Ingeborg Fleischhauer
Eva Ingeborg Fleischhauer (* 2. September 1942 in Erfurt) ist eine deutsche Osteuropahistorikerin.
Leben
BearbeitenDie in Thüringen geborene Ingeborg Fleischhauer lebt seit 1961 in der Bundesrepublik. 1970 wurde sie an der Universität Konstanz in Osteuropäischer Geschichte und Slawistik promoviert mit einer Dissertation zum Thema „Elemente einer russischen Aufklärung, N. N. Strachov“.[1] Sie spezialisierte sich weiter auf Themen, die sich mit Osteuropa befassen, und gilt heute als „erfahrene Osteuropa-Historikerin“.
Mindestens bis 1978 arbeitete sie an der Hebräischen Universität Jerusalem.[2] Weitere Wohnorte waren Bonn und Allensbach. Mit einem Stipendium der Fritz Thyssen Stiftung zu den Beziehungen des deutschen Widerstands zur Sowjetunion vor dem Russlandfeldzug 1941 sowie 1944 kamen 1986 und 1991 Studien besonders über Friedrich-Werner von der Schulenburg zustande, die neue sowjetische Quellen nutzen konnten.[3] Um 1994 leitete sie einige Zeit das Zentrum für russisches Reformwesen an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg.[4]
Nach ihrer Deutung (2006) zeigte der Hitler-Stalin-Pakt 1939 starke Kontinuität zur Rapallo-Politik und der älteren deutschen Russland-Diplomatie. Zum Rapallo-Vertrag 1922 selbst konnte sie einige historische Mythen zurückweisen.[5] Ihre Einschätzung (2015), die deutschen Verantwortlichen hätten den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915 gefördert, blieb nicht unwidersprochen.[6] Ihre Einstufung Lenins als deutscher Agent im Auftrag Ludendorffs 1917 stieß ebenso auf Gegenrede.[7]
Sie gründete 2019 und leitet die Stiftung Fleischhauer mit Sitz in Thüringen zur Förderung des „Andenkens an vergessene Künstler, Gelehrte und Erfinder der Stadt Weimar/Thüringen und ihrer Umgebung. Sie rückt prägnante Persönlichkeiten, die aus unterschiedlichen Gründen, nicht zuletzt infolge des deutschen Sonderwegs im 20. Jahrhunderts, aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind, ins Licht des gegenwärtigen Interesses und empfiehlt ihre Anerkennung als Schöpfer und Träger des kulturellen Erbes. Sie organisiert Ausstellungen, gibt Veröffentlichungen heraus und vergibt Stipendien, um ihre völkerverbindende, freiheitlich-aufklärerische Vision in die Tat umzusetzen“.[8] Zu den erforschten Personen gehört u. a. der Maler Kurt Hanns Hancke.
1970 übersetzte sie Lucien Goldmanns Pour une sociologie du roman (1964) ins Deutsche als Soziologie des modernen Romans.
Veröffentlichungen (Auswahl)
Bearbeiten- Philosophische Aufklärung in Russland. Rationaler Impuls und mystischer Umbruch, N.N. Strachov. Pontificium Institutum Orientalium Studiorum, Rom 1977. (Orientalia Christiana analecta, 203)
- Das Dritte Reich und die Deutschen in der Sowjetunion. DVA, Stuttgart 1983, ISBN 978-3-421-06121-8. (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Bd. 46)
- Die Chance des Sonderfriedens. Deutsch-sowjetische Geheimgespräche 1941–1945. Siedler, Berlin 1986, ISBN 978-3-88680-247-0.
- Die Deutschen im Zarenreich. Zwei Jahrhunderte deutsch-russische Kulturgemeinschaft. DVA, Stuttgart 1986, ISBN 978-3-421-06306-9.
- mit Benjamin Pinkus: Die Deutschen in der Sowjetunion: Geschichte einer nationalen Minderheit im 20. Jahrhundert. Hrsg.: Karl Heinz Ruffmann. Nomos, Baden-Baden 1987, ISBN 978-3-7890-1334-8.
- Der deutsche Widerstand gegen den Russlandfeldzug. GDW, Berlin 1987.
- Lust an der Erkenntnis: russisches Christentum. Ein Lesebuch. Hrsg. und eingeleitet von Ingeborg Fleischhauer. Piper, München u. a. 1989, ISBN 978-3-492-10866-9.
- Der Pakt: Hitler, Stalin und die Initiative der deutschen Diplomatie 1938–1939. Ullstein, Berlin u. a. 1990, ISBN 978-3-550-07655-8.
- Diplomatischer Widerstand gegen „Unternehmen Barbarossa“ – die Friedensbemühungen der Deutschen Botschaft Moskau 1939–1941. Berlin 1991, ISBN 978-3-550-07504-9.
- Die sowjetische Außenpolitik und die Genese des Hitler-Stalin-Paktes. In: Bernd Wegner (Hrsg.): Zwei Wege nach Moskau. Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum „Unternehmen Barbarossa“. Piper, München 1991, ISBN 3-492-11346-X. S. 19–39.
- Rathenau in Rapallo. Eine notwendige Korrektur des Forschungsstandes. (Rathenau and the Treaty of Rapallo). Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 54, Nr. 3 (2006), S. 365–415.[9]
- Der deutsche Anteil am osmanischen Völkermord 1915–1916. edition winterwork, Borsdorf 2015, ISBN 978-3-86468-940-6.
- Die Russische Revolution. Lenin und Ludendorff (1905–1917). edition winterwork, Borsdorf 2017, ISBN 978-3-96014-247-8. (Rezensionen von Manfred Nebelin,[10] Georg Wurzer,[11] Kristiane Janeke,[12] Leontij Lannik[13])
- Der Kapp-Putsch: Lenin und Ludendorff 1918–1920, edition winterwork, Borsdorf 2020, ISBN 978-3960146872.
- Der Weimarer Maler Kurt Hanns Hancke, Aufzeichnungen 1946-1953, hrsg. von Hubert Erzmann und Eva Ingeborg Fleischhauer, Gera 2021.
Weblinks
Bearbeiten- Stiftung Fleischhauer. Abgerufen am 29. Oktober 2024.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Philosophische Aufklärung in Russland: rationaler Impuls und mystischer Umbruch : N. N. Strachov. In: Universität Konstanz Bibliothekskatalog. Abgerufen am 26. Oktober 2024.
- ↑ Karl-Heinz Ruffmann: Vorwort zu Benjamin Pinkus, Ingeborg Fleischhauer: Die Deutschen in der Sowjetunion, 1986, S. 11 f. Und Wolgadeutsche Vorwort
- ↑ Vergeblicher Widerstand. In: Der Spiegel. 20. Oktober 1991, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 30. Oktober 2024]).
- ↑ Dirk Holtbrügge: Erfahrungen bei einer Kurzzeit-Gastdozentur an der Staatsuniversität St. Petersburg. In: Osteuropa. Band 45, Nr. 11, 1995, ISSN 0030-6428, S. 1067–1069, JSTOR:44916880.
- ↑ Michael Jonas: „Von der Gegenwart des Gewesenen“. Anmerkungen zum Hitler-Stalin-Pakt in der deutschen Historiographie. In: Pamięć i Sprawiedliwość. Band 36, Nr. 2, 31. Dezember 2020, ISSN 1427-7476, S. 328–340, 331, doi:10.48261/PIS203618 (gov.pl [abgerufen am 30. Oktober 2024]).
- ↑ Völkermord an Armeniern: Nur deutsche Überheblichkeit? 7. September 2015, abgerufen am 30. Oktober 2024.
- ↑ Georg Wurzer: Eva Ingeborg Fleischhauer, Die Russische Revolution. Lenin und Ludendorff (1905–1917), Borsdorf: Edition Winterwork 2017, 888 S., EUR 64,90 [ISBN 978-3-96014-247-8]. In: Militaergeschichtliche Zeitschrift. Band 77, Nr. 2, 27. November 2018, ISSN 2196-6850, S. 576–578, doi:10.1515/mgzs-2018-0111 (degruyter.com [abgerufen am 29. Oktober 2024]).
- ↑ Stiftung Fleischhauer. Abgerufen am 29. Oktober 2024.
- ↑ https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2006_3.pdf
- ↑ Manfred Nebelin: Traumpaar der Oktoberrevolution? In: faz.net. 27. November 2017, abgerufen am 26. Oktober 2024.
- ↑ Georg Wurzer: Eva Ingeborg Fleischhauer, Die Russische Revolution. Lenin und Ludendorff (1905–1917) (Besprechung). In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 77, Nr. 2, 2018, S. 576–578, doi:10.1515/mgzs-2018-0111.
- ↑ Kristiane Janeke: Eva Ingeborg Fleischhauer, Die Russische Revolution. Lenin und Ludendorff (1905–1917) (Rezension). In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Band 67, Nr. 4, 2019, S. 673–675, doi:10.2307/26915854.
- ↑ Leontij Lannik: Fleischhauer, E.I.: Die Russische Revolution - Lenin und Ludendorff (1905-1917) (Rezension). In: Recensio Moskau. Band 9, 2018 (perspectivia.net [PDF]).
Personendaten | |
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NAME | Fleischhauer, Ingeborg |
ALTERNATIVNAMEN | Fleischhauer, Eva Ingeborg (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Historikerin |
GEBURTSDATUM | 2. September 1942 |
GEBURTSORT | Erfurt |