Ich klage an (1919)

Film von Abel Gance (1919)

Ich klage an ist der deutsche Titel des französischen Stummfilms J’accuse, den Abel Gance 1917/1918 nach eigenem Drehbuch realisierte, mit dessen Entwurf er bereits 1917 begonnen hatte. Premiere hatte der Film dann am 25. April 1919 in Paris, fünf Monate nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandes, der den Ersten Weltkrieg beendete.

Film
Titel Ich klage an!
Originaltitel J’accuse
Produktionsland Frankreich
Originalsprache Französisch
Erscheinungsjahr 1919
Länge 3525 Meter, bei 20 BpS 156 Minuten
Stab
Regie Abel Gance
Drehbuch Abel Gance
Produktion Charles Pathé
Musik Robert Israel (2008), Philippe Schoeller (2013/2014)
Kamera Marc Bujard, Léonce-Henri Burel und Maurice Forster
Schnitt Andrée Danis, Abel Gance
Besetzung
  • Romuald Joubé: Jean Diaz
  • Madame Mancini: Jeans Mutter
  • Maryse Dauvray: Edith Laurin
  • Maxime Desjardins: Lazare, Ediths Vater
  • Séverin-Mars: François Laurin
  • Angèle Guys: Angèle
  • Angèle Decori: Marie, Dienstmädchen
  • Nader: Koch
  • Paul Duc: Waise

außerdem: Elizabeth Nizan, Pierre Danis, Blaise Cendrars

Der Titel ist der Überschrift eines 1898 von Emile Zola in der französischen Presse veröffentlichten offenen Briefes zur Dreyfus-Affäre entlehnt.[1] Der Filmhandlung lag das pazifistisch ausgerichtete Theaterstück „Miracle à Verdun“ von Hans Chlumberg um eine Frau zwischen zwei Männern[2] zugrunde.

„J’accuse – Ich klage an“ von Abel Gance gilt als Klassiker des pazifistischen Films.

Handlung

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„Edith, die ihren Mann Franz Lorenz aufrichtig liebt, schwärmte auch für den Dichter Paul Diaz und entfachte hierdurch die Eifersucht ihres Gatten. Bei Ausbruch des Krieges mussten beide einrücken, sie begegneten sich im Felde und schlossen Freundschaft. Edith, die auf Wunsch ihres Gatten zu dessen Eltern floh, wurde unterwegs von Marodeuren vergewaltigt und brachte ein Kind zur Welt. Nach Rückkehr in die Heimat bat sie Paul, sich des Kindes anzunehmen, aber ihr auf Urlaub gekommener Mann hätte das Kind getötet, (weil er Paul für dessen Vater hielt) wenn ihm Edith ihre Schmach nicht gestanden hätte. Franz, der sie rächen wollte, fiel und Paul, der wahnsinnig wurde, klagte die ganze Menschheit an, dass sie all das Elend, das der Krieg brachte, verschuldete.“ (Paimanns Filmliste No. 185 (vom 3. bis 9. Oktober 1919))[3]

Hintergrund

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Die Dreharbeiten begannen bereits im August 1918 in Frankreich, als der Weltkrieg noch andauerte, und endeten im März 1919.[4] Sie fanden auf den Schlachtfeldern von Saint-Michel, Haute-Garonne und Saint-Mihiel, Meuse, Frankreich statt. Für die Fotografie zeichneten Marc Bujard, Léonce-Henri Burel und Maurice Forster verantwortlich, für den Schnitt Andrée Danis und der Regisseur Abel Gance selbst. Der Produzent des Films war Charles Pathé. Sein Unternehmen übernahm auch den Verleih.[5]

J’accuse wurde am 25. April 1919 in Frankreich uraufgeführt. Der Film lief auch in Deutschland, Spanien und Italien, Polen und Ungarn. In einer bearbeiteten Version kam er am 9. Oktober 1921 auch in die Vereinigten Staaten. Dort wurde er durch United Artists verliehen, in Europa durch Pathé Frères.[6]

Die Kosten der Produktion beliefen sich auf 525,000FF, was zu dieser Zeit eine beachtliche Summe bedeutete. Bis 1923 hatte der Film 3,500,000FF eingespielt.[7]

Rezeption

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Paimanns Filmliste Nr. 185 urteilte im Oktober 1919: „Stoff hochdramatisch, und ebenso das Spiel. Die Fotos und die Szenerie ausgezeichnet (Ein Schlager ersten Ranges)“[8]

Bei seiner Erstaufführung im April 1919 in Frankreich stieß der Film auf breiteste Zustimmung durch das Publikum. Auch als er im März 1920 in London in der Philharmonic Hall, begleitet von einem Orchester von 40 Musikern und einem Chor, gezeigt wurde, hielt die Begeisterung an. Dem British Board of Censors wurde er nicht vorgelegt. Gance empfing ein Telegramm vom Londoner Agenten der Pathé, das behauptete, sein Name sei derzeit in England bekannter als der von David Wark Griffith.[9]

Pathé war es anfänglich nicht geglückt, den Film in die USA zu verkaufen, da man dort an den pazifistischen Bezügen Anstoß nahm. Daraufhin reiste Gance 1921 persönlich nach Amerika, um den Film in New York in einer Galavorstellung mit prominenten Gästen wie D. W. Griffith und Lillian Gish vorzuführen. Griffith war tief bewegt von dem Film und besorgte den Verleih für die USA durch United Artists. Die Fassung für die USA, die unter dem Titel I accuse 1921 dort gezeigt wurde, war noch einmal gekürzt worden, hatte weniger Anti-Kriegs- und dafür mehr Anti-Deutschen-Tendenz, obendrein auch noch ein Happy-End bekommen.[10]

„J’ACCUSE (Ich klage an) erzählt eine Geschichte aus dem 1. Weltkrieg und ist nicht nur einer der technisch innovativsten und aufwändigsten Filme seiner Zeit, sondern ist auch als eines der ersten pazifistischen Werke in die Filmgeschichte eingegangen. Abel Gance, der im 1. Weltkrieg seinen Kriegsdienst abgeleistet hatte, filmte reale Kriegsszenen, die 1919 nachgestellt wurden. […] Der Film bewegt und schockiert. Erzählt wird das Melodram einer Dreierbeziehung mitten im Wahnsinn des Krieges. […] 1922 wurde der Film gekürzt und umgeschnitten, 2009 konnte die Originalfassung des Films rekonstruiert werden.“ (KoKi Freiburg 20. Mai 2014)[11]

Gance konnte an der Seite französischer Soldaten reale Schlachtfelder wie das bei Hattonchâtel nahe Verdun filmen und für die berühmte Schlusssequenz auf 2000 Soldaten zurückgreifen – Todgeweihte, die eine Woche Fronturlaub hatten und nach den Dreharbeiten in Verdun verheizt werden sollten. Solche Dokumentaraufnahmen geben dem melodramatischen Kern des Films eine realistische Basis. Die an ihren Pickelhauben erkennbaren deutschen Soldaten erscheinen als Schattenrisse an der Wand: Im Film der einzige direkte Seitenhieb auf den Kriegsgegner, der ansonsten fast unsichtbar bleibt. In der berühmten Schlusssequenz, in der die gefallenen Soldaten zum Marsch auferstehen, zeigt sich das Talent Abel Gances, große Momente zu erschaffen, zwischen Apokalypse und Erleuchtung. (Ralph Trommer, FAZ 11. November 2014)

Überlieferung

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Bis in die 1930er Jahre hinein wurde J’ACCUSE in vielen verschiedenen Fassungen gezeigt, von denen einige auf Gance selbst zurückgehen. Die erste war im März 1919 fertiggestellt und bestand laut Drehbuch aus vier Teilen oder „Epochen“. Sie wurde nur probehalber aufgeführt. Die Ende April veröffentlichte Version war auf drei Teile gekürzt, vielleicht eigenhändig vom Regisseur, aber wohl kaum freiwillig.[12] Die Firma „Flicker Alley“ hat 2008 eine Rekonstruktion dieser dreiteiligen Fassung auf DVD vorgelegt.

Lobster Films Studios, Paris erstellten 2008 mit Material aus dem Filmarchiv der Tschechischen Republik in Prag, dem Nederlands Film Museum und der Cinemathèque Française eine restaurierte Fassung. Mit 3525 Metern Länge kommt sie dem ursprünglichen Zustand noch am nächsten.

Beim Silent Winter des San Francisco Film Festival im Dezember 2009 begleitete Robert Israel die Aufführung von J’accuse auf der Mighty WurliTzer-Kinoorgel.[13]

Der Kultursender Arte strahlte den Film am Dienstag, den 11. November 2014 um 23:25 Uhr in der restaurierten Fassung, begleitet mit einer Film-Symphonie von Philippe Schoeller für großes Orchester und virtuellen Chor, im deutschen Fernsehen aus.[14] Es spielte das Orchestre Philharmonique de Radio France unter der Leitung von Frank Strobel.

Literatur

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  • Ralf Georg Bogner (Hrsg.): Internationales Alfred-Döblin-Kolloquium Saarbrücken 2009: Im Banne von Verdun : Literatur und Publizistik im deutschen Südwesten zum Ersten Weltkrieg von Alfred Döblin und seinen Zeitgenossen (= Jahrbuch für internationale Germanistik: Kongressberichte. Band 101). Verlag Peter Lang, Bern 2010, ISBN 978-3-0343-0341-5, S. 273.
  • Kevin Brownlow: Pioniere des Films. Vom Stummfilm bis Hollywood. Stroemfeld / Roter Stern, Basel/Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-87877-386-2, S. 597–648, besonders S. 611–618.
  • Friedrich Feld: Fritz Rosenfeld, Filmkritiker (= Proletarisches Kino in Österreich. Band 2). Verlag Filmarchiv Austria, Wien 2007, ISBN 978-3-902531-27-8, S. 315.
  • Ulrich Gregor, Enno Patalas: Geschichte des Films. Band 1: 1895–1939. Rowohlt, Reinbek/Berlin 1976, ISBN 3-499-16193-1, S. 65.
  • Hilmar Hoffmann: 100 Jahre Film: von Lumière bis Spielberg, 1894–1994 : der deutsche Film im Spannungsfeld internationaler Trends. (= Econ Sachbuch 26162). Econ Taschenbuch Verlag, Berlin 1995, ISBN 3-612-26162-2, S. 66 und 394.
  • Roger Icart: Abel Gance ou Le Prométhée foudroyé. Éditions l'Age d'Homme, Lausanne 1983 (französisch).
  • Norman King: Abel Gance. British Film Institute BFI, London 1984 (englisch).
  • Thomas Koebner: Diesseits der „Dämonischen Leinwand“. Edition Text + Kritik, München 2003, ISBN 3-88377-732-3, S. 207.
  • Verena Moritz, Karin Moser, Hannes Leidinger: Kampfzone Kino. Film in Österreich 1918–1938. Verlag Filmarchiv Austria, Wien 2008, ISBN 978-3-902531-49-0, S. 260.
  • Michael Strübel (Hrsg.): Film und Krieg: Die Inszenierung von Politik zwischen Apologetik und Apokalypse. Springer-Verlag, Heidelberg/Berlin 2013, ISBN 978-3-322-95044-4, S. 41.
  • Rüdiger Voigt: Krieg im Film (= Krieg der Medien – Medien im Krieg. Band 1). Lit Verlag, Münster 2005, ISBN 3-8258-8406-6, S. 22.
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Artikel

  • Essay über J'accuse von Robert Byrne bei silentfilm.org (englisch)
  • TV-Kritik „J’accuse“: Die toten Soldaten kehren zurück, von Ralph Trommer in: FAZ Feuilleton v. 11. November 2014, on line bei faz.net

Abbildung

Einzelnachweise

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  1. Doch nicht nur der. „Da ist 1915 im Verlag Payot die Veröffentlichung eines anonymen Pamphlets mit dem Titel 'J’accuse!' erschienen, angeblich 'von einem Deutschen'. Mit Hilfe zahlreicher Dokumente wird hier zu beweisen versucht, 'daß Deutschland und Österreich schuldig sind, allein, wissentlich und willentlich den europäischen Krieg ausgelöst zu haben'. Dieses seltsame Opus, das seinerzeit enormes Aufsehen erregte, beschränkte sich nicht darauf, den preußischen Militarismus und darüber hinaus alle Imperialismen anzuklagen; es enthielt einen flammenden Appell zugunsten des Friedens und einer 'Weltrepublik', so wie sie schon Kant im 18. Jahrhundert verlangt hatte, als den einzigen Garanten von Fortschritt und Zivilisation.“ (Icart: Abel Gance, S. 102). Als Verfasser jenes Pamphlets „J'accuse!“ ist heute der deutsch-jüdische Rechtsanwalt und Schriftsteller Richard Grelling (1853–1929) bekannt, der einige Jahre lang Leiter der Deutschen Friedensgesellschaft gewesen war, vgl. hathitrust.org. Gance erwähnt in einem Text zur Filmpremiere sowohl Zola als auch das anonyme Buch, von denen er sich den Titel geborgt habe.
  2. vgl. Trommer, FAZ 11. November 2014.
  3. vgl. paimann 1919/20@1@2Vorlage:Toter Link/nano.reizfeld.net (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.; in dieser Fassung wurden die Namen „eingedeutscht“, aus François Laurin wurde Franz Lorenz, statt Jean Diaz hies der Dichter nun Paul.
  4. vgl. Trommer FAZ 11. November 2014.
  5. vgl. Kinoplakat von A. Rapeño
  6. vgl. IMDb releaseinfo
  7. so Georges Sadoul: Dictionnaire des films. Paris: Seuil, 1983, S. 153.
  8. vgl. paimann@1@2Vorlage:Toter Link/nano.reizfeld.net (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  9. so Kevin Brownlow im Begleit-booklet zu der DVD-Ausgabe von J’accuse durch „Flicker Alley“, 2008, S. 10: „Your name in England is, at present, more famous than Griffith’s“
  10. vgl. Robert Byrne, Essay December 2009.
  11. koki-freiburg.de
  12. “Gance hat den Film mehrfach revidiert und umgeschnitten. Ursprünglich sollte er aus vier Teilen mit einer Gesamtlänge von 5250 Metern bestehen; dann aber wurde er auf drei Teile mit zusammen 5350 Metern zusammengeschnitten”, vgl. Norman King: Abel Gance, S. 237–238.
  13. vgl. silentfilm.org
  14. vgl. arte.tv/de (Memento des Originals vom 16. Juli 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.arte.tv, Rezension von R. Trommer im FAZ Feuilleton vom 11. November 2014.