Kontext Verlag
Der Kontext Verlag wurde von Torsten Metelka und Benn Roolf im Oktober 1989 in Ost-Berlin gegründet.
Vorgeschichte
BearbeitenTorsten Metelka und Benn Roolf lernten sich während des Wehrersatzdienstes als Bausoldat 1986–87 bei Görlitz kennen, gemeinsame Entwicklung eines unabhängigen Zeitschriftenprojektes. Im Februar 1988 erstmalige Herausgabe der Zeitschrift »KONTEXT. Beiträge aus Politik, Gesellschaft und Kultur« mit ca. 1000 selbst hergestellten Exemplaren unter dem Dach der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Treptow (Bekenntniskirche),[1][2] mit einem Beratergremium, dem Peter Bickhardt, Martin Böttger, Elke Erb, Ulrike Poppe, Wolfgang Ullmann und Konrad Weiß angehörten. Die Auslieferung bzw. Verteilung erfolgte DDR-weit u. a. über die Umwelt-Bibliotheken in den Kirchengemeinden. Damit war die Zeitschrift, neben den Umweltblättern, die mit am weitesten verbreitete unabhängige Publikation in der DDR.[3][4][5] Besondere Aufmerksamkeit und Verbreitung (auch in den westlichen Medien) erfährt ein Beitrag aus dem Heft 5 (März 1989) von Konrad Weiß »Die neue alte Gefahr. Junge Faschisten in der DDR«.[6] Einige Autoren aus der literarischen Szene fanden die Zusammenarbeit »erfrischend«, weil die Zeitschrift eine Möglichkeit bot, »aktuelle Texte in größeren Auflagen zu publizieren und Rückmeldungen auch aus den entferntesten Ecken zu bekommen«[7]. Bis Herbst 1989 erschienen sieben Ausgaben der Zeitschrift und drei thematische Sonderhefte (Jiskor, eine Textsammlung zum Gedenken des Novemberpogroms in Deutschland; Václav Havel (Gemeinschaftsprojekt mit Grenzfall); Torsten Heyme, Gespräche mit Jugendlichen).
Der Verlag
BearbeitenMit dem erstmaligen Erscheinen der editionKontext im Oktober 1989 (Ehrhart Neubert, Gesellschaftliche Kommunikation im sozialen Wandel) Gründung des Kontext Verlages. Die Zeitschrift erreichte mit der Auslieferung über den Postzeitungsvertrieb eine verkaufte Auflage von 12.000 Exemplaren. »Dies war möglich, weil Metelka und Roolf ein Zeitschriftenkonzept entwickelt hatten und praktizierten, das eine offene Gesellschaft nicht nur zum Ziel hatte, sondern sich auch in vielerlei Hinsicht Freiheiten nahm, als wäre diese offene Gesellschaft bereits existent. Insofern wies der Diskursansatz von ›Kontext‹ bereits in das postrevolutionäre Zeitalter.«[8] Die Zeitschrift erscheint auch als Online-Ausgabe. Verlagsausstattung mit Apple Macintosh, als erster und einziger der neuen Verlage in der DDR. Teilnahme an der Ersten Alternativen Buchmesse Leipzig im März 1990 und erstmalige Teilnahme mit dem ersten Verlagsprogramm an der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1990.[9] Alle weiteren Messestände auf der Frankfurter Buchmesse wurden von Karla Woisnitza grafisch gestaltet. Ehrenmitglied des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Frankfurt am Main. 1991 verlässt Benn Roolf den Verlag und gründet eine Werbeagentur. Ende Mai 1991 erste Präsentation des Verlages im Literarischen Colloquium Berlin.[10]
Im Verlag erschienen Bücher u. a. von Annett Gröschner,[11] Hilde Huppert / Arnold Zweig, von und über Uwe Johnson,[12][13] Boris Kagarlitzki,[14] Gertrud Kolmar,[15] Gustav Landauer, Ehrhart Neubert, Arthur Pfeifer, Edelbert Richter, Jakob und Wolfgang Ullmann. Herausgabe der collektionKontext mit limitierten Vorzugsausgaben von Annett Gröschner / Tina Bara, Johannes Jansen / Antje Kahl, Karla Woisnitza / Elke Erb / Kerstin Hensel.
Ein Schwerpunkt im Verlagsprogramm ist die Edition der Werke des russischen Religionsphilosophen Pavel Florenskij durch Sieglinde und Fritz Mierau mit einer auf zehn Bände angelegten Werkausgabe. Herausgabe von Ergänzungsbänden, gemeinsam mit Michael Hagemeister. Mitorganisation einer internationalen Tagung »Pavel Florenskij. Priester, Universalgelehrter und Märtyrer des 20. Jahrhunderts« an der Evangelischen Akademie Thüringen in Neudietendorf im Februar 1996[16] und eines internationalen Symposiums zum Thema »Pavel Florenskij – Tradition und Moderne« an der Universität Potsdam, Institut für Philosophie und Slavistik, im April 2000.[17]
Der Verleger
BearbeitenTorsten Metelka (* 1960 in Dresden; † 28. Dezember 2021 in Berlin)[18] besuchte die polytechnische Oberschule, danach Ausbildung als Spezialhandwerker für Denkmalpflege (Steinrestaurierung) in Dresden. Tätigkeit bei der Denkmalpflege und den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden u. a. im Japanischen Palais, an der Katholischen Hofkirche, im Schloss mit Stallhof und am Fürstenzug, im Zwinger und Albertinum. Ab 1980 Beschäftigung mit Literatur- und Kunstwissenschaften an der Volkshochschule Dresden u. a. bei Diether Schmidt. 1982 Gasthörer bei Evelyn Richter an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.[19]
1983 Umzug nach Ost-Berlin in den Prenzlauer Berg. Tätigkeit am Berliner Dom. Mitarbeit beim Kunstdienst der evangelischen Kirche.
Ab Januar 2005 Mitarbeit und Beratung beim Verlag Matthes & Seitz Berlin. Tätigkeiten als Lektor, Gestalter und Typograf auch für andere Verlage.
Auszeichnungen
Bearbeiten- Auszeichnung »Zeitschrift Kontext«, September 1992. Wettbewerb »Neue Länder Neue Wege. Produkt und Design einer Wirtschaftsregion im Wandel« des Internationalen Design Zentrum e.V., Berlin, verbunden mit Ausstellungen in Berlin, Leipzig, Potsdam, Erfurt, Frankfurt am Main, Schwerin, Dresden, Magdeburg, Brüssel, Paris, Warschau, New York und Tokio.[20]
- »Schönster Messestand«, Leipziger Buchmesse, März 1996. Wettbewerb der Leipziger Messe GmbH, der Leipziger Buchmesse und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Leipzig, Auszeichnung für Entwurf, Gestaltung, Materialien und Ausführung. Grafische Gestaltung: Karla Woisnitza.
- Auszeichnung »Schönstes deutsches Buch«, Oktober 2000, für das Buch: Annett Gröschner, ÿbbotaprag. heute. geschenke. schupo. schimpfen. hetze. sprüche. demonstrativ. sex. DDRbürg. gthierkatt. Ausgewählte Essays, Fließ- & Endnotentexte 1989–98, Berlin 1999, ISBN 3-931337-33-2. Wettbewerb der Stiftung Buchkunst »Die schönsten deutschen Bücher. Vorbildlich gestaltet in Satz, Druck, Bild und Einband« der Stiftung Buchkunst, Frankfurt am Main, des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Frankfurt am Main, der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main und Leipzig. Auszeichnung für Satz, Typografie, Einbandmaterial und Herstellung.
Literatur (Auswahl)
Bearbeiten- Torsten Metelka (Hrsg.), Alles ist im Untergrund obenauf... Eine Auswahl aus KONTEXT 1–7. Berlin 1990, ISBN 978-3-931337-02-5.
- Rolf Michaelis, Späte Heimkehr. Uwe Johnson und die DDR: Unbekannte Dokumente, unveröffentlichte Briefe – der Schriftsteller in neuem Licht. In: Die Zeit, Nr. 46, 12. November 1993 (https://www.zeit.de/1993/46/spaete-heimkehr).
- Ernst Jan van der Mai, (Mag) KONTEXT im Kontext. Die selbstverlegte literarische und innerkirchliche Zeitschrift KONTEXT in der jüngsten Zeit- und Literaturgeschichte der DDR. Vrije Universiteit Amsterdam, Faculteit der Lettern, Fachbereich: Germanistik. Amsterdam 1994.
- Nina Peters, Fühlen können, was drinsteckt. Der Kontext Verlag und sein Verleger Torsten Metelka. In: Der Tagesspiegel, Nr. 16048, 23. Juli 1997, S. 20 (https://www.tagesspiegel.de/zeitung/fuehlen-koennen-was-drinsteckt/15620.html).
- Mark Siemons, Der Perlenfischer. Warum Pawel Florenski am Prenzlauer Berg auftaucht. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 52, 3. März 1998, S. 43.
- Mark Siemons, Der letzte Moderne. Unter Verdacht: Die Sprünge des Artisten Pawel Florenski. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 12. April 2000, S. N 5.
- Ilko-Sascha Kowalczuk (Hrsg.), Freiheit und Öffentlichkeit. Politischer Samisdat in der DDR 1985–1989. Eine Dokumentation (= Schriftenreihe des Robert-Havemann-Archivs, 7), Berlin 2002, ISBN 978-3-9804920-6-5.
Weblinks
Bearbeiten- http://www.kontextverlag.de/index
- https://zeitschriftkontext.wordpress.com/
- Literatur vom Kontext Verlag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek.
- Die Zeitschrift ist im Bestand der Sammlung Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Zeitgeschichtliches Forum Leipzig.
Einzelnachweise und Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ Ernst Jan van der Mai, (Mag) KONTEXT im Kontext. Die selbstverlegte literarische und innerkirchliche Zeitschrift KONTEXT in der jüngsten Zeit- und Literaturgeschichte der DDR. Vrije Universiteit Amsterdam, Faculteit der Lettern, Fachbereich: Germanistik. Amsterdam 1994, S. 14–21.
- ↑ Ein Mitte Mai 1988 durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) über den Rat des Stadtbezirkes Berlin-Treptow, Abteilung Kultur, durchgeführtes Ordnungsstrafverfahren wurde von den Herausgebern abgelehnt. Der Vorgang landete dann beim Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Gottfried Forck, der die Strafe beglich. (Ministerium für Staatssicherheit, Hauptabteilung XX, Einschätzung über politische Zusammenschlüsse und über nichtlizenzierte Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse antisozialistischen Inhalts und Charakters, 9. März 1989, BStU, MfS HA XX/AKG, Nr. 799, Bl. 98.)
- ↑ Klaus Michael, Neue Verlage und Zeitschriften in Ostdeutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zur Wochenzeitung »Das Parlament«), 4. Oktober 1991. S. 42.
- ↑ Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989 (= Forschungen zur DDR-Gesellschaft). 2., durchges. und erw. Auflage. Berlin 1998, ISBN 3-86153-163-1.
- ↑ Ilko-Sascha Kowalczuk (Hrsg.): Freiheit und Öffentlichkeit. Politischer Samisdat in der DDR 1985–1989. Eine Dokumentation (= Schriftenreihe des Robert-Havemann-Archivs, 7). Berlin 2002, ISBN 3-9804920-6-0.
- ↑ Konrad Weiß: Die neue alte Gefahr. Junge Faschisten in der DDR. http://www.kontextverlag.de/weiss.winterberg.html. Peter Böthig / Klaus Michael, MachtSpiele. Literatur und Staatssicherheit im Focus Prenzlauer Berg. Leipzig 1993. S. 26.
- ↑ Jan Faktor, Was ist neu an der jungen Literatur der achtziger Jahre. In: Vogel oder Käfig sein. Kunst und Literatur aus unabhängigen Zeitschriften in der DDR 1979–1989, hrsg. von Klaus Michael und Thomas Wohlfahrt. Berlin 1992, S. 386.
- ↑ Kowalczuk (Hrsg.): Freiheit und Öffentlichkeit. Politischer Samisdat in der DDR 1985–1989. Eine Dokumentation. S. 99.
- ↑ Uta Angerer von der Literaturagentur Brigitte Axster, Frankfurt am Main, war stets eine hervorragende und liebevolle Gastgeberin während der Frankfurter Buchmesse.
- ↑ Verlage im Neuland: Kontext Verlag. Lesung: Elke Erb, Ehrhart Neubert und Jakob Ullmann. Moderation: Peter Böthig. https://lcb.de/programm/verlage-im-neuland-kontext-verlag/
- ↑ Die Buchpräsentationen von ich schlug meiner Mutter die brennenden Funken ab, Berliner Schulaufsätze aus dem Jahr 1946 fanden 1996 im Kleinen Wasserspeicher unterhalb des Wasserturms im Prenzlauer Berg, von ÿbbotaprag. heute. geschenke. schupo. schimpfen. hetze. sprüche. demonstrativ. sex. DDRbürg. gthierkatt, Ausgewählte Essays, Fließ- und Endnotentexte 1989–98 1999 im Tanzstudio Dock 11 im Prenzlauer Berg und von Kontrakt 903. Erinnerung an eine strahlende Zukunft 2003 im Kernkraftwerk Rheinsberg statt.
- ↑ Die Buchpräsentation von »Wo ich her bin...« Uwe Johnson in der D.D.R., hrsg. von Roland Berbig und Erdmut Wizisla, Berlin 1993, ISBN 3-931337-08-1, fand am 30. Juni 1994 mit Manfred Bierwisch, Fritz Rudolf Fries, Jürgen Grambow und den Herausgebern in der Galerie Alte Schlosserei in der Kulturbrauerei Berlin statt. Die Buchpräsentation von Uwe Johnson. Befreundungen, Gespräche Dokumente Essays, hrsg. von Roland Berbig gemeinsam mit Thomas Herold, Gesine Treptow und Thomas Wild, ISBN 3-931337-40-5, fand am 11. November 2002 mit Reinhard Baumgart, Roland Berbig und Klaus Wagenbach, Moderation: Helmut Böttiger, im Literarischen Colloquium Berlin, https://lcb.de/programm/uwe-johnson-befreundungen/
- ↑ Der Erfolg von »Wo ich her bin...« veranlasste Siegfried Unseld und den Suhrkamp Verlag einen Band mit dem Titel: Wohin ich in Wahrheit gehöre. Ein Johnson Lesebuch, mit einem Nachwort versehen von Siegfried Unseld, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-518-40639-6, herauszugeben.
- ↑ Rüdiger Thomas von der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn hat sich sehr für den Verlag, z. B. durch Buchankäufe von Boris Kagarlitzki, Der gespaltene Monolith, engagiert.
- ↑ Konzeption, Gestaltung und Ausführung einer Ausstellung »Gertrud Kolmar: Orte« (20 Tafeln, Größe A1), die erstmalig anlässlich ihres 100. Geburtstages am 10. Dezember 1994 im Heimatmuseum Falkensee gezeigt wurde.
- ↑ Michael Hagemeister / Torsten Metelka (Hrsg.): Appendix 1. Materialien zu Pavel Florenskij. Berlin 1999, ISBN 3-931337-31-6.
- ↑ Norbert Franz, Michael Hagemeister, Frank Haney (Hrsg.): Pavel Florenskij. Tradition und Moderne. Frankfurt am Main / Berlin / Bern / Brüssel / New York / Oxford / Wien 2001, ISBN 3-631-37537-9.
- ↑ Jakob Ullmann: An ihn muss erinnert werden! Zum Tod des Verlegers Torsten Metelka. faustkultur.de; abgerufen am 5. Februar 2022. Cornelia Geißler: Torsten Metelka ist tot, einer der ersten Verlagsgründer im Osten 1990. In: Berliner Zeitung, 5. Januar 2022.
- ↑ Ausgewählte Fotografien von Torsten Metelka aus den achtziger Jahren: https://wordpress.com/post/zeitschriftkontext.wordpress.com/902
- ↑ Angela Schönberger (Hrsg.): Neue Länder Neue Wege. Produkt und Design einer Wirtschaftsregion im Wandel. Berlin 1993, ISBN 3-433-02421-9.