, konvertierte der evangelische Arnd zum Islam und nannte sich fortan Omar al Raschid Bey.[4] Helenes Vater verbot ihr daraufhin das Haus.

Nach der Hochzeit 1886 lebte das Ehepaar ein Jahr lang in Konstantinopel, dann – nach der Scheidung von seiner ersten Frau – in München. Helene Böhlau veröffentlichte weiterhin unter ihrem Geburtsnamen, manchmal mit dem Zusatz „Frau al Raschid Bey“. Zu ihrem Freundeskreis gehörte auch die Schriftstellerin und Kunstkritikerin Anna Spier, Ehefrau des Politikers und Privatgelehrten Samuel Spier, der Böhlau 1903 im Gedenken an „Unsere grünen Sommer!“ ihr Sommerbuch Altweimarische Geschichten widmete. Auch den Roman Halbtier! widmete sie Anna Spier. Nach dem Tod des Ehemannes im Jahre 1911 wohnte Helene Böhlau in Ingolstadt, München, Widdersberg und Augsburg. Ihr 1895 geborener Sohn Omar al Raschid Bey, später Hermann Ottokar Böhlau genannt, bildete 1915 als Gefreiter in München Rekruten aus, darunter Victor Klemperer; nach seinem Studium arbeitete er als Arzt.

Helene Böhlau starb am 26. März 1940 im Krankenhaus in Augsburg[5] und fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Widdersberg in dem an der Kirche gelegenen Familiengrab (Inschrift „Helene Böhlau al Raschid Bey“).[6]

Leistungen

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Helene Böhlau gehörte zu ihrer Zeit zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen. Max Lesser nannte sie 1901 gemeinsam mit Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal und Peter Altenberg die bedeutendste deutschsprachige Schriftstellerin der Gegenwart.[7] Ab 1882 veröffentlichte sie Novellen und Kurzgeschichten. Ihr erster Roman mit dem Titel Reines Herzens schuldig erschien 1888. Das Werk Helene Böhlaus umfasst sowohl ambitionierte Kunst- als auch Gebrauchsliteratur. Ihre frühen, vom Naturalismus beeinflussten feministischen Romane Der Rangierbahnhof (1896), Das Recht der Mutter (1896) und Halbtier![8] (1899) wurden von den Zeitgenossen beachtet und insgesamt positiv rezensiert (wenn auch gelegentlich ein Zug ins „zu“ Genialische, Absonderliche moniert wurde). Einem größeren Publikum war Helene Böhlau vor allem bekannt als Autorin der Ratsmädelgeschichten (1888; weitere Bände 1897, 1905 und 1923) und diverser Altweimarischer Geschichten (1897ff.).

Beim 50. Jahrestag ihrer Gründung 1909 ehrte die Deutsche Schillerstiftung Böhlau zu Schillers Geburtstag durch eine Ehrengabe. Der Wiener Zweig der Schillerstiftung offerierte ihr 1915 zum Geburtstag der Marie von Ebner-Eschenbach den Ertrag ihres Eschenbach-Fonds.[9]

Werke (Auswahl)

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Viele Erzählungen sind in Zeitschriften erschienen, bevor sie (manchmal leicht überarbeitet) in Buchform herauskamen, z. B. in Deutsche Rundschau, in Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, in Vom Fels zum Meer, in Die Gartenlaube. Umfassendes Schriftenverzeichnis bei Becker 1988, S. 170ff.
Viele Werke Böhlaus wurden mehrfach neu aufgelegt, oft in wechselnden Zusammenstellungen.

  • Novellen. 1882. Digitalisat. (Neuausgabe unter dem Titel Salin Kaliske. 1902; Inhalt: Im Banne des Todes; Salin Kaliske; Maleen)
  • Der schöne Valentin. Die alten Leutchen. Zwei Novellen. 1886.[10] Digitalisat.
  • Reines Herzens schuldig. Roman. 1888. Digitalisat.
  • Herzenswahn. Roman. 1888. Digitalisat.
  • Rathsmädelgeschichten. 1888. Digitalisat.[11]
  • Im Trosse der Kunst und andere Novellen. 1889. Digitalisat.
  • In frischem Wasser. Roman in zwei Bänden. o. J. [1891.] Digitalisat Bd. 1; Digitalisat Bd. 2.
  • Der Rangierbahnhof. Roman. 1896. Digitalisat. Neu hg. von Henriette Herwig, Turmhut, Mellrichstadt 2004, ISBN 3-936084-44-0.
  • Das Recht der Mutter. Roman. 1896.
  • Altweimarische Liebes- und Ehegeschichten. 1897. Digitalisat.
  • Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. 1897. Digitalisat.
  • Im alten Rödchen bei Weimar. Das ehrbußliche Weibchen. Zwei Novellen. 1897.[12]
  • Verspielte Leute. Roman. 1898. Digitalisat.
  • Schlimme Flitterwochen. Novellen. 1898. (3. Aufl. 1907 Digitalisat)
  • Das Brüller Lager. Roman. 1898.
  • Halbtier! Roman. 1899. (Aufl. 1903: Digitalisat) Neu hg. von Henriette Herwig, Turmhut, Mellrichstadt 2004, ISBN 3-936084-42-4.
  • Philister über dir! Schauspiel. 1900.
  • Sommerbuch. Altweimarische Geschichten. 1903. Digitalisat.
  • Die Kristallkugel. Eine Altweimarische Geschichte. 1903.[13]
  • Sommerseele. Muttersehnsucht. Zwei Novellen. 1904.[14]
  • Die Ratsmädchen laufen einem Herzog in die Arme. 1905
  • Das Haus zur Flamm’. Roman. 1907.[15]
  • Kußwirkungen. Erzählungen. 1907. (Auszug aus: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten)
  • Das seidene Nest. Novelle. In: März. Halbmonatsschrift für deutsche Kultur. 4. Jg. 1910, 3. Band, S. 369–378 und 449–459.
  • Isebies. Die Geschichte eines Lebens. Roman. 1911.[16] Digitalisat.
  • Das Vorwort zum: „Hohe Ziel der Erkenntnis“. In: März. Eine Wochenschrift. 6. Jg. 1912, 2. Band, S. 95–98.
  • Gudrun. 1914. Digitalisat.
  • Der gewürzige Hund. Roman. 1916.
  • Ein dummer Streich. 1919.
  • Im Garten der Frau Maria Strom. Roman. 1922. Digitalisat.
  • Die Ratsmädel gehen einem Spuk zu Leibe. Erzählungen. 1923. (Auszug aus: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten)
  • Die leichtsinnige Eheliebste. Ein Liebeswirrwarr. Roman. 1925.[17]
  • Die kleine Goethemutter. Roman. 1928.
  • Kristine. Roman. 1929.[18]
  • Eine zärtliche Seele. Roman. 1930.
  • Wie die Enkelin der Ratsmädel zum Blaustrumpf wurde, in: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. Altweimarische Liebes- und Ehegeschichten. Deutsche Buchgemeinschaft o. J., ca. 1930, S. 128–166; zuerst in Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten, 1897 (S. 122–159, Digitalisat), 1899.[19]
  • Föhn. Roman. 1931.
  • Spuk in Alt-Weimar. Erzählungen. 1935. (Auszug aus: Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten)
  • Die drei Herrinnen. Roman. 1937.
  • Goldvogel. Erzählungen. 1939.
  • Jugend zu Goethes Zeit. 1939.[20]
Werkausgaben
  • Gesammelte Werke. Berlin 1915. Band 1; Band 2; Band 3; Band 4; Band 5; Band 6.
  • Gesammelte Werke. Erste Abteilung. Die Erzählungen aus Altweimar in vier Bänden. Weimar [1927].
  • Gesammelte Werke. Zweite Abteilung. Romane und Novellen in fünf Bänden. Weimar [1929]. (Band 3 stimmt überein mit Band 4 von 1915.)
Autobiographie
  • Al Raschid Bey, Frau Helene, verw., geb. Böhlau. In: Geistiges und Künstlerisches München in Selbstbiographien. Hrsg. W. Zils-München. München 1913, S. 6–8.

Literatur

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  • Hubert Amft: Auf der Suche nach der „neuen Frau“ – Leben, Werk und Frauenbild Helene Böhlaus. In: Hubert Amft: Dem Geist des Ortes verpflichtet. Lebensbilder und Werk von sechs Weimarer Schriftstellerinnen. Weimar 2005, ISBN 3-910053-38-6, S. 99–136.
  • Gertrud Bäumer: Der Tendenzcharakter des modernen Frauenromans. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. 10. Jg., 1903, S. 449–456.
  • Josef Becker: Helene Böhlau. Leben und Werk. ADAG Administration und Druck, Zürich 1988 DNB 947139257. (Dissertation Universität Zürich 1988).
  • Gisela Brinker-Gabler: Perspektiven des Übergangs. Weibliches Bewußtsein und frühe Moderne. In: Gisela Brinker-Gabler (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen. Band 2. C. H. Beck, München 1988, S. 169–205, ISBN 3-406-33118-1.
  • Elisabeth Friedrichs: Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon. Metzler, Stuttgart 1981, ISBN 3-476-00456-2, S. 4. (mit falschem Geburtsdatum)
  • Maike Heimeshoff: „die Dinger von Deiner Frau sind net übel!“ Künstlerinnen und Abhängigkeit von männlicher Anerkennung am Beispiel von Helene Böhlaus „Halbtier!“ und „Der Rangierbahnhof“. GRIN, München 2011, ISBN 978-3-640-99589-9.
  • Günter Helmes: Helene Böhlau: „Halbtier!“. In: Reclams Romanlexikon. Band 2. Stuttgart 1999, S. 536f., ISBN 978-3-15-018002-0.
  • Maria Rassow: Helene Böhlau und Weimar. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. 27. Jg. 1919–1920. Berlin 1920, S. 45–49.[21]
  • Hans SchwerteBöhlau, Helene. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 2, Duncker & Humblot, Berlin 1955, ISBN 3-428-00183-4, S. 376 f. (Digitalisat).
  • Verda Seehausen: Helene Böhlau. In: Britta Jürgs (Hrsg.): „Denn da ist nichts mehr, wie es die Natur gewollt.“ Portraits von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen um 1900. Aviva, Berlin 2001, ISBN 3-932338-13-8, S. 260–280.
  • Sandra L. Singer: Free soul, free women? A study of selected fictional works by Hedwig Dohm, Isolde Kurz, and Helene Böhlau (= Studies in modern German literature, Band 75). Lang, New York 1995, ISBN 0-8204-2557-5.
  • Ludmila Kaloyanova Slavova: Übergangsgeschöpfe. Gabriele Reuter, Hedwig Dohm, Helene Böhlau und Franziska zu Reventlow (= Women in German Literature; Band 2). Lang, New York 1998, ISBN 0-8204-3962-2.
  • Martha Strinz: Helene Böhlau. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. 9. Jg., 1902, S. 417–427.
  • Elena Tresnak: Theodor Fontane: „Wegbereiter“ für weibliche Emanzipation um 1900? Vergleichende Untersuchung literarischer Weiblichkeitskonzepte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel von Theodor Fontanes „Cécile“ (1887) und Helene Böhlaus „Der Rangierbahnhof“ (1896). Igel, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86815-545-7 (Dissertation Universität Kiel 2010).
  • Friedrich Zillmann: Helene Böhlau. Ein Beitrag zu ihrer Würdigung. Xenien, Leipzig 1918 DNB 578493578
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Commons: Helene Böhlau – Sammlung von Bildern
Wikisource: Helene Böhlau – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

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  1. Geburtsanzeige in Weimarer Zeitung vom 23. November 1856, S. 1112; getauft am 26. Dezember (Weimarer Zeitung vom 3. Januar 1857, S. 8). Taufbuch der ev. Kirchengemeinde Weimar 1856, S. 249, Nr. 1165 (laut Becker 1988, S. 4). Ältere Darstellungen geben 1859 als Geburtsjahr an; diese Fehlangabe stammte wahrscheinlich von Böhlau selbst.
  2. Die Angabe „Widdersberg bei Herrsching“ bei Friedrichs ist falsch.
  3. Der Neue Herder von A bis Z, Herder 1952
  4. Ausführlich bei Becker 1988, S. 29ff.
  5. Tanja Praske: Helene Böhlau (1856–1940) – Schreiben als Akt der Befreiung. In: #femaleheritage. Münchner Stadtbibliothek, 6. Januar 2021, abgerufen am 1. September 2022.
  6. Helene Böhlau in der Datenbank Find a Grave, abgerufen am 3. Juli 2024. (mit Foto des Familiengrabes)
  7. Max Lesser: Götterdämmerung. In: Neues Wiener Tagblatt. 35 (1901) #243, 5. September 1901, S. 1–3, hier: S. 3.
  8. Vgl. Böhlaus Selbstanzeige in Die Zukunft vom 12. August 1899, S. 307–310.
  9. Das literarische Echo vom 1. Dezember 1909, Spalte 371f., und vom 1. November 1915, Spalte 194.
  10. Beide im Volltext bei Projekt Gutenberg-DE in getrennten Abschnitten
  11. spätere Ausgaben: Ratsmädelgeschichten. J. C. C. Bruns, Minden ab 1914. Sieben Erzählungen. (Inhaltsverzeichnis)
  12. Beide im Volltext bei Projekt Gutenberg-DE als Altweimarische Liebes- und Ehegeschichten.
  13. Volltext bei Projekt Gutenberg-DE als Kap. 5 von „Ein Sommerbuch“
  14. Volltexte bei Projekt Gutenberg-DE als 3. bzw. 7. Kapitel von Ein Sommerbuch.
  15. Vgl. Böhlaus Selbstanzeige in Das literarische Echo. 10. Jg. 1907/1908, Spalte 443f.
  16. Autobiographischer Roman, auch als Gesammelte Werke 1915, Band 6, und als Gesammelte Werke 1929, Band 1, erschienen. Besprechung von Hermann Kienzl: Helene Böhlaus Lebensroman. In: Das literarische Echo. 13. Jg., 1910/1911, Spalte 1226–1230, und von Gertrud Bäumer: „Isebies.“ In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. 18. Jg., 1910/1911, S. 526–528.
  17. Volltext bei Projekt Gutenberg-DE.
  18. Volltext bei Projekt Gutenberg-DE
  19. Aufschlussreicher autobiographischer Essay über ihre Kindheit.
  20. Volltext bei Projekt Gutenberg-DE unter dem Titel Jugend als 4. Kapitel von Ein Sommerbuch.
  21. Vgl. die Kopie in Commons.