Kanzleiregel

Rechtsquelle des mittelalterlichen Kirchenrechts
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Kanzleiregeln (Regulae cancellariae apostolicae) sind Rechtsquellen des mittelalterlichen Kirchenrechts. Es handelt sich um Rechtsgrundsätze, die die Geschäfte der päpstlichen Kanzlei normieren sollten. Sie wurden in einem Kanzleibuch eingetragen, das zwar auch als Liber cancellariae in Vereinfachung des ursprünglichen Titels liber regularum cancellariae bezeichnet wurde, das aber vom Liber provincialis und dem Liber cancellariae, die das Adressbuch der Kurie und die Formeln für Privilegien und litterae enthalten, zu unterscheiden ist. Ein Original ist nicht erhalten, wir kennen den Inhalt nur aus Abschriften und Zusammenstellungen, die Mitarbeiter der Kanzlei für ihre tägliche Arbeit angefertigt haben.[1] Die ersten Kanzleiregeln entstanden in Italien während des 13. Jahrhunderts.[2]

Entstehung

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Die Entwicklung der Kanzleiregeln war unsystematisch. Während der päpstlichen Zeit in Avignon wurden sie zunehmend systematisiert. Jeder Papst erließ unmittelbar nach seiner Wahl eine Kanzleiregel. Kanzleiregeln waren dabei nicht örtlich begrenzt oder einer höheren Jurisdiktion untergeordnet. Kanzleiregeln galten immer für die Zeit eines Pontifikates, der nachfolgende Papst orientierte sich zumeist stark an der Kanzleiregel seines Vorgängers, veränderte oder verwarf diese aber oftmals. Mit den Worten des Mediävisten Andreas Meyer stellen Kanzleiregeln „eine Art lebende Texte“ dar.[3] Greifbar sind die Regeln seit Bonifaz VIII., seit Johannes XXII. sind sie ununterbrochen überliefert. Die Regeln wurden vielfach in Kopien verbreitet und wurden seit Paul II. gedruckt. Eine weitgehend vollständige Sammlung wurde von Michael Tangl 1984 herausgegeben; in Marburg arbeitete Andreas Meyer an einer Neuausgabe.[4][5]

Rechtsnatur

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Die Kanzleiregeln dienten der Verwaltung des kirchlichen materiellen Vermögens und des immateriellen Kirchenschatzes. Ursprünglich waren Kanzleiregeln kein universeller Teil des Kirchenrechts, sondern hatten ihre Wurzeln in kanzleiinternen Bestimmungen für die formale Gestaltung der Papsturkunden, später wurden diese nach und nach erweitert und stellten universelle Bestimmungen auf, wie die päpstliche Kurie den Umgang mit geistlichen Privilegien, Benefizien, Indulten und Dispensen zu regeln hatte.[6] Darin geordnet sind insbesondere die Reservationsrechte des Papstes bezüglich der Besetzung der Bistümer und bedeutenden Klöster. Zudem wurden die Präbenden in den Domstiften und anderen Stiften sowie die Pfründen von Kardinälen normiert.

Als Beispiel kann etwa eine Kanzleiregel von Papst Sixtus IV. dienen. Dessen Regel VII lautete: „Item reservavit omnia beneficia cubiculariorum et cursorum suorum“, verfügte also die Reservation aller Benefizien der päpstlichen Kubikulare und Boten.[7]

Wenn der Papst mit einem Fürsten ein Konkordat abgeschlossen hatte, waren dessen Bestimmungen gegenüber den Kanzleiregeln vorrangig. Seit dem 15. Jahrhundert wurden die Kanzleiregeln als „Regulae, ordinationes et constitutiones cancellariae apostolicae“ (Regeln, Verordnungen und Bestimmungen der apostolischen Kanzlei) bezeichnet.[8] Ab diesem Zeitpunkt entstanden zudem zahlreiche rechtswissenschaftliche Kommentare zu diesen Rechtsquellen.[9] Als Beispiel hierfür mag die kommentierte Kanzleiregel 16. von Benedikt XII. dienen; zunächst die Regel: „Item ordinavit, quod in litteris gratiarum expectationum de dignitatibus, personatibus vel officiis non ponatur aliqua summa, nisi supplicans poneret responsione“,[10] sodann der anonyme Kommentar zu dieser Kanzleiregel: „Ista regula habet locum, quando petitur in ecclesia dumtaxat et non ad collationem alicuius, quia tunc poneretur summa, etiam si haberet in ecclesia cathedrali vel extra“.[11]

  • Michael Tangl (Hrsg.): Die päpstlichen Kanzleiordnungen von 1200–1500. Innsbruck 1894 Digitalisat, abgerufen am 15. Oktober 2022.
  • Emil von Ottenthal (Hrsg.): Regulae Cancellariae Apostolicae. Die päpstlichen Kanzleiregeln von Johannes XXII. bis Nikolaus V., Innsbruck 1888. Neudruck Aalen 1968: ISBN 3-511-00342-3. (Digitalisat 1), Digitalisat 2, beide abgerufen am 15. Oktober 2022.
  • Eduard Winkelmann: Sicilische und päpstliche Kanzleiordnungen und Kanzleigebräuche des XIII. Jahrhunderts. Für academische Übungen zusammengestellt. Innsbruck 1880.
  • Papst Innozenz VIII.: Regulae cancellariae apostolicae. Druck Straßburg um 1500 mit Kommentar von Alfonsus de Soto. Digitalisat, abgerufen am 15. Oktober 2022.
  • Jean de Chokier: Commentaria in Regulas Cancellariae Apostolicae Sive in Glossemata Alphonsi Sotto, glossatoris nuncupati. Köln 1675. Digitalisat, abgerufen am 15. Oktober 2022.
  • Papst Alexander VI.: Regulae, ordinationes et constitutiones Cancellariae. Rom 1501. Digitalisat, abgerufen am 15. Oktober 2022.

Literatur

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  • Georg Erler: Der Liber cancellariae apostolicae vom Jahre 1380 und der Stilus palatii abbreviatus Dietrichs von Nieheim. Leipzig 1888. E-Book: De Gruyter, Boston 2021.
  • Reginald Lane: Lectures on the history of the papal chancery down to the time of Innocent III. Cambridge 1915. Digitalisat, abgerufen am 15. Oktober 2022.
  • Thomas Frenz: Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit. Stuttgart 2000, S. 97. ISBN 3-515-07788-X.
  • Andreas Meyer: Spätmittelalterliche päpstliche Kanzleiregeln. In: Gisela Drossbach (Hrsg.): Von der Ordnung zur Norm: Statuten in Mittelalter und Frühen Neuzeit. Paderborn 2010, ISBN 978-3-506-76707-3, S. 95–108.
  • Dorett Elodie Werhahn-Piorkowski: Die Regule Cancellarie Innozenz’ VIII. und Alexanders VI Überlieferungsgeschichte, Inkunabelkatalog und Edition der päpstlichen Kanzleiregeln im frühen Buchdruck (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, Bd. 76). Wiesbaden 2021, ISBN 978-3-447-11568-1.
  • Kanzleiregel. In: Vormalige Akademie der Wissenschaften der DDR, Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Deutsches Rechtswörterbuch. Band 7, Heft 2 (bearbeitet von Günther Dickel, Heino Speer, unter Mitarbeit von Renate Ahlheim, Richard Schröder, Christina Kimmel, Hans Blesken). Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1975, OCLC 832567064 (adw.uni-heidelberg.de). Päpstliche Normen und Instruktionen zur Regelung der kurialen Kanzleipraxis
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Einzelnachweise

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  1. Harry Bresslau: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien. Band 1. Walter de Gruyter, Berlin 1969, S. 349–352
  2. Andreas Meyer: Spätmittelalterliche päpstliche Kanzleiregeln. In: Gisela Drossbach (Hrsg.): Von der Ordnung zur Norm: Statuten in Mittelalter und Frühen Neuzeit. Paderborn 2010, S. 95–108.
  3. Andreas Meyer: Spätmittelalterliche päpstliche Kanzleiregeln. In: Gisela Drossbach (Hrsg.): Von der Ordnung zur Norm: Statuten in Mittelalter und Frühen Neuzeit. Paderborn 2010, S. 101.
  4. Andreas Meyer: Die geplante neue Edition der spätmittelalterlichen päpstlichen Kanzleiregeln. In: Martin Bertram (Hrsg.): Stagnation oder Fortbildung? Aspekte des allgemeinen Kirchenrechts im 14. und 15. Jahrhundert. Tübingen 2005, S. 117–131.
  5. Andreas Meyer: Emil von Ottenthal revisited: Unterwegs zu einer erweiterten Neuedition des spätmittelalterlichen Regulae cancellariae apostolicae. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 122, 2005, S. 218–236.
  6. Andreas Meyer: Spätmittelalterliche päpstliche Kanzleiregeln. In: Gisela Drossbach (Hrsg.): Von der Ordnung zur Norm: Statuten in Mittelalter und Frühen Neuzeit. Paderborn 2010, S. 96 f.
  7. Andreas Meyer: Päpstliche Kanzleiregel von Papst Sixtus IV. Regel VII. S. 3; Digitalisat (PDF; PDF; 740 kB)
  8. Andreas Meyer: Spätmittelalterliche päpstliche Kanzleiregeln. In: Gisela Drossbach (Hrsg.): Von der Ordnung zur Norm: Statuten in Mittelalter und Frühen Neuzeit. Paderborn 2010, S. 96.
  9. Thomas Frenz: Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit. Stuttgart, 2000, S. 97.
  10. Andreas Meyer: Päpstliche Kanzleiregel von Papst Benedikt XII. Regel XVI., S. 13 (Digitalisat; PDF; 376 kB)
  11. Andreas Meyer: Kommentar Kanzleiregel von Papst Benedikt XII. Regel XVI., S. 13; uni-marburg.de (PDF; 376 kB)