Irakisches Atomprogramm
Das Irakische Atomprogramm bestand von 1975 bis 1991; eine Fähigkeit zur Herstellung von Kernwaffen gilt nach dem damaligen IAEO-Generaldirektor Mohammed el-Baradei als unwahrscheinlich.[1]
Anfänge und Zweifel
Bearbeiten1959 wurde der Irak Mitglied der Internationalen Atomenergie-Organisation. Am 1. Juli 1968 hat der Irak den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und am 29. Oktober 1969 ratifiziert.[2] Ein sowjetischer Forschungsreaktor mit 2 MW (IRT-2000) wurde 1968 in Tuwaitha in Betrieb genommen, 1978 erfolgte ein Update des Reaktors auf 5 MW (IRT-5000).[3]
Das irakische Atomprogramm begann am 18. November 1975 mit der Unterzeichnung des französisch-irakischen Nuklearabkommens und dem Kauf von zwei französischen Reaktoren. Bereits im Dezember 1974 stattete Frankreichs Premierminister Jacques Chirac Saddam Hussein in Bagdad einen Besuch ab. Dabei soll der Irak eine Anfrage für einen UNGG-Reaktor unterbreitet haben.[4] Leiter des irakischen Atomprogramms wurde Dr. Jaffar Dhia Jaffar.[5] Frankreich baute ab 1976 den Reaktor Tammuz-1 (Osirak), einen auf 40 MWth ausgelegten Leichtwasserreaktor; ein kleinerer zweiter Versuchsreaktor, Tammuz-2 (Isis) mit 600 kWth, sollte ebenfalls errichtet werden. Beide Sicherheitsbehälter wurden am 6. April 1979, drei Tage vor der Verschiffung von Frankreich nach Irak in La Seyne-sur-Mer in den Hallen der CNIM durch Sabotage beschädigt.[6][Anm. 1]
Der Irak bemühte sich ab 1982, die Uran-Anreicherung – unabhängig von internationalen Verpflichtungen, ohne einen eigenen Kernreaktor zu haben – eigenständig in den Griff zu bekommen. Dazu wurde das Tuwaitha Nuclear Research Center um Anlagen zur Uran-Anreicherung erweitert. 1984 gab es im Projekt 182 einen Entwurf für einen 40 MW Natururanreaktor des Typs CANDU, als Ersatz für den zerstörten Tammuz-1. Der Entwurf kam nie über das Planungsstadium hinaus.[7]
Militärisches Ziel
BearbeitenAm 30. Oktober 1980, zu Beginn des Ersten Golfkriegs, war der im Bau befindliche Reaktor Tammuz-1 in der „Operation Scorch Sword“ Ziel der Iranischen Luftwaffe. Bei der israelischen „Operation Opera“ am 7. Juni 1981 wurde der noch nicht mit Kernbrennstoff bestückte Reaktor[Anm. 2] ein zweites Mal angegriffen und schwer beschädigt. Der Grund dafür war, dass nach Ansicht von Geheimdiensten im Tammuz-1 genug Plutonium für ein mögliches Atomwaffenprogramm hätte hergestellt werden können.[Anm. 3] Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte Israels Vorgehen in der Resolution 487 (1981).[8] Während des Zweiten Golfkriegs wurde die komplette Anlage Tuwaitha ab dem 19. Januar 1991 mehrfach angegriffen und völlig zerstört.[Anm. 4] Auch hier wurde vermutet, dass der Irak hochangereichertes Uran für ein mögliches Atomwaffenprogramm herstellen würde. Als Beweis galten die umfangreichen Lieferungen von Hunderten von Tonnen niedrig angereichertem Uran und Yellowcake verschiedener Länder im Zeitraum 1980–82.[Anm. 5] Dem Irak gelang in seinen Anlagen in Tuwaitha von 1985 bis 1991 offensichtlich die ersten Stufen im Brennstoffkreislauf.[Anm. 6]
Beendigung, Krieg und Rückführung
BearbeitenDas irakische Atomprogramm wurde offensichtlich 1991 eingestellt. Durch die UN-Resolution 687 (1991) vom 8. April 1991 war der Irak verpflichtet, alle Untersuchungen hinsichtlich des Atomwaffensperrvertrags vornehmen zu lassen.[9] Die IAEA führte von 1991 bis September 2007 umfangreiche Inspektionen durch.[10] Von 1991 bis 1994 wurde von den Inspektoren der IAEA 37,5 kg hochangereichertes Uran und 5 Gramm Plutonium in den Versuchsanstalten des Irak gefunden und beschlagnahmt.[7][Anm. 7] Bei der Uran-Anreicherung mittels Gasdiffusionsmethode und Gaszentrifugen wurden vom Irak bis 1991 rund 640 Gramm Uran mit einem Anreicherungsgrad von 7,2 Prozent hergestellt.[11] 1992 wurden 6,6 kg Uran-235 aus den Restbeständen nach Moskau überführt.[12] Der Anreicherungsgrad des Urans bei Leichtwasserreaktoren beträgt 3 bis 4 %. Für den Bau einer Atombombe ist typischerweise ein Anreicherungsgrad von über 85 Prozent notwendig.
Eine der Begründung für den Irakkrieg war, der Irak habe in den neunziger Jahren versucht, in Afrika atomwaffenfähiges Uran einzukaufen, ließ sich nicht bestätigen;[13] ebenso wenig die Behauptung, der Irak habe im Jahre 2002 Aluminiumrohre für Zentrifugen zur Uran-Anreicherung aus dem Niger zu kaufen versucht.[14][Anm. 8]
Nach dem Irakkrieg wurden 1,8 Tonnen niedrig angereichertes Uran im Jahre 2004 in die USA und 600 Tonnen Uran in Form von Yellowcake im Jahre 2008 nach Kanada überführt.[15]
Literatur
Bearbeiten- Malfrid Braut-Hegghammer: Unclear Physics: Why Iraq and Libya Failed to Build Nuclear Weapons. Cornell University Press, Ithaca 2016, ISBN 978-1-5017-0278-5.
Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ Die entstandenen Haarrisse sollte der Irak akzeptieren oder 6 Monate auf neue Behälter warten. Als Urheber der Sabotage wird der Mossad vermutet. Ebenso beim Anschlag auf den ägyptischen Nuklear-Physiker Yahya El Mashad, der am 14. Juni 1980 in Paris ermordet wurde. Er war für das irakische Atomprogramm tätig. → Siehe: Amos Perlmutter, Uri Bar-Joseph, Michael I. Handel: Two Minutes Over Baghdad, Routledge Chapman & Hall 2003, ISBN 978-071468-347-8
- ↑ Tammuz-1 sollte im September 1981 in Betrieb gehen. → Siehe: Jacqueline Denis-Lempereur
- ↑ Nach der Bestückung von Tammuz-1 mit Brennstäben hätte der Irak nach israelischen Geheimdienstberichten bis Ende 1982 rund 8 kg Plutonium gewinnen und damit um 1985 eine Plutoniumbombe herstellen können. → Siehe: Amos Perlmutter, Uri Bar-Joseph, Michael I. Handel: Two Minutes Over Baghdad, Routledge Chapman & Hall 2003, ISBN 978-071468-347-8
Dagegen spricht die Auslegung von Tammuz-1 mit 25 kg hochangereichtem Uran, die bei Volllast nur eine Plutoniummenge im Gramm-Bereich ergeben würde. → Siehe: „Der Reaktor ist transparent“. In: Der Spiegel. Nr. 25, 1981 (online – 15. Juni 1981).
So auch Anthony Fainberg in Bulletin of the Atomic Scientists Okt. 1981, Vol 37, No 8., S. 33. - ↑ Siehe: Package Q Strike.
- ↑ Portugal lieferte 286 Tonnen und Niger 276 Tonnen Yellowcake, Brasilien 24 Tonnen Urandioxid.
- ↑ Uranoxid → Yellowcake → Uranhexafluorid.
- ↑ 50 kg hochangereichtes Uran (93 %) bekam der Irak für seinen Reaktor von Russland und Frankreich (12,5 kg am 14. Juni 1980) und 1.767 kg niedrig angereichertes Uran von Italien geliefert. → Siehe: iaea.org ( vom 25. Oktober 2012 im Internet Archive).
- ↑ Khidir Hamza, ehemaliger irakischer Wissenschaftler löste geradezu einen Medienhype aus. 2002 führte er aus: „Wenn er nicht bald gestoppt wird, wird Saddam nicht nur ein paar Bomben gebaut haben, sondern eine ganze Atombomben-Industrie aufgebaut haben.“ → Siehe: Spiegel.de. → Siehe: Khidir Hamza: Saddam's Bombmaker, 2001, ISBN 978-074321-135-2. Der Chefinspektor der IAEA im Irak, David Kay forderte, dass Hamzas Buch eine Pflichtlektüre für den nächsten amerikanischen Präsidenten werden solle. → Siehe: Rezension.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ n-tv.de, Sept. 2003 abgerufen am 23. Januar 2013
- ↑ un.org Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons
- ↑ iraqwatch.org ( vom 14. August 2015 im Internet Archive) Iraq annual report 1981, abgerufen am 23. Januar 2013
- ↑ guardian.co.uk
- ↑ bbc.co.uk Dr. Jaffar Dhia Jaffar, abgerufen am 24. Januar 2013
- ↑ nti.org (PDF-Datei; 671 kB) iraq nuclear, abgerufen am 24. Januar 2013
- ↑ a b UNITED NATIONS Security Council ( vom 20. Januar 2013 im Internet Archive) (PDF-Datei; 429 kB) S/1997/779, abgerufen am 23. Januar 2013
- ↑ RESOLUTION 487 (1981) ( vom 17. März 2013 im Internet Archive)
- ↑ RESOLUTION 687 (1991)
- ↑ iaea.org, abgerufen am 23. Januar 2013
- ↑ iaea.org ( vom 25. Oktober 2012 im Internet Archive) Iraq's Nuclear Weapon Programme, abgerufen am 23. Januar 2013
- ↑ iaea.org ( vom 2. Februar 2013 im Internet Archive) abgerufen am 23. Januar 2013
- ↑ CIA-Informationen über Atomprogramm im Irak waren falsch - USA: Keine Beweise für Urankauf - Premier Blair vor Ausschuss. In: Tagesspiegel. 8. Juli 2003 (archive.org).
- ↑ New York Times, 8. September 2002 Threats and Responses: The Iraquis; U. S. says Hussein intensifies Quest for A-Bomb Parts
- ↑ U.S. Helps Remove Uranium From Iraq - nytimes.com 2008, abgerufen am 23. Januar 2013