Josef Schintlmeister

österreichischer Physiker

Josef Peter Schintlmeister (* 16. Juni 1908[1] in Radstadt; † 14. August 1971 in Hinterglemm)[2] war ein österreichischer Kernphysiker und Mitarbeiter am Uranprojekt und am sowjetischen Atombombenprojekt.

Josef Schintlmeister im Lesesaal des ZfK Rossendorf

Leben und Wirken

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Schintlmeister wurde als Sohn des Oberlehrers und späteren Direktors der Radstädter Volksschule Peter Schintlmeister (1858–1937) und dessen Ehefrau Maria geb. Scharfetter (1876–1957) geboren. Er selbst maturierte 1927 am Humanistischen Gymnasium in Salzburg und studierte anschließend Physik an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien. Am 20. Juli 1932 promovierte er bei Privatdozent Georg Stetter mit einer Arbeit über die Ionisation von H-Strahlen in verschiedenen Gasen.[3] Diese Arbeit war für die Entwicklung der nuklearelektronischen Messmethoden von Bedeutung.[4]

 
Josef Schintlmeister beim 10. Rossendorfer Klubabend Naturwissenschaft und Kunst am 21. Mai 1970

Im Jahr 1938 habilitierte sich Schintlmeister. Seine Vorlesung ist veröffentlicht.[5] Er systematisierte die Energie eines Alphastrahlers in Abhängigkeit von der der Massenzahl, indem er Nuklide mit gleicher Protonenzahl Z mit der Differenz zwischen Neutronen- und Protonenzahl N-Z in Beziehung setzte. Damit war es erstmals möglich, die Alpha-Radioaktivität von Nukliden vorherzusagen. Die vorhergesagte Alpha-Aktivität von Actinium wurde ein Jahr später von Marguerite Perey, einer Mitarbeiterin von Marie Curie, bestätigt. Auch Glenn T. Seaborg und seine Mitarbeiter nutzten Schintlmeisters Systematik bei der Entdeckung der Transurane und zitierten ihn.[6]

Als Dozent für Experimentalphysik am 2. Physikalischen Institut der Universität Wien wirkte er im Zweiten Weltkrieg am deutschen Kernforschungsprojekt (Uranverein) in der Gruppe von Georg Stetter, die sich mit Kernspaltung und Resonanzabsorptionsquerschnitten von Neutronen befasste. Dabei fand er auch Hinweise auf die Existenz eines neuen Elements Plutonium, publiziert in vier geheimen Berichten 1940 bis 1942 (teilweise mit Friedrich Hernegger).[7] Sie fanden, dass es spaltbar war und in einem Reaktor erzeugt werden konnte.[8] Er trug darüber auf einer Fachkonferenz im Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin im Februar 1942 vor.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges entsandte die Sowjetunion Sonderkommandos nach Deutschland (darunter auch nach Österreich), um nach Atomwissenschaftlern zu suchen, die für das sowjetische Kernwaffenprojekt nützlich sein könnten und in die Sowjetunion überführt werden sollten. Die Mission wurde von Generalleutnant Awraami Pawlowitsch Sawenjagin geleitet. Schintlmeister wurde 1946 vom russischen Sonderkommando in Salzburg in der damaligen amerikanischen Besatzungszone aufgespürt und in die Sowjetunion „eingeladen“. Er wurde nach Moskau gebracht und dem Laboratorium 2, dem späteren Kurtschatow-Institut zugeteilt.[9] Schintlmeister arbeitete dort als einer der Spezialisten für das sowjetische Kernwaffenprojekt.[10]

 
Grabstein von Josef Schintlmeister auf dem Loschwitzer Friedhof in Dresden

1955 kehrte er nach Österreich zurück, ging aber bald darauf in die DDR, wo er Direktor am Zentralinstitut für Kernphysik Rossendorf und Leiter des Bereichs Kernphysik wurde. Außerdem wurde er als Professor für Kernphysik an die Technische Universität Dresden berufen.[4][11]

In den 1950er Jahren war er Vertreter der DDR im wissenschaftlichen Rat des Kernforschungsinstituts Dubna (mit Heinz Pose und Klaus Fuchs).[12]

Er gab die deutsche Übersetzung der Lehrbücher von Aage Bohr und Ben Mottelson (Theorie der Atomkerne) und von Jakow Frenkel (Prinzipien der Theorie der Atomkerne, 1957) heraus.[13]

1964 erhielt Schintlmeister den Nationalpreis der DDR III. Klasse für Wissenschaft und Technik.

Er starb am 14. August 1971 in seiner Pension Sonnhof in Hinterglemm im Salzburger Land, keine 100 km von seinem Geburtsort Radstadt entfernt, an den Folgen eines zweiten Herzinfarkts im Alter von 63 Jahren.[4]

Schintlmeister war in erster Ehe mit Maria Renata geb. Deinlein (1909–?) verheiratet. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor, eine früh verstorbene Tochter, ein Sohn und eine weitere Tochter. In zweiter Ehe heiratete er 1955 die Physikerin Alexandra geb. Obolenskaja (1923–2019), mit der er zwei Söhne hatte.

Josef Schintlmeister als Bergsteiger

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Josef Schintlmeister war ein erfahrener Alpinist von internationalem Rang. 1929 stand er zum ersten Mal auf dem Sellajoch in den Dolomiten und blickte auf den Langkofel mit seiner prächtigen Nordflanke. Der Gosaukamm im Dachsteingebirge und das Gesäuse in den Nördlichen Kalkalpen wurden bald seine bergsteigerische Heimat. Am 1. Juli 1931 gelang ihm die Erstdurchsteigung der Dachl Nordwand im Gesäuse, die bis heute als eine der schwierigsten Routen (7+) gilt. Weitere Erstbegehungen machten Schintlmeister in Bergsteigerkreisen bekannt. Im Jahr 1931 gelang ihm die Erstüberschreitung der Besengimauer im Kaukasus.[14]

In den 1950er Jahren war Schintlmeister wieder im Kaukasus unterwegs. Der Physiker Hardwin Jungclaussen erinnert sich in seinen Lebenserinnerungen an gemeinsame Bergtouren im Jahr 1953, bei denen Schintlmeister Initiator und Leiter war.[11] 1956 stellte Schintlmeister Jungclaussen in Rossendorf ein. Schintlmeister war Mitglied der Nationalmannschaft Bergsteigen der DDR.

Josef Schintlmeister als Kunstfreund

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Schintlmeister war ein Kunstfreund und -sammler. Als Ästhet liebte er die Schönheit, Gesetzmäßigkeit und die Harmonie in der Natur und in der Kunst. So legte er bei einem Bewerbungsgespräch einem jungen Physiker schon mal eine Reproduktion des Mont Sainte-Victoire von Paul Cézanne auf den Tisch und fragte nach dem Meister. Festgehalten ist sein Diskussionsbeitrag zum 10. Rossendorfer Klubabend zum Thema Naturwissenschaft und Kunst, den die Rossendorfer gemeinsam mit dem Freundeskreis der Galerie Neue Meister am 21. Mai 1970 veranstalteten:

Der Naturwissenschaftler hat viele künstlerische Emotionen. Ich möchte da an das Wort des berühmten Mathematikers David Hilbert erinnern, der einmal gelegentlich eines Vortrags auf den Einwurf, dass doch diese mathematische Ableitung, die er gebracht hatte, sehr wenig elegant sei, sagte: „Eleganz ist Angelegenheit der Schneider!“
Hilbert hat aber nicht recht. Ich persönlich habe ein ästhetisches Vergnügen, wenn ich eine mathematische Theorie lese, die wirklich schön dargestellt ist; in einem Gedankenfluss, dem man folgen kann und der harmonisch in sich abgestimmt ist. Ich meine, einem Gedankengebäude zu folgen, in dem Stein auf Stein gebaut ist, das ist genauso ein ästhetisches Vergnügen, wie zum Beispiel bei einem Gemälde den Einzelheiten der Linien nachzugehen, den Farben usw. (…)
Der Naturwissenschaftler hat somit bei seiner Tätigkeit innere Erlebnisse, die über das rein Rationale hinausgehen, die emotionell auf ihn wirken. Wie ein guter Dirigent, der eine Partitur liest und hört, was er liest, so liest zum Beispiel ein Theoretiker die mathematischen Formeln und die sagen ihm etwas. Er blickt auf die Gleichungen und sieht, wie das lebt und wie sich das vergnügt.[15]

Josef Schintlmeister in der bildenden Kunst

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Schriften

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  • Die Elektronenröhre als physikalisches Meßgerät. Röhrenvoltmeter, Röhrengalvanometer, Röhrenelektrometer. 3. Auflage. Springer Verlag, Wien 1943
  • mit Heinz Barwich, Fritz Thümmler: Das Zentralinstitut für Kernphysik am Beginn seiner Arbeit. Aus Anlaß der Inbetriebnahme des ersten Forschungsreaktors der Deutschen Demokratischen Republik: gehaltene Vorträge. Akademie Verlag, 1958
  • mit Wunibald Kunz: Tabellen der Atomkerne, Teil 1 Eigenschaften der Atomkerne, 2 Bände. Akademie-Verlag, 1958 (englische Übersetzung: Nuclear Tables, 2 Bände. Pergamon Press, 1959)
  • mit Wunibald Kunz: Tabellen der Atomkerne, Teil 2 Kernreaktionen, 2 Bände, Akademie-Verlag, 1965, 1967 (englische Übersetzung: Pergamon Press, 1968)
  • mit Franz Rudolf Keßler: Einführung in die physikalischen Grundlagen der Kernenergiegewinnung. Akademie Verlag, 1969
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Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Taufbuch - TFBVI | Radstadt | Salzburg, rk. Diözese | Österreich | Matricula Online. Abgerufen am 30. Oktober 2018.
  2. Lebensdaten nach: Kalliope-Verbund
  3. Josef Schintlmeister: Die Ionisation einzelner H-Strahlen im verschiedenen Gasen. In: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien (IIa). Nr. 141, 1932, S. 539–551.
  4. a b c Rudolf Münze, Dieter Netzband: Rede zur Akademischen Gedenkfeier am 21. September 1971 im Hörsaal des ZfK Rossendorf anläßlich des Todes von Prof. Dr phil. habil. Josef Schintlmeister. Zentralinstitut für Kernforschung, Rossendorf (bei Dresden) 1971, S. 5, 14 (20 S., ZfK-225).
  5. Josef Schintlmeister: Gibt es noch unbekannte natürliche radioaktive Elemente? In: Österreichische Chemiker-Zeitung. Nr. 41, 1938, S. 315–321.
  6. Siehe Earl Kenneth Hyde, Isadore Perlman, Glenn T. Seaborg: The nuclear properties of the heavy elements: Vol. I. Prentice-Hall, Englewood Cliffs N. J. 1964, S. 64.
  7. Walter Kutschera, Wolfgang Reiter: Josef Schintlmeister und der 1.8 cm-Alphastrahler. Universität Wien, Phaidra, 9. Juni 2011, abgerufen am 19. August 2024 (Video-Mitschnitt).
  8. Schintlmeister, Hernegger: Über ein bisher unbekanntes, alpha-strahlendes chemisches Element. G-55, 10. Dezember 1940. Dieselben: Die Stellung des Elementes mit Alphastrahlen von 1,8 cm Reichweite im periodischen System. III Bericht. G-111, 23. Mai 1941. Dieselben: Weitere chemische Untersuchungen an dem Element mit Alphastrahlen von 1,8 cm Reichweite. II Bericht. G-112, Mai 1941. Schintlmeister: Die Aussichten für eine Energieerzeugung durch Kernspaltung des 1,8 cm Alphastrahlers. G-186, 26. Februar 1942. GP steht für “German Reports” und ist eine gängige Abkürzung der überwiegend geheimen deutschen Berichte des Uranprojekts, Verzeichnis z. B. Mark Walker: Die Uranmaschine. Siedler 1990, Goldmann TB, S. 313ff.
  9. Arkadii Konstantinovich Kruglov: The History of the Soviet Atomic Industry. Taylor & Francis, London, New York 2002, ISBN 0-415-26970-9, S. 131 (vi, 282 S.).
  10. Im Nekrolog auf Schintlmeister von Rudolf Münze und Dieter Netzband (s. o.) aus dem Jahre 1971 wird die Zeit Schintlmeisters in der Sowjetunion fast völlig ausgespart. Lediglich auf S. 10 findet sich der Satz „Von 1946 bis 1955 war Schintlmeister an maßgeblicher Stelle in der Sowjetunion als Spezialist tätig.“
  11. a b Hardwin Jungclaussen: Frei in drei Diktaturen – Wie ich mein Leben erlebte und wie ich mein Glück fand. Autobiografie. trafo Verlagsgruppe Dr. Wolfgang Weist, trafo Literaturverlag, Reihe Autobiographien Band 48, Berlin 2015, S. 139, ISBN 978-3-86465-050-5.
  12. Poser: zur Geschichte des JINR Dubna (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)
  13. Außerdem Augusta Lavruchina, J. A. Solotow: Die Transurane. VEB Verlag Grundstoffindustrie, 1961. Baldin, Goldanski, Rosental: Kinematik der Kernreaktionen. Akademie Verlag, 1963. Aufsatzsammlung russischer Autoren (Smorodinski u. a.): Der Isospin von Atomkernen. Akademie Verlag 1960
  14. Schintlmeister Josef. In: AlpinWiki. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  15. Josef Schintlmeister: ROK 10: Ist Eleganz Angelegenheit der Schneider? In: Reinhard Koch et al. (Hrsg.): ROK – 50 Rossendorfer Klubabende: Ein Resumé. Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf, Rossendorf bei Dresden 1973, S. 43.
  16. SKD | Online Collection. Abgerufen am 5. Dezember 2024.