Jeanne des Anges

französische Ursulinen-Oberin

Jeanne des Anges, deutsch Johanna von den Engeln, d. i. Jeanne de Belcier (geb. 2. Februar 1602 in Cozes, Saintonge; gest. 29. Januar 1665 in Loudun), war eine französische Ursulinen-Oberin in Loudun.

Porträt von Schwester Marie Jeanne des Anges, Ursuline, gestorben am 29. Januar 1665

Jeanne de Belcier entstammte einer kleinadligen kinderreichen Familie mit 19 Kindern. Ihre Großmutter väterlicherseits war die Tochter von Olivier de Coëtivy und einer unehelichen Tochter von König Karl VII. und seiner Mätresse Agnès Sorel. Im Alter von fünf Jahren wurde Jeanne von einer Tante mütterlicherseits in ein Kloster geschickt, wo sie bis zum Alter von 20 Jahren blieb. 1622 trat sie in Poitiers in ein Ursulinenkloster ein, in dem die Augustinusregel befolgt wurde, nahm den Ordensnamen Jeanne des Anges an und führte nach ihren eigenen Worten eine ausschweifende Lebensweise.

Die dämonisch belastete[1] Schwester (Sœur) war eine zentrale Gestalt der heute meist unter dem Namen „Teufel von Loudun“ zusammengefassten Hexenprozesse in den 1630er Jahren, die mit der Verbrennung des Priesters Urbain Grandier (1590–1634) auf dem Scheiterhaufen endeten. Ohne Grandier jemals getroffen zu haben, klagte sie ihn an, versucht zu haben, sie mit Hilfe von Magie zu verführen. Grandier, in einem ersten Prozess von einem Kirchengericht freigesprochen, fiel schließlich der Feindschaft des Kardinals Richelieu zum Opfer. Im Dezember 1634 wurde der Jesuitenpater Jean-Joseph Surin zum Beichtvater und Exorzisten von Jeanne des Anges ernannt, die behauptete, von sieben Dämonen besessen zu sein. Surin versah dieses Amt bis 1643, als er durch den Jesuitenpriester und Schriftsteller Jean-Baptiste Saint-Jure (1588–1657) ersetzt wurde.[2] An Saint-Jure richtete sie in der Folgezeit ihre Briefe, die wie die Selbstbiographie der heiligen Theresa ein wichtiges Zeugnis der christlichen Mystik darstellen.

Nachwirkung

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Ihre berühmte Selbstbiographie, die sich vom Anfang ihrer Besessenheit im Jahre 1633 bis zum Jahr 1642 erstreckt, erschien erstmals 1866 unter dem Titel Autobiographie d'une hystérique possédée („Autobiographie einer besessenen Hysterikerin“) in der französischen Buchreihe Bibliothèque diabolique (Collection Bourneville). Das von Gabriel Legué und Georges Gilles de la Tourette analysierte Werk ist ein Klassiker zum Thema Besessenheit und Exorzismus.

Zu den Briefen an ihren Beichtvater schreibt Hanns Heinz Ewers: „Mutter Jeanne begnügte sich freilich ebensowenig wie die spanische Nonne mit ihrem blonden Pagen. Sie erstrebte das höchste Ziel aller Mystiker: die Vereinigung mit Gott, das ist bei christlichen Frauen die Vereinigung mit dem Gekreuzigten. So wird Jesus ihr »Liebchen«, so zieht er in ihr Herz ein. Bei ihrer Lust für Qualen – – die sie mit so vielen Mystikern teilt – – wird diese Vereinigung ein wahrer Sabbat der Schmerzen: alle die Werkzeuge, die Jesum marterten, werden in ihr Herz gegraben. Zuletzt die Lanze, an deren Stich sie stirbt. Diese Besessenheit vom Himmel ist ganz sicher echt. Aus jedem Satz, aus jedem Wort ihrer Briefe schreit ihre Seele nach dem Geliebten; nie hat irgend eine Frau glühendere, heißere Liebesbriefe geschrieben als Frau von Béclier – – durch Vermittlung ihres Beichtvaters, – an Jesus von Nazareth. Neben ihnen wird selbst die mit Recht hochberühmte Selbstbiographie der Heiligen Theresa zum blassen Schatten, wir haben kein Dokument, das ihnen irgendwie ebenbürtig zur Seite zu stellen wäre.“[3]

Literatur

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Ausgaben

  • Soeur Jeanne des Anges, supérieure des Ursulines de Loudun (XVIIe siècle), Autobiographie d'une hystérique possédée, d'après le manuscrit inédit de la bibliothèque de Tours. Gabriel Legué; Georges Gilles de la Tourette. Paris, 1886. Vorwort von Professor Charcot.[4] Digitalisat (Inhaltsverzeichnis)
  • (deutsche Übersetzung) Soeur Jeanne: Memoiren einer Besessenen von Soeur Jeanne, herausgegeben von Hanns Heinz Ewers. Stuttgart: Verlag Robert Lutz, 1919. Herausgegeben von Hanns Heinz Ewers und Heinrich Conrad (Reihe), übersetzt von Dr. Alfred Kind aus dem Französischen, Rara. Eine Bibliothek des Absonderlichen 2 (Autobiographie d'une hystérique possédée; dt.) Online
  • Soeur Jeanne: Memoiren einer Besessenen. Mit einem Essay über zwei weitere Fälle religiösen Wahns herausgegeben von Michael Farin. Nördlingen, Greno Taschenbuch Verlag, 1989, ISBN 3-89190-914-4
  • Jeanne des Anges: Ich war die Teufelin von Loudun. Tosa, Wien 2008, ISBN 978-3-85003-193-6.

Weitere

  • Nicolas Aubin: Histoire des Diables de Loudun, ou de la possession des Religieuses Ursulines, et de la condamnation & du supplice d'Urbain Grandier, Curé de la même Ville. Cruels effets de la vengeance de Richelieu. 1693, Amsterdam, Estienne Roger, 1716. Aux dépens de la compagnie, Paris. 1752.
  • (dt. Übers.) Nicolas Aubin: Geschichte der Teufel von Loudun oder der Besessenheit der Ursulinen und von der Verdammung und Bestrafung von Urbain Grandier, Pfarrer derselben Stadt. Birkenau/Scheden, Emig/Gauke, o. J. (Materialien zum Phänomen des „Bösen“, Band 1) (Der Verfasser war protestantischer Pastor und emigrierte nach der Widerrufung des Edikts von Nantes nach Holland.)
  • Gabriel Legué: Documents pour servir à l'histoire médicale des possédées de Loudun. Paris, V. Adrien Delahaye, 1874
  • Exerzitien. Loudun 1634–1636. Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin, 1987.
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Einzelnachweise und Fußnoten

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  1. vgl. Schömbucher: Possession, Kap. 10 in: Will Sweetman, Aditya Malik: Hinduism in India. Modern and Contemporary Movements SAGE Publications India, 2016, ISBN 9789351502319, S. 224: „[…] it was beyond doubt that the seven demons had possessed Jeanne des Anges. They were Asmodi, Leviathan, Behemot, Isaakaaron [= der Dämon der Unkeuschheit (Anm.)], Baalam, Gresil, and Haman.“
  2. vgl. die Autobiographie von Sœur Jeanne des Anges (Grénoble 1990 – mit einer Kurzbiographie „Jeanne des Anges“ von Michel de Certeau, dem Verfasser von La possession de Loudun. Paris 1970)
  3. Hanns Heinz Ewers, Vorwort zur deutschen Ausgabe von Memoiren einer Besessenen von Sœur Jeanne (Digitalisat).
  4. „Savant ouvrage, dans lequel on voit chez la supérieure des Ursulines la passion hystérique se développer, se dérouler, avec tout le cortège d'accidents nerveux caractéristiques qui appartiennent au grand type d'affection“ (Caillet, 6420 = Albert-Louis Caillet: Manuel bibliographique de sciences psychiques ou occultes. 1912).