Kölnische Gummifäden-Fabrik

Unternehmen in Köln-Deutz

Die Kölnische Gummifäden-Fabrik vorm. Kohlstadt & Comp. (KGF) war ein Unternehmen in Köln-Deutz, das von 1843 bis 1972 Produkte aus Kautschuk und Gummi herstellte.

Die Gummifädenfabrik Kohlstadt (1905). Zeichnung von Wilhelm Scheiner

Geschichte

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Als Ferdinand Kohlstadt und Marcus Breuer 1843 eine Gummiwarenfabrik in Köln gründeten, war diese Branche ein noch junger Industriezweig: Erst Anfang des 19. Jahrhunderts war eine erste Fabrik zur Herstellung elastischer Bänder in Paris eröffnet worden; in England wurde mit der Herstellung von Gummifäden ab etwa 1820 begonnen. Die erste deutsche Gummiwarenfabrik entstand 1829 in Finsterwalde. Zentren der neuen Branche waren Hamburg, Hannover, Thüringen und das Rheinland. In Köln dominierte später die 1862 gegründete Rheinische Gummiwarenfabrik von Franz Clouth in Nippes. Insgesamt gab es um die Mitte des 19. Jahrhunderts herum in Deutschland 36 Gummifabriken mit rund 1800 Beschäftigten.[1]

Der erste Standort der neu gegründeten Gummiwarenfabrik befand sich auf dem Eigelstein, Nr. 37 (neben dem damaligen Standort der Privatbrauerei Gaffel). Dort wurde anfangs Kautschuk in Fäden geschnitten und zu gewebten Gummibändern und Hosenträgern verarbeitet, ab 1848 vulkanisierte Gummifäden aus England. In der Londoner Industrieausstellung von 1851 wurden im Crystal Palace auch Hosenträger aus Köln gezeigt. 1857 entstand für die Eigenproduktion vulkanisierter Gummifäden in der Niehler Straße in Köln-Nippes eine neue Fabrikanlage. Hier wurden Gummiplatten in Vierkantfäden zerschnitten. 1858 waren dort 300 Arbeiterinnen beschäftigt.[1]

 
Südflügel (l.) der ursprünglichen Produktionsstätte, der heute unter Denkmalschutz steht
 
Heutiger Eingang zum Projekt „Kunstwerk“

1864 zog das Unternehmen auf die rechte Rheinseite an die Deutz-Mülheimer Straße in Köln-Deutz um, neben die 1845 dort gegründete Waggonfabrik von Van der Zypen und Charlier. Man stellte die Herstellung elastischer Webwaren ein und konzentrierte sich stattdessen auf die Produktion von Gummifäden.[1] 1872 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. In den 1880er Jahren erlebte die Firma einen wirtschaftlichen Aufschwung.[1] 1908 wurde die Tochterfirma Paragummiwerk gegründet und in der Folge das Werk mit einer mehrgeschossigen Randbebauung von Otto Grah ergänzt. Das neue Werk produzierte Gummiwaren wie Operationshandschuhe, Badekappen, Schürzen, Nuckel, gummierte Stoffe, aber auch Scherzartikel. In beiden Unternehmen arbeiteten rund 400 Beschäftigte.[1]

Zur Erlangung des natürlichen Rohstoffs griff man zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs auf die Kautschuk-Produktion in deutschen Kolonien zurück. So war es folgerichtig, dass Wilhelm von Recklinghausen, von 1878 bis 1912 in leitender Funktion bei der Kölnischen Gummifäden-Fabrik, auch Schatzmeister der Deutschen Kolonialgesellschaft, Abteilung Köln, war.[2] Bis zum Ersten Weltkrieg stammte der Rohstoff Kautschuk vor allem aus Kamerun und Deutsch-Ostafrika: „Unfaire Handelspraktiken, die sklavereiähnliche Abhängigkeiten erzeugten, Zwangsarbeit und drakonische Prügelstrafen mit Tauenden und Nilpferdpeitsche gehörten auch hier zur Tagesordnung.“ Gehe man der Herkunft von kolonialen Materialien wie Kautschuk nach, blicke man „in eine Welt des Grauens“, so der Ethnologe Bernhard Wörrle vom Deutschen Museum.[3]

In den 1920er Jahren stieg die Zahl der im Unternehmen Beschäftigten auf 700, hinzu kam ein großer Stab von Vertretern. Der Mitarbeiter und Ingenieur Max Draemannn († 1945) entwickelte rund 20 Patente[4][5][6], darunter ein Verfahren zur Herstellung gepresster Gummifäden in Massenproduktion: Statt der Schneidearbeit an festen Gummiplatten wurde flüssiges Gummi durch Düsen gedrückt. 1940 beteiligte sich die Kölnische Gummifäden-Fabrik gemeinsam mit anderen Unternehmen an der Gründung der Optimit-Gummmiwerke in Odrau im Sudetenland, vormals Schne(c)k & Kohnberger.[7][8] Wegen schwerer Kriegsschäden wurde die Produktion 1943/44 weitgehend dorthin verlagert,.[1]

Im Mai 1947 wurde die Produktion in Deutz wieder aufgenommen. An den Backsteinflügel von 1908 wurde ein bis zur Deutz-Mülheimer-Straße reichender Stahlbetonbau angefügt. In den 1950er Jahren erfolgte die vollständige Umstellung der Produktion auf Verfahren des inzwischen verstorbenen Ingenieur Draemann („System Draemann“)[9], und die „Standart Gummiwerke Baumgarten“ in Köln-Ossendorf wurden übernommen. 1957 feierte das Unternehmen seinen 100. Geburtstag: Aus diesem Anlass verfasste das damalige Vorstandsmitglied Reinhold Rompf eine Festschrift, in der unrühmliche Themen wie eventuelle Zwangsarbeit im Krieg und Kolonialismus ausgespart wurden, aber ein Foto von afrikanischen Kindern, die fröhlich mit Luftballons spielen, zu sehen ist. Gerühmt wurde das Engagement und der Zusammenhalt der „Betriebsgemeinschaft“,[10] die in Kriegszeiten als „Gefolgschaft“ bezeichnet worden war.[11]

1962 hatte das Unternehmen 1300 Beschäftigte, zehn Jahre später ging die Kölnische Gummifäden-Fabrik in Köln-Deutz in Konkurs.[1]

Auf dem Gelände wurde das Berufsbildungszentrum der Stadt Köln eingerichtet, 1984 übernahm die Klöckner-Humboldt-Deutz den Komplex, und nach 1995 etablierte sich in den Gebäuden das selbstverwaltete Künstler- und Gewerbeprojekt „Kunstwerk“.[1]

Baudenkmal

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Kunstwerk „Anwohnerplatz“ auf der Brandmauer (Rückseite des Südflügels) der ehemaligen Gummifädenfabrik

Der südliche Flügelbau des Fabrikgebäudes wurde am 4. März 2004 unter Denkmalschutz gestellt (Nr. 8652). Dieser Teil des Gebäude wurde bis 1918 fertiggestellt. Als denkmalwert eingestuft wird nur der von Kriegsschäden weitgehend verschonte Ursprungsflügel der später erstellten Erweiterungsbauten.[1]

Literatur

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  • Max Draemann: Der Gummifaden. In: Ernst A. Hauser (Hrsg.): Handbuch der gesamten Kautschuktechnologie. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Berlin 1935, S. 1209–1249.
  • Reinhold Rompf: 1857–1957. Kölnische Gummifäden. Festschrift zur 100. Wiederkehr des 1. Juni 1857. Köln 1957.
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Commons: Kölnische Gummifäden-Fabrik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g h i Walter Buschmann: Köln Gummifädenfabrik Kohlstadt. In: rheinische-industriekultur.de. Abgerufen am 21. September 2024.
  2. Verzeichniss der Mitglieder am 1. Januar 1901. (PDF) Deutsche Kolonialgesellschaft, Abteilung Köln, 1. Januar 1901, abgerufen am 29. September 2024.
  3. Die dunkle Seite der Technik: Koloniale Materialien - Deutsches Museum. In: blog.deutsches-museum.de. 5. November 2020, abgerufen am 29. September 2024.
  4. M. Draemann: Process and Apparatus for the Productions of Rubber Filaments or Threads auf patentimages.storage.googleapis.com: Zugriff: 30. September 2024.
  5. US2294894A - Process and apparatus for making sharp-edged thereads, cords, ribbons or bands, profiled stripe, and so forth from plastic masses, artificial and natural dispersions a. In: patents.google.com. Abgerufen am 30. September 2024 (englisch).
  6. Google Patents. In: patents.google.com. Abgerufen am 30. September 2024 (englisch).
  7. Rompf, Kölnische Gummifäden, S. 16.
  8. Optimit Rubber & Textile Works, joint stock company, Odry - European Jewish Archives Portal. In: yerusha-search.eu. Abgerufen am 27. September 2024 (tschechisch).
  9. Rompf, Kölnische Gummifäden, S. 21 ff.
  10. Rompf, Kölnische Gummifäden, S. 45 f.
  11. Kölnische Gummifäden-Fabrik, vorm. Ferd. Kohlstadt & Co. | ZBW Press Archives. In: pm20.zbw.eu. Abgerufen am 29. September 2024 (englisch).

Koordinaten: 50° 56′ 53,8″ N, 6° 59′ 8,9″ O