Holzwolle
Holzwolle ist ein mechanisch hergestellter multifunktionaler Holzwerkstoff in Form von feinen und bis zu 500 mm langen, elastischen, quasi staubfreien losen und naturbelassenen Holzwollefäden, die im Gegensatz zu Holzspänen weitgehend splitterfrei sind. Diese werden aus entrindeten und – je nach Verwendung – bis auf 13 % Holzfeuchte luftgetrockneten Laub- und Nadelhölzern hergestellt.
Als Holzwolle wurden bereits vor der Verbreitung dieses Holzwerkstoffes in Europa in den 1880er Jahren zwei Produkte bezeichnet:
- 1855 zeigte der Franzose Eduard Guichard auf der Weltausstellung in Paris seine laine de bois (französisch für „Holzwolle“) als kostengünstigen Ersatz der Scheerflocken (Abfallprodukte des Tuchscherers) zur Herstellung von Tapeten.
- 1883 beschrieb der Chirurg Gustav Adolf Walcher (1856–1935) in seiner Dissertation den aus Holzfasern hergestellten antiseptischen Wundverband als Sublimat-Holzwolleverband.
Heute wird Holzwolle als Werkstoff in verschiedensten Anwendungsbereichen eingesetzt. Problematisch ist, dass die Holzwolle in den statistischen Erhebungen nicht als eigenständiges Produkt erfasst wird und sich die Produktion der Holzwolle somit in den relevanten Handelsstatistiken weder mengen- noch wertmäßig darstellen lässt. Die Holzwolle ist aber keineswegs – wie bei dieser Klassifikation mangels Kenntnis angenommen wird – ein «Restprodukt».[1]
Bis im Jahr 2004 war Holzwolle unter der DIN-Norm 4077 erfasst. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sich die Holzwolleproduzenten insbesondere in einem ihrer wichtigsten Absatzmärkte – Matratzen und Verpackungen – in einem Verdrängungswettbewerb mit Kunststoffherstellern und deren Alternativen. In Folge stellten immer mehr Holzwolleproduzenten ihren Betrieb ein, es wurden sogar Branchenverbände aufgelöst und schließlich die DIN-Norm 2004 außer Kraft gesetzt.[2]
Herstellung
BearbeitenNaturbelassene lose Holzwolle wird seit den 1840er Jahren in den USA und seit den 1880er Jahren auch in Europa mit Hilfe von Holzwollemaschinen produziert. Diese gehören zu der Kategorie der Hobelmaschinen.
Um die von Baumart zu Baumart unterschiedlichen biologischen, chemischen und physikalischen Eigenschaften voll nutzen zu können, wird heute in der modernen Holzwolletechnologie für jeden Verwendungszweck nach der bestmöglichen Rezeptur gesucht, d. h. die einzelnen „Holzwollen“ unterscheiden sich – äußerlich kaum sichtbar – durch den verwendeten Holzmix und die gewählte Dimension der einzelnen Fäden bezüglich Länge, Breite und Dicke.
Anwendungsbereiche der Holzwolle als Werkstoff
BearbeitenHistorische Verwendung
Holzwolle wird heutzutage als nachhaltiger und multifunktionaler Werkstoff in fast allen Wirtschaftszweigen für anspruchsvolle Problemlösungen und Produkte verwendet.[3] Dabei darf nicht vergessen werden, dass Holzwolle schon seit Jahrhunderten eingesetzt wird (s. oben der Name Holzwolle tauchte zuerst Mitte 17. JH auf) und damit einer der traditionsreichsten Werkstoffe ist. So wurde Holzwolle u. a. medizinisch als antiseptischer Verbandsstoff und sogar als Damenbinde verwendet. Auch in der Textilbranche fand die Holzwolle Verwendung, wo sie zur Herstellung von Garn verwendet wurde. Als loses Verpackungsmaterial – heute der wohl bekannteste Anwendungsbereich der Holzwolle – wurde sie erstmals in den 1840er Jahren in den USA unter dem Namen «Excelsior» verwendet.[4]
Tierhygiene in der Landwirtschaft
In der Tierhygiene findet Holzwolle als Euterwolle Verwendung. Ein Anwendungsbereich ist der Einsatz zur Euterreinigung und Melkvorbereitung von Milchvieh. Es wird angenommen, dass die taktilen Reize der Holzwolle die Euter des Milchviehs besser stimulieren als Papier, und so die Gesamtmelkzeit verringern.[5]
Verpackungsmaterial
Lose Holzwolle wird zum Verpacken, Schützen, Dekorieren oder Füllen und die Logistik empfindlicher Produkte und Lebensmittel eingesetzt.
Feuer
Holzwolle wird in gepresster Form mit Wachs versetzt als Kamin- und Grillanzünder angeboten.
In der Brandprüfung z. B. von Dachbauteilen nach DIN CEN/TS 1187 bzw. DIN EN 13501-5 werden beim Verfahren „Broof t1“ 600 g Holzwolle als Brandsatz für die Prüfung verwendet.
Am Sächseläuten – ein traditionsreicher Feiertag der Stadt Zürich – wird jährlich der «Bögg» verbrannt. Das ist eine große Figur in Form eines Schneemannes, gefüllt mit Holzwolle als Stopf- und Brennmaterial.[6]
Bau und Architektur
Wenn Holzwolle mit einem Verbundstoff wie Magnesit (Magnesiumcarbonat) gebunden und konserviert wird, spricht man von „Holzwolleplatten“ oder, genauer, Holzwolle-Leichtbauplatten. (Regionale Bezeichnung „Sauerkrautplatten“, Heraklith-Platten). Diese werden als Dämmstoff zur Wärme- und Schalldämmung in Wand und Decke verwendet. Sie sind ökologisch empfehlenswert, da sie keine künstlichen Bindemittel oder Schadstoffe enthalten.
Erosionssschutzmatten (Holzwollefliese) sind Steppverbindungen aus Holzwolle mit verschiedenen Holzarten.[7][8]
Holzwolle wird auch zum Snowfarming eingesetzt. Snowfarming meint das aufschütten und zudecken von Schneehaufen am Ende der Saison, um diesen Schnee auch im kommenden Winter noch verwenden zu können. Zur isolierenden Abdeckung kann eine Kombination aus Abdeck- und Holzwollevlies eingesetzt werden. Als Beispiel sei auf den Skiorts Livigno in Italien.[9]
Literatur
Bearbeiten- Hanspeter Frey: Werkstoffmonografie HOLZWOLLE : Daten und Fakten. editionYlichtensteig, Lichtensteig 2011, ISBN 978-3-033-02629-2, 258 S.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Frey Hanspeter: Werkstoffmonografie Holzwolle. 2011, S. 52.
- ↑ Frey Hanspeter: Werkstoffmonografie Holzwolle. 2011, S. 52.
- ↑ Frey Hanspeter: Werkstoffmonografie Holzwolle. 2011, S. 27.
- ↑ Frey Hanspeter: Werkstoffmonografie Holzwolle. S. 11 ff.
- ↑ Ruf, Roman; Bolt, Roger; Hässig, Michael: Vergleich von Papier und Holzwolle zur Euterreinigung. Universität Zürich, 2015, abgerufen am 4. November 2024.
- ↑ Krebs Adrian: Wo der Bögg seine Füllung herhat. nzz.ch, abgerufen am 4. November 2024.
- ↑ Bundesamt für Umwelt BAFU: Entwicklung und Anwendung von naturbelassener Holzwolle im Grundbau und in der Sediment Control. Abgerufen am 4. November 2024.
- ↑ Verein Ecobau (Bauämter von Bund, Kantonen und Städten), Schweiz: Ökobilanzdaten im Baubereich (Version 6.1, 23.2024). Abgerufen am 4. November 2024.
- ↑ Carosello 3000 - Livigno: Snow Farm 3000. Abgerufen am 4. November 2024.