Jahrsau

ehemaliges Dorf in Sachsen-Anhalt

Die Wüstung Jahrsau (Jeebel-Jahrsau) war vom 14. Jahrhundert bis zur endgültigen Schleifung im Jahr 1970 ein Rundlingsdorf in Sachsen-Anhalt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze nordöstlich von Salzwedel. Heute führt die kopfsteingepflasterte Zugangsstraße nur noch zu einer Informationstafel, Obstbäumen und wenigen überwachsenen Mauerresten am ehemaligen Dorfplatz.

Ein altes Ortsschild von Jeebel zeugt noch von der ehemaligen Siedlung.

Geografie

Bearbeiten

Jahrsau liegt am Rand eines Hügels, der sich aus dem umgebenden ehemaligen Feuchtgebiet erhebt, unweit von Salzwedel im sogenannten „Jahrsauer Sack“, einer Ausbuchtung der Landesgrenze Sachsen-Anhalts bei Riebau-Jeebel ins benachbarte Niedersachsen, etwa drei Kilometer nordöstlich von Jeebel.

Geschichte

Bearbeiten

Jahrsau war ein Rundplatzdorf mit einer Kapelle. Im Jahre 1945 gab es vier Höfe, denen zusammen 187 Hektar Land gehörten.[1]

Erstmals erwähnt wird das Dorf im Landbuch der Mark Brandenburg von 1375 als Jarsowe, das den von der Schulenburg gehörte.[2] Weitere Nennungen sind 1428 Jarsow, 1540 Garchow, 1541 Gorschow, 1598 Garsow, 1687 Jarsow[1] und schließlich 1804 Jahrsau.[3] Sowohl im Dreißigjährigen Krieg wie auch in den Napoleonischen Kriegen wurde es übersehen, weil es abgelegen und nur von Süden aus zugänglich war.

Nach der deutschen Teilung war Jahrsau nach drei Seiten von der innerdeutschen Grenze eingeschlossen. Von Seiten der DDR bestand die Meinung, das Dorf liege zu nahe an der innerdeutschen Grenze und man wolle ein freies Schussfeld schaffen. Bis zur Vertreibung von drei Familien im Jahr 1952 im Rahmen der Aktion „Ungeziefer“ der Stasi und der Volkspolizei bestand das Dorf aus vier Bauernhöfen. Die drei Familien mussten am Morgen des 6. Juni 1952 ihre Häuser verlassen und wurden nach Delitzsch zwangsausgesiedelt. 1961 wurden auch die letzten Bewohner unter der Aktion „Kornblume“ zwangsausgesiedelt.

Im März 1970 wurde das Dorf durch Einebnung aller Gehöfte und Zerstörung der neogotischen Kapelle endgültig geschleift.

Im August 1993 wurde die „Wüstung Jahrsau“ einschließlich des 200 Meter entfernten Zaunabschnittes der ehemaligen innerdeutschen Grenze unter der Bezeichnung „Grenzsicherungsanlage“ als eines der Zeugnisse der deutschen Teilung durch das Landesamt für Denkmalpflege in die Liste der Denkmale des Landes Sachsen-Anhalt aufgenommen, siehe Liste der Kulturdenkmale in Salzwedel.

Überlieferte Gegenstände

Bearbeiten

Einzige erhaltene Gegenstände des ehemaligen Dorfes sind die Kirchenglocke und Teile des spätgotischen Schnitzaltares von 1499 aus der Dorfkapelle. Matthias Friske berichtete im Jahre 2021, dass Teile der Altarretabel offenbar in die Kirche von Riebau gebracht wurden, wie aus einem Foto von 1960 hervorgeht, das die dortige Empore der Kirche zeigt. Im Jahr 2011 wurden Frauenfiguren des Altars und die Marienkrönung in der Salzwedeler Katharinenkirche wiederentdeckt. Von anderen Teilen des Altars fehlt bislang jede Spur. Die Kirchenglocke von 1488 befand sich bis 2019 in der Kapelle von Klein Chüden und wurde zusammen mit der Kirche in das Freilichtmuseum Diesdorf umgesetzt.[4]

Eingemeindungen

Bearbeiten

Am 20. Juli 1950 wurde die Gemeinde Jahrsau aus dem Landkreis Salzwedel in die Gemeinde Jeebel eingemeindet.[5] Mit der Eingemeindung von Jeebel nach Riebau am 1. Januar 1963 kam der Ortsteil Jahrsau zur Gemeinde Riebau.[6]

Herkunft des Ortsnamens

Bearbeiten

Jürgen Udolph führt den Ortsnamen auf einen slawischen Personennamen zurück.[4]

Einwohnerentwicklung

Bearbeiten
Jahr Einwohner
1734 37
1774 32
1789 45
1798 46
1801 49
1818 30
Jahr Einwohner
1840 61
1864 40
1871 46
1885 40
1892 [0]39[7]
1895 30
Jahr Einwohner
1900 [0]36[7]
1905 30
1910 [0]28[7]
1925 27
1939 26
1946 38

Quelle wenn nicht angegeben[1]

Religion

Bearbeiten

Die evangelischen Christen aus Jahrsau waren in die Kirchengemeinde Riebau eingepfarrt, die früher zur Pfarrei Groß Chüden gehörte.[8]

Sage aus Jahrsau

Bearbeiten

Friedrich Krüger überlieferte im Jahre 1859 die folgende Geschichte. In Jahrsau wird „der Laurentiustag (10. August) sehr strenge durch Gottesdienst gefeiert. Der Sage nach sei vor vielen Jahrhunderten dieser Festtag angeordnet zum Andenken an das Ende einer ungeheuren Verheerung, die die Feldmark durch Feldmäuse erlitten hatte.“[9] Hanns H. F. Schmidt überliefert die Sage 1994 unter dem Titel „Die Feldmäuse“.[10]

Wilhelm Zahn meinte, es ist möglich, dass das Fest ursprünglich das Kirchweihfest war und der Heilige Laurentius der Kirchenpatron war.[11]

Literatur

Bearbeiten
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b c Peter P. Rohrlach: Historisches Ortslexikon für die Altmark (= Historisches Ortslexikon für Brandenburg. Teil XII). Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-8305-2235-5, S. 1045–1074, doi:10.35998/9783830522355 (E-Book zur zweibändigen Druckausgabe).
  2. Johannes Schultze: Das Landbuch der Mark Brandenburg von 1375 (= Brandenburgische Landbücher. Band 2). Kommissionsverlag von Gsellius, Berlin 1940, S. 391 (uni-potsdam.de (Memento vom 19. April 2019 im Internet Archive)).
  3. Friedrich Wilhelm August Bratring: Statistisch-topographische Beschreibung der gesammten Mark Brandenburg. Für Statistiker, Geschäftsmänner, besonders für Kameralisten. Band 1. Berlin 1804, S. 343 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A10000735~SZ%3D00365~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D).
  4. a b Matthias Friske: Die mittelalterlichen Kirchen in der nordwestlichen Altmark (= Bernd Janowski, Dirk Schumann [Hrsg.]: Kirchen im ländlichen Raum. Band 9). Lukas, Berlin 2021, ISBN 978-3-86732-379-6, S. 235–238.
  5. Zweite Verordnung zum Gesetz zur Änderung der Kreis- und Gemeindegrenzen zum 27. April 1950 (GuABl. S. 161). In: Landesregierung Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Gesetz- und Amtsblatt des Landes Sachsen-Anhalt. Nr. 18, 5. August 1950, ZDB-ID 511105-5, S. 278 (PDF).
  6. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Gemeinden 1994 und ihre Veränderungen seit 01.01.1948 in den neuen Ländern. Metzler-Poeschel, Stuttgart 1995, ISBN 3-8246-0321-7, S. 359, 362 (Digitalisat in: Statistische Bibliothek des Bundes und der Länder).
  7. a b c Wilhelm Zahn: Heimatkunde der Altmark. Nach Hinterlassenschaften des Verfassers bearbeitet von Martin Ehlies. 2. Auflage. Verlag Salzwedeler Wochenblatt, Graphische Anstalt, Salzwedel 1928, OCLC 614308966, S. 132 (Reprint 2018, SelbstVerlag Eugen & Constanze Gliege).
  8. Pfarr-Almanach oder die evangelischen Geistlichen und Kirchen der Provinz Sachsen der Grafschaften Wernigerode, Rossla und Stolberg. 19. Jahrgang, 1903, ZDB-ID 551010-7, S. 97 (genealogy.net [Volltext und Scan]).
  9. Friedrich Krüger, Johann Friedrich Danneil: Altmärkische Sagen und Gewohnheiten. In: Jahresberichte des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte. 12. Jahresbericht, 1859, S. 26, 10. Mannigfaltiges (altmark-geschichte.de [PDF]).
  10. Hanns H. F. Schmidt: Das große Sagenbuch der Altmark. Teil 1 von A wie Abbendorf bis K wie Kläden. dr. ziethen verlag, Oschersleben 1994, ISBN 3-928703-40-4, S. 117.
  11. Wilhelm Zahn: Die altmärkischen Dorfkirchen und ihre Geistlichen im Mittelalter. (Anmerkungen zu 212 Kirchen von Abbendorf bis Ziethnitz). In: Jahresberichte des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte. 34. Jahresbericht, 1907, S. 56, 83. Jahrsau (altmark-geschichte.de [PDF]).

Koordinaten: 52° 53′ N, 11° 17′ O