Julie Wolfthorn
Julie Wolfthorn (auch Wolf-Thorn, geborene Wolf oder Wolff, geboren am 8. Januar 1864 in Thorn, Westpreußen; gestorben am 29. Dezember 1944 im KZ Theresienstadt) war eine deutsche Malerin, Zeichnerin und Grafikerin der Moderne. Als Jüdin wurde sie ein Opfer der Shoa. Bis auf wenige Bilder in den Depots deutscher Museen galt ihr umfangreiches Werk lange Zeit als verschollen und wurde erst Anfang 2000 wiederentdeckt.
Leben
BearbeitenJulie Wolfthorn wurde unter dem Namen Julie Wolf(f) als jüngstes von fünf Kindern einer bürgerlichen jüdischen Familie in Thorn geboren; zu ihren vier Geschwistern gehörte der Bildhauer Georg Wolf. Wolfthorn wurde mit sechs Jahren Waise. Sie und ihre vier Geschwister wuchsen bei Verwandten auf. Die Sommer verbrachte sie in Ferch am Schwielowsee im Haus ihrer Cousine Olga Hempel.[1] Ab 1890 studierte sie Malerei und Grafik in Berlin und ab 1892 an der Pariser Académie Colarossi bei Gustave Courtois und Edmond Aman-Jean. 1893 kehrte sie nach Berlin zurück und lebte von 1908 bis 1911 als „Malerin“ zunächst im großbürgerlichen Schöneberg Mietwohnhaus Bülowstraße 90, in welchem im Quergebäude sowie (später) zweitem Hof auch der renommierte Samuel Fischer Verlag seinen langjährigen Geschäftssitz hatte (Gebäude ist in „entstucktem“ Zustand weitgehend erhalten). Ab 1912 wohnte sie mit ihrer älteren Schwester, der Schriftstellerin Luise Wolf, jahrzehntelang im heute nicht mehr existenten Haus Kurfürstenstraße 50. 1895 besuchte sie die von Curt Herrmann geleitete Zeichen- und Malschule für Damen. Im Jahr 1897 verbrachte sie den Sommer in der Künstlerkolonie Worpswede, deren Atmosphäre sie aber nicht für sie einnahm. Die dort lebende Malerin Paula Modersohn-Becker nannte sie in ihrem Tagebuch abschätzig eine „Hosendame“.[2]
1898 wurde sie als eine von vier kunstschaffenden Frauen Gründungsmitglied der Berliner Secession, die sie zusammen mit Max Uth, Hugo Lederer und anderen verließ, da sie sich benachteiligt fühlte. Ihrem Anliegen zwei Jahre später, dies rückgängig zu machen, wurde nicht entsprochen. Bis 1913 stellte sie regelmäßig in der Berliner Secession aus. 1898 war sie Mitglied des „Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreunde Berlin“. Sie gehörte um die Jahrhundertwende zu den wenigen Frauen, die regelmäßig Aufträge des Jugendstil-Magazins Jugend erhielten, für das sie Illustrationen und Titelblätter (so etwa für die Nr. 36, III. Jahrgang vom 3. September 1898,[3] siehe Abbildung rechts) erstellte. Im Jahre 1899 gehörte sie (neben Ephraim Moses Lilien oder Käthe Münzer) zu den etwa 50 Künstlerinnen und Künstlern, die in Berlin die genossenschaftlicher Organisation Deutsche Placatausstellung G.m.b.H. gründeten, um ein „geschäftliches Unternehmen“ zu betreiben.[4]
1904 heiratete Wolfthorn den Kunsthistoriker und -kritiker Rudolf Klein-Diepold. 1905 unterzeichnete Julie Wolfthorn mit über 200 Künstlerinnen eine Petition mit der Forderung zur Zulassung an der Preußischen Akademie der Künste, die von dem Akademiedirektor Anton von Werner abgelehnt wurde. 1906 findet sich ihr Name im Mitgliederverzeichnis des Deutschen Künstlerbundes.[5] Im selben Jahr gründete sie mit Käthe Kollwitz die Ausstellungsgemeinschaft „Verbindung Bildender Künstlerinnen“. Im Jahre 1911 war sie Mitglied im Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen Wien.[6] 1912 wurde sie mit Käthe Kollwitz in den Vorstand und die Jury der Secession gewählt. 1913 war sie Gründungsmitglied und Teil des Vorstandes im Frauenkunstverband.[7] 1927 trat sie dem Hiddensoer Künstlerinnenbund bei. Künstlerinnen wurden zu dieser Zeit verächtlich als „Malweiber“ bezeichnet.
1933 in der Frühzeit des Nationalsozialismus wurde der Hiddensoer Künstlerinnenbund aufgelöst. 1933 wurde sie als Jüdin mit Fanny Remak, die nach England emigrierte, aus dem Vorstand der Secession ausgeschlossen. Sie blieb in Berlin und arbeitete mit dem Kulturbund Deutscher Juden zusammen, der 1941 verboten wurde. Die Mitarbeiter wurden verhaftet und das Vereinsvermögen beschlagnahmt.
Am 28. Oktober 1942 wurde Julie Wolfthorn im Alter von 78 Jahren zusammen mit ihrer Schwester Luise Wolf mit dem „68. Alterstransport“ in das von den Nationalsozialisten so genannte Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort zeichnete sie, soweit ihr das unter den Umständen möglich war. Sie überlebte hier zwei Jahre und verstarb wenige Tage vor ihrem 81. Geburtstag.
Gedenken
BearbeitenSeit seiner Gründung 1998 beschäftigt sich der Freundeskreis Julie Wolfthorn mit Leben und Werk der Künstlerin.[8]
An Julie Wolfthorn erinnert seit 2005 der Name einer neuen Straße am Berliner Nordbahnhof. Eine Tafel am Platz des ehemaligen Luisen-Lyzeums in der Ziegelstraße 12 nennt sie als prominente Schülerin.[9]
Im Jahr 2002 wurden für sie und ihre Schwester Stolpersteinevor dem Haus Kurfürstenstraße 50 gesetzt.[10] Auch vor ihrem Sommerhaus in Vitte auf der Insel Hiddensee gibt es seit 2011 einen Stolperstein für sie (siehe Liste der Stolpersteine in Insel Hiddensee).[11]
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Gedenktafel am Haus Ziegelstraße 12, in Berlin-Mitte
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Stolperstein, Kurfürstenstraße 50, in Berlin-Tiergarten
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Stolperstein in Vitte, Insel Hiddensee
Werke
BearbeitenJulie Wolfthorn wurde vor allem durch ihre Porträtmalerei bekannt. Sie porträtierte Ida Dehmel, Richard Dehmel, Hedda Eulenberg, Gerhart Hauptmann (im Doppelporträt mit seiner Frau Margarete), Gabriele Reuter, die Familienmitglieder des schreibenden und übersetzenden Paares Hedwig Lachmann und Gustav Landauer, die Familie des Architekten Hermann Muthesius, die Ärzte Salomon Neumann und Carl Ludwig Schleich, die Opernsängerin Irmgard Scheffner, viele Schauspielerinnen wie Tilla Durieux oder Carola Neher – und andere berühmte Zeitgenossen, vorwiegend aus der Berliner Gesellschaft, darunter besonders viele engagierte Frauen. Ihr weiterer Schwerpunkt war die Landschaftsmalerei, die sie oft mit Menschen darin verband (u. a. in Abend in der Mark, gezeigt 1904 auf der Münchner Jahresausstellung im Glaspalast,[12] oder Mädchen im Walde, angekauft von der Kunsthalle zu Kiel[13]).
„Ein besonderer poetischer Reiz steckt in den Phantasiebildern der Berlinerin Julie Wolfthorn; ja man muß constatieren, diese Berlinerin besitzt sogar einen feinen decorativen Geschmack.“
Ausstellungen
Bearbeiten- 2007: Sonderausstellung zu Julie Wolfthorn durch den Freundeskreis Julie Wolfthorn im Rahmen der Ausstellung „Berliner Secession“ in der Thiede Villa (vormals Hamspohn) am Wannsee[15][16]
- 2009: „Meine Bilder sind wie meine Kinder“, erste Einzelausstellung der Nachkriegszeit zu Julie Wolfthorn, Internationale Fredener Musiktage
- 2013: „Mit Pinsel und Palette die Welt erobern“, Ausstellung über ihr Werk im Barkenhoff – früherer Wohnsitz von Heinrich Vogeler, Worpswede[17]
- 2015/16: Künstlerinnen der Moderne – Magda Langenstraß-Uhlig und ihre Zeit, Potsdam-Museum, Potsdam[18]
- 2015/16: Frauen der Secession II, Liebermann-Villa, Berlin
- 2015/16: Zeitenwende, Bröhan-Museum, Berlin[19]
- 2016: Einfühlung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen in Deutschland, Kunsthalle Bielefeld[20]
- 2016: Julie Wolfthorn – Der Mythos von Ferch – das Paradies auf Erden, Museum der Havelländischen Malerkolonie, Ferch[21]
- 2016: „Malweiber“ aus Schwaan, Kunstmuseum Schwaan, Schwaan, 1. Oktober bis 13. November 2016
- 2024: Vergessen Sie uns nicht - Julie Wolfthorn zurück in Berlin, Ausstellung zum 160. Geburts- und 80. Todesjahr von Julie Wolfthorn, Verein der Berliner Künstlerinnen 1867 e. V., Berlin, 12. April 2024 bis 26. Mai 2024.[22]
Literatur
Bearbeiten- Katja Behling: Julie Wolfthorn 1864–1944. In: Dies. und Anke Manigold: Die Malweiber. Unerschrockene Künstlerinnen um 1900. Berlin, Insel 2013, ISBN 978-3-458-35925-8, S. 76–79.
- Gerda Breuer, Julia Meer (Hrsg.): Women in Graphic Design / 1890–2012 Frauen und Grafik-Design. Jovis, Berlin 2012, ISBN 978-3-86859-153-8.
- Gerda Breuer: Her Stories in Graphic Design. Dialoge, Kontinuitäten, Selbstermächtigungen. Grafikdesignerinnen 1880 bis heute. Jovis Verlag GmbH, Berlin 2023, ISBN 978-3-86859-773-8, S. 339.
- Heike Carstensen: Leben und Werk der Malerin und Graphikerin Julie Wolfthorn (1864–1944). Rekonstruktion eines Künstlerinnenlebens. Tectum Verlag, Marburg 2011, ISBN 978-3-8288-2728-8.
- Heike Carstensen (Hrsg.): Julie Wolfthorn. Der Mythos von Ferch – das Paradies auf Erden. Förderverein Havelländische Malerkolonie e. V., Schwielowsee 2016.
- Heike Carstensen: Julie Wolfthorn. Mit Pinsel und Palette bewaffnet will ich mir die Welt erobern. Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin Leipzig 2020 (Jüdische Miniaturen; 228), ISBN 978-3-95565-289-0.
- Julie Wolfthorn. In: Jutta Götzmann, Anna Havemann (Hrsg.): Künstlerinnen der Moderne: Magda Langenstraß-Uhlig und ihre Zeit. Lukas Verlag Berlin, 2015, ISBN 978-3-86732-227-0 (books.google.de).
- Alexandra Koronkai-Kiss: Julie Wolfthorn. In: Tobias Hoffmann / Anna Grosskopf (Hrsg.): Ansehen! Kunst und Design von Frauen 1880–1940. Hirmer, München 2022 (Veröffentlichungen des Bröhan-Museums; 43), ISBN 978-3-7774-4009-5, S. 60–67.
- Beate Spitzmüller: Julie Wolfthorn. In: Britta Jürgs (Hrsg.): Denn da ist nichts mehr, wie es die Natur gewollt. Portraits von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen um 1900. AvivA Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-932338-13-8, S. 248–259.
- „Um uns ist ein Schöpfungstag“. Von der Künstlerkolonie bis heute. Hrsg. Kunstmuseum Ahrenshoop. Ahrenshoop 2013, ISBN 978-3-9816136-1-2, S. 106f.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Ausstellung gegen das Vergessen in Ahrenshoop, OZ 11.11.2019
- ↑ Katja Engler: Schwestern, zur Sonne, zur Freiheit! In: Welt am Sonntag, 28. Juli 2013
- ↑ Vom Zeitungstisch. Nr. 36 der „Jugend“. In: Mährisches Tagblatt, 3. September 1898, S. 7 (online bei ANNO).
- ↑ Kleine Mittheilungen. In: Oesterreichische Buchdrucker-Zeitung / Oesterreichisch-ungarische Buchdrucker-Zeitung / Deutschösterreichische Buchdrucker-Zeitung, 13. April 1899, S. 6 (online bei ANNO).
- ↑ s. Wolfthorn, Julie, Malerin, Berlin W., Kurfürstenstr. 50, Mitgliederverzeichnis im Katalog 3. Deutsche Künstlerbund-Ausstellung, Weimar 1906. (S. 59) online, abgerufen am 7. Oktober 2016.
- ↑ Verzeichnis der Ehrenmitglieder, der ordentlichen, der auswärtigen und der beitragenden Mitglieder. In: Jahresbericht des Vereines der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien, Jahrgang 1911, S. 29 (online bei ANNO).
- ↑ Aus Künstler- und Kunstvereinen. In: Die Werkstatt der Kunst. 12. Jahrgang, Heft 38. Seemann, 1913, ISSN 2566-9575, S. 527 (Digitalisat [abgerufen am 10. September 2023]).
- ↑ Berlin-Women: Julie Wolfthorn, Secessionistin, abgerufen am 26. Januar 2020.
- ↑ Tafel erinnert an die Luisenschule. In: Berliner Zeitung, 23. Mai 2005, abgerufen am 5. Dezember 2020.
- ↑ Stolpersteine Berlin, abgerufen am 1. Juli 2015.
- ↑ Seebad Insel Hiddensee, Stolpersteine ( vom 5. Dezember 2020 im Internet Archive), abgerufen am 5. Dezember 2020.
- ↑ s. Abb. in: Neunter Band Freie Kunst, der „Kunst für Alle“, XIX. Jahrgang, S 572, Textarchiv – Internet Archive
- ↑ Mädchen im Walde. museen-sh.de; abgerufen am 30. Juni 2016.
- ↑ „Acht Künstlerinnen und ihre Gäste“. In: Neue Freie Presse, 21. Jänner 1902, S. 7 (online bei ANNO).
- ↑ Ein bisschen Erfrischung - In der Villa Hamspohn wird die Malerin Julie Wolfthorn wiederentdeckt, in: Märkische Allgemeine, 20. Mai 2007, print
- ↑ Zwei Villen am Wannsee besuchen, tagesspiegel.de, abgerufen am 26. Januar 2020.
- ↑ Julie Wolfthorn: Mit Pinsel und Palette die Welt erobern ( vom 4. März 2016 im Internet Archive) (PDF) historischeausstellungen.de; abgerufen am 29. Juli 2015.
- ↑ Potsdam-Museum
- ↑ Secession wie man sie noch nicht sah: Ausstellung „Zeitenwende“ im Bröhan-Museum. berliner-woche.de; abgerufen am 8. November 2016.
- ↑ Einfühlung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen in Deutschland. Kunsthalle Bielefeld, 30. Oktober 2015 bis 28. Februar 2016; abgerufen am 8. Mai 2016.
- ↑ Julie Wolfthorn: Der Mythos von Ferch – das Paradies auf Erden, havellaendische-malerkolonie.de, abgerufen am 5. November 2016.
- ↑ [1], Kunstleben Berlin - Magazin für Kunst in Berlin, abgerufen am 21. Mai 2024.
Personendaten | |
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NAME | Wolfthorn, Julie |
ALTERNATIVNAMEN | Wolf-Thorn, Julie; Wolf, Julie; Wolff, Julie |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Malerin |
GEBURTSDATUM | 8. Januar 1864 |
GEBURTSORT | Thorn, Westpreußen |
STERBEDATUM | 29. Dezember 1944 |
STERBEORT | Ghetto Theresienstadt |