Zykloide

Rollkurve eines Kreises über einer Geraden
(Weitergeleitet von Hypotrochoiden)

Die (gewöhnliche) Zykloide (v. lat. cyclus bzw. altgriechisch κύκλος kýklos = Kreis und ειδής -eidés = ähnlich) ist die Bahn, die ein Punkt auf dem Umfang eines Kreises beschreibt, wenn dieser Kreis auf einer Geraden abrollt.[1] Wegen ihrer Form wird sie auch als gespitzte Zykloide bezeichnet. Sie ist eine spezielle Trochoide und gehört damit zu den Rollkurven.

Ein Fixpunkt auf einem rollenden Kreis zeichnet eine Zykloide

Verwandte Begriffe sind die Epizykloide (allgemeiner die Epitrochoide) und die Hypozykloide (allgemeiner die Hypotrochoide). Manchmal wird der Begriff „Zykloide“ so allgemein verwendet, dass diese Kurventypen eingeschlossen sind.

Geschichtliches

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Wer zuerst die Zykloide entdeckt bzw. näher untersucht hat, ist uns trotz ihrer einfachen Entstehungsweise – Betrachtung eines markierten Punktes auf einem bewegten Wagenrad – nicht überliefert. Nichts also hindert uns, anzunehmen, daß die Alten die Cykloide gekannt haben.[2] Der anscheinend so einfache Verlauf der Linie lässt sich aber nicht allein mit Zirkel und Lineal konstruktiv darstellen.

Das 1503 auf Latein als Geometricae introductionis libri sex in Paris erschienene Werk von Charles de Bouelles stellt vermutlich die früheste dokumentierte Betrachtung der mathematischen Kurve dar, die durch die Bewegung eines Punktes auf einem rollenden Kreis entlang einer Linie entsteht. Dabei verbindet Bouvelles die Zykloide mit geometrischen und metaphysischen Überlegungen. Bouelles behandelt diese Kurve in Zusammenhang mit der Quadratur des Kreises.

Die zweite Veröffentlichung zu Zykloiden erfolgte 1570 durch Gerolamo Cardano, der dabei unter anderem die cardanischen Kreise beschreibt.[3] Galileo Galilei unternahm 1598 weitere geometrische Untersuchungen von Zykloiden.[4]

Das 17. Jahrhundert, das als „Goldenes Zeitalter der Analysis“ gilt, war auch für die Untersuchung der Zykloide relevant. So beschäftigten sich die besten Mathematiker und Naturwissenschaftler mit dieser besonders ästhetischen Kurve.

Die erste Flächen- und Längenberechnung an einer Zykloide gelang 1629 dem Italiener Bonaventura Cavalieri.[5] Weitere Forschungsanstöße lieferte im gleichen Jahr der Franzose Marin Mersenne.[6]

Weitere Fortschritte durch Quadraturen schafften 1634 Gilles Personne de Roberval[5] und 1635 René Descartes und Pierre de Fermat. Roberval gelang 1638 eine Tangentenkonstruktion,[7] 1641 gelang dies auch Evangelista Torricelli. Torricelli entwickelte bis 1643 eine Quadratur in Beziehung zur Schraubenlinie. Der Engländer Christopher Wren zeigte 1658, dass die Länge einer Zykloide gleich dem Vierfachen des Durchmessers des generierenden Kreises ist.

Im Juni 1658 veröffentlichte Blaise Pascal unter dem Pseudonym Amos Dettonville einen Wettbewerb für die Lösung von sechs Problemen zur Zykloide: Bestimmung der von der Zykloide umschlossenen Fläche, Bestimmung des Schwerpunktes der umschlossenen Fläche, Berechnung der Volumina von Rotationskörpern um beide Achsen und Bestimmung der Schwerpunkte dieser Körper. Er wusste nicht, dass Roberval bereits in den 1630er Jahren die ersten vier Ergebnisse veröffentlicht hatte.[8]

Eine Quadratur über eine unendliche Reihe erfolgte 1664 durch Isaac Newton.[9] Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelte 1673 die Quadratur über die Quadratrix.[10] Der Niederländer Christiaan Huygens schaffte 1673 die Evolutenbestimmung[11] und Tautochronie.

Leibniz stellte 1686 die Integraldarstellung fertig. Die letzte wichtige Erkenntnis war 1697 die Brachistochroneneigenschaft durch Johann I Bernoulli.[12]

Mathematische Darstellung der Zykloiden

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Eine Zykloide kann als analytische Gleichung und in Parameterdarstellung dargestellt werden. Die Parameterdarstellung lautet[1]

 

wobei   den Radius des Kreises und   den Parameter („Wälzwinkel“) bezeichnet. Aus dieser lässt sich der Parameter   eliminieren. Die analytische Gleichung lautet

 

beschreibt aber nur den Teil der Zykloide mit  .

Beliebige Zykloiden lassen sich durch folgende Parameterdarstellung berechnen:

 

wobei   den Abstand des erzeugenden Punktes vom Mittelpunkt angibt. Zykloiden mit   werden verkürzt, Zykloiden mit   werden verlängert genannt. Diese beliebigen Zykloide lassen sich jedoch nicht mehr alle in einer analytischen Form darstellen.

Eigenschaften der Zykloide

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Eine gewöhnliche Zykloide entsteht, wenn ein Kreis auf einer Geraden abrollt. Anschaulich gesprochen bewegt sich ein Punkt auf einem Reifen eines fahrenden Fahrrades (näherungsweise das Ventil) auf einer gewöhnlichen Zykloide. Die Katakaustik, die Evolute und die Evolvente der Zykloide sind selbst wieder Zykloiden. Die Mittelpunkte der Krümmungskreise einer Zykloide liegen vollständig auf ihrer Evolute.

Eine Brachistochrone beziehungsweise Tautochrone entsteht durch Spiegelung einer Zykloide an der x-Achse.

Die Länge der gewöhnlichen Zykloide mit der Parameterdarstellung   im Intervall   kann mit dem Integral   berechnet werden. Mit den Ableitungen   und   ergibt sich[1]

 

Durch Verwendung der Parameterdarstellung   für   ergibt sich der Inhalt der Fläche zwischen einem Bogen der Zykloide und der Geraden:

 

Die Fläche ist also dreimal so groß wie die Fläche des rollenden Kreises.

Die Tautochronie der Zykloide

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Tautochronie der Zykloide
 
Zykloidenpendel

Vorausgesetzt, dass Luftwiderstand und Reibung zu vernachlässigen sind, gelangt ein frei beweglicher Massenpunkt von jedem Startpunkt auf einer umgedrehten Zykloide stets in derselben Zeit an den tiefsten Punkt.[13] Diese Eigenschaft wird auch Tautochronie genannt (Linie gleicher Fallzeit; altgriechisch ταὐτό tauto „dasselbe“, χρόνος chronos „Zeit“).

Im 17. Jahrhundert zeigte Christiaan Huygens, dass beim Zykloidenpendel – ein Fadenpendel, bei dem sich der Faden an einer (passenden) Zykloide abrollt – die Schwingungsdauer unabhängig von der Auslenkung ist.[14][15]

Trochoide

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Die Trochoide verallgemeinert den Begriff der Zykloide in nahe liegender Weise: Der erzeugende Punkt hat vom Mittelpunkt des bewegten Kreises den Abstand  . Folgende Typen werden unterschieden:[16]

  • Verkürzte Zykloide ( )
  • Verlängerte Zykloide ( )
  • Gewöhnliche Zykloide ( )

Gelegentlich wird der Begriff der Trochoide noch allgemeiner verwendet.

Eine verkürzte Zykloide entsteht, wenn die Bahn eines Punktes im Inneren des Kreises betrachtet wird, anschaulich etwa der Seitenstrahler beim Fahrrad. Eine verlängerte Zykloide setzt dagegen voraus, dass ein Punkt außerhalb des abrollenden Kreises sich mit dem Kreis mitbewegt. Diese beiden Kurven heißen auch Trochoiden (altgriechisch τροχός trochos »Rad«).

 
Zykloiden
Beispiele
  • Gewöhnliche Zykloiden werden von Punkten auf der Lauffläche eines Autoreifens oder sonstiger Laufräder (Eisenbahn, Seilbahn) und von den Punkten längs der Lauffläche rollender Murmeln beschrieben.
  • Verkürzte Zykloiden werden von Punkten mit einem Radius kleiner dem der Lauffläche beschrieben, etwa Punkte von Fahrradspeichen oder die Ansatzpunkte von Pleuelstangen bei einer Dampflokomotive.
  • Verlängerte Zykloiden werden von Punkten mit einem Radius größer dem der Lauffläche beschrieben; im Fall von Eisenbahnen wären das alle Punkte des Spurkranzes.

Die Form einer gewöhnlichen Zykloide gleicht einer Aneinanderreihung weiterer Bögen, die verlängerte Zykloide weist an den Spitzen zwischen den Bögen noch Schleifen auf, während bei den verkürzten Zykloiden die Spitzen abgerundet sind.

Zykloidenverzahnung in der Getriebetechnik

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In der Getriebetechnik ist die Zykloidenverzahnung eine von mehreren Techniken zur Verzahnung von Zahnrädern und Zahnstangen. In Zykloidgetrieben folgt die Kontur der Kurvenscheiben äquidistant einer Zykloide.

Die Verwendung von Zykloiden und Trochoiden beim Zeichnen von Ornamenten fand durch das Spielzeug Spirograph weite Verbreitung.

Siehe auch

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Literatur

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  • Joachim Erven, Dietrich Schwägerl: Mathematik für Ingenieure. Walter De Gruyter, 4. Auflage, 2011, ISBN 978-3-486-70796-0, S. 211–215
  • Volker Jäkel: Einteilung einer eben bewegten Ebene in Felder mit qualitativ gleichen Koppelpunktbahnen unter besonderer Berücksichtigung der Übergangskurve, VDI Verlag GmbH, Düsseldorf 2000, ISBN 3-18-332401-6, Kapitel 4
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Einzelnachweise

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  1. a b c Ilʹja N. Bronštejn: Taschenbuch der Mathematik. 11., aktualisierte Auflage. Haan-Gruiten 2020, ISBN 978-3-8085-5792-1, S. 102.
  2. Gino Loria, übersetzt von Fritz Schütte: Spezielle algebraische und transscendente ebene Kurven. Die Cykloiden. B.G. Teubner, Leipzig 1902, S. 460 (archive.org [PDF]).
  3. Gerolamo Cardano (1501–1576), Opus novum de proportionibus, 1570
  4. Klaus Mainzer: Geschichte der Geometrie. 1. Auflage. Bibliographisches Institut, Gotha 1980, ISBN 3-411-01575-6, S. 89.
  5. a b Glen Van Brummelen: The Doctrine of Triangles – A History of Modern Trigonometry. Princeton University Press, Kassel 2021, ISBN 978-0-691-17941-4, S. 113.
  6. Margaret E. Baron: The Origins of Infinitesimal Calculus. Elsevier, Amsterdam 2014, ISBN 978-1-4832-8092-9, S. 156.
  7. Klaus Mainzer: Geschichte der Geometrie. 1. Auflage. Bibliographisches Institut, Gotha 1980, ISBN 3-411-01575-6, S. 100.
  8. Douglas M. Jesseph: Descartes, Pascal, and the epistemology of mathematics : the case of the cycloid. In: Perspectives on science (= historical, philosophical, social). Band 15, 2007, S. 425.
  9. C.H. Edwards Jr.: The Historical Development of the Calculus. Springer, Kassel 1979, ISBN 0-387-90436-0, S. 207.
  10. C.H. Edwards Jr.: The Historical Development of the Calculus. Springer, Kassel 1979, ISBN 0-387-90436-0, S. 250.
  11. Klaus Mainzer: Geschichte der Geometrie. 1. Auflage. Bibliographisches Institut, Gotha 1980, ISBN 3-411-01575-6, S. 102.
  12. Glen Van Brummelen: The Doctrine of Triangles – A History of Modern Trigonometry. Princeton University Press, Kassel 2021, ISBN 978-0-691-17941-4, S. 177.
  13. Ulrich Mende: Brachistochrone - Ableitung, Eigenschaften und lineare Approximation. (PDF) Abgerufen am 24. September 2023.
  14. Horologium Oscillatorium. In: Christiaan Huygens (1673). Abgerufen am 24. September 2023.
  15. Das Zykloidenpendel und die Brachistochrone. In: www.physik.uni-konstanz.de. Abgerufen am 24. September 2023.
  16. Ilʹja N. Bronštejn: Taschenbuch der Mathematik. 11., aktualisierte Auflage. Haan-Gruiten 2020, ISBN 978-3-8085-5792-1, S. 102–103.